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Updated: 18.12.2012 15:51
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Blauer Himmel über Berlin?

Willi Hajek über das Fazit der Streikenden bei BSH

Seit dem 23. Oktober arbeiten die Beschäftigten der Berliner Bosch Siemens Hausgeräte GmbH wieder. Auf einer selbst organisierten Versammlung der Streik-Beteiligten am 18. November in der Berliner IG Mediengalerie sollte über Verlauf und Ausgang des Streiks, aber auch über die Frage, wie es nun weiter geht, diskutiert werden. Dabei kam es auch zu deutlichen Worten über die Linie der IGM in den Verhandlungen. Ein Bericht über die Versammlung und die Stimmung unter den Beschäftigten von Willi Hajek.

Zu der Versammlung hatte ein Kollege eingeladen, der bis zur vorletzten Nummer im Auftrag der IGM die im Netz publizierte BSH-Streikzeitung verantwortlich hergestellt hatte, doch dazu unten mehr. Eingeladen waren Akteure aus der Belegschaft und >externe< Unterstützer, die sich in den Streikwochen auf verschiedene Weise beteiligt hatten - z.B. ein Anwalt, ein kritischer Gewerkschafter von BMW und Mitglied der IGM-Orts-verwaltung, ein IGM-Kollege vom Arbeitskreis Internationalismus, ein Filmemacher und noch zwei weitere engagierte Unterstützerinnen. Ziel der Versammlung war die Streikauswertung und das gemeinsame Nachdenken über Perspektiven nach dem Streik und der Annahme des Verhandlungsergebnisses.

Sehr viele KollegInnen aus der mehrheitlich migrantisch geprägten BSH-Belegschaft waren der Einladung zu dieser Versammlung gefolgt. Sämtliche Nationalitäten waren vertreten: die türkisch/kurdischen, die polnischen und die deutschen Streikenden. Während sich die Belegschaft vor rund zehn Jahren noch überwiegend aus türkisch/kurdischen Beschäftigten zusammengesetzt hat, sind heute vor allem polnische KollegInnen stark vertreten.

Kurz wurde eingegangen auf einen Artikel über den Streik in der Novemberausgabe der Metall-Mitgliederzeitung (Nr. 11/2006, S.15). Der Beitrag von Fritz Arndt bringt die Interpretation der IGM gut zum Ausdruck. Das Engagement der Streikenden habe sich gelohnt, der Streik gilt als voller Erfolg, zusammengefasst: »Die Schließung des Werks ist vom Tisch, 400 der bedrohten Arbeitsplätze bleiben mindestens bis Ende Juli 2010 erhalten. Dem Ergebnis stimmten die Streikenden in der zweiten Urabstimmung zu.«

Dieser letzte Satz ist für sich genommen nicht falsch, denn aufgrund der Satzungsregel der IGM reicht es aus, wenn 25 Prozent die Annahme des Verhandlungsergebnisses befürworten. Tatsächlich hatten in der zweiten Urabstimmung 35,62 für die Annahme des Verhandlungskompromisses gestimmt - bei einer Wahlbeteiligung von 95,18 Prozent. Dem entspricht umgekehrt eine Ablehnung des Ergebnisses von über 60 Prozent.

Genau diese Satzung und diese Klausel waren dann auch ein Gesprächspunkt: »Es darf doch einfach nicht sein, dass in einem solchen existentiellen Kampf, den wir geführt haben - das war kein tariflicher Kampf, meine ich - eine Minderheit von 150 Kollegen über uns alle entscheiden kann.«

Andere schilderten ihre Eindrücke von der IG Metall-Streikleitung. Zu Beginn des Streiks seien viele Kollegen angesichts der Radikalität der Reden überrascht gewesen: »Der Herr Höbel (Olivier Höbel ist Bezirksleiter der IGM Berlin-Brandenburg-Sachen; Anm. d. Red.) war am Anfang sehr souverän, und der IG Metall-Sekretär Luis Sergio verkündete, dass wir die Verhältnisse hier zum Tanzen bringen werden. Das hat uns sehr beeindruckt. Und dann diese Veränderung in den letzten drei Tagen des Streiks, vor dem geplanten Marsch nach München, dem Höhepunkt unserer Solidaritätsaktion.« Luis Sergio habe, so berichteten Teilnehmer, auf einer Streikversammlung erklärt, dass »diese ganzen Reden doch nicht ernst gemeint waren, das waren doch Märchen, wir wollten einfach die andere Seite ein wenig beeindrucken.«

Es war diese Darstellung, die offenbar die Grundlage für die Empörung in der Belegschaft und den emotionalen Bruch zwischen den Streikenden und den Sekretären bildete. Bei der Rede des Bezirksleiters der IG Metall auf der letzten Streikversammlung hatte die Mehrheit der streikenden KollegInnen das Streikzelt verlassen.

Zwei Kollegen, die bis dahin die Streikzeitung im Auftrag der IG Metall gefertigt hatten, waren in der Schlussphase mit einer öffentlichen Erklärung auf der Streikversammlung zurückgetreten. Ihre Begründung: Trotz der mehrheitlichen Ablehnung des Verhandlungsergebnisses sollte der »Sieg«, das »einzigartige Ergebnis«, der »Durchbruch in der Industriepolitik in Berlin« gefeiert werden, nach dem Motto: »Der Betrieb bleibt offen«. Gregor Gysi von der PDS und Klaus Wowereit von der SPD hatten Champagner mitgebracht, und die IG Metall hatte ein großes Essen bestellt, um der Belegschaft dieses Ergebnis schmackhaft zu machen, den Unmut und die Empörung zu befrieden. Doch die Gratulanten täuschten sich offensichtlich. Obwohl in den letzten drei Tagen vor Ende des Streiks der gesamte örtliche und bezirkliche Verwaltungsapparat der IGM vor Ort, im Streikzelt und unter der streikenden Belegschaft agierte, ließ sich die Belegschaft nicht beeindrucken. Ihre Enttäuschung über den Abschluss und die Art und Weise seines Zustandekommens ließ sich nicht in die Erfahrung eines großen Erfolgs verwandeln.

Ein Kollege aus dem Ausländerausschuss der IG Metall berichtete über die Interpretation des Gewerkschaftssekretärs. Dieser habe erklärt: »Die Resignation und Frustration der Belegschaft hat ihre Ursachen in Kräften von außen, die in der Belegschaft hohe, nicht einzuhaltende Erwartungen geweckt haben.« In der Tat wollte die Belegschaft alle Arbeitsplätze, und nicht nur die verbleibenden 400 verteidigen.

Doch der IG Metall gelang es nicht, die Betriebsräte und auch den beratenden Anwalt auf ihre Seite zu ziehen und der Belegschaft gegenüber den Abschluss zu verkaufen. »Wir haben der Streikleitung der IG Metall zu sehr vertraut, wir haben uns teilweise mit in diese von der Belegschaft nicht mehr kontrollierten Verhandlungen hineinziehen lassen«, bemerkten einige Betriebsrats-Kollegen selbstkritisch. »Wir hätten die Belegschaft in der Schlussphase viel mehr einbeziehen müssen, als wir merkten, dass von oben, aus dem Vorstand Druck kommt, diesen Streik noch vor dem Marsch nach München zu beenden.«

Ein Kollege berichtete über die Besuche bei den anderen Betrieben im Rahmen des Marschs für Solidarität. Vor allem bei Siemens in Kamp-Lintfort seien die BSHler begeistert empfangen worden: »Aber am Anfang war nichts vorbereitet, das war wie auf einer Klassenfahrt. Langsam, beim zweiten und dritten Mal, legten wir die Plastik-Streiktüten ab, malten unsere eigenen Plakate und bereiteten uns vor, machten ein Flugblatt. Plötzlich entwickelte sich eine Eigendynamik bei uns, und wir wollten eine Kreativgruppe bilden.«

Was jetzt?

Einige Kollegen wollten gleich nach dem Ende des Streiks gemeinsam mit Austritt drohen, um Druck auf die IG Metall zu machen. Andere wollen einen Brief an die Metallzeitung schreiben, um den Artikel richtig zu stellen. Zu den Vorschlägen zählt auch die gemeinsame Erstellung einer Dokumentation und eines Films über den Streik - der Filmemacher war während des Streiks und der Aktionen ständig auf dem Fabrikgelände gewesen und hat eine Menge Material zusammengetragen.

Zudem wurde eingefordert, dass die Kollegen nun im Betrieb, unabhängig von IG Metall-Strukturen und Betriebsrat, eine freie Betriebsgruppe aufbauen sollten, an der natürlich auch alle teilnehmen könnten, ob Betriebsrat, Vertrauensfrau, Nicht-Organisierter oder ausgetretener Kollege. »Hätten wir das gehabt, eine unabhängige Betriebs-Gruppe, dann hätten sie uns nicht so leicht überfahren.« Beschlossen wurde, sich regelmäßig alle vier Wochen zu treffen und nicht nur über die Streik-Dokumentation zu beraten, sondern auch über die weitere gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb und die überbetriebliche Arbeit. »Spätestens in drei Jahren bei der dann anstehenden Schließung des Werkes sind wir wieder da. Denn nach dem Streik ist vor dem Streik.«

Für Berliner Verhältnisse erstaunlich: Nach der Debatte mit Tom Adler von der KollegInnengruppe »alternative« im IG Metall-Gewerkschaftshaus vor einigen Wochen, in der es um die Funktionsverbote bei Daimler-Chrysler in Stuttgart ging, war die von den Streikern aus dem Bosch Siemens-Werk bestimmte und geleitete Versammlung nun schon das zweite Ereignis, an dem sich ein alternatives gewerkschaftliches Leben in Berlin zeigte.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/06


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