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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Leitungsträger der Nation - Zwei Monate Zeitarbeit im Schaltschrankbau Der Mutterkonzern Vossloh: Vom preussischen Kriegsgewinnler zum internationalen Gemischtwarenladen der Bahnzulieferei In der offiziellen Firmenpräsentation rühmt sich Vossloh einer langen Tradition: Das Unternehmen Vossloh Kiepe Eines der eingekauften Unternehmen ist die Düsseldorfer Schaltschrankbaufirma Kiepe. Das mittelständische Unternehmen Kiepe stellt Traktionsausrüstungen für elektrisch betriebene Schienen- und Strassenfahrzeuge her. Am Firmensitz in Düsseldorf arbeiten rund 450 Leute, davon ca. 278 Angestellte (viele Ingenieure, technische Angestellte) und ca. 172 gewerbliche Mitarbeiter, ca. weitere 100 sind in den Tochtergesellschaften (Wien, Mailand, Italien, Ottawa, Krakau) beschäftigt. Kiepe hat eine ähnlich lange 'Familientradition', geriet aber in den 90ern in Schwierigkeiten, wurde u.a. von der 'Münchner Schaltschrankbau GmbH' gekauft und landete 2003 beim Vossloh-Konzern.
Am Beispiel des Auftrags für die Busse in Vancouver lässt sich sehen, das zwischen Auftragserhalt, Entwicklung, Produktion und Lieferung rund drei Jahre liegen. Der Auftrag wurde im Januar 2003 gesichert, im Dezember 2005 wurde in Düsseldorf die hunderste Traktionseinheit mit vom Unternehmen gespendeten Käsebrötchen gefeiert. Für den Vancouver-Auftrag hatte Kiepe rund 70 Zeitarbeiter von 12 verschiedenen Zeitarbeitsunternehmen angefordert, die ersten kamen im August 2005, die letzten gingen Ende Dezember 2005. Folgende Beschreibungen des Arbeitsalltags stammen aus diesem Zeitraum. On the Job Die Arbeitsorganisation Der Betrieb unterteilt sich in drei größere Einheiten: den Verwaltungstrakt für Angestellte und Ingenieure, die mechanische Abteilung und die Halle für die Verdrahtung, die Qualitätskontrolle und die Platinenbestückung, in den beiden letzteren Abteilungen arbeiten vor allem Frauen. Die ArbeiterInnen Die Arbeitskraft ist international, rund die Hälfte der Leute wurde nicht in Deutschland geboren. Es arbeiten erstaunlich viele polnische Leute im Betrieb, vor allem bei den Festangestellten. Diese Arbeiter sind meist über 40, sind Anfang der 90er nach Deutschland gekommen. Viele von ihnen haben in Polen in der Großindustrie gearbeitet, einige in Werften. Wenn man sie fragt, erzählen sie Geschichten von 1980/81, von Betriebs-Rockbands der Danziger-Werft, von Solidarnosc-Transparenten, die sie nach Auftritten an Schornsteinen herunterließen. Ansonsten kommen Leute aus China, Vietnam, der Dominikanischen Republik, aus Jugoslawien, Italien, der Türkei, Griechenland, Argentinien, der Ukraine, aus Rumänien. Milan aus Novi Sad arbeitet bereits seit 1973 bei Kiepe, wurde als Gastarbeiter angeworben, arbeitete erst als Ingenieur, wurde dann wegen 'persönlichen Problemen' degradiert und zieht nun Maschinenteile mit einem Handkarren durch die Halle. Die Chinesin aus der Qualitätskontrolle nennen alle nur Shaolin, sie ist streng. Daniel war während der Revolution 1989 auf einem Dorf in der Nähe von Arad und sah Ceaucescous Erschießung erst Tage später im Fernsehen. Auch viele der 'deutschen Arbeiter' haben internationale Erfahrungen, vor allem die Zeitarbeiter. Karl war vier Jahre in China und hat dort Fotofilm- und Textilmaschinen aufgestellt, Thorsten hat in Singapur und Holland auf Werften gearbeitet, Christian war für Hitachi in Tokio, Tom für Siemens in Frankreich. Ansonsten reichen die Erfahrungen von 33 Jahren Betriebszugehörigkeit bei ABB in Essen, über Selbständigen-Arbeit in der Maschinenwartung bei Ford in Köln, über den Berg- und Kraftwerksbau, Grossbaustellen auf Flughäfen, Bundeswehrauslandseinsätze bis zur Umschulung als Altenpfleger. Leute haben Erfahrungen mit der Globalisierung. Sie haben erlebt, wie ihr Betrieb kurz nach dem Aufstellen der Maschinen im Werk bei Shanghai in Remscheid dichtgemacht wurde. Sie haben eigene Kleinbetriebe aufgemacht und sind pleite gegangen. Sie sind als Facharbeiter aus den Kernbereichen der deutschen Industrie rausgeflogen und arbeiten heute für 9 Euro brutto, wissen nicht, wo und ob sie im nächsten Monat arbeiten werden. Einige arbeiten am Wochenende, putzen Maschinen, haben Schwarzbaustellen. Sie haben Lebenserfahrungen, waren im Knast, in der Psychiatrie, sind oder waren drogenabhängig, sind als gewaltbereite Fußballfans in den Polizeiakten registriert, haben Töchter, die als Söhne geboren wurden. Was sie nicht haben, ist kollektive Kampferfahrung. Sie gehören zu einer Generation in Deutschland, die 30 Jahre Industriearbeit hinter sich hat, ohne einen einzigen Tag gestreikt zu haben. Bei Kiepe gab es in den letzten 17 Jahren zwei Tage Warnstreiks. Die Probleme der Festangestellten Ein Hauptproblem der Festangestellten sind die starken Schwankungen der Arbeitszeit, abhängig von der Auftragslage. Während des Vancouver-Auftrags wurde eine 45-Stunden-Woche angeordnet, für einzelne Bereiche gab es zusätzliche Samstagschichten. Die Stunden werden während Auftragsflauten abgefeiert, viele der ArbeiterInnen haben 200 Plusstunden. Hinzu kommt das neue Lohngruppen-Modell 'ERA', dass für den gesamten Metall-Bereich bis 2007 eingeführt sein soll. Dafür müssen einzelne Arbeitsplätze neu bewertet werden, vor allem die Frauen in der Platinenbestückung klagen über Lohneinbußen. Insgesamt soll die Stimmung in den letzten Jahren schlechter geworden sein, mehr Stress durch Zeitdruck. Die Festangestellten verdienen rund 5 Euro brutto mehr pro Stunde als die Zeitarbeiter, um die 14 Euro brutto in der Stunde. Einige Festangestellte behandeln die Zeitarbeiter als vorübergehende Aushilfen und potentielle Lohndrücker, sind genervt von dem zusätzlichen Stress des Anlernens und der Einweisungen. Insgesamt ließ sich aber erst durch Nachfragen herausbekommen, wer nun festangestellt und wer Zeitarbeiter ist. Die Probleme der ZeitarbeiterInnen Verglichen mit Arbeit auf Baustellen oder Kurzeinsätzen ist der Job bei Kiepe beliebt, die Arbeit nicht zu schwer, man muss nicht draußen arbeiten, macht sich kaum dreckig. Einige der Zeitarbeiter sind bereits das dritte oder vierte Mal bei Kiepe, jeweils für vier bis fünf Monate. Auf eine Festeinstellung hofft daher niemand, es wird auch nichts versprochen. Die Tatsache, dass die ZeitarbeiterInnen die faktische Mehrheit in der Produktion stellen, wird nicht als potentielle Macht diskutiert, um höhere Löhne oder eine Festeinstellung zu fordern. Vielleicht auch, da die Leute von 12 unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen kommen. Viele haben lange Anfahrtswege, kommen 40-50 km von Essen, aus Köln oder Hennef. Die Anfahrtsentschädigungen der Zeitarbeitsfirmen decken die Kosten kaum. Die Löhne zwischen den Zeitarbeitsfirmen sind in etwas identisch, um die 9 bis 10 Euro brutto. Der Unterschied ist bereits ein Anreiz: Leute wechseln zwischen den Zeitarbeitsfirmen, manchmal innerhalb des Auftrags bei Kiepe, um ihren Lohn um 20 Cents zu steigern. Ein Haupotproblem bleibt: kaum einer weiss, wo er als nächstes hingeschickt oder ob er nach dem Kiepe-Auftrag gefeuert wird. Die meisten Zeitarbeiter haben früher mal als Festangestellte in großen Unternehmen gearbeitet, sehen aber keine große Chance, diesen Status wieder zu erlangen. Viele sind genervt von ihrer Situation, den niedrigen Löhnen, HartzIV und der Regierung. Sie erzählen Geschichten von Kurzaufträgen und Montageeinsätzen, bei denen sie von der Firma verarscht worden sin. Leute wurden zum Beispiel gefragt, ob sie während eines Montageeinsatzes in Holland auf dem Zeltplatz übernachten könnten. Bei einer Auslösesumme von 35 Euro täglich für Unterkunft und Verpflegung ist mehr auch kaum drin. In einer Zeitarbeitsfirma gab Überlegungen, einen Betriebsrat zu gründen, um sich nicht immer einzeln mit der Unternehmensleitung rumschlagen zu müssen. Viele der Neuen nervt auch, dass sie bei Kiepe eher die stupide Arbeiten bekommen, sie fühlen sich degradiert. Nach dem Anschiss wegen angeblich zu niedriger Arbeitsleistung und zu vielen Fehlern ist die Stimmung mies, Leute klagen über Schizophrenie. Auf der einen Seite verlangt das Unternehmen Routine und die selbe Arbeitsleistung wie von den Festangestellten, auf der anderen Seite ist klar, dass alle fliegen, sobald die Arbeit erledigt ist. Die Art und Weise, wie viele dann 'abgemeldet' wurden, ist bezeichnend: für den 100sten Trolleybus-Schaltschrank gab es Käsebrötchen vom Unternehmen, wir machten Witze über Henkersmahlzeiten, vermuteten, dass die ersten wohl in der nächsten Woche nach Hause geschickt werden würden. Tatsächlich konnten viele dann noch am selben Tag zwei Stunden vor Feierabend die Sachen packen. Mindestens die Hälfte der Gegangenen haben noch am selben Tag zusätzlich die Kündigung von ihrer Zeitarbeitsfirma erhalten. Obwohl allen klar war, dass die Zeit bei Kiepe gezählt ist fühlten sie sich gedemütigt, dass sie 'so einfach vor die Tür gesetzt wurden' ohne Frist, um sich nach einem neuen Job umsehen zu können. Verpasste Chance? Es ist schwer, innerhalb eines recht kurzen Zeitraums Leute für eine gemeinsame Aktion zusammenzukriegen, für die Zeitarbeiter ist dies aber die einzige Chance. Die Idee für einen verdeckten Bummelstreik kam leider etwas zu spät, ein Grossteil des Auftrags war bereits abgewickelt, die Verbindungen untereinander trotzdem noch zu schwach, um eine offensivere Aktionsform vorzuschlagen. Folgendes Flugblatt ist daher nicht verteilt worden, auch wenn es interessant gewesen wäre zu sehen, wie Geschäftsleitung und Kollegen reagiert hätte. Das Flugblatt sollte eigentlich an alle verteilt werden, zusammen mit Aufklebern, die man im Betrieb hätte verkleben können. Stattdessen wurden nur einzelne Streikberichte und Artikel verteilt, die auf mehr oder weniger reges Interesse stießen. Abschließend lässt sich nur der eklatante Widerspruch zwischen enormen kollektiven Arbeitserfahrung der Zeitarbeiter, ihrer miesen Bedingungen und fehlenden Perspektiven und ihren mangelnden Kampferfahrungen festhalten. Flugi 'Jetzt aber mal langsam' - Bummelstreik gegen viel Arbeit und zu wenig Lohn Die Situation ist bekannt. Vossloh Kiepe versucht die momentanen Aufträge (Vancouver, Rheinbahn) auf dem Rücken sowohl der Festangestellten als auch der Leiharbeiter durchzuziehen und rühmt sich gleichzeitig steigender Umsatzzahlen, siehe Aushänge in der Kantine. Den Festangestellten werden 45-Stunden-Wochen und ein reallohnsenkendes neues Lohnmodell reingedrückt. Die ZeitarbeiterInnen kriegen miese (Tarif-)Löhne von 8,92 Euro brutto, einige noch weniger, und werden nach Weihnachten wieder nach Hause geschickt. Wen wundert es, dass laut Geschäftsleitung die Fehlerquote im Schaltschrankbau zu hoch und die Produktivität zu niedrig sei. Hinzu kommt der nächste staatliche Angriff auf die Reallöhne: Verschärfung bei HartzIV und beim Kündigungsschutz, Streichung der Pendlerpauschale, Anhebung des Rentenalters und der Mehrwertsteuer... Die Situation ist bekannt, aber was tun? Antworten können wir nur selbst finden. Von der neuen oder einer anderen Regierung wird nichts besseres zu erwarten sein und die gewerkschaftlichen (Schein-)Gefechte der letzten Jahre haben die Verschlechterungen nur musikalisch begleitet. Der ganze Verzicht, die Billiglöhne und Arbeitszeitverlängerungen haben keine neuen Arbeitsplätze gebracht oder bestehende gesichert, entgegen allen Versprechungen. Die wenigen Kämpfe, die in der letzten Zeit Eindruck auf die Unternehmer und Politiker gemacht haben, waren von den Leuten selbst organisiert: die Montagsdemos gegen HartzIV und der Streik bei Opel in Bochum. sind auch gegen den Willen der gewerkschaftlichen Bürokratie gelaufen. Die Situation ist hart, aber nicht hoffnungslos. Es bleibt die Tatsache, dass die Unternehmen und der Staat letztendlich von unserer Arbeit abhängig sind. Vossloh Kiepe hat schwere Not, die Aufträge bis Ende des Jahres über die Bühne zu kriegen. Neue Zeitarbeiter wurden eingestellt (u.a. von Persona Service, Adecco, Manpower, Bindan, GTP, Vermont), Samstagsschichten wurden beantragt: bei den Festangestellten sind die Arbeitszeitkonten ausgereizt und die ausgezahlten Samstagsschichten werden von der Steuer gefressen. Angesichts des Zeitdrucks ließe sich Druck auf die Unternehmensleitung ausüben. Auch für die Zeitarbeiter ist die Situation vorteilhaft, wo sonst kommen so viele zur gleichen Zeit am gleichen Ort zusammen. Ein offener Streik wäre in der momentanen Lage schwierig, aber wir können auch anders. Eine allgemeine Verlangsamung des Arbeitstempos können wir in kleinen Gruppen koordinieren, ohne dass die Unternehmensleitung einzelne abstrafen könnte. Zusätzlich zur Verlangsamung des Arbeitstempos können hier und da hinterlassene Zeichen des Konflikts (Aufkleber, Graffitis) die Unternehmensleitung an unsere Forderungen erinnern: Mehr Lohn und gleicher Lohn für alle. Wenn Vossloh die Aufträge durchkriegen will, sollen sie mehr Leute fest einstellen, anstatt 45-Stunden-Wochen anzuordnen. Das willkürliche Lohnmodell nach Arbeitsplatz- und Leistungsbewertung ist nicht mehr als eine getarnte Lohnsenkung. Falls die Geschäftsleitung den Auftrag in Gefahr sieht, soll sie Festangestellten und Zeitarbeitern konkrete Angebote machen: uns geht es um mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten. Dies ist ein Vorschlag, kein Versprechen. Der Moment ist günstig, denn sie haben uns nötig. Lassen wir uns Zeit! Aufkleber: Locker machen - Für mehr Geld und weniger Arbeit oder Geschwindigkeitsbegrenzung - Für mehr Geld und weniger Arbeit Dezember 2005 |