letzte Änderung am 17. Februar 2004 | |
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»Links hat sich was bewegt« – »Na geh, immer wenn ich gerade wegschau« – so oder ähnlich müssen viele gedacht haben nach der bundesweiten Demo gegen Sozialkahlschlag am 1. November in Berlin. Dass im gar nicht so nahen Osten der Republik rund 100000 Menschen gemeinsam demonst-rierten, ohne dass irgendeine namhafte Großorganisation dazu aufgerufen hatte, ist erstaunlich und nährt seitdem die These vom Entstehen einer neuen außerparlamentarischen Opposition. Deren ›Bewährungsprobe‹ wiederum fand am 17./18. Januar in einem Frankfurter Bürgerhaus statt – was eignet sich besser, um alle in ein Boot zu setzen, oder?
Mit der praktizierten APO tut man sich seit den letzten Erhebungen in diese Richtung – inmitten der Hochzeiten des so genannten goldenen Zeitalters des Keynesianismus – bekanntlich schwer in einem Land, das ohnehin eher für seine obrigkeitsstaatlichen Traditionen als für »Krieg den Palästen« und den Bruch mit der Einsicht in entsprechende Palast-Notwendigkeiten bekannt ist. Nicht zu vergessen, dass mit den Gewerk-schaften zwar nominell eine der größten sozialen Bewegungen als Bündnispartner existiert, der jedoch als Bewegung kaum noch sichtbar wird und den Glauben daran, die eigenen Mitglieder auf die Straße bringen zu können, selbst wenn er es denn, selten genug, einmal wollte, verloren zu haben scheint. Sichtbar war dies bei der im Sande verlaufenen Gesundheitskampagne von ver.di/Attac im vorletzten Jahr wie bei den ebenso zögerlich vorbereiteten wie besuchten DGB-Demos im letzten Frühsommer. Nicht zuletzt deshalb stehen die Gewerkschaften als wacklichter Kandidat bei den Bündnispartnern ›unter Verdacht‹.
Zudem: Eine gemeinsame Protest- und Auseinandersetzungskultur will geübt sein – und wo anknüpfen? Überlebt haben im langen deutschen Winter der 80er/90er Jahre eher die Gruppierungen, für deren Politik und politisches Selbstverständnis zeitlose Gültigkeit oberster Glaubenssatz war. Und deren Phrase, dass der Kapitalismus etwas mit Profiten und irgendwie auch immer mit Krieg zu tun hat, war zugleich zu viel und zu wenig zum Anknüpfen. Ansonsten: Tauchstationen und Vorgärtchenwirtschaft, wo der Blick hinfiel. So blieb es bis zum vergangenen Herbst meist bei der Papierausgabe von Bündnissen gegen Sozialabbau, Eingriffen in ArbeitnehmerInnenrechte und den Umbau der Republik, der alles andere als republikanische Züge trägt. Ungezählte Male ist so der Ruf nach »französischen Verhältnissen« im Flugblätterwald verhallt – der Charme der italienischen »Disobedienti«, des zapatistischen »¡Ya basta!«, des französischen »Tous Ensemble« entfaltete seine Wirkung nur als polit-folkloristisches Mitbringsel von fernen Welt- und Sozialforen.
Bewegt hat sich nun allerdings auch bei den Gewerkschaftsvorständen etwas. Geblieben ist zwar die Emp-findsamkeit gegenüber den gut überwinterten Phrasen der organisierten Kader- und Kathederlinken und eine dementsprechende Skepsis gegenüber allem, was sich auf dem offenen Feld links von den Freunden des Realitätsprinzips, wie sie allsonntagabendlich bei Frau Christiansen um die Ausdeutung desselbigen und um »Meinungshoheit« buhlen, tummelt. Doch noch einmal sollte es ihnen offenbar nicht passieren, dass sie sich mit ihrer Rücksichtnahme auf schwesterparteiliche Regierungsnöte derartig ins gesellschafts-politische Abseits stellen wie am 1. November. Also war klar, dass der DGB das Zepter wieder in die Hand nehmen und sich mit eigenen Aufrufen an den auf eine Initiative des EGB zurückgehenden, europaweiten Aktionstagen am 2./3. April an die ›Spitze der Bewegung‹ setzen würde.
Anne Allex hatte im letzten express (»Wem gehört die Demo... und wohin wollen die Erben?«) bereits über die Schwierigkeiten berichtet, die sich an der Frage »Wie weiter?« nach der Demo in Berlin entzündet hat-ten. Per gemeinsam von einem breiten Vorbereitungskreis getragener und organisierter Aktionskonferenz in Frankfurt a.M. fand nun der nicht minder erstaunliche Versuch statt, all jene ins Boot zu holen, die in irgendeiner Weise an dieser Frage interessiert sein könnten. Im Wissen um die Differenzen und Empfindlichkeiten zwischen den beteiligten Gruppierungen hatte der Vorbereitungskreis bewusst auf Breite gesetzt: Neben den drei so genannten Hauptströmungen – gewerkschaftliche Linke, Globalisierungskritikerinnen und Erwerbslosen-/Sozialhilfeinitiativen – waren VertreterInnen von Flüchtlings- und MigrantInnenorganisationen, Behindertenverbänden, Auszubildendenvertretungen, feministischen bzw. Frauenorganisationen, der Stu-dierenden und der RentnerInnen geladen, den rund 500 TeilnehmerInnen der Konferenz zu verdeutlichen, dass die Politik der Agenda 2010 tatsächlich alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens erfasst und die Lebensbedingungen hierzulande in einer Weise umkrempelt, die wenigstens das klar macht: Die Demo in Berlin kann nicht das Ende der Auseinandersetzungen gewesen sein.
Als Devise galt: »Auf Augenhöhe diskutieren«. Das war einerseits an die Adresse des DGB und der Vor-stände seiner Mitgliedsgewerkschaften formuliert, die sich nach, trotz und wegen ihrer Schlappe im November mit ihren Aufrufen für den 2./3. April Definitionsmacht über die Form und Richtung der Proteste zurückerobern und zugleich als ernstzunehmender politischer Faktor Geltung gegenüber der großen Koalition in Berlin verschaffen wollen. So war bis zur Konferenz unklar, ob es, wie viele Erwerbsloseninitiativen und lokalen Sozial- und Anti-Hartz-Bündnisse es favorisiert hätten, seitens des DGB am 3. April eine zentrale Demo in Berlin oder doch, wie es der DGB jetzt vorschlägt, drei dezentrale Demonstrationsveranstaltungen geben sollte. Die Befürchtung galt auch dem inhaltlichen Charakter der Aufrufe selbst: »Am Ende müssen wir wieder mit Norbert Blüm demonstrieren gehen, um für gerechte Opfer von allen für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu werben...« Nicht ganz unberechtigt war diese Befürchtung aufgrund der – allerdings auch gewerkschaftsintern umstrittenen – Äußerungen Michael Sommers im Vorfeld. Er hatte im DGB-eigenen Aufruf betont, dass »Deutschland nur mit einer innovativen Wirtschaft und gut ausgebilde-ten Beschäftigten eine Chance« habe, den »Spitzenplatz als Exportweltmeister zu sichern.« Na, das wissen doch die neuen Eliten-Freunde von der Weimarer SPD auch und setzen es fleißig um.
Die Devise galt jedoch auch den real existierenden BündnisgenossInnen bzw. -partnerInnen: Klar war, dass zwischen den beteiligten Organisationen enorme Differenzen hinsichtlich der Krisendiagnose, der Ursa-chenanalyse, der Lösungsstrategien und des politischen Selbstverständnisses bestehen. Zugespitzt kam dies naturgemäß in den inhaltlichen Streitigkeiten um ein »Recht auf Arbeit«, wie es einige gewerkschaftli-che VertreterInnen auf dem Podium und im Publikum forderten, vs. ein »Recht auf Existenzgeld« bzw. »bedingungsloses Grundeinkommen« zum Ausdruck. Doch obwohl es hierzu ganz offensichtlichen Diskussionsbedarf gibt, gelang es in den Arbeitsgruppen, sich auf einige Gemeinsamkeiten zu verständigen, die dem Plenum dann als so genannter »Frankfurter Appell gegen Sozial- und Lohnabbau« und als »Ab-schlusserklärung« vorgelegt wurden. Als geschickt erwies sich dabei wie so oft das Verfahren, die Gemeinsamkeiten via negativer Abgrenzungskriterien zu formulieren. Ganz gelang es allerdings doch nicht, den Streit zu vertagen, denn ausgerechnet die Attacis waren es, die sich per Berufung auf das Konsensprinzip gegen die Abstimmung über die Formulierung stellten, dass speziell für den 2. April (als Arbeitstag) »vielfältige regionale und betriebliche Aktionen bis hin zu Streiks vorbereitet werden«.
Nun lag solcher Widerstand sicher nicht darin begründet, dass Attac hierzulande die Bürde der Streikvorbe-reitung und -durchführung trägt, geschweige denn für die politischen Folgen solcher Unbotmäßigkeiten den Kopf hinhalten müsste. Nein, bekanntlich tragen andere die Verantwortung für diese Form sozialen Protests und Widerstands. Und genau diese Verantwortung wollten Werner Rätz und Peter Wahl als ideelle Gesamt-gewerkschafter ihren Kollegen in den Vorständen offenbar abnehmen. Auch wenn die Form der handgreifli-chen Auseinandersetzung, die das Beharren auf dem Demokratie-Prinzip solch sympathischer Organisatio-nen wie etwa des UN-Sicherheitsrates (»nur im Konsens« – wenn es hier zur Abstimmung kommt, steigt Attac aus) den beiden letztlich eintrug, nicht eben zur inhaltlichen Klärung angetan ist, wurde daran doch zumindest deutlich, dass es mit der allzu paternalistischen Verantwortungsdefinition unter Bündnisgenossen so eine Sache ist: Attaci, bleib bei Deinem Steuerleisten, statt Dir anzumaßen, über Streikfähigkeit oder -sinnhaftigkeit anderer im Namen einer vermeintlich höheren Vernunft, nämlich des DGB zu urteilen. So jedenfalls reagierten die anwesenden GewerkschafterInnen und Betriebsräte auf die Schlussinvektive der Attac-Vertreter.
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