In der "Wirklichkeit" von Helmut Weiss

Eine Gegenrede zu: "Freiheit! Für Bertelsmann"

 

Was weiß ich über die Stellungnahme der IG Medien zur Übernahme von Time-Warner durch AOL? Im Moment noch zu wenig, aus Helmuts Kommentar "Freiheit! Für Bertelsmann!" kann ich es mir nur mühsam zurecht legen. Bewerten mag ich das noch nicht. Aber darüber schreibt Helmut eigentlich kaum etwas, er zieht Schlüsse, indem er den Bogen weit spannt: Kriegspropganda der Massenmedien, Martin Walser, Urheberrechte, die angebliche gewerkschaftliche "Tradition", sich nicht um Inhalte der Produktion zu kümmern, schließlich der unterstellte Pakt von IG Medien und Bertelsmann-Konzern usw.

Wenn man kommentiert, muss man etwas wissen. Helmut muss nicht dabei gewesen sein, aber er hätte es recherchieren können: dass gerade der Bertelsmann-Konzern, sowohl in Bezug auf seine innerbetrieblichen Praktiken als auch seine gesellschaftspolitischen Strategien (einschließlich des "Bündnisses für Arbeit") ein Zentralthema der höchst offiziellen IG-Medien-Politik ist. Wenn daraus noch keine breite Kampagne geworden ist, kann man das schlecht dem Hauptvorstand vorwerfen. Die Auseinandersetzung nimmt aber langsam die Gestalt einer Kampagne an. Helmut könnte wissen, um welche Inhalte es dabei geht. Wenn er es erfährt, sieht er sich übel blamiert. Mildes Lächeln auch im Vorstand der Bertelsmann AG, denn wäre Helmuts Wirklichkeit die der Bertelsmänner, müssten sich diese nicht so furchtbar anstrengen, ihren Laden gewerkschaftsfrei zu halten. Alle wissen das, warum nicht Helmut? Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Die Strafe ist die Blamage.

Dann Martin Walser. "ja, als der Hauptvorstand sich mächtig in die Bresche warf: zur Verteidigung des Herrn Martin Walser. Auch er ein Produzent, unabhängig sozusagen. Spezialität: Erhebung der Stammtischparole zur Literatur." Der Hauptvorstand hat meines Wissens überhaupt nicht Stellung genommen für oder gegen Martin Walser. Die Stellungnahme kam vom ersten Vorsitzenden, Detlef Hensche, und er hat keineswegs Walser als "Produzenten" verteidigt. Hensche hat damals die GEW Frankfurt wegen Äußerungen angegriffen, die es nicht gegeben hatte, und in seinen Unterstellungen hat er sich, wenn auch falsch, auf Inhalte bezogen, insbesondere auf die Motive von Walser. Wer die Materialien, Briefwechsel usw. kennt, kann das leicht nachprüfen. Leider hat es weder aus der aktiven Mitgliedschaft noch aus dem Funktionärskörper eine entschiedene Stellungnahme gegen die Stellungnahme des Vorsitzenden gegeben. So könnte im Übrigen auch die Schlussfolgerung gezogen werden, fast die gesamte IG Medien hätte sich "mächtig in die Bresche" geworfen, um Walser und nicht Bubis zu verteidigen.

Helmut will der Produzenten-Ideologie auf den Leib rücken und dafür kramt er aus allen Ecken ein Etwas zusammen, um daraus das große Ganze konstruieren zu können, das "gemeinsame Programm aller DGB-Gewerkschaften, einschließlich vieler Linker: Verteidigung des Produzenten". Das ist schon begrifflich schwammig. Hätte Helmut seinen Beitrag mit dieser These begonnen, wäre er zwangsläufig dazu übergegangen, den Produzenten-Begriff kritisch aufzulösen. Irgend etwas hat er durcheinandergebracht und puzzelt jetzt alles wieder zurecht, damit er noch ein Ende findet. Das wäre nur peinlich, wenn es nicht – für einen bestimmten Teil der Leserschaft – stellenweise regelrecht übel würde. So in dem Absatz: "Die anderen sind GewerkschafterInnen pur: Verbesserung der Lage der Menschen an ihrem Arbeitsplatz. Ende. Im Falle der IG Medien dann eben auch bei der Produktion von: Werbeprospekten, Kriegspropaganda, Deutschtümelei."

Ist das nun, einmal feinsinnig-juristisch gesprochen, eine Tatsachenfeststellung oder eine nur eine Schlussfolgerung? Ich kann Helmut nur wünschen, dass er es als Schlussfolgerung formuliert hat. Als Tatsachenbehauptung wäre es eine Lüge. Gerade weil sich Helmut an der "Tradition" abarbeitet, sollte er sich mal erkundigen, welche Bedeutung die Frage der Arbeitsverweigerung bei Druckaufträgen von rechtsradikalem und rassistischen Material in der Geschichte der IG Druck und Papier gehabt hat. Aus eigener Erfahrung kann ich noch beisteuern, dass wir von der IG Medien gut und gerne Unterstützung erwarten konnten, als wir, zusammen mit Angestellten und RedakteurInnen, gegen Bennetton-Anzeigen in den Zeitschriften eines Unternehmens protestierten. Und aus der jüngsten Zeit müsste Helmut doch wissen – wenn er denn die offizielle Gewerkschaftspresse liest -, welcher Platz der Kritik am Kriegsjournalismus eingeräumt worden ist.

Manches in Helmuts Kommentar, was aus eleganter Feder daher kommt, ist schlicht Bluff. Der Trick besteht darin, ein Wort in die Runde zu schmeißen und triumphalistisch zu rufen: Schaut euch das mal an! Produzenten! Urheberrecht! In Helmuts Wirklichkeit haben diese Begriffe nur eine Dimension, es sind seine Schlagwörter, aber weder meine noch die der IG Medien. Dass die Verteidigung des Urheberrechts in jedem Fall dem e-commerce-Geschäft nützt, ist barer Unsinn. Es haben viele Medienunternehmen unter der restriktiven Auslegung des Urheberrechts (wie zuletzt durch den BGH) finanziell zu leiden wie andere davon profitieren. Ein Anruf bei dem Urheberrechtsspezialisten der IG Medien (leider residiert er nun mal beim Hauptvorstand) hätte genügt. Dass sich über das Urheberrecht gänzlich unterschiedliche Interessenlagen auch bei den Lohnabhängigen herstellen, ist eine Binsenwahrheit. Nur, das kann auch nicht mit einer rhetorischen Floskel umschifft werden.

"Verbesserung der Lage am Arbeitsplatz" und danach "Ende", kritisiert Helmut die Gewerkschaft. Dass aber die Widersprüche erst zunehmen, wenn wir einmal über dieses "Ende" hinauskommen könnten, macht er überhaupt nicht zum Thema. Die bloße Umkehrung, nämlich den Abbau von Arbeits- als Einkommensplätzen aus ökologisch-antimilitaristischen Gründen zu begrüßen, hat es schon gegeben. Helmut will ich sie nicht unterstellen. Aber die Versuche, eine Kritik der Produktion und der Produkte mit einer "Verbesserung der Lage", nicht nur am Arbeitsplatz, zusammen zu bringen, hat es außerhalb wie innerhalb der Gewerkschaften gegeben. Dabei waren wenige Gewerkschaften auch für Ansätze einer radikal-demokratischen Öffentlichkeit so "durchlässig" wie die IG Medien, früher die IG Druck und Papier. Dass derartige Ansätze heute marginalisiert sind, kann man schlecht dem Hauptvorstand oder den Aktiven vorwerfen. Helmut kompensiert unsere eigene Schwäche mit einer Sündenbock-Konstruktion, und das ist schon der Form nach eine üble Angelegenheit. Es ist Ressentiment.

Lässt sich all das zum Positiven wenden? Vielleicht, aber dafür sollte man solche Kommentare erst einmal aus dem Gedächtnis streichen. Oder aber, wir rücken dem Irrtum zu Leibe, die Produzenten-Ideologie glatt umzukehren, anstatt sie aufzulösen. In der bloßen Umkehrung werden, eher populistisch als populär, die Lohnarbeiter auf den Werften zu "Schiffbauern", die MedienarbeiterInnen zu "Medienschafftenden" und JournalistInnen zu "Meiungsmachern". Alles "Macher", aber was sie ernsthaft jeden Tag verrichten, ist Arbeit. Und diese Arbeit ist, zusammen genommen, gesellschaftliche Arbeit, das einzelne "Produkt" gehört selbst der Ideologie an, wonach die Lohnarbeitenden auch die "Schaffenden" sind. Sie sind nicht verantwortlich für die einzelnen Resultate der Anwendung ihrer Arbeitskraft durch Fremde. Verantwortlich sind sie, im gesellschaftlichen Sinne, für alles, was in dieser Gesellschaft hervorgebracht wird und was sie real verändern können.

Der Ökobauer hat mit der Panzerwannenproduktion auf norddeutschen Werften ebenso viel zu tun wie der Werftarbeiter und die Mitgliedschaft der IG Chemie hat ebenso viel über die Medienlandschaft mitzubestimmen wie der Vorstand eines Journalistenverbandes. Wenn Helmut dem zustimmt (und das nehme ich an), und wenn er etwa in dieser Richtung argumentieren wollte (was ich hoffe), dann frage ich mich, warum er es nicht getan hat. Statt dessen denunziert er selbst die Wenigen, die sich in seiner Richtung praktisch bewegen. Ich verteidige nicht den Hauptvorstand der IG Medien, das können dessen Mitglieder selbst tun. Mir liegt allerdings viel daran, dass die Kritik an der Gewerkschaftspolitik, ob sie nun von innen oder außen kommt, weiterhin ernst genommen werden kann.

Martin Dieckmann

 


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