Home > Branchen > Sonstige > Bosch-Siemens-Hausgeräte > bsh_wildcat
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

»Auf einmal hat alles zusammengepasst.«

Gespräch mit ArbeiterInnen aus dem Bosch-Siemens-Hausgerätewerk Berlin-Spandau. Die BSH-ArbeiterInnen hatten in ihrer dritten Streik-Woche einen "Marsch der Solidarität" per Bus durch die BRD begonnen. Als es endlich richtig gut wurde, hat die Gewerkschaft den Bus zurückbeordert, weil ein Abschluss unterschrieben worden war.

Vorabdruck aus Wildcat 78, die am 18. Dezember 2006 erscheint.
Bestellungen: versand@wildcat-www.de
Website: www.wildcat-www.de externer Link

Die Idee zum »Marsch der Solidarität« hattet Ihr schon vor längerem...

Ja. Der riesige Bergarbeitermarsch 1991 in der Türkei auf die Hauptstadt hat uns drauf gebracht. Aber erst kurz vor Streikbeginn hatten wir eine Kommission gebildet.

Die IG Metall hat die Busse bezahlt, die Übernachtungen organisiert...

Ja. Eigentlich hatten wir tatsächlich laufen wollen. Immer 30 Leute, nach drei Tagen abwechseln. Um in vier Wochen nach München zu kommen, hätten wir am Tag durchschnittlich 30-40 km gehen müssen. Das kam uns dann doch zu lang vor. Warum sollten wir nicht Gegenden, wo nichts los ist, mit dem Bus durchqueren? Mit dieser Idee sind wir zur IG Metall gegangen, und da haben sie gleich gesagt: 'da geben wir Euch einen Bus'. Wir haben erst angefangen darüber zu reden, wie wir das machen wollen, als der Marsch bereits angefangen hatte! Die Auswahl der Leute war auch ungeschickt. Einige waren lustig, durch Deutschland zu fahren. Andere haben gedacht, statt Posten zu stehen, gehst du umsonst reisen. Vielleicht 15 Leute waren davon überzeugt, was sie tun. Das waren eher die Polen, einige Türken, zwei, drei deutsche Kollegen. Allen anderen war die Bedeutung der Busfahrt eigentlich unklar.

Warum habt Ihr die IG Metall gebraucht für den Bus?

Der Bus hat 1800 Euro am Tag gekostet, das konnten wir nicht aufbringen. Und dazu kamen die Übernachtungen, eine Übernachtung für 40 Leute mit Frühstück kostet 700 Euro! Für die logistische und finanzielle Unterstützung haben wir die IG Metall gebraucht. Außerdem wussten wir nicht, wie wir Kontakte machen sollten. Hätten wir z.B. selber Kontakt zu VW gehabt, hätten wir auch selber bestimmen können, wo wir hinfahren. Nachdem der Marsch losgegangen ist, hat die IG Metall alles in der Hand gehabt, auch die Kontakte, sie haben die Route vorgegeben.

Da war irgendwie so ein Vertrauen, die IG Metall macht das schon...?

Nein, gar nicht! Die IG Metall hat das schlecht organisiert, das haben alle gemerkt. Aber für uns war die Frage 'sind wir in der Lage, sowohl die Werksbesetzung wie den Marsch der Solidarität gleichzeitig zu organisieren?'

Sobald das mit dem Bus klar war, hattet Ihr die Idee, dass man ja auch in Eisenhüttenstadt, in Kamp-Lintfort usw. vorbeifahren kann...

Kamp-Lintfort war nicht von vornherein unser Ziel. Das war eher so ein IG Metall-Ding. Wir wollten durch ein paar ostdeutsche Städte laufen, unser Ziel war vor allem Wolfsburg - da wollten wir ein paar Tage Quartier nehmen.

Warum? Wolfsburg liegt ja überhaupt nicht auf der Strecke...

Großes Werk!

Ihr wolltet irgendwohin fahren, wo es zigtausend Arbeiter gibt??

Ja genau, das war unser Ziel! Dann hat aber die IG Metall gesagt, Wolfsburg macht jetzt gerade eine Standortvereinbarung, die wollen uns nicht haben, wir würden vielleicht die Verhandlungen schädigen.

Witzig finde ich, dass Kamp-Lintfort die Idee der IG Metall war! Ich hätte eher gedacht, da haben sie Schiss, dass zwei ganz ähnliche Kämpfe zusammenkommen.

Genau so ist es ja auch passiert: die ganze Stadt war auf den Beinen, sie haben zugesagt, nach München zu kommen, es war der Höhepunkt des Marschs! Und das hat der Gewerkschaft und dem Arbeitgeber Angst gemacht. Die IG Metall hatte vielleicht gedacht, wenn wir vorbeikommen, gehen 20, 30 BenQler hin - wir haben erst in Kamp-Lintfort erfahren, dass die Leute seit zwei Wochen nicht mehr gearbeitet haben! Sie kamen nicht aus dem Werk raus, sondern sind extra wegen der Demo gekommen, viele sind Pendler. Wenn das klein geblieben wäre, wären wir vielleicht nach München gekommen. Aber sie haben die Verbrüderung dort gesehen. Nachher haben wir erfahren, dass 600 Leute allein aus Kamp-Lintfort nach München gekommen wären: vorher hatte EKO-Stahl schon gesagt, dass sie kommen, Miele wollte kommen, vom Bosch wollten sie kommen ... Auf einmal hat alles zusammengepasst.

Erzähl mal kurz chronologisch! Der Bus fuhr am Donnerstag, den 5. Oktober erst mal zu EKO in Eisenhüttenstadt, das lief sehr gut...

Von Eisenhüttenstadt waren wir begeistert; der Besuch bei EKO war keine Zeremonie wie an anderen Orten. Die kamen raus und haben direkt mit uns geredet: 'Lasst Euch nicht vorschreiben, was Ihr zu tun habt! Wir haben auch selber entschieden. Es geht um Euren Arsch, deshalb müsst Ihr auch selber entscheiden, was Ihr tut! Nicht vorschreiben lassen, welche Aktionen man macht!' Sie haben die Autobahn und die Treuhand besetzt, haben sie erzählt. Sie haben angeboten, wenn wir nach München fahren, dass sie in der Zeit bei uns Wache halten. Zudem wollten sie einen Bus als solidarische Geste nach München schicken.

Danach kam dann Leipzig?

Der Bus war kurz vor Leipzig, dann hieß es, da sei eine DGD-Kundgebung gegen Gesundheitsreform, und wir sind mit drei zusätzlichen Bussen hin. Wir haben wie immer in der Stadt Flugblätter verteilt. Die Leipziger haben uns und unsere Flugblätter komisch angeguckt; wir waren nicht beliebt. Wir waren viele Schwarzköpfige, wir aus der Türkei und eine vietnamesische Gruppe. Danach waren wir in der Nikolaikirche, der Pfarrer Führer hat zu uns geredet. Dann Sonntag Frauenkirche in Dresden war auch Scheiße, Montag, den 9. Oktober fuhren wir zu Bosch-Buderus in Zwickau; da kamen nicht einmal zehn Leute raus, davon drei Betriebsräte und der Bürgermeister. Im Osten war eigentlich nur EKO-Stahl gut, in der Woche hat es im Bus ziemlich gekriselt, viele waren so deprimiert, dass sie raus wollten... Am Dienstag, den 10. war der Bus dann bei Miele, da mussten wir kilometerweit durch Felder laufen; dabei wollten wir in die Innenstadt! Am 11. in Nürnberg sind wieder mehrere Busse aus Spandau dazu gekommen. Das war wieder viel besser, die Leute sind selber gekommen, um ein Flugblatt zu nehmen, das hat mich sehr gewundert! Wir sind ja fast eine Stunde durch die Innenstadt zum Werk gelaufen... Autos haben angehalten usw. - das war ganz anders in Nürnberg als sonst! Vor AEG war's komisch: du bist seit einer Woche unterwegs, die Kollegen legen die Arbeit nieder und kommen raus, eine Stunde redet der BR-Vorsitzende, der Verwaltungsstellentyp und eine von uns. Dann 'alles war schön, tschüss!' Gar kein Kontakt, was wir von denen wollen o.ä.

Auf dem Weg nach Kamp-Lintfort haben wir unsere Probleme diskutiert. Wir sind spontan in Duisburg vorbei, Flugblätter verteilen. Das war ziemlich gut - und Kamp-Lintfort (Donnerstag 12.10.) war sehr gut!. Danach war der Bus in Bad Neustadt. Erst am Wochenende in Stuttgart fingen wir an, unsere eigenen Plakate zu malen, haben ein eigenes Flugblatt gemacht und eine Kreativgruppe gebildet. Am 17. Oktober in Dillingen...

... Auch Dillingen war doch überraschend positiv, damit konnte man ja nicht rechnen, dass die eine Stunde die Arbeit niederlegen und rauskommen.

Ja, die haben eigentlich keine solche Tradition. In Giengen ist es am selben Tag nicht so gut gelaufen; da hatten sie vor zwei Jahren eine Standortvereinbarung abgeschlossen, 36 Stundenwoche weg, Jahreszahlung weg, Akkordverdichtung usw. Nach einem Jahr waren BR-Wahlen, an denen haben sich nur 45 Prozent beteiligt. Da war klar, dass nicht viele rauskommen, wenn die IG Metall aufruft, weil sie sehr sauer auf die IG Metall sind. Aber dass in Dillingen 300-400 Leute rauskamen und mit uns diskutiert haben, das fanden wir sehr gut. In der Nacht danach hat dann die IG Metall drei Leute aus dem Bus nach Berlin zurückgeflogen, und diese haben den Ausschlag gegeben bei der Abstimmung in der Streikleitung, die mit 9:6 gegen den Streik endete.

Luis Sergio [IGM Streikleiter] hat ja am Ende im Zelt behauptet, der Marsch hätte wenig bewirkt, alle wüssten doch, dass in der Streikzeitung die Zahlen frisiert worden wären.

Der hat auch behauptet, es würden weniger Leute als erwartet nach München kommen, höchstens 1000! Da hatte er allerdings teilweise recht, weil seine Organisation, die IG Metall, schon eine Woche vor München damit begonnen hatte zu demobilisieren!

Eure Idee war zu Beginn ja eher, den Arbeitgeber öffentlich schlecht zu machen. Dann bekam das eine ganz andere Dynamik: Die Busfahrt fing an, die von Schließung bedrohten Belegschaften zusammenzubringen. Daran hatte weder die IG Metall noch die Arbeitgeber noch die Politiker ein Interesse. Deswegen wurde der Bus zurückgerufen.

... zu vereinigen! Die von Schließung bedrohten Leute und die Stimmung, 'es muss Schluss damit sein! Wir kämpfen gemeinsam.' - Der Bus hat viel zu diesem Scheißvertrag beigetragen. Ohne den Bus wäre vielleicht gar kein Abschluss zustande gekommen. Wir hatten damit gedroht, dass wir vor der Siemens-Zentrale Zelte aufschlagen und kampieren würden und von da aus am 21. zu dieser DGB-Demo in Stuttgart fahren. Siemens wollte das vor der Zentrale auf jeden Fall verhindern! Sie hatten ja gleichzeitig die BenQ-Geschichte am Hals. Die heißere Geschichte war unser Streik, den mussten sie erst mal wegkriegen.

Dass sich auf einmal Belegschaften direkt zusammenschließen, diese Dimension hatte die IG Metall unterschätzt. Der Vorstand der IG Metall war sehr besorgt deswegen, die sahen schon die politische Wirkung. Es ist nie deren Ziel, dass Belegschaften zusammen kämpfen.

Im Gegenteil, es ist immer ihr Ziel, Belegschaften getrennt zu halten!

Stimmt! Und dann finanzieren sie den Bus mit dem Aufruf, dass man zusammen kämpfen soll! (lacht)


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang