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Updated: 18.12.2012 16:00
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Einheitsware Öffentlichkeit?

Ein Gespräch über die Krise im Blätterwald und den Arbeitskampf bei der FR

Die »gute alte Tante« Rundschau kreiselt vor sich hin, unübersehbar auf der Suche nach Konzept und Profil, das ihr aus der Krise helfen könnte: Geneigte LeserInnen bedauern den sinkenden Umfang eigenständiger Recherche in der FR und befürchten, dass ihr »Alleinstellungsmerkmal« als linksliberale Tageszeitung im Zuge der immer kurzlebigeren >Modellwechsel< verloren gehen könnte, frei nach dem Motto: mehr Luft - weniger Text = weniger Substanz. Neue Nahrung erhielten diese Befürchtungen durch den Eigentümerwechsel vor einem halben Jahr: Bereits 2003 hatte die Hessische CDU-Landesregierung der tief in den roten Zahlen steckenden FR mit einer Landesbürgschaft geholfen. 2004 übernahm die sozialdemokratische Medienholding DDVG 90 Prozent der Anteile am Druck- und Verlagshaus, betrachtete dies jedoch immer nur als vorübergehende Lösung. 2006 stieg schließlich der DuMont-Verlag (MDS) mit 50 Prozent der Anteile plus einer Stimme ein.

Zwischen 2001 und 2006 wurde bei der FR alles Mögliche ausprobiert, um der Zeitung neue Leserkreise zu erschließen und zugleich Kosten zu sparen, und: 900 von 1650 Arbeitsplätzen wurden abgebaut. Zuletzt wurde - noch unter DDVG-Ägide - der Chefredakteur Wolfgang Storz gegen Uwe Vorkötter ausgetauscht, der der Rundschau zum Einstand einen »Hang zur Schwermut« attestierte und sie eine »Zeitung für Melancholiker« nannte. Das soll sich ändern, u.a. durch einen Umbau der Redaktion und eine Umstellung auf das in Bussen und Bahnen besser »handlebare« Tabloid-Format, das nur etwa halb so groß wie das jetzige ist. Darüber hinaus hat der neue Mehrheitseigner über seinen Geschäftsführer Karlheinz Kroke ankündigen lassen, dass weitere 200 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen, davon 120 echte Entlassungen.

Über die Hintergründe der Krise und die Frage, welche Auswirkungen der Stellenabbau und die geplanten redaktionellen Umstellungen auf die Arbeitsbedingungen und letztlich die Qualität der FR haben werden, sprachen wir mit Betriebsräten bzw. Vertrauensleuten der FR aus der technischen Redaktion und dem Druckbereich. Seit Wochen hatten sie neue Arbeitskampfformen in und mit einer Belegschaft erprobt, die traditionell, wie schon zu IG Medien-Zeiten, durch die Spaltung zwischen Druck- und Redaktionsbereich geprägt ist. Sie luden Kollegen von der streikerfahrenen Ostseezeitung ein, organisierten - wie bei Alstom - Betriebsversammlungen, die dann vertagt wurden, streuten - wie die Stuttgarter Kollegen - »rote Karten« gegen Entlassungen u.v.m. Ziel dieser Aktionen war: streikfähig zu werden. Die Belegschaft war gerade dabei, überhaupt zu einer Belegschaft zu werden und sich mit dem Gedanken an einen Streik vertraut zu machen, als zu Redaktionsschluss des express die Nachricht durchsickerte, dass es nun doch, ohne Streik, zu einem Interessenausgleich kommen wird. Eine Einigung sei, wie die FAZ am 28. Dezember schreibt, unterschriftsreif, doch berieten die Vertreter der Arbeitnehmer noch, ob sie die Einigung annähmen. Dafür hätten sie bis zum 19. Januar Zeit: »Dem Vernehmen nach ist die Geschäftsführung von ihrer Forderung, zweihundert Stellen abzubauen, nicht abgerückt. Doch wird darum gerungen, dass dies nicht mit rund hundert betriebsbedingten Kündigungen verbunden ist. Durch sogenannte »Fluktuationsanreize« für Mitarbeiter, die aus dem Verlag ausscheiden oder in vorzeitigen Ruhestand gehen, soll die Zahl der Kündigungen reduziert werden. (...) Eingerichtet werden soll für die Dauer eines Jahres eine Transfergesellschaft, die gekündigte Mitarbeiter übernimmt.« Mehr darüber in der nächsten Ausgabe.

Die Frankfurter Rundschau schreibt rote Zahlen, und ihr neuer Inhaber hat im Anschluss an seine Vorgänger weitere drastische Sparmaßnahmen einschließlich Personalabbau angekündigt. Doch die großen Verlage wie Holtzbrinck und Springer melden Rekordgewinne und entlassen ebenfalls Personal. Inwieweit ist die Rede von »hausgemachten Problemen«, die vom Management angeführt wurde, berechtigt, inwieweit handelt es sich um allgemeine Umbrüche der Branche?

Es gibt sowohl die Dimension hausgemachter Probleme als auch Veränderungen in der Struktur der Medienlandschaft: Bereits vor der Übernahme durch DuMont Schauberg, der übrigens in den beiden vergangenen Jahren auch sehr gute Gewinne verbuchen konnte, war klar, dass die FR über die Verkaufserlöse keine Gewinne mehr erzielt. Das hängt zum einen mit der allgemeinen wirtschaftlichen Krise zusammen, die sich über den Geldbeutel der Leute auch auf die Abo- und Auflagenhöhe ausgewirkt, insbesondere aber im Anzeigengeschäft niedergeschlagen hat. Angeblich hat sie allein im letzten Jahr rund 5000 Exemplare täglich weniger als noch im Vorjahr verkauft. Im Jahr 2000 hatte die FR noch eine Auflage von rund 180000 Exemplaren, heute sind es noch etwa 150000. Damals galt als Faustformel: Rund ein Drittel der Erlöse kommen aus dem Verkauf, zwei Drittel aus dem Anzeigengeschäft. Heute ist das Verhältnis etwa 50 : 50. Die FR hatte früher ja einen teilweise 100 Seiten starken Anzeigenteil allein für den Bereich Stellenmarkt. Der ist heute fast komplett weggebrochen. Zum anderen haben die Printmedien insgesamt Leser an den Online-Bereich verloren, ohne dass der Internet-Auftritt der FR schon so professionell wäre, dass hierdurch eine Kompensation der Einnahmenverluste absehbar wäre.

Darüber hinaus gilt die Produktion der FR als besonders personalintensiv, und zwar sowohl im Verlag als auch in der Redaktion. Das jedenfalls hatte ein Wirtschaftsprüfer in seinem Gutachten festgestellt.

Wie soll das noch aus DDVG-Zeiten stammende Sparkonzept, das doch eigentlich dieses Jahr schon zu schwarzen Zahlen hätte führen sollen, jetzt aber unter dem Titel »Offensive 08« verlängert worden ist, denn unter dem neuen Eigentümer umgesetzt werden? Und wie passt der angekündigte Personalabbau zu der Äußerung von Geschäftsführer Karlheinz Kroke, dass er neue Mitarbeiter einstellen wolle? Kroke ist sonst eher als großer Verfechter des Outsourcings und der sog. »Redakteurs-Feuerwehr«, d.h. auf freiberuflicher Basis arbeitender fliegender Journalisten, die am besten mehrere Zeitungen gleichzeitig bedienen und »unternehmerisch denken« müssen, bekannt.

Kroke will Leute entlassen, die, so wörtlich, »dem Verlag nicht weiter helfen«. Dafür will er jüngere, neue Leute einstellen. Das zielt auf Arbeitsverdichtung und Lohnsenkung, und zwar auf Basis neuer Entgeltbedingungen. Es ist jetzt schon so, dass es verschiedene Tarife für verschiedene Mitarbeitergruppen gibt: So arbeitet die alte Redaktion zwar noch auf Basis eines Haustarifvertrags, der bis Ende 2007 die Einheit von Druck- und Verlagshaus sichern und weitere betriebsbedingte Kündigungen ausschließen soll. Nebenbei: Diesem Haustarif sind massive Personalkürzungen voran gegangen, und er beinhaltet im Vergleich zum Flächentarifvertrag erhebliche Einkommensverluste für die Belegschaft: befristete Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Abschaffung der übertariflichen Leistungen - das dürften insgesamt rund 30 Mio. Euro bzw. 15 bis 20 Prozent des Jahreseinkommens pro Beschäftigtem gewesen sein.

Unabhängig von diesem Haustarif werden neue MitarbeiterInnen für bestimmte Ressorts, befristet auf zwei Jahre, sowieso in einer eigenen Gesellschaft namens PDF eingestellt und bekommen dort eine Art Leiharbeitertarif in Lohngruppe 4 bzw. 5. Kroke hat bereits erklärt, dass die größte Kostenersparnis durch Outsour-cing zu erwarten ist, wenn die Verträge der alten Mitarbeiter auslaufen und durch neue ersetzt werden.

Der Personalabbau betrifft aber nicht nur den Redaktionsbereich, wo 15 Arbeitsplätze ersetzt werden. 40 Leute sollen im technischen bzw. Druckbereich gehen. In der Anzeigenabteilung stehen 28 Arbeitsplätze zur Disposition, der Verkauf soll über Handelsvertreter bestritten werden. Rechnungswesen, Innendienst, Verwaltung und Gebäudemanagement sollen ebenfalls outgesourct werden. Insgesamt wurden Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe angekündigt.

Wir gehen davon aus, dass DuMont Schauberg sich neben Personalabbau und Outsourcing Einspareffekte auch durch Konzentrationsprozesse im technischen Bereich und im Korrespondentennetz erhofft. DuMont hat Überkapazitäten und sucht nach »Synergien«. Wozu braucht die FR noch eigene Bildbearbeiter, wenn die Kölner schon welche haben?

Die Rundschau als überregionales Blatt, das zugleich eine relativ weite regionale Verbreitung hat, ist für ihn nicht nur eine Möglichkeit, seine Produktionskapazitäten zu nutzen, sondern auch einen Fuß in das Rhein-Main-Gebiet zu bekommen. Damit wird dann auch das Thema Regionalredaktionen interessant, die - auch nach Ansicht des neuen Chefredakteurs - völlig neu strukturiert werden sollen. Bislang gibt es fünf selbstständige Regionalredaktionen, künftig soll es drei größere Teilregionen mit mehr freien und weniger fest angestellten Redakteuren geben.

Noch ist aber unklar, ob solche neuen Konzepte wie der »Newsdesk« geplant sind. Diese bestehen im Extremfall aus freien Journalisten, die fix und fertige Seiten inclusive Anzeigen abliefern und diese am besten noch mehrfach verwerten, indem sie die redaktionellen Beiträge mehreren Zeitungen anbieten. Wenn sich solche Modelle durchsetzen, wäre mit Sicherheit mehr Konformismus in der Berichterstattung zu erwarten.

Damit wären wir beim Thema »Qualität«. Welche Auswirkungen haben die Sparmaßnahmen, zu denen ja auch die Umstellung auf das Tabloid-Format gehört, das nur etwa halb so groß ist wie die jetzige FR, auf die viel zitierte Identität der Rundschau?

Die Hoffnung der Geschäftsführung und der Chefredaktion bei der Format-Umstellung ist, dass die FR, wenn sie sich jetzt zu diesem Schritt entschließen würde, »Definitionsmacht« gewänne: Das ganze Spektrum von der Setzung der Anzeigenpreise bis zur Artikel- und Seitengestaltung stünde ihr offen. Kurzum: Es geht um Konkurrenzvorteile. Wir denken dagegen, dass sich die Qualitätseinbußen, die notwendig mit dem Personalabbau einhergehen, im Tabloidformat besser verstecken lassen. Schauen wir uns doch mal die Welt kompakt an: Hier gibt es eine einzige Seite, die einen ganzseitigen Artikel enthält, der ganze Rest: kleinformatige Beiträge, die wenig Rechercheaufwand, aber auch wenig Inhalt bieten, aufgefüllt mit Meldungen der Agenturen.

Böse Zungen haben mal von einem »linksliberalen Boulevard« als Perspektive der FR gesprochen...

Kann dies dem Leserschwund entgegenwirken?

Unsere Erfahrung ist, dass neue Leser eher durch arbeits- und zeitaufwendige Umgestaltungen im Blatt gewonnen wurden, z.B. die Beilage »FR plus«, die verschiedene Formate rund um ein Thema beinhaltet und so einen gut lesbaren, abwechslungsreichen Überblick bietet. Genau diese Beilage könnte jetzt wieder eingestellt werden. Das gleiche gilt für Neuerungen wie die Infographiken rund ums Thema Wirtschaftspolitik, die nur dann nützlich sind, wenn sie in einem Kontext stehen, der auch mal Hintergründe erläutert. All das ist im Tabloid-Format so nicht mehr unterzubringen.

Gewerkschaften werden in solchen Auseinandersetzungen oft beschimpft, dass ihnen die qualitative Seite der Produktion egal sei. Das einzige, was zähle, seien Löhne und Arbeitsplätze. Spielen Aspekte wie das politische Profil der FR und die Qualität der Beiträge, d.h. ja auch die Arbeitsverhältnisse, die diese ermöglichen oder nicht, eine Rolle in Eurem Arbeitskampf? Welche Ziele verfolgt Ihr - und was will die Belegschaft?

Dazu muss man wissen, dass wir hier im Hause ein sehr enges Verhältnis von Belegschaft und Eigentümern hatten. Die »Kultur des Hauses« ist - von wenigen Ausnahmen abgesehen - beidseitig nicht von einem konfrontativen Stil geprägt. So gab es bislang noch nie die Situation wie jetzt, dass die Einigungsstelle angerufen werden sollte. Zudem stehen - obwohl viele Ältere bereits gegangen sind - große Teile der Belegschaft hinter dem Profil »ihrer« Zeitung, für was auch immer das heute noch steht bei den vielen unterschiedlichen Belegschaftsgruppen. Insgesamt ist die inhaltliche Ausrichtung der Rundschau bislang aber nur am Rande ein Thema in der aktuellen Auseinandersetzung.

ver.di geht es in der Auseinandersetzung zunächst darum, Zeit zu gewinnen. Die Anteils-Eigner DuMont und DDVG machen einen unheimlichen Druck, um das Sparkonzept noch dieses Jahr umzusetzen. Wir vermuten, dass es hier auch um finanzielle Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Verkauf geht.

Könnt Ihr nicht ohnehin auf Zeit spielen und so auch die Belegschaft stärker einbeziehen, wenn der Haustarif noch bis Ende 2007 gilt?

Der Haustarifvertrag gilt zwar noch bis Ende 2007, ist aber kein Grund, sich zurückzulehnen und die Hände in den Schoß zu legen. Der Haus-Tarif beinhaltet eine Öffnungsklausel, die den Betriebsrat 2006 zwang, sich auf Verhandlungen über eine Betriebsänderung einzulassen. Wenn wir überhaupt etwas erreichen wollen, müssen wir mit der Belegschaft noch viel diskutieren, damit diese überhaupt kampffähig wird. Deshalb stehen wir als Vertrauensleute und Betriebsräte voll hinter der Moratoriums-Forderung von ver.di. D.h., uns geht es zunächst darum, die vorschnelle Beendigung in Form einer Einigungsstelle zu verhindern, in der die Belegschaft überhaupt nicht zu Wort gekommen wäre. Ohne Druck aus der Belegschaft durch die vielen Aktionen hätten wir das nicht geschafft. Am Anfang standen wir hier zwar mit drei Leuten vor dem Rundschau-Haus, aber im Laufe der Wochen beteiligten sich immer mehr Beschäftigte an unseren Mahnwachen, an den Luftballon-Aktionen, an der Aktion mit den 120 Grabkerzen, bis hin zu Warnstreiks während der Arbeitszeit - und zwar quer durch die Belegschaft. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass es nicht nur die Drucker betrifft, sondern eben auch Redakteure, Vertrieb, Anzeigenakquisition usw. Da hat man Leute im Gespräch gesehen, die sich sonst nicht begegnen würden.

Eher bescheiden war dagegen die gewerkschaftliche und die öffentliche Unterstützung: Bis auf einzelne Besuche von ver.di-Vertretern - von den übrigen Gewerkschaften war niemand da - oder von Studierenden gab es von dieser Seite wenig Unterstützung, eher schon durch etwa 30 LeserInnen, die uns geschrieben oder uns besucht haben und durch die Gewerkschaftslinke, mit der wir Veranstaltungen organisiert haben. Sehr gefreut hat uns allerdings der Besuch unseres Kollegen von der Ostseezeitung, Robert Haberer, der seine Zitronen-T-Shirts mitbrachte (»Wir lassen uns nicht auspressen«) und auf einer unserer Betriebsversammlungen von dem Kampf gegen die Rationalisierungskündigungen bei der Ostseezeitung berichtete.

Wenn wir ein bisschen Zeit hätten, würde es uns sicher gelingen, dass für die Belegschaft mehr als ein Einigungsstellenspruch heraus kommt. Forderungen für einen Sozialtarifvertrag hat ver.di gestellt - insofern könnten wir sogar streiken.

Das Gespräch zwischen Kirsten Huckenbeck, Rainer-Maria Kalitzky und Lothar Birzer fand am 16. Dezember 2006 statt.

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/06


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