In Karlsruhe verhandeln derzeit der Sanitätsdienst der Bundeswehr und die Leitung des Städtischen Klinikums über eine Kooperation, von der ganz offensichtlich die Bundeswehr den entscheidenden Vorteil haben wird. Sie reduziert die Kosten ihres Sanitätsdienstes zugunsten der Ausrüstung von Kampfverbänden und verbessert ihre Personalsituation. Mit 10 weiteren Kliniken (wir wissen von Sindelfingen und Tübingen) sind angeblich bereits Kooperationsverträge abgeschlossen und mit etwa 50 weiteren sind solche geplant Die Militarisierung der Gesellschaft wird weiter vorangetrieben. Inzwischen regt sich Widerstand, weil friedenspolitisch hellhörige GewerkschafterInnen Öffentlichkeit hergestellt haben über die Vorgänge.
Die Bundeswehr bereitet sich auf Kriegseinsätze ausserhalb des NATO-Gebietes vor. Dazu gehören neue Waffen und neue Ausrüstung ebenso wie der entsprechende Sanitätsdienst. An den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm und Koblenz wurden daher bereits zwei verlegbare sog. „Krisenreaktionskräfte-Lazarette“, also Lazarette für den Kriegseinsatz, mit einer Kapazität von jeweils 200 Betten aufgestellt. Zwei weitere sollen demnächst folgen. Die Bundeswehrführung rechnet sich aus, daß sie eine Truppe von 5.000 Soldaten „in einem Einsatz mit hoher Gefährdung“ (auf deutsch: Kampfeinsatz) medizinisch versorgen kann. Ihr Problem ist aber die Anzahl „voll ausgebildeter Allgemein- und Fachärzte sowie des fachlichen Unterstützungspersonals“. Durch Abstellung von Personal für Bundeswehreinsätze z.B. im Kosovo oder in Bosnien kam es schon in der Vergangenheit zu Engpässen und bei weiteren Auslandseinsätzen wird sich die Situation verschärfen, zumal die Bundeswehr ihre Mittel lieber in Waffenprojekte investiert. Deshalb wird die „ergänzende Nutzung des zivilen Gesundheitswesens“ (Bestandsaufnahme des Verteidigungs-ministeriums 1999) angestrebt.
Der Inspekteur des BW-Sanitätsdienstes, Generaloberstabsarzt Demmer wünscht sich die weitgehende Durchmischung von zivilen und militärischen Einrichtungen. Wenn Ärzte und Personal aus den Bundeswehrkrankenhäusern also den Eingreiftruppen in ihren Einsatz folgen, sollen sie durch Personal aus dem zivilen Gesundheitswesen ersetzt werden. Die Sanitätssoldaten der „Krisen-reaktions“-truppen sollen durch Zusammenarbeit in Teams in zivilen Kliniken in Übung gehalten werden. Generaloberstabsarzt Demmer spricht vom „Ausbildungsprofit“, den sich die Bundeswehr erhofft. Den kooperationswilligen Kliniken werden die Soldaten dagegen als „zusätzliches Personal“ offeriert.
Sicher ist, dass zusätzliches Personal in den Krankenhäusern dringend benötigt wird. Ziel der „Kooperationen“ ist aber, das der Bundeswehr geholfen werden soll ihre Aufgaben zu erfüllen.
Die Bundeswehr will also Sanitätseinheiten im Klinikum aus- und weiterbilden lassen! Jeder, der schon einmal an einem Seminar oder einer Schulung teilgenommen hat, weiß: Ausbildung ist teuer. Theorie- und Praxisanleiter müssen zur Verfügung stehen und bezahlt werden. Die Sanitätseinheiten der Bundeswehr werden die angespannte Personalsituation mittel- und langfristig nicht verbessern, sondern in vielen Bereichen eher verschärfen, denn: Sind sie erst aus- und weitergebildet, gehen sie zurück in ihr Bundeswehrkrankenhaus oder werden zu Auslands-(Kriegs-)einsätzen abkommandiert.
Außerdem wird es Beschäftigte geben, die Probleme damit haben, Militärpersonal auszubilden, das mit diesem neu erworbenen Wissen, Kriegsmedizin ausüben wird. So arbeiten z.B. in fast allen Bereichen des Klinikums Ärzte und Pfleger, die den Kriegsdienst verweigert haben.
Assistenzärzte, die sich in der Fachausbildung befinden, befürchten, daß sich ihre ohnehin schon lange Ausbildungszeit (Chirurgie und Innere Medizin 6 Jahre) noch verlängern wird. Sie müssen anspruchs-volle Anforderungskataloge erfüllen (z.B. bestimmte Anzahlen von verschiedenen Operationen und Untersuchungen), bevor sie zur Facharztprüfung zugelassen werden.
Setzt, wie geplant, die Bundeswehr ganze „Teams“ von Militärärzten und Sanitätern zur Aus- und Weiter-bildung ein, haben die Mitarbeiter des Klinikums das Nachsehen, weil sie noch länger brauchen um die Anforderungskataloge zu füllen.
Damit nicht genug:
Der wohl brisanteste Teil des Kooperationsvertrags beinhaltet, daß bei „Personalengpässen“ (3) in den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm und Koblenz, das Städtische Klinikum bereits voll ausgebildete Fachärzte und Fachpersonal an diese Häuser abordnet, oder diese gar „unter Bundeswehrkommando und in Uniform – im Ausland für die Bundeswehr tätig“ (1) werden sollen.
Der erste Vertragsentwurf der Bundeswehr sah vor, dies als Bestandteil der Arbeitsverträge der Beschäftigten zu formulieren. Nach heftigen Protesten des Betriebsrates spricht die Geschäftsführung zwar von Freiwilligkeit, macht aber unmissverständlich deutlich, daß spätestens bei Neueinstellungen oder Vertrags-verlängerungen diese „Freiwilligkeit“ Voraussetzung für einen (neuen) Arbeitsvertrag werden wird. Schließlich „wollen wir die Bundeswehr in humanitären Einsätzen unterstützen“ (Prof.Dr. Daub, Geschäftsführer d. städt. Klinikums KA).
Warum startet die Bundeswehr gerade jetzt eine solche Offensive zur „Durchmischung“ , mit dem Ziel „Kooperationen“ mit zivilen Einrichtungen zu vereinbaren ?
Die Bundeswehr ist dabei, sich in eine Armee für weltweite Einsätze umzustrukturieren.
Seit den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“, die Volker Rühe am 26.11.92 erlassen hat, geht es weniger um die Verteidigung bundesdeutschen Territoriums, sondern in erster Linie um die Verfolgung „deutscher Interessen“, die z.B. in der „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ bestehen sollen.
Zwar kennt das Grundgesetz nur einen Zweck, der die Aufstellung und Aufrechterhaltung einer Armee rechtfertigen würde - das ist der Verteidigungsfall - dennoch wird seither mit Hochdruck die Bundeswehr zu einer internationalen Eingreiftruppe umgebaut.
Neben den sog. „Hauptverteidigungskräften“ wurden „Krisenreaktionskräfte“ in einer Stärke von mittlerweile 63.000 Soldaten aufgebaut, die zum größten Teil aus Zeit- und Berufssoldaten bestehen. Von dieser Berufsarmee innerhalb der Wehrpflichtarmee Bundeswehr wird verlangt, daß sie nicht mehr auf Kriegsverhinderung ausgerichtet ist, sondern daß sie tatsächlich Krieg führen kann.
Beispielhaft für diese Entwicklung ist die Aufstellung und Ausbildung des „Kommandos Spezialkräfte“ (KSK) in der Hermann-Hesse-Stadt Calw im Schwarzwald. Die Bundeswehr-Zeitschrift „Truppenpraxis“ schwärmt in ihrer Ausgabe vom November 1996 von den Aufgaben dieser Truppe: „Die Züge ... werden sich voneinander durch ihre Spezialisierung auf unterschiedliche Formen des Eindringens (Infiltration) in das gegnerische Gebiet unterscheiden. Der jeweils erste Zug wird spezialisiert auf das Eindringen zu Land, der zweite auf vertikales Eindringen aus der Luft. In den dritten Zügen werden die Spezialisten für amphibische Operationen zusammengefaßt, in den vierten Zügen die für den Kampf im Gebirge und unter arktischen Bedingungen.“
Die Veränderungen in der Bundeswehr sind so massiv, daß sie, wie der ehemalige Botschafter der Bundesrepublik in Italien und den Niederlanden in der „Zeit“ vom 8.11.96 schreibt, „politisch, militärisch und unter ethischen Gesichtspunkten die Qualität einer zweiten Wiederbewaffnung“ haben.
Eine öffentliche Debatte über diesen Umbau der Bundeswehr zum außenpolitischen Instrument hat es nie gegeben. Auch keine Abstimmung im Parlament. Und noch immer heißt es im Grundgesetz, Artikel 87a: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Zur Verteidigung, nicht für Einsätze in aller Welt, schon gar nicht für Angriffskriege wie gegen Jugoslawien.
Trotzdem hat Verteidigungsminister Scharping gerade die Aufstockung der sog. Krisenreaktionskräfte angeordnet und verlangt 20 Milliarden DM zusätzlich zum Rüstungsetat für die beschleunigte Neu-bewaffnung und -ausrüstung der Truppe.
Diese Umrüstung verschlingt Unsummen und sie wird künftig noch mehr kosten. Experten haben mindestens 215 Beschaffungsvorhaben in den Bundeswehrplänen ausgemacht - vom neuen Transportpanzer bis zum Marschflugkörper - mit einem Kostenvolumen von 192 Milliarden (!) DM in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.
Im Krieg gegen Jugoslawien hat sich gezeigt, dass wir es hier nicht mehr nur mit Planungen zu tun haben. Die Bundeswehr hat sich bereits an einem Krieg beteiligt. Einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg dazu. Einem Krieg, der v.a. gegen die zivile Infrastruktur Jugoslawiens, gegen Brücken, Elektrizitätswerke, Ölraffinerien, geführt wurde. Einem Krieg, der das Gesundheits- und Bildungswesen Jugoslawiens hart getroffen hat, der zynisch die Zivilbevölkerung als Zielscheibe genommen hat unter dem Vorwand, eine humanitäre Katastrophe ver-hindern zu wollen. Einem Krieg, der mit Splitter-bomben und Geschossen aus abgereichertem Uran geführt wurde; der das Ökosystem nachhaltig geschädigt hat. Der zynische Ausdruck „Kollateralschäden“, mit dem in NATO-Statements die Opfer der Bombenangriffe abgetan wurden, hat dieser Tage zurecht das Prädikat „Unwort des Jahres“ erhalten.
Und die Bundeswehr bereitet sich auf den nächsten Krieg vor. Auf dem Balkan, im Nahen Osten oder am Kaspischen Meer. Angesichts dessen ist die Aussage des Karlsruher SPD-Gemeinderates Dr. Heinrich Maul in der Gemeinderatssitzung vom 25.01.00 zur geplanten Zusammenarbeit Klinikum-Bundeswehr von geradezu entwaffnender Offenheit. Mit Bezug auf den NATO-Krieg gegen Jugoslawien und weitere Einsätze meinte er: „Wer die will, muß auch die Voraussetzungen schaffen, daß die Bundeswehr es auch kann.“ (BNN 26.01.00)
Wenn der Karlsruher Bürgermeister Eidenmüller die Bundeswehr mit „Ärzte ohne Grenzen“ gleichsetzt, um damit die Kooperation von Klinikum und Armee zu rechtfertigen, ist das mehr als demagogisch.
Die Bundeswehr ist eben keine humanitäre Hilfsorganisation, sondern eine Kampftruppe für Kriegseinsätze. Und die Aufgabe ihres Sanitätsdienstes ist nicht die Hilfe für Menschen in Not, sondern die Aufrecht-erhaltung der Kampfkraft der Truppe, die Verbesserung ihrer „Durchaltefähigkeit“ wie es im Militaristendeutsch heißt.
Insgesamt ist es erklärte Strategie des Verteidigungsministeriums, stärker zivile Ressourcen für die Bundeswehr zu erschließen. So schreitet die Militarisierung der Gesellschaft voran. Mitte Dezember 1999 wurde ein Rahmenabkommen mit der Industrie, Softwareunternehmen, Telekom und Großbanken abgeschlossen, das zum Ziel hat, daß die Bundes-wehr sich auf das Kämpfen konzentriert und Teile der Logistik, Ausbildung, Wartung, Bevorratung etc. zivilen Interessenten überlässt.
Wenn die Bundeswehr mit gebunkertem Überschuß-Material lockt, das im zivilen Gesundheitswesen natürlich dringend gebraucht würde, ist Vorsicht geboten. Die Truppe verschenkt nichts. Das kann schon an der Androhung Scharpings ermessen werden, „Leistungen, die von der Bundeswehr bisher unentgeltlich erbracht worden sind - z.B. im Rahmen der Katastrophenhilfe, auf sozialem und karitativem Gebiet ... - künftig nur noch gegen Bezahlung zu tätigen.“ (Erläuterungen zum Verteidigungshaushalt 2000)
Das Gesundheitswesen, die Kliniken brauchen dringend finanzielle Mittel, um ihre Arbeit auch in Zukunft optimal leisten zu können. Radikale Reduzierung des Rüstungshaushaltes und Einsatz der Gelder z.B. für das Gesundheitswesen wären das Gebot der Stunde. Bei der Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Menschen ausgerechnet auf die Bundeswehr zu setzen, wäre ein Irrweg. Auch wenn es manche nicht gern hören: Zweck des Gesundheitswesens ist es, Menschen zu heilen; Zweck des Militärs ist es, im Einsatz Menschen zu verletzen oder zu töten.
Die Verhandlungen zwischen Krankenhäusern und Bundeswehr müssen Gegenstand der öffentlichen Debatte werden, um weitere schritte zur Militarisierung zu verhindern !
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