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"Wer ist die Nummer Eins?"

Marktstrategien, Personalpolitik und Interessenvertretung bei Wal-Mart

Von Heiner Köhnen

"Warum für diese Produkte zu Aldi gehen? – Wir sind günstiger!!!" [1] – so führt sich der Einzelhandelskonzern Wal-Mart auf dem bundesdeutschen Markt ein und versucht damit Kunden zu gewinnen. Warum der so genannte "Preiskrieg", der die Gemüter vor allem der Einzelhandelsvertreter bewegte, bislang so erfolgreich ist, welche Geschäftspraktiken ihm zugrunde liegen und welchen "Preis" die Beschäftigten dafür bezahlen, dazu ist soeben eine Studie von Heiner Köhnen (TIE-Bildungswerk e.V.)* erschienen.

In Teil I seines Beitrags, einer für den express gekürzten und überarbeiteten Fassung der Studie, wird dabei das Kernelement der Strategie des Wal-Mart-Konzerns, die "vergemeinschaftende Personalpolitik" beleuchtet. Im zweiten Teil des Beitrags, der in der August-Ausgabe fortgesetzt wird, stehen die Auswirkungen der Gewerkschaftspolitik auf die Kommunen, die Beschäftigten in Ländern der sogenannten "3. Welt" und die Interessenvertretungen im Mittelpunkt.

Dem Einzelhandel in Deutschland steht ein neuer "Preiskrieg" bevor. Unter dem Namen "Smart Price" führte der US-amerikanische Einzelhandelsgigant Wal-Mart eine eigene Handelsmarke ein, deren Artikel billiger als vergleichbare Aldi- oder Lidl-Produkte sein sollen. Aldi senkte daraufhin ebenfalls die Preise und reagierte erstmals in großem Umfang direkt auf die Preisvorstöße der Konkurrenz. Wal-Mart bekräftigt mit dieser Kampagne seinen Ruf als Trendsetter: Trotz des noch relativ niedrigen Marktanteils in Deutschland scheint der Konzern dazu in der Lage, in Fragen der Preispolitik, der Hersteller/Zulieferer-Beziehungen und der Vertriebssysteme neue Standards zu setzen. Seit der US-amerikanische Einzelhandelsgigant durch die Übernahme der Wertkauf-Filialen und Intersparmärkte auf dem deutschen Markt Fuß gefasst hat, herrscht deshalb innerhalb der Branche große Unsicherheit. Fast alle Handelsunternehmen Deutschlands und Europas wurden bereits als Übernahmeobjekte mit Wal-Mart in Verbindung gebracht. Tatsächlich kann der Konzern mit spektakulären Unternehmensdaten, einem rasanten Wachstum und einem hohen Profit aufwarten. Wal-Mart ist mit über 1,1 Mio. Beschäftigten und einem Umsatz von 165 Mrd. US$ der mit Abstand größte Handelskonzern der Welt. Der Reingewinn von 5,4 Mrd. US$ im Geschäftsjahr 2000 [2] ist größer als der mehrerer konkurrierender Handels- und Supermarktketten zusammen. Seit 1987 hält Wal-Mart seinen Platz unter den ‘Top Ten-Unternehmen’ des New Yorker Wirtschaftsblattes Fortune. Das Vermögen der Waltons, der Gründerfamilie des Konzerns, wird heute mit 85 Mrd. US$ veranschlagt. Der Expansionsdrang des Konzerns gilt als ungebremst, seine Finanzkraft scheint schier unermesslich.

Entscheidender als die Frage, welches Unternehmen letztendlich den Preiskampf übersteht, ist für die Lohnabhängigen jedoch die, für welche Form der Arbeitspolitik ein Konzern wie Wal-Mart steht. In den USA gilt Wal-Mart als Vorreiter der neuen Arbeitsbeziehungen: Für immer mehr Menschen bedeutet dies Teilzeitarbeit und befristete Stellen statt gesicherte Vollzeitstellen, niedrige Löhne und geringe Sozialleistungen, keine oder schlechte Kranken- und Rentenversicherung. Ferner ist es dem Konzern in den USA durch eine Kombination von vergemeinschaftender Personalpolitik, gezielter Einschüchterung und bewusst gewerkschaftsfeindlichen Positionen gelungen, jegliche gewerkschaftliche Organisierung zu verhindern. Die Profitabilität des Unternehmens ergibt sich damit nicht nur aus einer ausgefeilten Warenwirtschaft, sondern auch auf Kosten der Beschäftigten, deren Arbeits- und Lohnbedingungen auf unterstem Niveau liegen.

 

Unternehmenskultur und Kundenorientierung

Wal-Mart begründet seinen Erfolg mit einer "totalen Kundenorientierung": niedrige Preise, ein breites Sortiment qualitativ hochwertiger Waren, lange Öffnungszeiten und freundlicher Service. Einkaufen ist deshalb auch "nicht nur einkaufen". Nach der Ideologie des Unternehmens soll es sich dabei um "ein angenehmes Erlebnis handeln. Die Freundlichkeit wird zum ständigen Begleiter". Im Geschäftsbericht 1996 heißt es: "Wal-Mart ist ein persönlicher Raum, in dem Menschen nicht nur einkaufen. Sie besuchen ihn und helfen sich gegenseitig". Um eine möglichst "hohe Kundenzufriedenheit zu garantieren", spielen – neben Regelungen für einen kulanten Warenumtausch bei mangelnder Qualität oder niedrigeren Preisen der Konkurrenz – die Beschäftigten eine entscheidende Rolle. Sie zählen zu den Schlüsselfaktoren des Erfolgs. Gemäß dem Unternehmensslogan "Unsere Leute machen den Unterschied" haben sie für gute Stimmung zu sorgen, Verbesserungsvorschläge zu machen und den Kundenservice zu verbessern. Bereits am Eingang werden Kunden deshalb von einem Mitarbeiter in einer blauen Jacke begrüßt (Greeter), der den Kunden einen "Guten Tag" wünscht, ihnen einen Einkaufswagen zuschiebt und "auch mal ein Schwätzchen hält". Innerhalb des Marktes gilt für die Beschäftigten eine Vielzahl von Regeln, die z.B. durch "das Lächeln von Wal-Mart", durch "Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft" eine angenehme Einkaufsatmosphäre schaffen sollen. Beschäftigte sollen den Kunden helfen, einen Parkplatz oder einen bestimmten Artikel zu finden oder am Ausgang die eingekauften Waren in Tüten zu packen. Um die "totale Kundenorientierung" zu gewährleisten, sollen die Beschäftigten nach den Worten des ehemaligen Vorstandschefs David Glass "walmartisiert" bzw. auf die Kunden "eingeschworen" werden. Sehr bewusst wird versucht, eine Unternehmenskultur zu schaffen, die (im Namen der Kundenzufriedenheit) den Beschäftigten ein hohes Maß an Engagement für den Unternehmenserfolg abverlangt.

Die Instrumente, die Wal-Mart hierfür einsetzt, lassen sich als vergemeinschaftende Personalpolitik bezeichnen. Dabei wird systematisch versucht, emotionale Bindung und ein Zugehörigkeitsgefühl der Beschäftigten zum Unternehmen zu fördern, um darüber Einstellungen, Gefühle und Werte der Beschäftigten zu lenken. Ziel ist es, unter Wal-Mart-Beschäftigten ein Wir-Gefühl aufzubauen. MitarbeiterInnen sollen durch "Lob und konstruktives Feedback" einbezogen werden. Diese Integration soll eine "starke Bindung zwischen Management und Mitarbeitern" schaffen. Beschäftigte sollen das Gefühl erhalten, dass "man sie wertschätzt" und dass sie Anteil am Unternehmenserfolg haben. Beschäftigte werden als "Teil der Wal-Mart-Familie" bezeichnet. Personalpolitische Instrumente hierfür sind eigene Sprachregeln, Verhaltensregeln, Werte, Symbole und Rituale, spezifische Belobigungsformen für erwünschtes Verhalten sowie verschiedenste materielle und immaterielle Formen der Einbindung.

Von BewerberInnen wird eine "vollständige Beschäftigungsgeschichte" verlangt, um die "positivsten, engagiertesten und am meisten begeisterten" BewerberInnen herauszufiltern. Gewerkschaftsmitglieder und -symphatisanten gehören nicht dazu, wie bereits der Titel eines Unternehmenshandbuchs von Wal-Mart für Führungskräfte nahelegt ("Managerhandbuch, um gewerkschaftsfrei zu bleiben"), in dem explizit auf "frühe Warnzeichen" gewerkschaftlicher Orientierungen von BewerberInnen und Beschäftigten verwiesen wird. Die BewerberInnen werden schließlich Persönlichkeitstests unterzogen, um festzustellen, ob sie in die Unternehmenskultur passen.

Einmal eingestellt, werden Beschäftigte nicht mehr, wie in anderen Unternehmen, "Beschäftigte" genannt, sondern "associate" – übersetzbar mit Freund, Partner, Teilhaber oder Verbündeter; Vorgesetzte werden als servant leaders (dienende Leiter) bezeichnet.

Ein weiteres Element dieser auf die Gefühle der Beschäftigten gerichteten Personalpolitik sind die "Visionen" sowie diverse Verhaltensregeln für Vorgesetzte und Beschäftigte, die das "Wesen Wal-Marts" verdeutlichen sollen. Im Handbuch des Unternehmens definiert der Konzern drei wesentliche Unternehmensgrundsätze und -werte (vgl. Wal-Mart Germany, Standards Book), die die Beschäftigten auf der Rückseite ihres Namensschilds tragen:

Respekt gegenüber dem Einzelnen soll durch die so genannte "Open-Door-Politik", eine "offene Kommunikation" und durch "dienende Vorgesetzte" verwirklicht werden. Die "Open-Door-Politik" entwickelte das Unternehmen, nachdem Mitte der 70er Jahre bei Wal-Mart zum ersten Mal gewerkschaftliche Organisierungsversuche unternommen wurden. Sie sollte sowohl die Beschäftigten motivieren als auch eine künftige gewerkschaftliche Organisierung verhindern. Die "offenen Türen des Managements" sollen die Beschäftigten dazu ermutigen, jederzeit Fragen, Ideen, Beschwerden oder Bedenken gegenüber den Vorgesetzten "offen" anzusprechen, ohne zu fürchten, dafür gerügt oder gar entlassen zu werden. Die Vorgesetzten sind gehalten, die Vorschläge und Probleme der Beschäftigten anzuhören und ernst zu nehmen. Abteilungsleiter werden deshalb aufgefordert, täglich durch die Märkte zu laufen, zwanglose Gespräche zu führen und informelle Kontakte zu MitarbeiterInnen zu halten. Sie sollen sich nach dem Wohlbefinden der Beschäftigten und ihrer Familie erkundigen. Als Leitbild für die Vorgesetzten wird ein "dienendes Management" definiert, das sich um die "Bedürfnisse der Beschäftigten kümmert" und zugleich sicherstellt, dass Zielvorstellungen des Unternehmens "gemeinsam erreicht" werden.

Gemäß dem Slogan Service für unsere Kunden sollen diese wie "Gäste" behandelt werden, die sich "im Geschäft wohl fühlen sollen". Im Unternehmenshandbuch heißt es: "Jeder Kunde ist unser bester Freund und ein Gast, der unser Haus allen anderen Verkaufshäusern vorgezogen hat." Die Beschäftigten werden aufgefordert: "Wir wollen die Freundlichsten sein – wir lächeln, wenn wir die Kunden begrüßen und unsere Hilfe anbieten, weil sie so freundlich waren, zu uns zu kommen." Wenn möglich, sollen Kunden gar mit ihrem Namen angesprochen werden.

Beim Streben nach hervorragender Leistung wird die Verantwortung der Beschäftigten angesprochen, für eine "ständige Verbesserung" "kostenreduzierende Ideen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten" und "eigenverantwortlich Kosten niedrig zu halten". Als zentrale Verhaltensregeln gelten folgende Leitsätze:

Die "3-Meter-Regel": Im Handbuch selbst wird Sam Walton zitiert: "Ich möchte, dass Ihr versprecht, jeden Kunden, der Euch näher als 3 Meter kommt, zu grüßen und zu fragen, ob ihr ihm helfen könnt. Sucht der Kunde etwas Bestimmtes, begleitet ihn bis zum Ziel."

"Get it Done by Sundown": Kunden- oder andere Geschäftsanfragen sind innerhalb eines Tages zu bearbeiten.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl soll schließlich über unterschiedliche Formen der Belobigung erzielt werden. Im Internet, im unternehmenseigenen Fernsehen, in der Unternehmenszeitung oder in den regelmäßigen Belegschaftstreffen innerhalb der Märkte wird über "vorbildliche", "aufopfernde", "heroische" Beschäftigte berichtet, die bedeutende Verbesserungsvorschläge gemacht haben. Vor den Augen der Kunden erhalten Beschäftigte eine Anerkennung für gute Leistung in Form von "Gut-gemacht"-Buttons, einer speziellen Schürze für den "besten Verkäufer" oder die "beste Verkäuferin des Monats".

In zahlreichen Anekdoten und Firmendarstellungen wird der verstorbene Unternehmensgründer Sam Walton als Paradebeispiel eines charismatischen Vorgesetzten dargestellt, der die Wal-Mart-Mythologie und -Familienkultur wie kein anderer verkörperte: stets für alle Beschäftigten erreichbar und allzeit gesprächsbereit. Walton wusste offenbar auch innerhalb des Unternehmens eine Kultur der Inszenierung zu etablieren. Bei Kaufhauseröffnungen, den regelmäßigen Morgenbesprechungen, offiziellen Anlässen oder organisierten "Happenings" gab und gibt es immer wieder "spaßige Auftritte", sei es von Führungskräften oder Beschäftigten. So tanzte Walton 1984 in Begleitung von zwei Ukulele-Musikern den Hula die Wall Street hinunter – dies hatte er seinen Beschäftigten geschworen, wenn die Gewinne vor Steuern im laufenden Jahr einen Anteil von 8 Prozent am Umsatz erreichen würden. Die Videoaufnahmen dieser Szene wurden in jeder Wal-Mart-Filiale vorgeführt, damit sie alle Beschäftigten sehen konnten. Vorgesetzte und Beschäftigte werden darin bestärkt, diese Kultur zu übernehmen. So berichtet Ortega (1999, S. 228), wie ein Filialleiter auf einer Versammlung mit einem Bären kämpft oder ein anderer Vorgesetzter mit rosa-roten Strumpfhosen und einer blonden Perücke auf einem Schimmel um den Marktplatz von Bentonville reitet. Durchaus üblich ist es auch, dass Beschäftigte auf Belegschaftsversammlungen selbstgedichtete Wal-Mart-Lieder und Firmensprüche vortragen.

Zu den Ritualen und Inszenierungen zählen auch die regelmäßigen Versammlungen der Beschäftigten vor Arbeitsbeginn. Dort erhalten sie Informationen über Umsatz, Gewinn und ‘ihre’ Ziele für den kommenden Tag. In den USA berichten darüber hinaus die Marktleiter einmal im Monat über Ergebnisse, Personalkosten und andere Kostenstrukturen jeder Abteilung. Die Entwicklung der Geschäfts- und Abteilungsergebnisse wird ausgehängt. Information ist dabei jedoch nicht einfach Information. Zusätzlich zum Erfolgsdruck und zur Konkurrenz zu anderen Filialen und Beschäftigten, die auf diese Weise indirekt erzeugt werden, können diese Treffen als organisierte ‘Erlebnisse’ bezeichnet werden. Inspiriert durch einen Besuch in Japan und Südkorea Mitte der 70er Jahre, führte Sam Walton den so genannten Wal-Mart-Cheer ein, der heute weltweit in allen Filialen während dieser Versammlungen gemeinsam gerufen wird. Hierzu versammeln sich die Beschäftigten in einem Halbkreis. Der Marktleiter fordert die versammelten MitarbeiterInnen auf, das Wort Wal-Mart zu buchstabieren. Er hebt den rechten Arm, brüllt eine Aufforderung und die MitarbeiterInnen rufen im Chor zurück:

Der Wal-Mart Cheer

Aufforderung Antwort
Gebt mir ein W! W!!
Gebt mir ein A! A!!
Gebt mir ein L! L!!
Gebt mir einen Twist! Die Beschäftigten twisten
Gebt mir ein M! M!!
Gebt mir ein A! A!!
Gebt mir ein R! R!!
Gebt mir ein T! T!!
Wie heißt die Firma? Wal-Mart!!
Bitte nochmals!  
Ich höre Sie nicht! Wal-Mart!!
Wer ist die Nummer 1? Wal-Mart!!
Wer ist für uns die Nummer 1? Der Kunde immerzu!!

Nach eigenen Angaben sind diese regelmäßigen Morgentreffen "Teil der Mitarbeiterintegration, die die Identifikation jedes Mitarbeiters mit seinem Verantwortungsbereich" stärken soll. Der Ruf "gibt den Kick für den Arbeitstag und unterstreicht das Zusammengehörigkeitsgefühl" (vgl. Pressemitteilung 455 von Wal-Mart Deutschland). Eines der Symbole, die dieses Zusammengehörigkeitsgefühl unterstreichen sollen, ist z.B. der gemeinsame Parkplatz für alle. Nicht einmal Unternehmensgründer Walton hatte einen reservierten Parkplatz.

Selbst die Hauptversammlung der Aktionäre hat mit klassischen Aktionärs-Zusammenkünften wenig zu tun. Sie wird jedes Jahr mit großem Aufwand, Spektakel und Pathos gefeiert. Bereits Mitte der 70er Jahre begann Walton ein Firmenpicknick einzuführen, während dessen Beschäftigte ihm und seiner Frau persönlich die Hand drücken und sich mit ihnen fotografieren lassen konnten. Ortega berichtet von einer Hauptversammlung in den 80er Jahren, auf der in verdunkelter Szenerie der nationale Treueschwur gesprochen wurde. Sam Walton las "mit gesenktem Kopf auf einem Bein kniend und die Baseballmütze mit dem Wal-Mart-Emblem in der Hand" ein Gebet (Ortega 1999, S. 232). Die Hauptversammlung 1999 nutzte der Konzern, um seine Beschäftigten mit Musik, Videos und Fernsehstars auf das Unternehmen einzuschwören. Zahlen, Fakten oder die Wahl neuer Aufsichtsratsmitglieder spielten eine große Rolle. Die Veranstaltung war nach einem Bericht des Handelsblatts vom 8.6.1999 ein ‘Happening’, ein gigantisches Unterhaltungsprogramm nach Art eines religiösen Erweckungsgottesdienstes, in dem Gläubige ihr Bekenntnis erneuern.

Um der weitverbreiteten Kritik durch Medien und zahlreiche Bürgerinitiativen, derzufolge Wal-Mart die Existenz kleinerer Unternehmen bedrohe und dadurch insbesondere kleinere Kommunen ökonomisch und sozial zerstöre, etwas entgegenzusetzen, betreibt das Unternehmen seit mehreren Jahren intensive Imagepflege. Anfang der 80er Jahre gründete Walton eine eigene Stiftung, mittels derer Spenden des Unternehmens u.a. für Kommunen und kommunale Hilfsleistungen abgewickelt werden. Nach Angaben von Kritikern Wal-Marts wie Ortega (1999) oder Norman (1999) gibt Wal-Mart – gemessen am Gewinn – im Vergleich zu anderen Unternehmen jedoch äußerst wenig für wohltätige Zwecke aus. Dennoch gelang es, damit eine enorme Publicity-Wirkung zu erzielen. Personalpolitisch entscheidend ist allerdings, dass sich die Beschäftigten an den Hilfsleistungen des Unternehmens durch Aktionen wie selbstgebackene Kuchen, Spendensammlungen etc. beteiligen müssen. Sie haben zudem ein Mitspracherecht darüber, wer in den jeweiligen Kommunen Hilfsleistungen erhält, und können selbst Nutznießer von Zuwendungen werden, etwa in Form eines Stipendiums aufs College für sich oder ein Familienmitglied. Darüber hinaus sind sie gehalten, sich in ihrer Kommune durch Reinigungsaktionen, Recycling-Sammelprogramme für die Umwelt etc. zu engagieren. Derartig organisierte Spendenkampagnen weisen gleich mehrere Vorteile auf: Die Aufwendungen des Unternehmens werden niedrig gehalten, die Beschäftigten sind durch ein weiteres Element direkt eingebunden, und die Aktionen werden durch das Engagement der Beschäftigten für die Kunden sichtbarer gemacht. Schließlich tritt das Unternehmen damit der Kritik, Wal-Mart hätte verheerende Auswirkungen auf die Kommunen, gemeinsam mit den Beschäftigten öffentlich entgegen.

Motivation und Einbindung wird schließlich auch über materielle Anreize zu unterstützen versucht. Beschäftigte mit einer Betriebszugehörigkeit von über einem Jahr erhalten Sonderkonditionen für den Kauf von Unternehmensaktien, unterschiedliche Formen der Gewinnbeteiligung und Prämien für das Erreichen spezifischer Unternehmensziele (Steigerung des Umsatzes, Senkung des Warenschwunds etc.). Beschäftigte können sich darüber hinaus eine Zukunftsperspektive und Karrieremöglichkeiten bei Wal-Mart erhoffen. 60 Prozent aller Vorgesetzten begannen bei Wal-Mart selbst.

"Gemeinschaft" beinhaltet bei Wal-Mart allerdings zugleich Ausschluss. Nach Angaben der Gewerkschaft United Food and Commercial Workers (UFCW) leiden die Beschäftigte bei Wal-Mart unter "konstantem Stress, den Umsatz zu erhöhen" und unter einer "Atmosphäre des permanenten Drucks". Die Gewerkschaft berichtet von zahlreichen Fällen, in denen Beschäftigte, die der Ideologie Wal-Marts nicht zu folgen bereit waren oder es wagten, eine gewerkschaftliche Interessenvertretung oder Lohnerhöhungen zu fordern, erfahren mussten, dass sie schnell aus der "Unternehmensfamilie" ausgestoßen wurden. Die Politik der "Offenen Tür" bedeutete für diese Beschäftigten, dass sie durch diese ‘offene Tür’ hinausflogen.

Erschienen in der Doppelausgabe 6-7/2000 von express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit - http://www.labournet.de/express/

Fortsetzung in express 8/2000

* Die ausführliche Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung ist erschienen unter dem Titel Heiner Köhnen. "Wal-Mart. Ein Gigant mit vielen Gesichtern" und kann zum Preis von 22 DM bezogen werden über: Setzkasten, Am Kreuzberg 4, 40489 Düsseldorf, email: lavista@setzkasten.de

Anmerkungen

1) Überschrift einer Preisliste von Wal-Mart im Düsseldorfer Raum

2) Die Geschäftsjahre enden jeweils im Januar des angegebenen Jahres und beziehen sich damit faktisch auf das Vorjahr.


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