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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Mantel verteidigt – Reallohn verloren Zur Tarifauseinandersetzung in der Druckindustrie und bei den Zeitungsverlagen Für die Druckindustrie hat es Ende Juni eine Tarifeinigung gegeben. Trotz einer Welle von Arbeitskampf- und Protestmaßnahmen mutet das materielle Ergebnis eher bescheiden an. Bei einer Laufzeit von 33 Monaten (!) wurden Einkommenssteigerungen vereinbart, die nicht einmal die aktuelle Preissteigerungsrate ausgleichen. Angriffe auf die im Manteltarifvertrag geregelten Arbeitsbedingungen konnten allerdings abgewehrt werden. Für die Verlagsangestellten und die Redakteure der Tageszeitungen ist die Tarifauseinandersetzung jedoch noch nicht beendet. Bei den Redakteuren sollen in den nächsten Wochen regional Urabstimmungen durchgeführt werden, die bislang in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sehr hohe Zustimmungswerte für unbefristete Streiks ergeben haben. Über Erfahrungen, Probleme und Perspektiven dieser Tarifauseinandersetzungen haben wir mit dem Gewerkschafter Rainer Butenschön gesprochen. Er ist Redakteur, Vize-Vorsitzender des Konzernbetriebsrates der Mediengruppe Madsack (Hannoversche Allgemeine Zeitung, Leipziger Volkszeitung, Lübecker Nachrichten u.a.) und Mitglied im Bundesfachbereichsvorstand Medien, Kunst und Industrie bei ver.di. express: Wie bewertest Du das Tarifergebnis in der Druckindustrie? Ist die Zustimmung in den Betrieben da? R.B.: In den Betrieben gibt es erstaunlich wenig Kritik und überwiegend zähneknirschende Zustimmung. Als entscheidender Erfolg wird gesehen, dass es dank mehrerer Warnstreik-Wellen gelungen ist, den von den Arbeitgebern gekündigten Manteltarifvertrag wieder vollständig in Kraft zu setzen. Dafür wird der sehr schlechte Lohnabschluss notgedrungen akzeptiert, obwohl dieser für die nächsten 33 Monate nicht einmal die Reallöhne sichert. Auch wird in Kauf genommen, dass eigene Forderungen nach einer tariflichen Altersteilzeitregelung und nach Gleichstellung von Leiharbeitern nicht durchgesetzt werden konnten. Letzteres ist besonders bitter, da etliche Arbeitgeber dabei sind, in ihren Unternehmen die Branchentarife mit dem Dauereinsatz von Leiharbeitern abzuwickeln. express: Warum wird die Sicherung des Manteltarifvertrages so hoch bewertet? R.B.: Dieses Tarifwerk ist von den Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen Jahrzehnten mit sehr harten und langen Arbeitskämpfen erstritten und von den Unternehmern lange Zeit komplett zur Disposition gestellt worden. Dabei ging es u.a. um die den Unternehmern besonders verhasste 35-Stunden-Woche, um sechs Wochen Urlaub für alle, um die Besetzung der Druckmaschinen mit Fachkräften und nicht zuletzt um die Zuschläge für Schicht- und Sonntagsdienste, die in erheblichem Maße das Einkommen der Beschäftigten in der Druckindustrie und den technischen Abteilungen der Zeitungsverlage bestimmen. Hätten die Unternehmer sich mit ihrer Forderung nach Arbeitszeitverlängerung auf 40-Wochenstunden bei vollem Lohnverlust durchgesetzt, wären angesichts der Produktivitätsentwicklung Entlassungen die Folge gewesen. express: Schon heute gibt es in der Druckindustrie einen großen Abbau an Arbeitsplätzen... R.B.: Die Branche befindet sich seit Jahren in einer Strukturkrise mit Überkapazitäten und einem zum Teil ruinösen Preiskampf. Seit 2008 wurde mehr als jeder siebte Arbeitsplatz abgebaut – insgesamt rund 9000 Arbeitsplätze in den größeren Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten. Etliche Betriebe sind durch Fusionen, Betriebsstilllegungen und Insolvenzen ganz verschwunden. Vor diesem Hintergrund hat es nicht überrascht, dass die Tarifbewegung überwiegend von den Beschäftigten der Zeitungsverlage und der Zeitungsdruckereien getragen worden ist. express: Drucker, Redakteure und Verlagsangestellte haben gemeinsame Aktionen durchgeführt. Hat es nach Deiner Beobachtung bei diesen Aktionen eine neue Qualität von Solidarität über diese unterschiedlichen Berufsgruppen hinweg gegeben? R.B.: In den Printmedien gibt es eine historisch gewachsene Besonderheit: Die aus anderen Betrieben bekannte Regel – ein Betrieb, ein Tarifvertrag für alle – gilt hier seit Jahr und Tag nicht. In einem Zeitungsverlag mit angeschlossener Druckerei gibt es drei Großgruppen, drei unterschiedliche Kulturen von Beschäftigten, deren Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in jeweils eigenständigen Tarifverträgen mit unterschiedlichen Laufzeiten fixiert sind. Da gibt es die Beschäftigten der Technik in Druckerei und Versand, über deren Tarifverträge wir oben geredet haben. Da gibt es die Redakteurinnen und Redakteure, deren völlig eigenständige Tarifverträge ebenfalls bundesweit verhandelt werden. Und dann gibt es die Angestellten in den Verlagsabteilungen wie Anzeigenverkauf, Zeitungsvertrieb, Personal und Finanzen, deren Tarifverträge nicht bundesweit, sondern regional verhandelt werden. Zeitlich war es dieses Mal so, dass in fast allen Regionen alle drei Gruppen zusammen agieren konnten und dies auch eindrucksvoll gemeinsam getan haben. Das Motto hieß: Jeder für sich und alle gemeinsam! Hier wurde erstmals das Prinzip der Mediengewerkschaft im Arbeitskampf wirklich gelebt. Aus diesen gemeinsamen Streiks und Demonstrationen hat sich eine besondere Dynamik, zusätzliche Kraft, neues Selbstbewusstsein und ein besseres Verständnis unter- und füreinander entwickelt. Manche Scheuklappe wurde abgelegt. Erstmals haben sich – eindrucksvoll vor allem in Süddeutschland – auch die Redakteurinnen und Redakteure in großer Zahl in die gemeinsame Solidarität mit den anderen Beschäftigtengruppen eingereiht. Zu hoffen ist, dass damit endlich Bewusstsein dafür geweckt wurde, dass diese Dreiteilung uns schwächt, dass wir entschieden an ihrer Überwindung arbeiten müssen. Das wird nicht zuletzt auch deshalb schwer, weil im Redakteursbereich nicht nur ver.di mit der Deutschen Journalistinnen und Journalistenunion (dju) agiert, sondern auch der in Teilen berufsständische Deutsche Journalisten-Verband (DJV). express: Warum war es nicht möglich, die gemeinsamen Aktionen weiter fortzuführen? R.B.: Die Einschätzung im Tarifbereich Druck war und ist, dass mehr als das Erreichte nicht zu erreichen sein würde. Das muss nicht unbedingt heißen, dass es keine weiteren gemeinsamen Aktionen mehr gibt. Solidaritätsstreiks der Technik sind denkbar, es hat sie auch schon in früheren Tarifbewegungen vereinzelt gegeben. Zu hoffen ist, dass der Druck-Tarifabschluss den Unternehmern vor Augen geführt hat, dass es in der Wochenarbeitszeit auch bei Redakteuren und Angestellten kein Roll-Back zur 40-Stunden-Woche geben wird. Sicher ist dies aber nicht. Die Hoffnung, im Anschluss an den Drucktarif auch im Redakteursbereich schnell zu einem Tarifkompromiss zu kommen, hat sich nicht erfüllt. Die Medienunternehmer setzen erkennbar auf das Prinzip »Teile und Herrsche«. ver.di und DJV sind deshalb mit Urabstimmungen dabei, die Voraussetzungen für unbefristete Streiks zu schaffen. Dabei wird es auch darum gehen müssen, eine von den Unternehmern angestrebte Regionalisierung der Verhandlungen zu verhindern. express: Was sind die Streitpunkte in den andauernden Tarifkonflikten der Redakteure und der Verlagsangestellten? R.B.: Da die Tarife der Verlagsangestellten regional verhandelt werden, ist die Lage dort unübersichtlich und unterschiedlich. In Niedersachsen ist es so, dass die Verlagsangestellten seit drei Jahren keine Gehaltserhöhung bekommen haben. Die dortigen Medienunternehmer machen die Gehaltsfrage abhängig von der Zustimmung der Gewerkschaft zu einem Manteltarifvertrag II, dem ver.di sich aber verweigert. Ein solcher MTV II soll nach dem Willen der Unternehmer die Arbeitsbedingungen neu eingestellter junger Kolleginnen und Kollegen drastisch verschlechtern, etwa deren Wochenarbeitszeit unbezahlt auf 40 Stunden verlängern. ver.di steht aber zur Solidarität zwischen Jung und Alt. Das Problem ist, dass die Aktionsfähigkeit der Angestellten fast nur in den größeren Verlagen in Braunschweig, Hannover und Bremen entwickelt ist. Prekäre Formen der Beschäftigung wirken stark disziplinierend. express: Und worum wird bei den RedakteurInnen gestritten? R.B.: Hauptstreitpunkt ist auch hier die Forderung der Unternehmer nach einem Tarifwerk II für Jung-RedakteurInnen. Deren Tarife sollen materiell um rund 25 Prozent abgesenkt werden. Zusätzlich soll für alle das Urlaubsgeld – rund fünf Prozent des Gehaltes – gestrichen werden. Die Unternehmer verweisen dabei auf die seit Jahren chronisch um rund zwei Prozent jährlich sinkenden Auflagen der Tageszeitungen und auf Umsatzverluste bei Anzeigen, die sie jedoch durch Vertriebspreiserhöhungen bisher in der Regel gut ausgeglichen haben. Die Redakteure halten dagegen, wissend, dass die Medienunternehmer auf journalistische Inhalte angewiesen sind und dass ihre Arbeit nur in engen Grenzen rationalisierbar ist, prekäre Beschäftigungsformen aber noch ausgeweitet werden können. express: Auch wenn mit den Urabstimmungen der Zeitungsredakteure diese Tarifrunde eine Zuspitzung erfährt – welche Erfahrungen und Schlussfolgerungen lassen sich Deiner Meinung nach aus dem bisherigen Verlauf der Tarifauseinandersetzung für die Zukunft ziehen? R.B.: Zum wiederholten Male ist die 35-Stunden-Woche in der Druckindustrie erfolgreich verteidigt worden. Erneut haben die Beschäftigten dafür einen hohen Preis bezahlt. Ein weiteres Mal wird dies so nicht gelingen, da die Reallohnverluste schon heute inakzeptabel sind und da angesichts der Produktivitätsentwicklung schon heute eigentlich eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden oder weniger notwendig wäre. Eine Branche allein kann diese notwendige Verknappung der Ware Arbeitskraft nicht durchsetzen. Wichtig ist deshalb, dass die Gewerkschaften gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Kräften in der Arbeitszeitfrage einen neuen tarifpolitischen Aufbruch organisieren und wie beim Mindestlohn auch den Gesetzgeber mit in die Pflicht zu nehmen versuchen. Über mehrere Jahrzehnte wurden Tarifauseinandersetzungen im Printbereich von den gut organisierten technischen Abteilungen entschieden. Deren Bedeutung und Einfluss ist aber seit Erfindung des Computers und der Abschaffung der Setzer kontinuierlich gesunken. Diese Entwicklung geht weiter. Sie wird an Dynamik gewinnen, je mehr journalistische Inhalte über neue digitale Vertriebswege (Smartphones, Tablett-Computer) verkauft werden. Gewerkschaftlich wird es deshalb darauf ankommen, Organisationsgrad und Kampfkraft in den technischen Abteilungen zu erhalten – was im Rahmen einer 33 Monate währenden Friedenspflicht nicht leicht fallen wird. Vor allem aber werden die organisierenden Anstrengungen im Angestellten- und Redakteursbereich erhöht werden müssen. Dort, wo um Haustarifverträge gerungen wird, sollte mit Nachdruck auch versucht werden, die unselige tarifpolitische Dreiteilung zu überwinden. Ein erster Schritt wäre ein gemeinsamer Verlagstarif für Redakteure und Verlagsangestellte, der jedoch insbesondere beim DJV auf ideologische Vorbehalte trifft.
Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 7/11 express im Netz unter: www.express-afp.info , www.labournet.de/express |