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Dortmund, den 07.02.2001
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
im Mittelpunkt der letzten Wochen standen u.a. weiterhin die Entwicklung bei Thyssen Krupp durch weitere Strukturmaßnahmen und den geplanten Wechsel im Vorstand, sowie der unerträgliche Zustand, daß aus ungeklärten Rechtssicherheiten die deutschen Unternehmen immer noch keine Zwangsarbeiterentschädigung zahlen.
Die Realität ist weit hinter den angekündigten 500 Mio DM Einsparungen aus der Fusion zurückgeblieben. Aktienanalysten und Experten werfen der Doppelspitze von Thyssen Krupp mit 75 Mrd DM Umsatz und weltweit rund 193 000 Beschäftigten Selbstblockade und damit fehlende Initiative vor. 7 Mrd Euro Schulden sind aufgelaufen. Der Ergebnisrückfluß auf das investierte Kapital von 8,7% hat die Kapitalkosten von 9% nicht decken können. Der Aktienkurs war binnen weniger Tage von 34 Euro auf den absoluten Tiefststand von 13,5 Euro gefallen und pendelt sich nun bei 18,5 Euro ein. Selbst die Meldung über den riesigen Gewinn aus dem letzten Geschäftsjahr konnte den Börsenkurs nicht in die Höhe treiben. Schwierigkeiten bereiteten zudem der geplatzte Börsengang von Thyssen Steel und die verpaßte Übernahme der Mannesmann-Tochter Atecs. Siemens-Bosch hatte damals für Atecs 9,6 Mrd. Euro hingeblättert und Thyssen Krupp konnte da aufgrund der hohen Verschuldung und des ausgebliebenen Kapitals durch den Börsengang nicht mehr mitbieten.
Daraus wurden jetzt die ersten Konsequenzen gezogen. Aufsichtsratschef Kriwet will jetzt zur Hauptversammlung im März zurücktreten und Cromme Platz machen. Damit soll Schulz alleiniger Konzernchef werden. Darüberhinaus sollen auch noch andere Vorstandsposten (es gibt allein 3 Finanzvorstände) umgewandelt werden. Vorstandsmitglied Rohkamm soll u.a. wegen "Schmiergelder" für den reibungsloseren Transport und Abnahme von Rüstungsgütern nach Südafrika und Saudi-Arabien (das Bundesverteidigungsministerium lehnte weitere Zusammenarbeit ab, obwohl sich Scharping erst noch kürzlich mit ihm traf) gehen. Kohler ist als neuer Stahlchef im Gespräch.
Die Schulden sollen um 2 Mrd Euro gesenkt und die Eigenkapitalverzinsung auf 14 % angehoben werden.
Interesse gibt es auch am Stahlhandelsunternehmen Klöckner. Diese hatten sich gerade von dem risikoreichen (nicht lagerhaltenden Stahlhandel) Klöckner Steel Trade (ging an Balli Steel London) getrennt. Ein Teil des lagerhaltenden und weiterverarbeitenden Stahlgeschäfts würde, laut Schulz, gut zu Thyssen Krupp passen. Doch die Konkurrenz ist groß. Gerade hatte die Immobilien- und Beteiligungsgesellschaft WCM eine Aktienübernahme von 700 Mio Euro angeboten. Klöckner lehnte ab. Sie wollen 1 Mrd. Euro.
Darüberhinaus will der Konzern eine deutsche Werftenholding mit der Oberhausener Babcock Borsig AG anstreben. Die Werften Blohm&Voss in Hamburg und die Thyssen Nordseewerke sollen mit der Babcock-Tochter HDW in Kiel zusammengelegt werden.
Die Thyssen-Werften steigerten den Umsatz um 17% auf 779 Mio Euro und erzielten einen gewinn von 28 Mio Euro. Der Auftragseingang hat sich gegenüber dem Vorjahr nahezu verdreifacht. Rohkamm betonte: die Werften seien hochprofitabel. Die ursprünglich zum Desinvestitionsbereich gehörenden Unternehmen zählen nach dem neuen Strukturkonzept wieder zum Segment Technologies.
Deutlich wird an dieser jüngsten Entwicklung bei Thyssen Krupp, dass die Unternehmensstrategie immer weniger von dem eigentlichen Produktionspotential und zunehmend von den Einflüssen der Börse und der Aktionäre bestimmt wird. Werften erst auf die Ausverkaufsliste gesetzt werden nach positiven Gewinnerwartungen wieder gehätschelt, Firmenaufkäufe dienen als besseres Bewertungspotential. Vorstände kommen und gehen. Aber wie das Beispiel Werften zeigen wird sind bei allen Überlegungen der Vorstände ständig Rationalisierungen und Arbeitsplatzvernichtung als sogenannte Synergieeffekte im Spiel.
Ein Skandal sondergleichen ist nach wie vor die Blockadehaltung der Unternehmer. Zum einen fehlen immer noch rund die Hälfte der von den Firmen zugesagten Milliarden, zum anderen ist bislang nur ein Bruchteil der an der Naziherrschaft durch die Beschäftigung der Zwangsarbeiter profitierenden Unternehmen der Stiftungsinitiative beigetreten. Nun wird die fehlende Rechtssicherheit durch mögliche Entschädigungszahlungen durch Privatklagen zur weiteren Verzögerung vorgeschoben. Die Unternehmen und ihre Nachfolger wollen sich vor ihrer Verantwortung aus der Nazizeit drücken und rechnen mit dem "Wegsterben" der Betroffenen gleichzeitig damit, dass die Diskussion über diese Zeit auch ausstirbt.
Hier haben wir eine besondere Verantwortung. Ist es der Arbeiterschaft und ihren Organisationen nach 1945 nicht gelungen, die Unternehmer zur Rechenschaft zu ziehen, so sollten wir jetzt wenigstens dafür sorgen, dass die letzten Überlebenden zu ihrem Recht und ihrem ohnehin schon zu niedrigberechneten Geld kommen. Lassen wir die Unternehmer nicht zu ihrer erwünschten Ruhe kommen. Organisieren wir im Betrieb Druck auf die Unternehmen durch öffentliche Anfragen. Auch die, die schon der Stiftungsinitiative beigetreten sind, müssen sich weiter zur notwendigen Auszahlung bewegen ! Wie glaubwürdig sind Erklärungen von Gesamtbetriebsräten und Vorständen gegen die aktuelle Rechte Gewalt, wenn diese wichtigen Fragen der Vergangenheit und der Beteiligung an der Gewalt an Menschen unter den Teppich gekehrt werden.
Das Memorandum wurde Euch mit gesonderter Post zugeschickt.
Ein offener Brief von dem IGM AK Erwerbslose setzt sich mit der Frage von "reichen Arbeitslosen und armen Erwerbstätigen" auseinander. (Anlage).
Das am 31.7.1993 eröffnete Konkursverfahren nähert sich dem Ende. Die Belegschaft wurde von 7 000 auf 5 000 abgebaut. Die Besitzstruktur wird neu geregelt. Die 48,1% von den 3 Treuhändern geführtes Kapital wird in eine gemeinnützige Stiftung überführt. 6,7% von den 26,8% des Saarlandes sollen ebenfalls in die Stiftung, sodaß diese die Mehrheit hält und das Saarland eine Sperrminorität von 20,1%. Die restlichen 25,1% hält die Dillinger Hütte.
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