Abschließende Presseerklärung vom 21.3.2000

Eckardt: Der Kampf hat sich gelohnt.

Belegschaft beendet ihre Protestaktionen

 

Seit dem 12. Januar kämpften die Eckardt-Beschaftigten um ihr Werk an der Pragstraße. Nachdem sich der Mutterkonzern invensys nicht mehr an eine Vereinbarung vom letzten Fruhjahr hielt, waren nach Einschätzung des Betriebsrates und des IMU-Wirtschaftsinstituts dem Standort jede Überlebenschance genommen.

Am Montag, den 13.Marz, haben die Eckardt-Beschaftigten nun die Betriebsversammlung beendet. Sie begann am 12.Januar und fand an insgesamt 10 Tagen statt. Der Beschluss wurde einstimmig gefasst.

Ausschlaggebend war das Ergebnis einer Aufsichtsratssitzung am 9. Marz in Hamburg. Eine große Abordnung der Belegschaft begleitete ihren Betriebsratsvorsitzenden Martin Schwarz-Kocher, der Mitglied des Aufsichtsrats ist, zu dieser Sitzung.

Der Betriebsrat hatte einen modifizierten Vorschlag zur Erhaltung des Standorts erarbeitet, der auch mit der örtlichen Geschäftsleitung im Vorfeld abgesprochen war. Die Argumente und das Engagement der Beschäftigten waren fur invensys-Chef Allen Yurko so überzeugend, dass er diesem Vorschlag spontan zugestimmt hatte. Damit gibt es nach Meinung des Betriebsrates eine reelle Chance, den Standort an der Pragstraße zu erhalten.

Kernpunkt dieser Einschätzung ist die Zusage, dass Stuttgart als weltweites Zentrum des Konzerns fur alle Produkte im Bereich Niveau-Umformer ausgebaut wird. Der lange wahrende Streit über den von zwei Invensys Divisionen beanspruchten Stellungsreglerumsatz wurde von Yurko entschieden: er sprach ihn kurzerhand den Stuttgartern zu. Damit bleibt die Entwicklung und der Vertrieb dem Standort erhalten, ebenso der Mess- und Regelgerätevertrieb für Deutschland. Der Personalabbau konnte erheblich reduziert werden.

Die Firma wird nach Abschluss der Restrukturierung noch eine Belegschaft von 120 bis 130 Mitarbeitern haben. Martin Schwarz-Kocher: "Wir denken, dass wir diese Personalreduzierung durch freiwilliges Ausscheiden und eine großzügige Vorruhestandsregelung lösen konnen. Wir haben jetzt die Chance, aus eigener Kraft den Standort zu sanieren. Ob dies von Erfolg gekrönt ist, wird das nächste Jahr zeigen.

IG Metall-Sekretär Manfred Schwarz bescheinigte den Eckardt-Mitarbeitern am letzten Tag der Betriebsversammlung:" Ihr habt euch diesen Sieg selbst erkämpft. Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass überzeugende Argumente und ein beharrlicher Kampf die Voraussetzung für den Erfolg sind."

Am vergangenen Dienstag wurde dazu unter Mitwirkung der IG Metall und des VMI (Verband der Metallindustrie) ein Sozialplan vereinbart, der auch in den nachsten 4 Jahren Gültigkeit hat.

Die ausscheidenden Mitarbeiter konnen sich in einer Beschäftigungsgesellschaft für neue Berufsperspektiven qualifizieren.

Als Schwarz-Kocher am Mittwoch den Mitarbeitern das Ergebnis der Sozialplanverhandlungen verkündete, spendeten die Eckardtler ihrem Betriebsratsvorsitzenden, dem sie den entscheidenden Anteil an dem positiven Ergebnis zuschreiben, riesigen Beifall. Martin Schwarz-Kocher betonte, dass dies nur durch das Zusammenspiel aller Beteiligten moglich wurde. Namentlich nannte er eine zu allem entschlossene Belegschaft, ein gut funktionierendes Betriebsratsgremium und den Vertrauenskörper, die IG Metall, die alle Aktivitäten unterstützt hatte, den Cannstatter Aktionskreis für Arbeitsplätze, bei dem viele gute Ideen fur Aktionen geboren wurden, sowie die vielen Unterstützer außerhalb des Betriebes.

Am selben Tag wurden auch die Transparente abgehängt, die 2 Monate die Fassade an der Pragstraße schmückten.

Während der Auseinandersetzung hatten die Eckardtler mannigfaltige Unterstützung erfahren: Politiker wie der Wirtschaftsminister, der Oberbürgermeister, der Regionalverbandspräsident schrieben an die Konzernleitung. Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Parteien und Gemeinderatsfraktionen bekundeten ihre Solidarität. Aus vielen Betrieben kam Unterstützung.

Die Belegschaft hatte einiges geboten, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und Druck auf die verantwortlichen Konzernmanager auszuüben. Um nur das herausragende zu nennen: Am 2. Februar fuhren die Eckardtler mit ihren Familien in einem Sonderwagen der Straßenbahn von der Haltestelle Eckardt zur Börse und tauschten "im Wert sinkende invensys-Aktien gegen Eckardt-Humankapital-Aktien" um. Mit dieser Aktion wollten sie auf die Auswirkungen der Shareholder-Value-Mentalität für die Beschäftigten hinweisen.

Als großes Medienspektakel erwies sich die als "erste virtuelle Demo der Welt" angekündigte Internetaktion, an der sich mehr als tausend Unterstützer von außen beteiligten. Der Konzern war für mindestens 8 Stunden im Internet blockiert, da die Rechner mit der Flut von e-mails an die wichtigsten Konzernleute nicht fertig wurden.

Dies war auch Anlass für eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Davids virtuelle Schleuder". Ein Expertengremium diskutierte vor einem interessierten Publikum die Frage, welche neuen Konfliktstrategien Arbeitnehmer in der Auseinandersetzung gegen global agierende Konzerne anwenden können.

So wie sie Unterstützung von außen erfuhren, unterstützten die Eckardt-Beschäftigten ihrerseits die im Streik befindlichen Kollegen von Werner und Pfleiderer in Dinkelsbuhl. Beinahe der halbe Betrieb fuhr mit zu einer Solidaritätsbekundung nach Dinkelsbuhl.

Die Fahrt nach Hamburg bewies, dass die Eckardtler sich nicht scheuten, ihre Forderungen auch persönlich dem machtigen invensys-Chef Yurko, Herr über 120 000 Beschäftigte, vorzutragen.

Die Resonanz in Presse, Rundfunk und Fernsehen über die gesamte Auseinandersetzung hinweg war außerordentlich groß. Der Betriebsrat verschickte insgesamt 20 Presseerklärungen, die Widerhall auch in überregionalen Medien, in Wirtschaftsmagazinen und außerhalb Deutschlands fanden.

Die von Mitarbeitern eingerichtete zweisprachige Internet-Info "eckardt.homepage.com" wurde bis dato von ca. 3000 Besuchern aus allen Erdteilen genutzt.

Wir hoffen, dass dies die letzte Presserklärung in dieser Kampagne sein wird, und bedanken uns bei allen, die unseren Kampf publik gemacht und uns unterstützt haben.

 

Betriebsrat und Vertrauenskörperleitung
Martin Schwarz-Kocher
Peter Hanle

 


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