aus: ak 431 vom 21.10.1999, ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis

Mit und ohne Zukunft

Beiträge über die Arbeit - eine Buchrezension

Im letzten Jahr ist bei dem kleinen, eher auf entwicklungspolitische Probleme spezialisierten IKO-Verlag ein Sammelband mit dem provozierenden Titel "Zukunft ohne Arbeit?" erschienen. "Beiträge zur Krise der Arbeitsgesellschaft" lautet der Untertitel des Buches, das im Rahmen einer Veranstaltungsreihe an der Uni Trier konzipiert worden ist und im wesentlichen Beiträge aus dieser Reihe enthält.

Mit dem Slogan "Krise der Arbeitsgesellschaft" ist bereits ein zentraler Ansatz des Buches benannt, nämlich die Bezugnahme auf Hannah Ahrendt und ihre Gegenüberstellung von (emanzipatorischen) "Tätigkeiten" und (entfremdeter) "Arbeit". Viele der in dem Buch vertretenen Artikel kreisen um diese beiden Pole, um die Kritik einer "auf Arbeit" gegründeten Gesellschaft und um die Suche nach der konkreten Utopie einer "Tätigkeitsgesellschaft". So etwa die Beiträge von Ingrid Kurz-Scherf ("Ende der Arbeitsgesellschaft?"), Veronika Ziegelmayer ("Patriarchale Arbeit ohne Zukunft?") oder Thomas Geisen ("Politisches Handeln in der Jobholder-Society").

Feministische Arbeitskritik

Einen zweiten thematischen Bezugsrahmen des Buches bildet die feministische Kritik am herrschenden patriarchalen Arbeitsbegriff, die Kritik an der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung und die Dominanz kapitalistischer Erwerbsarbeit gegenüber der tendentiell unsichtbaren, nicht- und unterbewerteten Reproduktionsarbeit (Kurz-Scherf, Ziegelmayer, Katrin Kraus/Barbara Stigler, "Frauen in Arbeit", Katrin Kraus, "Verschiebebahnhof Haushalt"). Besonders erwähnenswert ist der Beitrag von Katrin Kraus, die die Hausarbeit in Mittelschichtshaushalten analysiert, in denen berufstätige Frauen die Reproduktionsarbeit durch bezahlte Lohnarbeiterinnen, häufig Migrantinnen, erledigen lassen. Ihr Thema sind dabei die widersprüchlichen Ebenen von Dominanz und Unterwerfung, die aus der Verbindung von Geschlechterhierarchien, Lohnarbeitsverhältnis und Rassismus entstehen.

Weitere Beiträge stammen von Marcel van der Linden zur Kritik der Warenlogik bei Moishe Postone und der "krisis"-Gruppe, von Jeroen Doomernik und Rinus Penninx zur internationalen Arbeitsmigration, von Jürgen Hoffmann zu gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten im globalisierten Kapitalismus oder von Ernest Jouhy zu Psyche als Produktivkraft. Jeder einzelne der in diesem Buch versammelten Beiträge wäre eine eingehende Auseinandersetzung wert.

Sammelbände, Tagungen, Konferenzen etc. mit Titel wie "Zukunft ohne Arbeit", "Arbeit ohne Zukunft", "Zukunft der Arbeit" oder "Arbeit der Zukunft" sind en vogue. Sie treffen eine Stimmung im linksliberalen, modernistischen Spektrum der Gesellschaft. Was diesen Sammelband zweifellos heraushebt, ist der feministischen Blickwinkel vieler Beiträge. Im großen und ganzen bringen sie aber in Bezug auf eine feministische Arbeitskritik nicht viel neues. Die Erwerbsarbeitszentriertheit auf allen gesellschaftlichen Ebenen sollte inzwischen genauso ein linker Gemeinplatz sein wie das Verschwinden der Reproduktionsarbeit aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung oder die Tatsache, daß gesellschaftlich anerkannte Erwerbsarbeit und ignorierte Haus- und Reproduktionsarbeit geschlechtshierarchisch und patriarchal aufgeteilt sind. Es ist sicher richtig, das immer wieder zu betonen, aber seit den Pionierarbeiten des sog. "Bielefelder Ansatzes" um Claudia Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen scheint die feministische Arbeitskritik zu stagnieren.

Wo in den 70er Jahren die feministische Debatte um (unbezahlte) Reproduktionsarbeit als eine fundamentale Kritik an einem patriarchalen Produktionsverhältnis geführt wurde, hat sich die Diskussion inzwischen offenbar verschoben bzw. verengt auf eine bloße "Erweiterung des herrschenden Arbeitsbegriffs". Weder Erwerbsarbeit noch Reproduktionsarbeit werden dabei als "Arbeit" kritisiert. Ihr konkreter Inhalt, Arbeitsbedingungen etc. stehen nicht zur Diskussion. Dem feministischen Arbeitsbegriff, wie er in diesem Buch in der Regel präsentiert wird, geht es (nur) darum, daß Reproduktionsarbeit als gesellschaftlich notwendige Arbeit anerkannt wird.

Um nicht mißverstanden zu werden: Das wäre nicht wenig. Und nichts ersetzt die permanente Kritik an der geschlechtsspezifischen Zuschreibung von Haus- und Reproduktionsarbeit oder macht sie überflüssig. Dennoch: Als (emanzipatorische) Kritik an der Arbeit springt die Forderung nach einer Erweiterung des Arbeitsbegriffes sehr kurz. Am deutlichsten bei Ingrid Kurz-Scherf. Ihre Verknüpfung von Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung der Reproduktionsarbeit reduziert die Kritik an der Arbeit auf eine reine Verteilungsfrage. Doch mit der Frage nach der geschlechtsspezifischen Ver- bzw. Aufteilung der Arbeit müßte auch ihr Inhalt grundsätzlich in Frage gestellt werden: Was ist alles gesamtgesellschaftlich notwendige Arbeit? Wie soll sie organisiert werden? Wer soll sie unter welchen Bedingungen leisten? Wie sollen Kinder großgezogen und versorgt werden? Wie sieht es mit Familien, Ehen, Paarbeziehungen als gesellschaftlich-private Orte der individuellen Reproduktion aus? Gab es da nicht mal eine Kritik am "privaten Haushalt"?

Wie wär's mit Marx?

Obwohl in dem Buch viel von der Kritik an der "Arbeitsgesellschaft" die Rede ist, sind die Beiträge eher unspektakulär, manchmal auch langatmig. Es mag sein, daß sie sich "außerhalb ausgetrampelter Diskurspfade" bewegen, wie Bernd Hüttner schreibt (alaska, Nr. 227), aber "erfreulich radikale Ansichten" werden kaum präsentiert. Im Gegenteil, die Kritik der Arbeit bleibt eigentümlich zahnlos. Auch auf die Gefahr hin, traditionell und dogmatisch zu erscheinen: Was den Beiträgen in diesem Buch fehlt, ist ein kräftiger Schuß (libertärer) Marxismus.

Wo von "der Moderne", von der "Industriegesellschaft" oder auch von der "Arbeitsgesellschaft" gesprochen wird, kommt Arbeit als Ausbeutung und als Ausdrucksform eines Herrschaftsverhältnisses nicht mehr vor. Die Betrachtung von Arbeit bleibt in diesem Buch meist sehr oberflächlich. Es reicht nicht, "kapitalistische Arbeit" lediglich als bezahlte Arbeit zu betrachten. Nach Form und Inhalt ist kapitalistische Arbeit Unterdrückung, Herrschaft und Ausbeutung. Das gilt für bezahlte Arbeit wie für unbezahlte, für "normale" Erwerbsarbeit wie für Reproduktionsarbeit. Eine Kritik der Arbeit, die dies ausspart, ist nicht sonderlich radikal.

Als Erwerbs- bzw. Lohnarbeit ist kapitalistische Arbeit an keiner Stelle des Buches Gegenstand der Kritik. Selbst dort nicht, wo es sich eigentlich aufdrängt, etwa beim Einzug von Lohnarbeitsverhältnissen in die Ökonomie des Haushalts. Frauen werden in den Beiträgen grundsätzlich als unbezahlte Reproduktionsarbeiterinnen betrachtet, als Lohnarbeiterinnen kommen sie nicht vor. Das führt teilweise zu merkwürdigen Verbiegungen, etwa wenn der überwältigend hohe Frauenanteil in prekären und ungesicherten Jobs zwar wahrgenommen wird, diese Arbeitsverhältnisse aber aufgrund der geringen Löhne kurzer Hand zu unbezahlter Arbeit erklärt werden.

Erwerbsarbeit soll vor diesem Hintergrund zwar umverteilt werden, in Frage gestellt wird sie aber nicht. Daß auch die kapitalistische Lohnarbeit zumindest auch patriarchal strukturiert ist, daß gerade die neuen deregulierten Arbeitsverhältnisse - zumindest in der globalen Perspektive - eine "patriarchale Schlagseite" aufweisen oder daß sich etwa der alte Begriff von der "Hausfrauisierung" keineswegs nur auf die Hausarbeit bezog, das sind Erkenntnisse, auf die dieser Sammelband leider nicht eingeht.

dk

Thomas Geisen, Katrin Kraus, Veronika Ziegelmayer (Hrsg.): "Zukunft ohne Arbeit? Beiträge zur Krise der Arbeitsgesellschaft", IKO-Verlag, Frankfurt 1998, 290