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Das Paradoxon Bundeswehr: Weniger, kleiner, teurer

Die Schließung von Kasernen führt zur Aufrüstung - die Verkleinerung der Bundeswehr zum verschärften Sozialabbau

Anne Rieger, 2. Bevollmächtigte IG Metall Waiblingen, Landessprecherin VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg

 

Wer glaubt, durch die Verkleinerung der Bundeswehr würde Geld frei für den Erhalt oder gar Ausbau sozialer Leistungen, irrt gewaltig. Während die Schließung von 59 Standorten, die Verringerung der Zahl der Soldaten um 55 000 und die des zivilen Personals um ca. 30 000 angekündigt werden, wird gleichzeitig der Rüstungshaushalt ausgeweitet. Während die Budgets von Riester (Arbeit und Soziales), Schmidt (Gesundheit) und Bergmann (Familie und Frauen) zusammen um ca. 1,1 Mrd. gegenüber dem Vorjahr gekürzt werden, wird Scharpings Etat (im Einzelplan 14) um 1,5 Mrd. DM ausgeweitet.[1] In absoluten Zahlen ist das der höchste Zuwachs eines Ressorts. Bei einem insgesamt gesunkenen Bundeshaushalt (477 Mrd. DM) eine beachtliche Weichenstellung in Richtung Aufrüstung.

Zusätzlich darf der Minister beinahe jede durch Personalabbau, Verkäufe von Grundstücken und Material eingesparte Mark für die Aufrüstung seiner Interventionsarmee wieder ausgeben: "Wir haben mit dem Finanzminister eine Vereinbarung getroffen... Die eingesparten Mittel aufgrund besserer Wirtschaftlichkeit werden zu 100 Prozent in Investitionen gesteckt. ... Die Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung oder Verkauf von Grundstücken und Liegenschaften verbleiben zu 80 Prozent im Haushalt des Verteidigungsministers," schmettert der Minister für Aufrüstung triumphierend seinem Widerpart von der CDU, Paul Breuer, im Bundestages bei der Haushaltsberatungen[2] entgegen. Es handelt sich um zusätzliche ca. 2 Mrd. DM für den investiven Bereich, also für Kriegsgerät. "Mit dem jetzt zu verabschiedenden Haushalt können alle wichtigen Programme begonnen und auch durchfinanziert werden." [3]

 

Sparkurs ermöglicht neue Prioritäten in der "Sicherheitspolitik"

Diese Programme dienen der "Neuausrichtung der Bundeswehr von Grund auf". Grundlage ist der Beschaffungsplan der Bundeswehr aus dem Jahr 1997. Etwa 540 Mrd. DM für Beschaffung und Nutzung neuer Kriegsgeräte werden danach innerhalb von 15 Jahren ausgegeben werden. Unter dem Blickwinkel dieses rüstungspolitischen Mammutprogramms, bekommt das sogenannte "Sparpaket" von 160 Mrd DM, das die Bundesregierung uns nur zwei Jahre später aufgedrückt hat, einen faden Finanzierungsgeschmack.

Wir erinnern uns: Weil die Wirtschaft und entscheidende Teile der Regierung Lafontaines Finanzpolitik nicht mittrugen, wurde er im März 1999 "zurückgetreten". Neueinsteiger Eichel änderte das Ziel der Finanzpolitik sofort: Nicht mehr Abbau der Arbeitslosigkeit war oberstes Ziel, sondern plötzlich war es der Abbau der Schulden. Alle Ressorts sollten 7% "sparen". Das Arbeits- und Sozialministerium, dort also, wo in Jahrzehnten erkämpfte soziale Errungenschaften finanziert werden, musste am meisten hergeben: in vier Jahren 68 Mrd. DM.[4] Scharping aber blieb verschont. Für den Jugoslawienkrieg wurden ihm sogar zusätzliche zwei Milliarden DM zur Verfügung gestellt. Noch im Herbst 2000 lobte der scheidende BDI-Chef Henkel die Nachhaltigkeit von Eichels Sparpaket: "Er (Eichel) benutzt sogar unsere Formulierungen zur Rechtfertigung des Pakets."[5]

Ein Jahr später deckte Außenminister Joseph Fischer die Karten auf: "... der Sparkurs werde es der Bundesregierung ermöglichen, Prioritäten neu zu bestimmen. 'Dazu gehört, dass Deutschland seiner Verantwortung in der Sicherheits- und Außenpolitik ... gerecht wird. Wir müssen über alles reden'"[6] (Fettdruck, die Autorin). Der Sozialabbau, genannt Sparpaket, wird sich im "sicherheitspolitischen" Beschaffungsprogramm des Aufrüstungsministers wieder finden. Die Finanzierung von Kriegen und Kriegsgerät durch Umverteilung ist keinesweg eine neue Erfindung der Rot-Grünen Regierung. Schon für den Golfkrieg zahlte die Kohlregierung 16 Mrd. DM an die USA und erhöhte danach die Mehrwertsteuer dauerhaft.

 

Verdreifachung der Interventionskräfte

Wir zahlen - andere bomben, das soll jetzt anders werden. Scharping hat volle Rückendeckung. Schon im November 1999, auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr erläuterte der Bundeskanzler die "Neuausrichtung der Bundeswehr". Den Spitzen des deutschen Militärs teilte er mit, dass wir "vor einer entscheidenden Weichenstellung deutscher Sicherheitspolitik" stünden, die "durchaus verglichen werden ... kann ... mit der Situation in den 50er Jahren, als es darum ging, Deutschland verteidigungsfähig zu machen." Jetzt soll Deutschland angriffsfähig gemacht werden: "Mögliche Einsätze der Bundeswehr" werden "in Zukunft ... bis hin zu militärischen Optionen bei humanitären Einsätzen oder bei der Durchsetzung von Bündnisverpflichtungen reichen". [7]

Das geht nicht mit einer Panzerarmee von Wehrpflichtigen. Die Verkleinerung der Bundeswehr um Wehrpflichtige, Zivilbeschäftigte und Standorte ist verbunden mit ihrer Professionalisierung und der Konzentration auf ihre "Kernaufgaben" (Kriegführen also). Dazu wird die Zahl der Berufs- und Zeitsoldaten auf 200 000 aufgestockt, ein Plus von 12 000. Entscheidend aber ist, dass die Zahl ihrer "Einsatzkräfte" ihrer Interventionskräfte also, verdreifacht wird von ca. 53 000 im Jahre 1999 auf 150 000 Mann und Frau. Die Stuttgarter Nachrichten klassifizieren die "Neustruktur" als "Teil einer historischen Reform. Niemals zuvor sind die deutschen Streitkräfte so grundlegend neu ausgerichtet worden."[8]

Das entspricht dem neuen Auftrag der Bundeswehr. Bisher galt sie als Armee der Bündnis- und Landesverteidigung. Seit 1992 lautet der Auftrag u. a. "... Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt ... ." Die verteidigungspolitischen Richtlinien von Volker Rühe gelten weiterhin, die Bundesregierung hat sie nicht zurückgenommen. Vielmehr bestätigte Scharping diesen Auftrag mit anderen Worten: "Unsere ... sicherheitspolitischen Ressourcen müssen wir auch an anderen Stellen dieser Welt ... einbringen."[9] Sicherheitspolitische Ressourcen - das Weiswäscherwort für militärische Ressourcen.

 

Sozialabbau für Aufrüstung

Um an andere Stellen dieser Welt zu kommen, um einen Einsatzradius von 4000 km abzudecken, wird neue Transportkapazität gekauft.

Um "sicherheitspolitische" Ressourcen auch an andern Stellen dieser Welt einzubringen, wird ein Paket von 215 Rüstungsprojekten bestellt. Darunter

 

Interessen der Rüstungsindustrie

Die wehrtechnisch Industrie nimmt kein Blatt vor den Mund, um was es ihr geht: "Wer nur die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen wehrtechnischen Industrie im Auge hat, übersieht diese politisch-strategische Funktion" erklärt Ludolf von Wartenberg, vom Bundsverband der Deutschen Industrie. "Deutsche Mitsprache bei der Gestaltung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der EU und der Sicherheitspolitik des Bündnisses wie deutsche Mitsprache im Rahmen der europäischen und transatlantischen Rüstungszusammenarbeit setzen voraus, dass Deutschland auch Rüstungsfähigkeiten einbringen kann."[19]

So verwundert es nicht, dass Sparkommisar Eichel beim "Wehretat gesprächsbereit" ist und öffentlich äußert, die "Bundeswehrreform soll nicht am Geld scheitern."[20]Und deswegen liegt die Wehrexpertin der Grünen, Angelika Beer – wie in vielen anderen Fällen auch, völlig daneben, wenn sie glaubt, "Das Ziel für die Bundeswehr laute 'weniger, kleiner und billiger'"[21] Nur wenn, wie die IG Metall Verwaltungsstelle Stuttgart 1999 auf dem Gewerkschaftstag gefordert hat, der Vorstand der IG Metall (und natürlich andere Gewerkschaften) mit uns gemeinsam auf die Bundesregierung einwirken, "dass die Beschaffung neuer Waffensysteme gestoppt und insbesondere auf den Bau des Eurofighters verzichtet wird"[22] wird es möglich sein, dass

Beispiele werden jedem täglich genügend einfallen. Notwendig ist es, sie in den Zusammenhang zur Aufrüstung zu bringen. Geld ist genug da – es darf nicht für todbringenden Rüstungsschrott verwendet werden.

 

Neue Spirale de Wettrüstens verhindern

Auf der Internationalen Sicherheitskonferenz in München erklärten der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der republikanische Senator John MacCain, dass die Entscheidung in Washington gefallen sei, ein amerikanisches Raketensystem zu entwickeln und zu bauen. Bundeskanzler Schröder äußerte "Bedenken" und forderte einen "intensiven Meinungsaustausch"[23] Der russischen Sicherheitsrat kritisierte die Pläne, sie untergrüben "das Fundament der strategischen Sicherheit"[24] Mit diesen Plänen droht die Gefahr eines neues Wettrüstens - aber nicht nur durch amerikanische, russische, chinesische Regierung, wie allenthalben in der Presse zu lesen ist. Auch die europäischen Regierungen, mit Deutschland an der Spitze drohen der Aufrüstungsspirale beizutreten. Javier Solana, der Hohe Kommissar für Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, der Aufrüstungsminister der EU also, interpretierte die Kritik von Rumsfeld auf der Konferenz an der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik( ESVP) nach mehr Geldern für Kriegsgerät: "Rumsfelds Sorge zielt möglicherweise darauf, dass wir Europäer nicht in der Lage sein werden, die militärischen Fähigkeiten aufzubauen, die wir zum vollen Krisenmanagement brauchen". Er vermutet in den amerikanischen Äußerungen Druck auf die EU-Staaten, ihre Verteidigungshaushalte zu erhöhen.[25]

Wollen wir das gefährliche Auf- und Wettrüsten verhindern, zu dem auf der Konferenz ein unübersehbares Signal gesetzt wurde, müssen wir in der Bundesrepublik unseren Teil dazu beitragen, dass hier die Gelder für Aufrüstung gestoppt werden.

 

Anmerkungen

1) In den Einzelplan 14 wurden dauerhaft die 2 Mrd. DM eingestellt, die 1999 und 2000 im Einzelplan 60 zusätzlich für die Einsätze in Südosteuropa zur gezahlt wurden
2) 29.11.2000, Bundestagsdebatte, Sitzungsprotokoll des Deutschen Bundestages
3) ebenda
4) Zukunftsprogramm 2000, in "Arbeit, Umwelt, Gerechtigkeit - Beschäftigungspolitik statt Sparbesessenheit", Zirkular der Ar-beitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Bremen, 9/1999
5) Stuttgarter Zeitung
6) Financial Times Deutschland 23.2.2000
7) 37 Kommandeurstagung der Bundeswehr 29.11.1999
8) Stuttgarter Nachrichten 30.1.2001
9) 11. Forum "Bundeswehr und Gesellschaft" der WELT am SONNTAG, Berlin, 18.9.2000
10) Badische Zeitung 18.11.2000
11) Deutsche Stabilitätsprogramm, Oktober 2000, Internet
12) Stuttgarter Zeitung 24.1.2001
13) FAZ 9.6.2000 und www.bundeswehr de/news/presse/Mip00063.html, 8.6.2000
14) Jagoda, 1.7.2000 Neue Osnabrücker Zeitung
15) Financial Times Deutschland 17.11.2000
16) Stuttgarter Zeitung 16.11.2000
17) FAZ 24. Mai 2000
18) Berlin, 14.7.2000 "Zur Zukunft der Alterssicherung"
19) Soldat und Technik 6/2000
20) Stuttgarter Zeitung 3.3.2000
21) ebenda
22) Antrag 108 auf dem 19. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall in Hamburg
23) Financial Times Deutschland, 5.2.01
24) Sergej Iwanow, Sekretär des russischen Sicherheitsrates. Financial Times Deutschland, 5.2.01
25) Financial Times Deutschland, 5.2.01


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