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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Geburtshilfe – ein Tod auf Raten? Zur Situation der freiberuflichen Geburtshilfe
Permanenter Anstieg der Kosten für die Berufshaftpflicht Zwischen 2003 und 2012 stieg die von Hebammen zu zahlende Haftpflichtprämie von ca. 1218 € auf satte 4242 €. Dies wird mit der Ausweitung der zeitlichen Haftungsmöglichkeit und den finanziell aufwändigeren Möglichkeiten der medizinischen Versorgung begründet. Motor hinter den jährlichen Steigerungen sind aber auch Krankenkassen, die mittlerweile ganze Regressabteilungen eingerichtet haben, die Schadensansprüche für die Kassen geltend machen sollen. „Die Steigerung der Berufshaftpflicht wirkt wie eine Daumenschraube, die unsere Arbeit nach und nach unmöglich macht“ erklärt Eva B., Hebamme im Geburtshaus Kiel. Vor allem die freiberufliche Geburtshilfe leide unter dem wirtschaftlichen Druck, dem sie sich neben der privaten Belastung ausgesetzt sehe. Laut Angaben des Deutschen Hebammenverbandes mussten allein nach der Erhöhung der Haftpflichtprämie 2009 10% der freiberuflichen Hebammen ihre Arbeit aufgeben – „Dies erscheint als Tod auf Raten, der politisch gewollt ist“ kommentiert Dana M., Hebamme mit 12jähriger Berufserfahrung, die sich zunehmend an den Rand der Existenz gedrängt sieht. „Um die Haftpflicht wieder ausgleichen zu können, müssen wir immer mehr Geburten betreuen, was zeitlich und in Anbetracht der körperlichen und psychischen Anstrengungen faktisch nicht möglich ist.“ Gebührenverordnung
Die Gebührenverordnung legt fest, in welcher Höhe beispielsweise ein Hausbesuch vergütet wird oder wie viel eine Geburtshelferin für die Begleitung einer Hausgeburt bekommt. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen erpresste 2011 in den Verhandlungen eine Gebührenerhöhung um 1,98% - inflationsbereinigt also eine Nullrunde für die Hebammen. 2012 steht bislang keine Erhöhung der Gebühren einer 15 prozentigen Steigerung der Haftpflicht gegenüber. Hier sei massiver Widerstand wünschenswert, jedoch sei es durch Überbelastung schwer, eine gemeinsame Protest und Widerstandsform zu finden, die Wirkung zeigen könnte, äußert sich Eva B. im Interview. Hier seien auch die Menschen gefragt, die Hebammenleistungen in Anspruch nehmen möchten. Es wäre begrüßenswert, wenn sich diese an den Protesten zum Hebammentag beteiligten, der Druck und die Aufmerksamkeit würden spürbar wachsen. Indes bleibt die Aussicht für die Hebammen düster: Der Stundenlohn stagniert bei ca. 7,50€, die Arbeitsverdichtung verstärkt sich massiv durch explodierende Berufshaftpflichtversicherungsbeiträge und eine Petition,in der die Hebammen Sofortmaßnahmen für die Sicherung einer wohnortnahen Versorgung von Frauen mit Hebammenhilfe fordern, ist seit knapp 2 Jahren im Status der Bearbeitung. Auch die Tendenz, dass zunehmend kleine Krankenhäuser, in denen noch nicht so stark automatisierte Geburten vollzogen werden, da die Zeit vorhanden ist, Geburten einfühlsam und intensiv zu begleiten, dem wirtschaftlichen Konkurrenzkampf unterworfen und geschlossen werden, ist als Gefahr für eine verantwortungsvolle Arbeit der Hebammen zu sehen. Eine eins zu eins Betreuung ist wichtig, um das Risiko eines operativen oder medikamentösen Eingriffs während der Geburt zu minimieren, diese ist in kleinen Krankenhäusern meist noch gegeben. Wirtschaftlich rentabel sind diese jedoch nicht, denn ein Krankenhaus verdient eben durch operativ durchgeführte oder medikamentös eingeleitete Geburten samt Periduralanästhesie weitaus mehr als an einer natürlichen Geburt. Daher werden so genannte Perinatalzentren von der Politik forciert wie z.B. am Universitätsklinikum Schleswig Holstein (UKSH). Dass dabei die Frauen, die eine natürliche Geburt wünschen, bei der Betreuung auf der Strecke bleiben und ihnen auch die Möglichkeit genommen wird, einen alternativen Geburtsort zu wählen, scheint zweitrangig. Die Frage bleibt, wie diese Abwärtsspirale gestoppt werden kann und der Fokus auf die Wichtigkeit selbstbestimmter Geburt im Gegensatz zur mechanisch- medizinisch geleiteten und entmündigenden Form der Geburt im Krankenhaus gelenkt werden kann. Protest und parlamentarische Appelle erwiesen sich als nutzlos, nun geht es darum, vielfältigen Widerstand zu entwickeln, der nicht bei der Forderung nach Lohnerhöhung stehen bleibt, sondern sich gegen die Verwertbarkeit menschlichen Lebens von seinen Anfängen an stellt. Benjamin Steilmann, April 2012 Weiterführende Informationen: |