Umherschweifende Produzenten

 
das massengehirn sei das maß der gehirne,
so wills unser sehnen.
(Vladimir Majakovskij, wir!, 1929)

In den siebziger Jahren galt Italien der Linken nördlich der Alpen als das Land, in dem es den sozialrevolutionären Bewegungen über ein Jahrzehnt hinweg gelungen war, "den revolutionären Impuls beizubehalten" und die ökonomische und politische Krise zu eskalieren. In den Achtzigern wurde dann der Mythos vom "Dritten Italien" dominant, von der flexiblen Spezialisierung der Kleinbetriebe und vernetzten Unternehmen, vom schlanken Staat und der unternehmerischen Initiative, die, so zumindest die Vorstellung, das Modell für einen Ausweg aus der Krise und in den postfordistischen Wohlstand abgeben sollten. (1) Beide Szenarien verbindet eine Art romantische Amnesie, die jene radikale Transformation verdeckt, von der Paolo Virno in seinem Beitrag "Do You Remember Counterrevolution?" schreibt.

Die Krise des Fordismus, das Ende einer säkularen Formation der kapitalistischen Produktionsweise, damit verbunden der Bedeutungsverlust der Massenproduktion in der taylorisierten Fabrik, das Versagen keynesianischer Staatsintervention und das Auslaufen des Modells Wohlfahrtsstaat bot ähnlich wie hierzulande auch in der italienischen Debatte für eine reformistische Linke (und mehr noch für eine selbstgefällige "Post-Linke") Anlaß und Gelegenheit, sich auf bereits seit Jahren vorliegende Entwürfe einer heraufziehenden nachindustriellen Informations- und Dienstleistungsgesellschaft zu besinnen, diese als positives Ziel auszuformulieren und dabei auch beruhigt über das "Ende der Massenproduktion", das "Ende der Arbeitsteilung", den "Abschied vom Proletariat" und letztlich das "Ende der Arbeit" zu spekulieren. (2) Die radikale, sich nicht in Sorge um die Zukunft des Kapitalismus ergehende Kritik der gesellschaftlichen Veränderungen war demgegenüber fast stumm, die militanten Linken waren weithin zu "Unsichtbaren", wie Nanni Balestrini sie nannte, gemacht, aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen, in den Knästen verschwunden, ins Exil geflohen oder sie wählten die Zurückgezogenheit. Erst gegen Ende der achtziger Jahre entstand, befördert vor allem durch die Bewegung der centri sociali, der besetzten und selbstverwalteten Zentren, erneut eine Szene, boten freie Radios und Computernetze, Buch- und Infoläden, Zeitschriften und künstlerische Initiativen einer linksradikalen, "antagonistischen" Öffentlichkeit Orte und Möglichkeiten, die strukturellen Veränderungen der Produktionsweise unter der Perspektive ihrer Überwindung zu diskutieren und so nach den Umwälzungen der gesellschaftlichen Arbeit und den neuen Formen der Arbeitsteilung zu fragen. (3)

Die hier zusammengestellten Essays von Toni Negri, Maurizio Lazzarato und Paolo Virno entstanden als Interventionen in diese Debatten der radikalen Linken. (4) Ihre Ausformulierung des Konzepts "immaterielle Arbeit", ihre Behauptung, immaterielle Arbeit und intellektuelle Tätigkeit seien in eine zentrale Position gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion gerückt, stieß dabei auf heftigen Widerspruch. Gegenbeispiele, etwa in Gestalt der massenhaft ausgebeuteten Arbeitskraft in den Weltmarktfabriken des Trikont, der krummen Rücken in Schwitzbuden oder der Plackerei in Putzkolonnen, wurden aufgerufen. Und selbst wo man aufgrund eigener Forschungsarbeiten zur Entwicklung des postfordistischen Kapitalismus gewillt war, der These von der Dominanz "immaterieller" Arbeit zuzustimmen, folgte man häufig eher der Interpretation, die den "neuen Massenarbeiter in den Netzwerkunternehmen" (Sergio Bologna) entstehen sah oder in den Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse den "Zwang zur Selbstausbeutung" (Primo Moroni) hervorhob. (5)

Der Rede von immaterieller Arbeit haftet in den Kontroversen der Verdacht an, postmoderne Moden zu affirmieren, zumindest aber die "harten" Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zu ignorieren. Schon der Begriff weckt Aversionen. Angesichts der aktuellen Verwertungsdynamik des Kapitalverhältnisses im globalen Maßstab wird der Ansatz, unter den Vorzeichen emanzipatorischer Politik und einer an Marx orientierten materialistischen Gesellschaftskritik nach immaterieller Arbeit zu fragen, als politisch wie theoretisch irreführend apostrophiert. Doch zielt die Argumentation - gegen jede moralisch-naturalistische Gewißheit darüber, was Arbeit in ihrem Wesen ausmache - auf die Erkennbarkeit und Veränderbarkeit der historisch konstituierten sozialen Formen und Verhältnisse. Und entsprechend läßt sich eine doppelte Hypothese hervorheben, an die man anknüpfen kann: Immaterielle Arbeit wird ausgebeutet und (re-)produziert das Kapitalverhältnis, ist also insofern vom Standpunkt der Reproduktion des Bestehenden zu begreifen; die Bedeutung, ja Hegemonie immaterieller Arbeit jedoch ist Ergebnis von sozialen Kämpfen, und hier artikulieren sich Formen der Subjektivität und Gesellschaftlichkeit, die auf "Potentiale konstituierender Macht" verweisen, Bedingung der sozialen Emanzipation und freien Assoziation. (6)

Auf der Folie eines undogmatischen, "autonomen" Marxismus argumentierend diskutieren die Beiträge von Toni Negri, Maurizio Lazzarato und Paolo Virno diese These und fragen nach dem Zusammenhang von immaterieller Arbeit und Subversion. Sie erkunden die Voraussetzungen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Befreiung und Autonomie vor dem Hintergrund von Kämpfen und Niederlagen der sozialrevolutionären Bewegungen seit den siebziger Jahren und von Veränderungen der Produktionsweise, die heute das Label Postfordismus tragen.    

Vom Massenarbeiter zum gesellschaftlichen Arbeiter und darüber hinaus

Beinahe wie ein Déjà-vu folgt die politische Kontroverse um die Bedeutung immaterieller Arbeit den Konturen einer früheren Auseinandersetzung. Mitte der Siebziger tauchte in der autonomia operaia, dem Wirkungskreis der autonomen Bewegungen in Italien, ein Konzept auf, das von denen, die es verwendeten, weniger als bloße Beschreibung eines gegenwärtigen Zustands denn als Antizipation einer möglichen gesellschaftlichen Entwicklung begriffen wurde, geeignet, politisch zu intervenieren und eine vielstimmige emanzipatorische Rebellion voranzutreiben. Operaio sociale hieß die begriffliche Synthese, die auf das neue "sonderbare Wesen" (Toni Negri) aus sozialer Bewegung und vergesellschafteter Arbeit anspielte. Die Wendung betonte die charakteristischen gesellschaftlichen Verbindungen, in denen sich die Kämpfe der Frauen, der Jugendlichen, der Marginalisierten, der Schülerinnen und der Studenten, die Verweigerung gegenüber der kapitalistischen Ausbeutung und Verwertung und die Wiederaneignung des produzierten gesellschaftlichen Reichtums artikulierten. Der Ausdruck operaio sociale, gesellschaftlicher Arbeiter, selbst versuchte, das Proletariat begrifflich zu erweitern und insbesondere das Phänomen der "Massenintellektualität" einzubeziehen, die Bedeutung intellektueller Tätigkeiten im Produktionsprozeß wie in den neuen Formen von Öffentlichkeit. (7) Die in den sechziger Jahren formulierten, "operaistischen" Thesen über die Massenarbeiter der fordistischen Fabriken, deren Revolte den korporativen und an die kapitalistische Entwicklungsdynamik, an standardisierte Massenproduktion und Massenkonsum gekoppelten Kompromiß zwischen Arbeiterparteien, Gewerkschaften, Unternehmern und Staat aufgekündigt hatte, nahm das neue Konzept auf; zugleich wurde die "alte" operaistische Problematik transformiert und schließlich verworfen - als auf eine historisch zu Ende gehende Epoche bezogen. (8)

Die Massenarbeiter hatten, operaistischer Perspektive zufolge, in ihrer Aktion die Krise der tayloristisch organisierten Ausbeutung in den großen Fabriken produziert, und zugleich hatten sie die Krise der politischen und gewerkschaftlichen Repräsentation der Arbeiterklasse vertieft: Diese Kämpfe unterbrachen, durch die Forderung nach Lohn als Einkommen, durch Verweigerung der Arbeit und Sabotage, den Reproduktionsprozeß des Kapitals. Im selben Zug forcierten sie die Tendenz zur Integration der kommunistischen Arbeiterpartei in den kapitalistischen Staat und machten die "Verantwortung" deutlich, die der Gewerkschaftsorganisation bei der Aufrechterhaltung der Kapitalverwertung zufiel. Die emphatisch so genannte, aus einer politischen Klassenzusammensetzung des Massenarbeiters in der Fabrik abgeleitete spezifische "Verbindung Produktionsweise-Rebellionsweise" (Roberto Battaggia) schien evident. (9)

Die Kritik, die sich in der These vom operaio sociale bündelte, stellte heraus, daß jene Evidenz nicht in der Lage war, die neuen Bedingungen, die grundlegenden Veränderungen der Produktionsweise, zu begreifen. Das galt sowohl für die Ansätze der Restrukturierung, die der Kapitalakkumulation einen Ausweg aus der Krise eröffnen sollten, etwa durch Automatisierung und Flexibilisierung oder die Zergliederung der Produktion in der fabbrica diffusa, als auch für die Bedeutung, die sozialer Kommunikation und Wissen als "allgemeinen Produktivkräften", wie in Anlehnung an Marx formuliert wurde, zukam. Dem alten operaistischen Schema wurde zur Last gelegt, sich mit dem Wiedererkennen der überkommenen Verhältnisse im Neuen und der Anerkennung der Niederlage der Massenarbeiter darin zu begnügen. Programmatisch formulierte Toni Negri die These von der "Vergesellschaftung der lebendigen Arbeit als Kampf und zunehmende Insubordination ... auf gesamtgesellschaftlichem Niveau". Bereits als Marx die formelle und reale Subsumtion der lebendigen Arbeit unter das Kapital analysierte, hätte dies auf "die objektive Bedingung des operaio sociale, seine historische Möglichkeit" verwiesen. Als weitergehende "reale Subsumtion der gesamten Gesellschaft unter die kapitalistische Produktionsweise" präsentierte sich nun die Tendenz, die gesellschaftliche Entwicklung entsprechend den Erfordernissen der Kapitalverwertung aktiv zu planen und vorauszubestimmen. Der antagonistische Charakter des operaio sociale artikulierte sich dagegen in der Fähigkeit, die Kontrolle über die Produktion dem kapitalistischen Kommando zu entziehen und die Reproduktion der Gesellschaft zu organisieren. (10) Jene Insubordination, so die These, entsprang der "Weigerung, unmittelbar Kapital zu verwerten". Die gesellschaftliche Verallgemeinerung, der Übergang vom Massenarbeiter zum Proletariat des operaio sociale hieße dann, "der Arbeit als Disziplin zu entfliehen, genießen zu wollen, sich das Leben nicht als Arbeit, sondern als Abwesenheit von Arbeit vorzustellen, die Aktivität als freie und kreative Tätigkeit sich anzueignen". (11) Eine solche Position brach mit der sozialistischen Ideologie der Arbeit, mit dem in der Arbeiterbewegung seit der II. Internationale hegemonialen Bild des Proletariats und mit der Annahme, die Fabrik sei der privilegierte Ort, an dem diese Klasse"an sich" zu finden sei, und die Avantgarde der Partei repräsentiere deren organisiertes "für sich" als Klassenbewußtsein. Die Kritik richtete sich zugleich gegen das lineare Entwicklungsmodell eines"Sozialismus", der als erste Stufe des Übergangs zur klassenlosen Gesellschaft die Eroberung der Fabrik und der Staatsmacht vorsah, dessen reale Produktions- und Staatsapparate aber Herrschaft und Ausbeutung "staatskapitalistisch" reproduzierten. (12)

Die Kritik der Politik, der Form Staat und der revolutionären politischen Organisation, artikuliert in der These vom operaio sociale, war verbunden mit dem politischen Projekt der proletarischen Autonomie. Diese Verbindung verstand sich als strategische Wahl. Die Autonomia versuchte die Grenzen, die in den Kämpfen der Massenarbeiter gesetzt wurden, zu überwinden und damit gleichzeitig dem Auftreten anderer Subjekte eine Richtung zu geben. Sie sprach von der Zirkulation der Kämpfe und Konflikte im Stadtteil wie in der Fabrik als politischer Orientierung, griff in die Revolte gegen die Ordnungen der Familie und des Bildungssystems ein und begann nicht zuletzt das Wissen aus den Erfahrungen von Migration und Mobilität zu organisieren. Der Widerspruch gegen diese sozialrevolutionäre Orientierung war vehement. Nicht wenige ehemalige politische Weggenossen sahen im Ansatz der Autonomia kurzerhand "Abenteurertum", ihre Gegner sprachen von"Terrorismus". (13) Als Strömung innerhalb der außerinstitutionellen Bewegungen scheiterte die autonomia organizzata Ende der siebziger Jahre, in einer Situation der zugespitzten Konfrontation zwischen dem militärisch-ideologischen Notstandsstaat, der den etatistischen Reformismus integriert hatte, und den bewaffneten Gruppen, deren Strategie versuchte die "Machtfrage" zu stellen und dem staatlichen Terror symmetrisch zu begegnen.

"Der Einschnitt, den die Niederlage der politischen Organisationen der Bewegung Ende der Siebziger endgültig machte, entspricht keinesfalls einem irgendwie gearteten Untergang der neuen politischen Subjekte, die in der Explosion des Jahres 1977 aufgetaucht waren." (14) Eine verbreitete Kritik im Namen des schlechten Alten vermochte in solchem Resümee der Militanten aus der Autonomia nichts anderes als eine Affirmation des schlechten Neuen zu lesen - so wenig zu begreifen wie etwa das Motto "Die Revolution ist zu Ende, wir haben gesiegt", mit dem die "mao-dadaistische" kulturrevolutionäre Zeitschrift A/traverso im Sommer 1977 erschienen war.
 
 

Postfordistische Grundrisse

Die Niederlage der proletarischen Autonomie als politische Strategie wird in den Diskussionen der radikalen Linken bis heute gern angeführt, wenn an den Alltagsverstand appellierend argumentiert wird, als wäre die Anerkennung der Erfolge kapitalistischer Restrukturierung schon materialistische Kritik. (15) Doch wie läßt sich mit den Überlegungen zur immateriellen Arbeit und zum operaio sociale eine Kritik der Politik forcieren?

Marx' Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie zu lesen, wie es Toni Negri unternahm, war in dieser Hinsicht keineswegs eine "Rückkehr zu Marx" im Sinn der Rekonstruktion marxistischer Orthodoxie. In den Grundrissen, genauer im "Fragment über Maschinen", fand Negri in der Marxschen Verwendung des Terminus "gesellschaftliches Individuum" ein Instrument, um das Konzept des operaio sociale zu reformulieren. Entscheidend waren dabei Überlegungen, die nach der Verbindung zwischen der Subsumtion unter das Kapital und den Bedingungen desKommunismus fragten. Gegen die historizistische Vorstellung eines Übergangs, der an die Entwicklung oder "Reife" des Kapitalismus geknüpft wäre, unterstreicht Negri die in den Grundrissen vorliegende Konzeption Marx', wonach Produktivkräfte und gesellschaftlichen Beziehungen bloß verschiedene Seiten der Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums wären - und somit der Unterordnung unter das kapitalistische Kommando in einem Akt der Befreiung zu entreißen. Die materiellen Bedingungen des Kommunismus wären immer schon gegeben und zugleich historisch determiniert, ohne daß sich daraus eine Notwendigkeit - oder auch eine Utopie - ableiten ließe. (16) Der Umsturz und die Überwindung des Kapitalverhältnisses wäre demnach, was den operaio sociale angeht, bedingt durch die Möglichkeit zur "Selbst-Verwertung": In diesem Begriff wurde die negative Bestimmtheit des Kampfs gegen die Arbeit, Verweigerung und Sabotage zu sein, erweitert und neu gesetzt, als konstituierende Praxis einer neuen Produktionsweise, die die kapitalistische Verwertung der Mehrarbeit umwälzt und einen "Prozeß revolutionärer Innovation" in Gang bringt. Dessen Maßstab wäre die Multiplikation gesellschaftlich nützlicher Arbeit entsprechend der Bedürfnisse und freien Reproduktion der Gesellschaft."Die Selbst-Verwertung des proletarischen Subjekts, das Gegenteil der kapitalistischen Verwertung, nimmt die Form der Selbst-Bestimmung seiner Entwicklung an", formulierte Negri im Anschluß an Marx. (17)

Die Auffassung einer autonomen konstituierenden Praxis als spezifische politische Form geht jedoch, wie Negri anmerkte, "über Marx hinaus". Zugleich macht sie eine wesentliche Beschränkung im politischen Projekt der proletarischen Autonomie deutlich. Proletarische Autonomie als politische Strategie und Organisation verwarf zwar bestimmte jakobinische oder auch marxistisch-leninistische Vorstellungen der "Machteroberung" in Stadien, Stufen und Phasen des Übergangs. Sie blieb dennoch in gewisser Weise einer Perspektive von "Gegenmacht" verpflichtet, die sich außerhalb des kapitalistischen Kommandos und der Staatsmacht konstituieren sollte, um beide im Prozeß der Reproduktion der Gesellschaft auszulöschen. Sie folgte dabei letztlich gleichwohl einer antithetischen Bahn, einer "dialektischen Logik". Der materialistische Begriff der konstituierenden Praxis als politische Form, den Negri einführt, verweist hingegen auf eine strukturelle Asymmetrie: Das Kapital vermag, als soziales Verhältnis, den Antagonismus der lebendigen Arbeit nicht loszuwerden, da es sich nur durch die Ausbeutung reproduzieren kann; den gesellschaftlichen Produzentinnen und Produzenten hingegen wäre es möglich, den Reproduktionszyklus zu zerstören, einer"Logik der Separation" zu folgen, die Selbst-Veränderung in eine konstituierende Macht zu transformieren. Diese Separation nun gilt es zu organisieren. Das ist das Projekt, das Toni Negri, Maurizio Lazzarato und Paolo Virno hier umreißen, und sie orientieren auf eine Multitude antagonistischer Subjekte, denen immaterielle Arbeit, soziale Kooperation und nichtrepräsentierbare Autonomie die Matrix ihrer möglichen Emanzipation bieten.

Thomas Atzert
 
 

Anmerkungen

(1) Die Geschichte von Italien als Projektionsfläche eines Teils der (bundesrepublikanischen) Neuen Linken, die nach der Liebe zur Revolution Anfang der Achtziger ihre Liebe zum (schlanken) Staat und zum Geschäft entdeckten, läßt sich in deren meist autobiographischer Bekenntnisliteratur nachvollziehen oder auch, ebenso apologetisch, bei Andrei Markovits, Philip Gorski, Grün schlägt Rot, Hamburg 1997.

(2) Die Beschreibung einer postindustriellen Informationsgesellschaft setzte in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren ein mit Alain Touraine, La société post-industrielle, Paris 1969 (dt.: Die postindustrielle Gesellschaft, Frankfurt am Main 1972) und Daniel Bell, The Coming of Postindustrial Society, New York 1973 (dt.: Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt am Main, New York 1975). Zur Kritik der Ideologie von der Informationsgesellschaft vgl. Richard Barbrook, Andy Cameron, Die kalifornische Ideologie, in: Netzkritik. Materialien zur Internet-Debatte, Berlin 1997; Nick Witheford, Autonomist Marxism and the Information Society, in: Capital & Class, Nr. 52 (1994). Die Slogans vom vielfältigen "Ende" geben den folgenden Untersuchungen (bzw. ihren Übersetzungen ins Deutsche) die Titel: André Gorz, Adieux au prolétariat, Paris 1980 (dt.: Abschied vom Proletariat, Frankfurt am Main 1980); Horst Kern, Michael Schumann, Das Ende der Arbeitsteilung? München 1984; Michael Piore, Charles Sabel, The Second Industrial Divide, New York 1984 (dt.: Das Ende der Massenproduktion, Berlin 1985); Jeremy Rifkin, The End of Work, New York 1995 (dt.: Das Ende der Arbeit, Frankfurt am Main, New York 1995)

(3) Eine Kartographie der italienischen Sub- und Gegenkultur in den Neunzigern entwirft Sandrone Dazieri (Hg.), Italia overground. Mappe e reti della cultura alternativa, Rom 1996.

(4) Einige Debatten in der radikalen Linken über theoretische und politische Fragen in der Krise des Fordismus Anfang der neunziger Jahre in Italien skizziert Steve Wright, Confronting the Crisis of "Fordism". Italian Debates around Social Transition, in: Reconstruction, Nr. 6 (1995/96). Das interessanteste Zeitschriftenprojekt in diesem Zusammenhang ist zur Zeit vermutlich Derive Approdi.

(5) Vgl. Sergio Bologna, Problematiche del lavoro autonomo in Italia, in: Altreragioni 1/1992 (Teil 1), 2/1993 (Teil 2) (dt.: Probleme der selbständigen Arbeit in Italien, in: Wildcat-Zirkular,Nr. 33, 1997); Primo Moroni, Tra Post-Fordismo e nuova destra sociale, in: vis-à-vis, 1/1993 (dt. z.T.: Postfordismus und neue Rechte, in: Die Beute, Nr. 2, 1994); Rosario Piccolo, Per la critica del General Intellect e l'autorganizzazione del lavoro sociale, in: vis-à-vis, 1/1993.

(6) Vgl. Toni Negri, Michael Hardt, Potentiale konstituierender Macht, in: Die Arbeit des Dionysos, Berlin, Amsterdam 1997; Paolo Virno, Virtuosismo e rivoluzione, in: Luogo comune, Nr. 3/4 (1993).

(7) Einen Rückblick und Überblick zum Begriff operaio sociale als theoretische Hypothese und politische Orientierung gibt Toni Negri, Fine Secolo, Un manifesto per l'operaio sociale, Mailand 1988, insbes. S. 53ff.. Vgl. auch Romano Alquati, Lavoro e Attività, Rom 1998; Franco Berardi (Bifo), Lavoro Zero, Rom 1994; Steve Wright, Negri's Class Analysis: Italian Autonomist Theory in the Seventies, in: Reconstruction, Nr. 8 (1996) (dt.: Negris Klassenanalyse: Die Metaphysik des "gesellschaftlichen Arbeiters", in: Wildcat-Zirkular, Nr. 40-41, 1997).

(8) Zur Debatte um den Typus des Massenarbeiters vgl. Sergio Bologna, Theorie und Geschichte des Massenarbeiters in Italien, in: 1999. 2/1989 (Teil 1), 1/1990 (Teil 2), 2/1990 (Teil 3)

(9) Vgl. Roberto Battaggia, Operaio massa e operaio sociale: alcuni considerazioni sulla "nuova composizione di classe", in: Primo Maggio. Nr. 14, 1980/81 (dt. als: Primo Maggio, Massenarbeiter und gesellschaftlicher Arbeiter - einige Bemerkungen über die "neue Klassenzusammensetzung", in: Autonomie. Neue Folge. Nr. 9, 1982)

(10) Toni Negri, Proletari e Stato (1976), zitiert nach der Neuausgabe in: I libri del rogo, Rom 1997, S. 149 ff. (dt. in: T.N., Massenautonomie gegen historischen Kompromiß, München 1977); vgl. Negri, Fine Secolo, a.a.O.

(11) Toni Negri, Partito operaio contro il lavoro (1974), zitiert nach I libri del rogo, a.a.O., S. 97 (dt. in: Negri, Massenautonomie, a.a.O.)

(12) Den Zusammenhang dieser politischen und theoretischen Orientierung mit wesentlichen Strömungen des undogmatischen Marxismus von den Rätekommunisten bis zur Gruppe Socialisme ou Barbarie und zu Teilen der Neuen Linken entwickelt Yann Moulier, Introduction, in: Antonio Negri, The Politics of Subversion. A Manifesto for the Twenty-First Century, Cambridge 1989, S. 1-44.

(13) Vgl. für die erstgenannte Position die Kritik von Sergio Bologna, Proletari e Stato di A. Negri: una recensione, in: Primo Maggio, 7, 1976

(14) Lucio Castellano, Arrigo Cavallina, Giustino Cortiana, Mario Dalmaviva, Luciano Ferrari Bravo, Chicco Funaro, Toni Negri, Paolo Pozzi, Franco Tommei, Emilio Vesce, Paolo Virno, Do You Remember Revolution? In: Il manifesto. (Rom) 20.-22.2.1983. Der Text, den die politischen Gefangenen aus der Autonomia im Gefängnis Rebibbia, Rom, geschrieben hatten und der von der linken Zeitung Il manifesto veröffentlicht wurde, ist eine Analyse der gesellschaftlichen Kämpfe der siebziger Jahre und kritisiert zugleich eine politische Praxis, die den Unterschied verwischt zwischen subversiver Gewaltanwendung und dem Operieren auf rein militärischem Gebiet. Eine deutsche Übersetzung findet sich in: Arbeiter/innenmacht gegen die Arbeit. Eine Autonomie Anthologie, Freiburg 1988. Auf dieses Dokument spielt Paolo Virno mit dem Titel seines Beitrags "Do You Remember Counterrevolution?" an.

(15) Vgl. etwa Sandro Mezzadra, Tutto torna tranne la politica, in: Derive Approdi 9/10 (1996); ähnlich argumentiert Enzo Modugno, Postfordistische Grundrisse, in: Arranca! 10 (1996)

(16) Vgl. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (1957-58), in: Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 42, Berlin 1983; das Fragment über Maschinen findet sich ebd., S. 590-608. Negri entwickelte seine Grundrisse-Lektüre systematisch in den Vorlesungen, die er auf Einladung des französischen Marxisten Louis Althusser 1978 an der École Normale Supérieure in Paris hielt. Die Buchveröffentlichung erschien im Jahr darauf in Italien und Frankreich. Vgl. Toni Negri, Marx oltre Marx, Mailand 1979

(17) Negri, Marx oltre Marx, a.a.O.; Negri verwendet dieses Konzept der Selbst-Verwertung an zentraler Stelle bereits in "Per la critica della costituzione materiale" (in: La forma stato, Mailand 1977) und in Il dominio e il sabotaggio, Mailand 1978, die deutsche Übersetzung des letzteren (Sabotage, München 1979) vermied allerdings den Ausdruck und sprach statt dessen von Aneignung.