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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Überflüssige in einer überflüssigen Fabrik: Es werden 1800 Strike Bikes produziert In dieser Woche tun sie noch mal das, was sie seit 1986 immer getan haben: Fahrräder bauen, aber diesmal in Eigenregie. Ein krönender Abschluß nach drei Monaten und drei Wochen Betriebsbesetzung. Diesmal werden es aber nur limitierte 1800 Exemplare sein, rote Strike Bikes. Als der Geschäftsführer von Bike Systems (zum texanischen Hedge-Fond Lone Star gehörend), Frederic P. Müller der Belegschaft mitteilte, daß ihre Arbeitskraft wertlos geworden sei, rebellierten die Überflüssigen und besetzten ihre ebenfalls überflüssig gewordene Fabrik. Das war am 10. Juli. Dennoch reagiert Müller ausfallend, zerriß die gerade selbst gemalten und angebrachten Transparente und beschimpfte sie als Bolschewisten. Er versuchte auch noch, mit einer einstweiligen Verfügung die Besetzung zu beenden, was mißlang. Dann zog er sich in sein rotes Backsteinhäuschen in der Ecke des Betriebsgeländes zurück und mischte sich nicht mehr ein. Danach hatten sie gegen keinen personifizierten Klassengegner mehr zu kämpfen sondern gegen die Perspektivlosigkeit des kapitalistischen Systems mit seinen Vertretern: den Behörden, Politikern und Parteien - und sogar mit der eigenen Gewerkschaft, der IGM mußten sie sich auseinandersetzen. Auch der Besitzer des Geländes und der Fabrikhallen, Herr Biria, hatte kaum Interesse an ihnen, er kam nur einmal vorbei, inspizierte seinen Besitz, zeigte sich nicht mal beim Betriebsrat und verschwand wieder. Die Heuschrecke Lone Star, Profitgeier wäre wohl der angemessenere Name aus dem Tierreich, war mit allen Aufträgen nach Sangerhausen zu den mitteldeutschen Fahrradwerken (Mifa) entschwebt. Fahrräder, Werkzeuge und Produktionsteile hatte er nach und nach vom Hof geholt. Die BesetzerInnen hatten es zugelassen, um keinen Ärger mit der Polizei zu bekommen. Ein paar Wochen später bedauerten sie es, dieses kleine Faustpfand aus der Hand gegeben zu haben. Nachdem der Profitgeier nach Sangerhausen entschwunden war und seine Beute (Aufträge und Sachwerte) in einen 25 prozentigen Aktienanteil bei der Mifa eingetauscht hatte, meldete er Insolvenz für Nordhausen an. Wenn die BesetzerInnen eine Produktion unterbrochen , also ins Heiligste des Kapitalismus, in Eigentum und Profitmacherei eingegriffen hätten, wären Kapitalist und Staat robust gegen sie aufgetreten. So aber war der Schaden klein, die Produktion von 1960 Fahrrädern kann die Konkurrenz wohl leicht verschmerzen. So konnten sogar die bürgerlichen Medien Sympathie gegenüber den BesetzerInnen bekunden. Durch die Vermarktung der Strike Bike Produktion als Sensation konnten die BesetzerInnen es erreichen, in knapp zwei Wochen über 1800 Fahrräder zu verkaufen. Diese rückblickende coole Einschätzung konnte natürlich die Belegschaft am 10. Juli nicht haben. Der erste Schritt, die Besetzung, war sicher nicht nur mit Wut sondern auch mit Angst und Unsicherheit besetzt. Sie stürzten sich in ein Abenteuer und keiner wußte, wie es ausgehen würde, wie die Gegner, Lone Star, Biria und die Justiz reagieren würden. Die FAU hat sich nicht nur ein Verdienst erworben, nämlich die Idee der Produktion und die Organisierung des Vertriebs, sondern sie hat bewiesen, was eine kleine Gruppe in einer, wenn auch ungewöhnlichen Situation, bewerkstelligen kann! Sie hat praktisch, flexibel und energievoll gehandelt. Unnütz und irritierend war allerdings, die geplante Produktion von 1800 limitierten Fahrrädern in der Öffentlichkeit als Perspektive und möglichen Beginn einer Weiterproduktion in Eigenregie darzustellen. Von den BesetzerInnen wie auch ihrem Anwalt, Jürgen Metz, wurde dagegen immer auf die zeitliche Begrenztheit der Aktion hingewiesen. Ein notwendiger Kapitaleinsatz von geschätzten sieben Millionen Euro für die Aufnahme einer dauerhaften Produktion in Eigenregie erstickte alle Träume immer gleich im Keime. Die Produktionsaufnahme an den vier Tagen in dieser Woche hat in den letzten Wochen nicht nur in der linken Presse einiges Aufsehen erregt sondern ist darüber hinaus von den bürgerlichen Medien bundesweit als kleine Sensation vermarktet worden. In den Köpfen fast aller Menschen, die von der besetzten Fahrradfabrik und Strike Bike gehört haben, spukt immer noch die Vorstellung, daß diese Woche die Produktion aufgenommen wird und dann weitergeführt werden soll. Dadurch wird allerdings der Blick darauf verstellt, daß nicht der zur Sensation gemachte symbolische Akt der Produktion von 1960 Fahrrädern das politisch Bedeutsame ist, sondern der Akt des Wehrens, 115 Tage durchgehalten zu haben, wodurch sie sich wohltuend in Gegensatz begeben haben zu vielen anderen Belegschaften, die kampflos aufgegeben haben. In Gegensatz auch zu den KollegInnen in ihrer Schwesterfirma in Neukirch (Sachsen), wo der Betrieb schon im Dezember 2006 eingestellt wurde. Am Dienstag, dem 30.10 machen die BesetzerInnen ein Fest für alle UnterstützerInnen, am 31.10. fegen sie aus und am 1. 11. finden sie sich für acht Monate in einer Fortbildung der Transfergesellschaft wieder. Ob sie ihr Ziel erreichen, weswegen sie am 10. Juli die Besetzung begannen, als Belegschaft zusammen zu bleiben und einen neuen Investor zu finden, steht in den Sternen. Alle ziehen jetzt ein Fazit und fragen sich: Was hat die Besetzung gebracht? Einige sagen, die Transfermaßnahme hätten wir schon zu Beginn der Besetzung haben können, ohne die Besetzung wären wir vielleicht jetzt schon wieder in Arbeit. Es habe nichts gebracht außer der Hinauszögerung der Transfermaßnahme. Die aktivsten, der Kern der BesetzerInnen sieht auch, daß materiell für den einzelnen, die einzelne nicht viel bei raus gekommen ist. Aber daß sie überhaupt die Besetzung begonnen haben und drei Monate und drei Wochen durchgehalten haben, darauf sind sie stolz! Auch darauf, daß sie bundesweit und darüberhinaus Aufmerksamkeit bekommen haben. Ein Aktivist sagt: "Deshalb haben wir es nicht umsonst gemacht. Vielleicht finden wir Nachahmer. Und die haben dann mehr Glück!" Eines ist aber schon jetzt sicher: Wenn wir die aufkommenden eigenständigen betrieblichen Kämpfe vor dem Hintergrund der Agenda 2010 , d.h. finanzieller Not, Angst und beruflicher Perspektivlosigkeit analysieren, um besser vorbereitet zu sein für künftige Klassenkämpfe , dann müssen wir neben Opel, Bochum, Alstom, TRW, Gate Gourmet Düsseldorf, Bosch-Siemens Berlin u.a. auch die Besetzung der kleinen Fahrradfabrik in Nordhausen untersuchen. In jedem dieser Kämpfe mit eigenständigem Charakter stecken einige Gemeinsamkeiten und viele Unterschiede. Dieter Wegner (Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg), 23.10.207 |