aus: ak 429 vom 23.9.1999
ak - analyse & kritik
Zeitung für linke Debatte und Praxis
"Diese Seite Erlangens ist weithin unbekannt."
Max Goldt/Foyer des Arts:
"Wissenswertes über Erlangen"
Wir schreiben das Jahr 1999, und ganz Deutschland ist besessen vom Glauben an den Arbeitsgötzen. Ganz Deutschland? Nein! In einem fränkischen Städtchen kämpft eine kleine Gruppe großer Geister beherzt gegen den Massenwahn.
Hätte die Erlanger Krisis-Gruppe diesen Einstieg in ihr "Manifest gegen die Arbeit" gewählt, wäre es sofort als Satire erkennbar gewesen. So bewegt es sich streckenweise zwar auf Asterix-Niveau - namentlich der unverwüstliche Barde Troubadix ("Er selbst findet sich genial, alle anderen finden ihn unbeschreiblich") scheint Pate gestanden zu haben. Doch offensichtlich ist die Komik unfreiwillig. So steigen die Erlanger Denker nicht mit Asterix ein, sondern mit einer Anleihe beim "Kommunistischen Manifest": "Ein Leichnam beherrscht die Gesellschaft - der Leichnam der Arbeit. Alle Mächte rund um den Globus haben sich zur Verteidigung dieser Herrschaft verbündet usw."
Man muß also wohl annehmen, daß das Ganze ernst gemeint ist. Zumal die Erlanger Prognosen über das Verschwinden der Arbeit ebenso als feststehende Tatsachen präsentiert werden wie weiland die Zusammenbruchserwartungen der schlimmsten vulgärmarxistischen Deterministen: "Der Verkauf der Ware Arbeitskraft wird im 21. Jahrhundert genauso aussichtsreich sein wie im 20. Jahrhundert der Verkauf von Postkutschen." Die streng wissenschaftliche Beweisführung mögen Interessierte bitte selbst nachlesen. Hier soll vielmehr der Frage nachgegangen werden, wie die Krisis-Leute den alle (außer sie selbst) erfassenden Arbeitswahn erklären. Zu diesem Zweck eine Reihe von Zitaten, die alles andere als lustig sind:
Wir leben "in einer Welt von domestizierten Arbeitstieren"; auch Gegner des Neoliberalismus gehören zum "gesamtgesellschaftlichen Arbeits-Lager"; ein "neuer Arbeitsfanatismus" geht um; Linke wie Rechte sind "von der Idee der Arbeit geradezu besessen"; die "totalitäre Macht" der Arbeit wird von Kommunisten und Nazis letztlich in gleicher Weise ausgeübt: ",Die Müßiggänger schiebt beiseite` hieß es im Text der internationalen Arbeiterhymne - und ,Arbeit macht frei` echote es schauerlich über dem Tor von Auschwitz." An dieser Stelle angekommen, werden die meisten LeserInnen das Machwerk auf den Stapel für den Altpapier-Container gelegt haben - ich habe aus Gründen der "Arbeitsdisziplin" weitergelesen.
Gelohnt hat es sich nicht. Denn die neue Totalitarismus-These wird im folgenden nur variiert und, wie üblich, vor allem den Linken um die Ohren gehauen. Denn "die politische Linke hat die Arbeit immer besonders eifernd verehrt". Sie trägt die Hauptverantwortung, daß wir es heute mit einer "arbeitswahnsinnigen Heloten-Menschheit" zu tun haben. Heloten waren die Staatssklaven im antiken Sparta; im Unterschied zu ihnen unterwerfen sich ihre heute lebenden Nachkommen freiwillig: "Wo jeder zum Knecht geworden ist, ist jeder auch gleichzeitig Herr - als sein eigener Sklavenhändler und Aufseher"; die "Abhängigkeit" ist "total". Und doch gibt es Hoffnung, nämlich ein "Protest- und Widerstandspotential", "ist es der Arbeit nie gelungen, den Widerwillen gegen die von ihr gesetzten Zwänge ganz auszulöschen". Das widerspricht zwar dem vorher gemalten Bild von der totalen Selbstunterwerfung der arbeitswütigen Idioten, zeigt aber einen Rest von Wahrnehmungsfähigkeit.
Im übrigen weiß jeder, der schon mal in einem Klein-, Mittel oder Großbetrieb gearbeitet hat, daß die Verweigerung, das Sich-Drücken und Blaumachen, zum Alltag gehört. Zwar gibt es nach wie vor die kleine Minderheit von Idioten, die stolz erzählen, sie hätten in 30 Jahren Betriebszugehörigkeit nie gefehlt und die dann ein halbes Jahr nach der Verrentung tot umfallen. Der Rückgang des Krankenstandes hat wenig mit zunehmender Begeisterung für die Arbeit zu tun und viel mit Repression, Einschüchterung und - begründeter - Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Auch die These der "Antinationalen", die Deutschen seien besonders arbeitswütig, wäre erst noch zu überprüfen.
Zurück zu den Erlanger Helden der Arbeitsverweigerung. Sie wollen das "Weltdeutungsmonopol des Arbeits-Lagers" (!) aufbrechen; "der theoretischen Kritik der Arbeit (also der Krisis-Gruppe) kommt dabei die Rolle des Katalysators zu." Aus der "Kraft der Negation" erwächst dann ein "Bündnis gegen die Arbeit", später die "Bildung weltweiter Verbünde frei assoziierter Individuen"; die "Weltgesellschaft" mit "neuen sozialen Organisationsformen (freie Assoziationen, Räte"); "an die Stelle der Warenproduktion tritt die direkte Diskussion, Absprache und gemeinsame Entscheidung der Gesellschaftsmitglieder über den sinnvollen Einsatz der Ressourcen"; aus Arbeit wird "Tätigkeit". Die abrupte Wendung zum Guten verblüfft ebenso wie die sich anschließenden Banalitäten über die Produktion in der frei assoziierten Weltgesellschaft: Die wird, so lesen wir, nämlich "solare Energie" nutzen und "schonende Methoden der agrarischen Produktion" anwenden, auf den größten Teil der Technik aber verzichten und gleichwohl die "frei disponible Zeit für alle ungeheuer ausdehnen." Marx hat in der "Deutschen Ideologie" (1845/46) das angenehme Leben in der klassenlosen Gesellschaft doch anschaulicher beschrieben ("jagen, fischen, Viehzucht treiben, kritisieren..."); erst heute aber, analysieren die fränkischen Meisterdenker, sind die Verhältnisse wirklich reif für die weltweite freie Assoziation der Menschen. Um sie zu erreichen, reicht guter Wille - die Verweigerung. Denn "der Klassenkampf ist zu Ende, weil die Arbeitsgesellschaft am Ende ist".
Folgerichtig endet das Manifest nicht mit einem Aufruf zum Handeln, sondern zum Nichtstun: "Proletarier aller Länder, macht Schluß!" Seitdem das "Manifest gegen die Arbeit" vorliegt, ist alles getan. Die Geschichte kann ihren vorbestimmten Lauf nehmen.
Js.
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