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Updated: 18.12.2012 15:51
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Neue Armut an zentralen Orten des Konsums sichtbar machen

Linsensuppe für alle »Abgespeisten«

Das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik stieg laut statistischen Erhebungen des Arbeits- und Sozialministeriums von 1,53 Billionen Euro im Jahr 1991 auf knapp 2,25 Billionen Euro im Jahr 2005. »Noch nie wurden so viele Waren und Werte produziert«, erklärt Sigrid Graumann vom Berliner Sozialforum. Doch die Lohnquote am Volkseinkommen ist rückläufig: Im Jahr 2000 betrug sie noch 72,2 Prozent, im Jahr 2005 fiel sie auf 67 Prozent. Demgegenüber stieg die Quote der Unternehmens- und Vermögenseinkommen an. »Der neue Reichtum der Wenigen führt zu alter und neuer Armut der Vielen«, sagt Sigrid Graumann.

von Rainer Wahls, Berlin*

Linsensuppe für alle »Abgespeisten«Diese Entwicklung wollten Berliner Sozialinitiativen mit Informationstafeln und Flugblättern am ersten Februar-Wochenende dort sichtbar zu machen, wo der schöne Schein des globalisierten Kapitalismus zum Konsumieren einlädt: Unter den Linden, Ecke Friedrichstraße. Gegenüber den noblen Bugatti-Ausstellungsräumen des VW-Konzerns trafen sich 70 aktive Menschen aus verschiedenen politischen Zusammenhängen Berlins. Die Arbeitsgruppe >Soziales Berlin< des Berliner Sozialforums lud gemeinsam mit gewerkschaftlichen Erwerbslosengruppen, sozialen Protestinitiativen, attac und der Berliner WASG alle »Abgespeisten« zu einer Mahlzeit mit Linseneintopf.

»Wir haben uns bewusst für diesen Ort entschieden«, bekräftigt Graumann. »Der ehemalige VW-Manager Peter Hartz ist der Namensgeber für Repressionen und Entrechtung von Erwerbslosen. Die gesetzlich verordnete Verarmung zwingt ganze Bevölkerungsgruppen in einen ausgeweiteten Niedriglohnsektor mit ungesicherten Arbeitnehmerrechten.« Die Luxusmarke Bugatti sei der Versuch des VW-Konzerns, auch in der Liga der Statussymbole des falschen Reichtums mitzuspielen. Der Preis eines Bugatti entspricht dem Geldbetrag, mit dem 178 alleinlebende Arbeitslosengeld II-Empfänger jeweils ein Jahr lang ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen.

Linsensuppe für alle »Abgespeisten«Peter Hartz kennt die Örtlichkeiten in der Friedrichstraße nur zu gut. Hier trifft sich die Automobil-Lobby in Fraktionsstärke mit den politischen Entscheidungsträgern aus dem Bundestag. Diese Treffen lässt sich der Konzern in der Regel einiges kosten, genauso wie die finanzielle >Überzeugungsarbeit< seiner Betriebsräte.

Seit kurzem ist der Namensgeber der »Reformen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« vorbestraft. Leider gab es keine Ahndung für, die Durchsetzung des größten Beseitigungsprogramms sozialer Rechte und bürgerlicher Freiheiten in der Geschichte der Bundesrepublik unter sozialdemokratischer Führung.

»Wir protestieren gegen vergangene und geplante >Reformen<, die zum Ziel haben, die Armut von Erwerbslosen und Sozialgeldempfängerinnen weiter zu steigern«, erklärt Ulla Pingel vom ver.di-Erwerbslosenausschuss Berlin. »In dem reichen Land Deutschland lebt jedes sechste Kind in Armut. Das sind über 5,9 Millionen Kinder! In einigen Berliner Bezirken ist fast jedes dritte Kind mit der Einkommensarmut der Eltern konfrontiert.«

Linsensuppe für alle »Abgespeisten«Die AG >Soziales Berlin< fordert von den politischen Entscheidungsträgern eine realistische Neuregelung der Regelsätze für das Arbeitslosengeld II und das Sozialgeld. Eine Erhöhung auf 500 € sei notwendig, um Erwerbslose nicht aus dem gesellschaftlichen Leben auszugrenzen. Der rasante Anstieg der Kinderarmut in der Bundesrepublik sei ein Skandal.

Immer mehr Menschen sind in nicht mehr krankenversichert, weil sie als prekärer Selbständiger keine 300 € pro Monat für eine Versicherung aufbringen können. Das gleich trifft auf erwerbslose Menschen zu, die kein ALG II bekommen, nicht verheiratet sind und vom Einkommen ihres Lebensgefährten leben müssen. Hartz IV ist kein Unterschichtenproblem. Armut mit und ohne Arbeit ist eine gesellschaftliche Realität, sie reicht bis weit ins Zentrum unserer Gesellschaft hinein.

Die Bugatti-Fahrer sind eine extreme Minderheit in diesem Land, die ihren Wagen nur deshalb genießen können, weil der gesellschaftliche produzierte Reichtum ungleich und unsozial verteilt wird. Soziale Politik beginnt dort, wo die derzeitige Verteilung nicht als naturgegeben hingenommen, sondern in Frage gestellt wird. Es braucht noch viele Schritte, wie >Linsensuppe für Abgespeiste< in der Friedrichstraße, bis aus Protest gelebter Widerstand wird.

Rainer Wahls ist Mitarbeiter der Arbeitsgruppe >Soziales Berlin< im Berliner Sozialforum und Mitglied des Koordinierungskreises vom Aktionsbündnis Sozialproteste (ABSP).


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