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Updated: 18.12.2012 15:51
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Leitungsträger der Nation - Zwei Monate Zeitarbeit im Schaltschrankbau

Der Mutterkonzern Vossloh: Vom preussischen Kriegsgewinnler zum internationalen Gemischtwarenladen der Bahnzulieferei

In der offiziellen Firmenpräsentation rühmt sich Vossloh einer langen Tradition:
'1883: Eduard Vossloh macht der Königlich Preußischen Eisenbahn ein Angebot zur Herstellung von Federringen für die Schienenbefestigung und erhält als Kriegsinvalide den Zuschlag. Die Schmiede wird erweitert, und neben Federringen werden auch andere Eisenwaren und Gardinenstangen in die Produktion genommen'.
Zu einem internationalen Konzern ist Vossloh erst in den 1990ern geworden, was vor allem durch die Öffnung des ehemaligen Ostblocks für ausländisches Kapital und die Privatisierungs- und Umstrukturierungswelle im europäischen Schienenverkehr möglich wurde. Heute zählt Vossloh rund 4500 Beschäftigte, die wichtigsten Produktionsstandorte liegen in Deutschland, Frankreich, Benelux, Spanien, Großbritannien und Polen. Die Anzahl der Beschäftigten beläuft sich in Deutschland auf 1574 und im Ausland auf 2966. Die Gesamtbelegschaft verteilt sich auf drei verschiedene Unternehmensgruppen: 3050 Leute produzieren Bahninfrastruktur (Schienenteile, Weichen etc.), 1175 Leute arbeiten im Fahrzeugbau und 283 Leute in der Informationstechnologie. Hinzu kommen zahlreiche ZeitarbeiterInnen, abhängig von der Auftragslage (siehe unten).
Darüber hinaus ist Vossloh auch in wichtigen Bahnmärkten außerhalb Europas vertreten, unter anderem in Asien und Nordamerika. Vossloh kaufte sich bei verschiedenen Unternehmen der Bahnzulieferei ein, sowohl im Schienenbau, als auch im Bereich der Produktion von Schienenfahrzeugen. Die Bandbreite reicht vom Weichen- und Schienenbefestigungsbau in Polen, über Herstellung von Fahrgastinformations- und Klimasystemen für den Schnellzug ICE und den Frankfurter Flughafen, Traktionsausrüstungen für Straßenbahnen und Elektrobusse für europäische und nord-amerikanische Grosstädte, bis zum Diesellokbau in den von Siemens bzw. Alsthom übernommenen Werken in Kiel und Valencia. Dort gab es kleinere Konflikte, da Vossloh die Übernahme mit Arbeitsplatzabbau verband. Im Fall des Lokomotivenwerks in Kiel begründete Vossloh die Entlassungen mit den hohen Stahlpreisen und der mangelnden Nachfrage. Alle Leihkräfte wurden nach Hause geschickt, insgesamt mussten im März 2005 180 Arbeiter gehen, 148 davon waren von betriebsbedingten Kündigungen betroffen.
Mit der Übernahme der verschiedenen Unternehmen wurden auch deren alte Auftragsstrukturen eingekauft, so zum Beispiel die Geschäftsbeziehungen der französische Tochter, die seit 20 Jahren die israelische Staatsbahn mit Weichenteilen beliefert. Interessant ist, dass Vossloh sich nicht nur 'eingekauft' hat, sondern die unterschiedlichen Standorte bei Grossaufträgen international neu koordiniert, so gab es z.B. einen Großauftrag zur Olympiade in Athen, für den die Traktionsausrüstungen für die Straßenbahnen in Düsseldorf, die Weichen in Polen hergestellt wurden.
Vossloh bleibt als Zulieferer stark von den Hauptauftraggebern abhängig, auch von deren Pleiten: Vossloh belieferte den Hauptunternehmer des Ärmelkanal Euro-Tunnels mit Schienenteilen und Siemens mit Traktionseinheiten für die Budapester Straßenbahnen, die durch ihre Konstruktionsfehler berühmt wurden.
Insgesamt soll das Unternehmen wirtschaftlich auf einem grünen Ast sitzen, seit Anfang 2000 erzielten Vossloh-Aktien erzielten eine jährliche Rendite von 24 Prozent. Das Unternehmen wies für 2004 einen Umsatz von 922 Millionen Euro aus, eine Umsatzrendite vor Zinsen und Ertragssteuern von 11,5 %, Capital Employed 690,2 Millionen Euro, Return on Capital Employed 15,3 %, eine Investitionssumme von 39,4 Millionen Euro, einen Personalaufwand von 218,9 Millionen Euro.

Das Unternehmen Vossloh Kiepe

Eines der eingekauften Unternehmen ist die Düsseldorfer Schaltschrankbaufirma Kiepe. Das mittelständische Unternehmen Kiepe stellt Traktionsausrüstungen für elektrisch betriebene Schienen- und Strassenfahrzeuge her. Am Firmensitz in Düsseldorf arbeiten rund 450 Leute, davon ca. 278 Angestellte (viele Ingenieure, technische Angestellte) und ca. 172 gewerbliche Mitarbeiter, ca. weitere 100 sind in den Tochtergesellschaften (Wien, Mailand, Italien, Ottawa, Krakau) beschäftigt. Kiepe hat eine ähnlich lange 'Familientradition', geriet aber in den 90ern in Schwierigkeiten, wurde u.a. von der 'Münchner Schaltschrankbau GmbH' gekauft und landete 2003 beim Vossloh-Konzern.
Vossloh Kiepe baut kleine Serien, elektrische Ausrüstung für Schienenfahrzeuge und sogenannte Trolleybusse (Busse mit Elektroantrieb), aber auch Überwachungssystemen für Förderbandanlagen. Wirtschaftlich gesehen ist der Schaltschrankbau ein wichtiger Bestandteil bei der Produktion von Schienenfahrzeugen, das elektrische Equipment macht bis zu 40 Prozent des gesamten Auftragswerts aus. Im folgenden ein paar Beispiele der Aufträge, die Kiepe in den letzten zwei Jahren abgewickelt bzw. an Land gezogen hat:

  • September 2005: elektrische Umrüstung der Philadelphia U-Bahnen, Lieferung ab Mitte 2007, Auftragswert rund 11,2 Millionen US-Dollar
  • August 2005: Trolley-Busse für Lecce/Süditalien, Kooperation mit SIRTI (Telekommunikationsunternehmen aus Italien) und Van Hool (Busbau, Belgien)
  • August 2005: Kooperation in der Schweiz mit der APS Electronic AG, Umrüstung von 140 Bussen auf E-Betrieb
  • März 2005: Traktionsausrüstungen für Leipziger "Leoliner". Leipziger Verkehrsbetriebe beauftragen 30 moderne Niederflur-Straßenbahnen.
  • Januar 2005: Vossloh Kiepe und Bombardier Transportation liefern 38 Stadtbahn-Fahrzeuge für die Wiener Linien.
  • Juli 2004 Vossloh Kiepe und Neoplan liefern 142 Trolleybusse für die Athener Verkehrsbetriebe
  • Januar 2003 Vossloh Kiepe bekommt Großauftrag für Trolleybusse in Kanada. Vancouver bestellt 228 Trolleybusse

Am Beispiel des Auftrags für die Busse in Vancouver lässt sich sehen, das zwischen Auftragserhalt, Entwicklung, Produktion und Lieferung rund drei Jahre liegen. Der Auftrag wurde im Januar 2003 gesichert, im Dezember 2005 wurde in Düsseldorf die hunderste Traktionseinheit mit vom Unternehmen gespendeten Käsebrötchen gefeiert. Für den Vancouver-Auftrag hatte Kiepe rund 70 Zeitarbeiter von 12 verschiedenen Zeitarbeitsunternehmen angefordert, die ersten kamen im August 2005, die letzten gingen Ende Dezember 2005. Folgende Beschreibungen des Arbeitsalltags stammen aus diesem Zeitraum.

On the Job

Die Arbeitsorganisation

Der Betrieb unterteilt sich in drei größere Einheiten: den Verwaltungstrakt für Angestellte und Ingenieure, die mechanische Abteilung und die Halle für die Verdrahtung, die Qualitätskontrolle und die Platinenbestückung, in den beiden letzteren Abteilungen arbeiten vor allem Frauen.
Das Produkt ist eine etwa zwei mal drei Meter lange Metallkiste in der sich über tausend elektrische Verbindungen und elektronische Bauteilen befinden. Rund 100 Leute arbeiten an den einzelnen Bestandteilen dieser Kiste, schaffen um die acht Stück pro Tag. Es gibt verschiedene 'Produktionsinseln' an denen Einzelkomponente gefertigt werden, einzelne Metallrahmen werden zusammengenietet, es gibt eine 'Kabelecke' in der täglich Hunderte von Kilometern Kabel auf Länge geschnitten und mit Verbindungsteilen versehen werden. Es ist erstaunlich, dass der Betrieb so wenig Arbeitsschritte ausgelagert hat. Dies liegt vor allem an den kleinen Serien, an den häufigen Änderungen während eines Auftrags, vielleicht auch am niedrigen Lohnniveau. Trotzdem merkwürdig, dass sie Facharbeiter über Tage damit beschäftigen, einzelne Kabelleisten und Stecker zusammenzustecken oder Kabelschuhe auf die Kabel zu quetschen. Auslagerungen gab es wohl in erster Linie in der mechanischen Abteilung, wo Teile zu einem höheren Grad standardisiert sind. Der Betrieb ist ein Paradebeispiel der Manufaktur, es gibt kaum Maschineneinsatz, aber eine auf über 100 Leute verteilte große Kooperation. Einzelne Arbeitsschritte werden oft neu unter diesen Leuten verteilt. Die Arbeiten unterscheiden sich graduell in ihrer Komplexität und Bedeutung, werden dementsprechend an erfahrenere/zuverlässlichere oder neue/weniger verlässliche Leute vergeben. Die Koordination spielt eine große Rolle, mit ihr ist auch eine sehr detaillierte Zeiterfassung der einzelnen Arbeitsschritte verbunden. Für jeden Teilabschnitt, z.B. die Verdrahtung der Lüfter für den Schaltschrank, gibt es Zeitvorgaben: wie viel Zeit ist vorgegeben für die Materialbeschaffung, die Vorbereitung der Kabel, die einzelnen Umbauten am Lüfter, die Montage von Teilen etc. Auch bei der Materialausgabe wird jedes einzelne Teil abgerechnet, bzw. vom Vorarbeiter abgezählt. Dies sorgt für die meisten Probleme beim Arbeitsablauf: es fehlen Teile, Komponenten, ohne die die Produktionskette reißt. Der Zeitdruck ist hoch, wobei den fast täglichen Nachfragen bzw. Ermahnungen meist keine individuellen praktischen Konsequenzen folgten, wenn jemand 'zu langsam' war. Die Qualitätskontrolle ist ebenfalls rigide, es gibt eine große Abteilung, durch die jede einzelne Komponente und jede komplette Einheit geschleust wird. Für jede einzelne Komponente müssen Leute ihre Unterschrift abgeben, Fehler werden ihnen später unter die Nase gehalten. Im Laufe des Vancouver-Auftrags wurden alle 70 Zeitarbeiter zusammengerufen und es gab einen Einlauf, dass wir zu langsam seien und zu viele Fehler machten. Kurz danach gab es einzelne Umsetzungen, Leute wurden auseinander- und neu zusammengesetzt.
Eine interessante Situation ergab sich in der sogenannten Kabelecke, eine Ecke der Halle, die von komplett von Gerüsten mit Kabeltrommeln umschlossen ist, von außen schlecht einsehbar. Hier werden Kabel auf Länge geschnitten, die Isolierung abgesetzt und Verbindungsteile aufgequetscht, Stecker vorbereitet. Es gibt einen großen Tisch, an dem sechs Leute Platz finden und arbeiten. Die meisten Beschwerden über zu niedrige Produktivität trafen immer die Kabelecke, die besten Unterhaltungen gab es dort auch. Für die Arbeit gibt es nur mechanische Hilfsmittel und Werkzeuge, abgesehen von einer Maschine, die Kabel von kleinerem Querschnitt ablängt. Im Dezember wurde eine neue Maschine aufgestellt, die auch größere Querschnitte auf Maß schneiden kann. Dies zu einem Zeitpunkt, da bereits die Hälfte der Zeitarbeiter nach Hause geschickt worden sind und die übrig gebliebenen nicht genau wussten, ob sie noch eine Woche oder länger bleiben würden. Die Einführung der Maschine zu diesem Zeitpunkt war gefundenes Diskussionsfressen. Erst mal war man erfreut, dass man die 120 Quadratmillimeter-Kabel nicht mehr von Hand schneiden musste, was auf Dauer zu Sehnenscheidentzündungen führt. Man stellte auch direkt fest, dass die Maschine rund viermal so schnell ist. Wir rechneten rum, wie lange es dauern würde, bis sich die Maschine rentiert haben würde, bei einer Investition von rund 30.000 Euro. Negativ fiel sofort auf, dass eine Person jetzt über Stunden neben der Maschine stehen muss und nicht mehr an den Unterhaltungen zu Tisch teilnehmen kann. Außerdem ist die Maschine laut, was Unterhaltungen allgemein anstrengender macht. Letztendlich war allen klar, dass die negativste Konsequenz der neuen Maschine sein wird, dass sich unser Aufenthalt im Unternehmen unmittelbar um einige Tage verkürzen wird, was für einige Arbeitslosigkeit über Weihnachten/Neujahr, für andere vorzeitige Montagearbeiten auf der Bahnstrecke zwischen Duisburg und Amsterdam bedeutet. Der grundlegende Widerspruch des kapitalistischen Produktionsprozesses lag auf der Hand. Einem Kollegen fiel dann auf, dass es keine NOT-AUS-Schalter an der Maschine gab, was den Einsatz zumindest um drei Tage unterbrach.

Die ArbeiterInnen

Die Arbeitskraft ist international, rund die Hälfte der Leute wurde nicht in Deutschland geboren. Es arbeiten erstaunlich viele polnische Leute im Betrieb, vor allem bei den Festangestellten. Diese Arbeiter sind meist über 40, sind Anfang der 90er nach Deutschland gekommen. Viele von ihnen haben in Polen in der Großindustrie gearbeitet, einige in Werften. Wenn man sie fragt, erzählen sie Geschichten von 1980/81, von Betriebs-Rockbands der Danziger-Werft, von Solidarnosc-Transparenten, die sie nach Auftritten an Schornsteinen herunterließen. Ansonsten kommen Leute aus China, Vietnam, der Dominikanischen Republik, aus Jugoslawien, Italien, der Türkei, Griechenland, Argentinien, der Ukraine, aus Rumänien. Milan aus Novi Sad arbeitet bereits seit 1973 bei Kiepe, wurde als Gastarbeiter angeworben, arbeitete erst als Ingenieur, wurde dann wegen 'persönlichen Problemen' degradiert und zieht nun Maschinenteile mit einem Handkarren durch die Halle. Die Chinesin aus der Qualitätskontrolle nennen alle nur Shaolin, sie ist streng. Daniel war während der Revolution 1989 auf einem Dorf in der Nähe von Arad und sah Ceaucescous Erschießung erst Tage später im Fernsehen. Auch viele der 'deutschen Arbeiter' haben internationale Erfahrungen, vor allem die Zeitarbeiter. Karl war vier Jahre in China und hat dort Fotofilm- und Textilmaschinen aufgestellt, Thorsten hat in Singapur und Holland auf Werften gearbeitet, Christian war für Hitachi in Tokio, Tom für Siemens in Frankreich. Ansonsten reichen die Erfahrungen von 33 Jahren Betriebszugehörigkeit bei ABB in Essen, über Selbständigen-Arbeit in der Maschinenwartung bei Ford in Köln, über den Berg- und Kraftwerksbau, Grossbaustellen auf Flughäfen, Bundeswehrauslandseinsätze bis zur Umschulung als Altenpfleger. Leute haben Erfahrungen mit der Globalisierung. Sie haben erlebt, wie ihr Betrieb kurz nach dem Aufstellen der Maschinen im Werk bei Shanghai in Remscheid dichtgemacht wurde. Sie haben eigene Kleinbetriebe aufgemacht und sind pleite gegangen. Sie sind als Facharbeiter aus den Kernbereichen der deutschen Industrie rausgeflogen und arbeiten heute für 9 Euro brutto, wissen nicht, wo und ob sie im nächsten Monat arbeiten werden. Einige arbeiten am Wochenende, putzen Maschinen, haben Schwarzbaustellen. Sie haben Lebenserfahrungen, waren im Knast, in der Psychiatrie, sind oder waren drogenabhängig, sind als gewaltbereite Fußballfans in den Polizeiakten registriert, haben Töchter, die als Söhne geboren wurden. Was sie nicht haben, ist kollektive Kampferfahrung. Sie gehören zu einer Generation in Deutschland, die 30 Jahre Industriearbeit hinter sich hat, ohne einen einzigen Tag gestreikt zu haben. Bei Kiepe gab es in den letzten 17 Jahren zwei Tage Warnstreiks.

Die Probleme der Festangestellten

Ein Hauptproblem der Festangestellten sind die starken Schwankungen der Arbeitszeit, abhängig von der Auftragslage. Während des Vancouver-Auftrags wurde eine 45-Stunden-Woche angeordnet, für einzelne Bereiche gab es zusätzliche Samstagschichten. Die Stunden werden während Auftragsflauten abgefeiert, viele der ArbeiterInnen haben 200 Plusstunden. Hinzu kommt das neue Lohngruppen-Modell 'ERA', dass für den gesamten Metall-Bereich bis 2007 eingeführt sein soll. Dafür müssen einzelne Arbeitsplätze neu bewertet werden, vor allem die Frauen in der Platinenbestückung klagen über Lohneinbußen. Insgesamt soll die Stimmung in den letzten Jahren schlechter geworden sein, mehr Stress durch Zeitdruck. Die Festangestellten verdienen rund 5 Euro brutto mehr pro Stunde als die Zeitarbeiter, um die 14 Euro brutto in der Stunde. Einige Festangestellte behandeln die Zeitarbeiter als vorübergehende Aushilfen und potentielle Lohndrücker, sind genervt von dem zusätzlichen Stress des Anlernens und der Einweisungen. Insgesamt ließ sich aber erst durch Nachfragen herausbekommen, wer nun festangestellt und wer Zeitarbeiter ist.

Die Probleme der ZeitarbeiterInnen

Verglichen mit Arbeit auf Baustellen oder Kurzeinsätzen ist der Job bei Kiepe beliebt, die Arbeit nicht zu schwer, man muss nicht draußen arbeiten, macht sich kaum dreckig. Einige der Zeitarbeiter sind bereits das dritte oder vierte Mal bei Kiepe, jeweils für vier bis fünf Monate. Auf eine Festeinstellung hofft daher niemand, es wird auch nichts versprochen. Die Tatsache, dass die ZeitarbeiterInnen die faktische Mehrheit in der Produktion stellen, wird nicht als potentielle Macht diskutiert, um höhere Löhne oder eine Festeinstellung zu fordern. Vielleicht auch, da die Leute von 12 unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen kommen. Viele haben lange Anfahrtswege, kommen 40-50 km von Essen, aus Köln oder Hennef. Die Anfahrtsentschädigungen der Zeitarbeitsfirmen decken die Kosten kaum. Die Löhne zwischen den Zeitarbeitsfirmen sind in etwas identisch, um die 9 bis 10 Euro brutto. Der Unterschied ist bereits ein Anreiz: Leute wechseln zwischen den Zeitarbeitsfirmen, manchmal innerhalb des Auftrags bei Kiepe, um ihren Lohn um 20 Cents zu steigern. Ein Haupotproblem bleibt: kaum einer weiss, wo er als nächstes hingeschickt oder ob er nach dem Kiepe-Auftrag gefeuert wird. Die meisten Zeitarbeiter haben früher mal als Festangestellte in großen Unternehmen gearbeitet, sehen aber keine große Chance, diesen Status wieder zu erlangen. Viele sind genervt von ihrer Situation, den niedrigen Löhnen, HartzIV und der Regierung. Sie erzählen Geschichten von Kurzaufträgen und Montageeinsätzen, bei denen sie von der Firma verarscht worden sin. Leute wurden zum Beispiel gefragt, ob sie während eines Montageeinsatzes in Holland auf dem Zeltplatz übernachten könnten. Bei einer Auslösesumme von 35 Euro täglich für Unterkunft und Verpflegung ist mehr auch kaum drin. In einer Zeitarbeitsfirma gab Überlegungen, einen Betriebsrat zu gründen, um sich nicht immer einzeln mit der Unternehmensleitung rumschlagen zu müssen. Viele der Neuen nervt auch, dass sie bei Kiepe eher die stupide Arbeiten bekommen, sie fühlen sich degradiert. Nach dem Anschiss wegen angeblich zu niedriger Arbeitsleistung und zu vielen Fehlern ist die Stimmung mies, Leute klagen über Schizophrenie. Auf der einen Seite verlangt das Unternehmen Routine und die selbe Arbeitsleistung wie von den Festangestellten, auf der anderen Seite ist klar, dass alle fliegen, sobald die Arbeit erledigt ist. Die Art und Weise, wie viele dann 'abgemeldet' wurden, ist bezeichnend: für den 100sten Trolleybus-Schaltschrank gab es Käsebrötchen vom Unternehmen, wir machten Witze über Henkersmahlzeiten, vermuteten, dass die ersten wohl in der nächsten Woche nach Hause geschickt werden würden. Tatsächlich konnten viele dann noch am selben Tag zwei Stunden vor Feierabend die Sachen packen. Mindestens die Hälfte der Gegangenen haben noch am selben Tag zusätzlich die Kündigung von ihrer Zeitarbeitsfirma erhalten. Obwohl allen klar war, dass die Zeit bei Kiepe gezählt ist fühlten sie sich gedemütigt, dass sie 'so einfach vor die Tür gesetzt wurden' ohne Frist, um sich nach einem neuen Job umsehen zu können.

Verpasste Chance?

Es ist schwer, innerhalb eines recht kurzen Zeitraums Leute für eine gemeinsame Aktion zusammenzukriegen, für die Zeitarbeiter ist dies aber die einzige Chance. Die Idee für einen verdeckten Bummelstreik kam leider etwas zu spät, ein Grossteil des Auftrags war bereits abgewickelt, die Verbindungen untereinander trotzdem noch zu schwach, um eine offensivere Aktionsform vorzuschlagen. Folgendes Flugblatt ist daher nicht verteilt worden, auch wenn es interessant gewesen wäre zu sehen, wie Geschäftsleitung und Kollegen reagiert hätte. Das Flugblatt sollte eigentlich an alle verteilt werden, zusammen mit Aufklebern, die man im Betrieb hätte verkleben können. Stattdessen wurden nur einzelne Streikberichte und Artikel verteilt, die auf mehr oder weniger reges Interesse stießen. Abschließend lässt sich nur der eklatante Widerspruch zwischen enormen kollektiven Arbeitserfahrung der Zeitarbeiter, ihrer miesen Bedingungen und fehlenden Perspektiven und ihren mangelnden Kampferfahrungen festhalten.

Flugi

'Jetzt aber mal langsam' - Bummelstreik gegen viel Arbeit und zu wenig Lohn

Die Situation ist bekannt. Vossloh Kiepe versucht die momentanen Aufträge (Vancouver, Rheinbahn) auf dem Rücken sowohl der Festangestellten als auch der Leiharbeiter durchzuziehen und rühmt sich gleichzeitig steigender Umsatzzahlen, siehe Aushänge in der Kantine. Den Festangestellten werden 45-Stunden-Wochen und ein reallohnsenkendes neues Lohnmodell reingedrückt. Die ZeitarbeiterInnen kriegen miese (Tarif-)Löhne von 8,92 Euro brutto, einige noch weniger, und werden nach Weihnachten wieder nach Hause geschickt. Wen wundert es, dass laut Geschäftsleitung die Fehlerquote im Schaltschrankbau zu hoch und die Produktivität zu niedrig sei. Hinzu kommt der nächste staatliche Angriff auf die Reallöhne: Verschärfung bei HartzIV und beim Kündigungsschutz, Streichung der Pendlerpauschale, Anhebung des Rentenalters und der Mehrwertsteuer...

Die Situation ist bekannt, aber was tun? Antworten können wir nur selbst finden. Von der neuen oder einer anderen Regierung wird nichts besseres zu erwarten sein und die gewerkschaftlichen (Schein-)Gefechte der letzten Jahre haben die Verschlechterungen nur musikalisch begleitet. Der ganze Verzicht, die Billiglöhne und Arbeitszeitverlängerungen haben keine neuen Arbeitsplätze gebracht oder bestehende gesichert, entgegen allen Versprechungen. Die wenigen Kämpfe, die in der letzten Zeit Eindruck auf die Unternehmer und Politiker gemacht haben, waren von den Leuten selbst organisiert: die Montagsdemos gegen HartzIV und der Streik bei Opel in Bochum. sind auch gegen den Willen der gewerkschaftlichen Bürokratie gelaufen.

Die Situation ist hart, aber nicht hoffnungslos. Es bleibt die Tatsache, dass die Unternehmen und der Staat letztendlich von unserer Arbeit abhängig sind. Vossloh Kiepe hat schwere Not, die Aufträge bis Ende des Jahres über die Bühne zu kriegen. Neue Zeitarbeiter wurden eingestellt (u.a. von Persona Service, Adecco, Manpower, Bindan, GTP, Vermont), Samstagsschichten wurden beantragt: bei den Festangestellten sind die Arbeitszeitkonten ausgereizt und die ausgezahlten Samstagsschichten werden von der Steuer gefressen. Angesichts des Zeitdrucks ließe sich Druck auf die Unternehmensleitung ausüben. Auch für die Zeitarbeiter ist die Situation vorteilhaft, wo sonst kommen so viele zur gleichen Zeit am gleichen Ort zusammen. Ein offener Streik wäre in der momentanen Lage schwierig, aber wir können auch anders. Eine allgemeine Verlangsamung des Arbeitstempos können wir in kleinen Gruppen koordinieren, ohne dass die Unternehmensleitung einzelne abstrafen könnte. Zusätzlich zur Verlangsamung des Arbeitstempos können hier und da hinterlassene Zeichen des Konflikts (Aufkleber, Graffitis) die Unternehmensleitung an unsere Forderungen erinnern:

Mehr Lohn und gleicher Lohn für alle. Wenn Vossloh die Aufträge durchkriegen will, sollen sie mehr Leute fest einstellen, anstatt 45-Stunden-Wochen anzuordnen. Das willkürliche Lohnmodell nach Arbeitsplatz- und Leistungsbewertung ist nicht mehr als eine getarnte Lohnsenkung. Falls die Geschäftsleitung den Auftrag in Gefahr sieht, soll sie Festangestellten und Zeitarbeitern konkrete Angebote machen: uns geht es um mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten.

Dies ist ein Vorschlag, kein Versprechen. Der Moment ist günstig, denn sie haben uns nötig. Lassen wir uns Zeit!

Aufkleber:

Locker machen - Für mehr Geld und weniger Arbeit

oder

Geschwindigkeitsbegrenzung - Für mehr Geld und weniger Arbeit

Dezember 2005


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