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Updated: 18.12.2012 15:51
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"Hamburger Krankenschwester: Angst, Wut und viele Diskussionen" und
"HH Krankenhäuser: Jahrelang alles hingenommen, jetzt reicht`s!"

Zwei Berichte über die Situation in den Hamburger Krankenhäusern aus den Reihen der Hamburger Gewerkschaftslinken


Hamburger Krankenschwester: Angst, Wut und viele Diskussionen

In der letzten Zeit überschlagen sich die Ereignisse im Krankenhaus – schade, dass ich Montag früher gehen musste, ich hätte gern dem Krankenhausarzt zugehört, da es zur Zeit eine »tiefe« Spaltung zwischen dem Pflegepersonal und den Ärzten gibt. Die Ärzte sind »sauer«, weil ver.di sich angeblich noch nie für sie eingesetzt hätte und der in diesem Jahr von ver.di abgeschlossene Tarif für die Krankenhausärzte bereits Lohneinbußen bedeuten würde (ob diese Aussage stimmt, müssten wir überprüfen).

Es ist am Arbeitsplatz sehr mühsam, den Ärzten klar zu machen, dass sie und das Pflegepersonal ein und denselben Arbeitgeber haben und dass wir uns nicht spalten lassen dürfen. Doch da gibt es bereits einen Graben zu überwinden – selbst wenn ich als Pflegepersonal ihnen Sympathie ent-
gegen bringe und ihren Streik für richtig und gut halte – ich bin Mitglied bei ver.di und damit in der falschen Partei.

In der vorigen Woche gab es bei uns eine Versammlung, auf der unser Arbeitgeber den zukünftigen Tarif vorstellte – von einer Juristin, die noch eine Menge Geld dafür bekommt, dass sie uns die geplanten »Schweinereien« auf dem Silbertablett servierte.

Zu Beginn erst einmal die Grundsätze... da wurde es in einem Punkt für mich sehr interessant: »Leistung soll sich wieder lohnen!« Oder die Floskel: »Geht es dem Unternehmen gut, geht es den Beschäftigten auch gut!« Diese Gedanken des Leistungsaspektes finden wir nämlich in ver.dis neuer BAT-Reform wieder. Diese Reform schreibt u.a. vor, dass die Lohnsteigerung nach Lebensalter wegfällt und in eine so genannte leistungsorientierte Bezahlung umgewandelt wird. (Acht Prozent der Entgeltsumme entfallen auf die Leistungsbezahlung.)

Was macht unser Arbeitgeber jetzt? Also grundsätzlich ist das Grundgehalt sicher. Es entfallen – bis auf sehr spezielle Zuschläge beispielsweise für Intensiv- oder OP-Zulage – alle anderen Schichtzulagen! Stattdessen gibt es eine so genannte Leistungszulage von maximal 25 Prozent des Bruttogehaltes. Wer bekommt sie? Jetzt wird es spannend, aber nicht lustig. Der Vorgesetzte des Pflegepersonals schreibt ja Zeugnisse und Beurteilungen und erhält jetzt die Macht, über KollegInnen zu urteilen, ob sie die eine oder andere Leistung erbringen oder nicht. Dagegen ist selbstverständlich, dass die Mitarbeiter keinerlei Recht haben, zum Beispiel ihre Vorgesetzten zu beurteilen, seien sie fachlich und menschlich auch noch so inkompetent.

In Zukunft wird diese »Nasen«-Beurteilung hoffentlich nicht dazu führen, dass einige KollegInnen kilometerlange Schleimspuren nach sich ziehen. Die Gefahr, dass »Teilen und Herrschen« Erfolg haben, ist gegeben. Im Übrigen konnte die Arbeitgeber-Juristin keinerlei Leistungskriterien benennen, denn dafür müsse erst einmal eine Arbeitsgruppe gebildet werden (kostet auch wieder Geld, wird aber wohl durch den Schichtzulagenabbau von den Mitarbeitern erbracht).

Der neue Eingruppierungskatalog richtet sich u.a. nach dem jeweiligen Studium der Mitarbeiter. KollegInnen, die beispielsweise einen Fachhochschulabschluss haben (fünf Jahre), bekommen mehr Grundgehalt als die, die zwar auch eine fünfjährige Ausbildung hinter sich haben, aber keinen Fachhochschulabschluss mitbringen. Mit anderen Worten: Studium und sonstige Abschlüsse haben jetzt eine höhere Wertigkeit als alle anderen Gruppen. Die Krankenhausärzte träumen davon, dass sie ab jetzt zur Gruppe A gehören – aber es ist zu befürchten, dass die meisten in der Gruppe B landen. Die Mitarbeiter, die eine fünfjährige Ausbildung ohne Fachhochschulabschluss mitbringen, gehören zur Gruppe C, für alle anderen bleiben die Gruppen D und E.

An weiteren Abbaumaßnahmen für den künftigen Tarif sind vorgesehen: Weihnachts- und Urlaubsgeld sollen gestrichen, die 42-Stunden-Woche eingeführt und der Urlaub um fünf bis sechs Tage gekürzt werden. Davon betroffen sind ab sofort alle KollegInnen, die neu eingestellt, deren Verträge auslaufen oder verändert werden. Das Ganze läuft unter diskriminierenden und erpresserischen Methoden ab. So gab es Fälle, in denen KollegInnen 15 Minuten Zeit hatten, neue Verträge zu unterschreiben, oder mit fristloser Entlassung und Arbeitslosigkeit zu tauschen. So gab es beispielsweise ein Rundschreiben an die Chefärzte, falls KollegInnen sich an die 15-minütige Bedenkzeit nicht hielten, sie am nächsten Tag nach Hause zu schicken. Junge, noch unerfahrene KollegInnen in den Zwanzigern haben in ihrer Angst vor Arbeitslosigkeit das Diktat erstmal unterschrieben.

Ebenfalls betroffen von den geplanten neuen Tarifen sind Mitarbeiter, die sich um eine Leitungsstelle bewerben (zum Beispiel Stationsleitung). Auch die bekommen einen neuen Vertrag zu verschlechterten Bedingungen. Alle anderen bleiben bislang verschont. Dies war denn auch eine der Beruhigungspillen auf der sehr gut besuchten Veranstaltung. Ich hoffe nicht, dass diese Pille wirkt, wenn ich auch befürchte, dass sie bei jüngeren KollegInnen beruhigenden Einfluss hat. Es gibt oft mangelndes Selbstbewusstsein und fehlendes Wissen über die Gewerkschaftsgeschichte – wie beispielsweise Stundenlohn, Arbeitszeit und Urlaub in der Vergangenheit einmal erkämpft wurden – und es muss erst noch neu erfahren werden, was die Älteren manchmal als Klassenbewusstsein besitzen. Trotzdem, die jungen KollegInnen sind äußerst schwer zu mobilisieren – und ich weiß nicht, wohin die Reise, besser die Auseinandersetzung mit dem neuen Arbeitgeber, gehen soll. Ich bin mir auch überhaupt nicht sicher, wie viele KollegInnen bei einer ernsthaften Auseinandersetzung mitmachen werden – und deswegen habe ich Angst.

Dazu kommt, dass der Arbeitgeber im nächsten Jahr – zum Beispiel im AK Barmbek etwa 300 KollegInnen – entlassen will und die Mitarbeiter lieber arbeiten als gegen das Tarifdiktat kämpfen um zu vermeiden, sich in die Schlange der Arbeitlosen einreihen zu müssen.

Vielleicht ist der Gedanke des baldigen Arbeitloswerdens übertrieben, aber ein bisschen mulmig ist mir schon zumute. Trotzdem versuche ich etwas dazu beizutragen, so etwas wie einen Streik mit zu organisieren – auch wenn ich völlig unerfahren bin. Klar ist mir beispielsweise geworden, dass es wichtig ist, zu anderen Krankenhäusern Kontakt aufzunehmen, um Kräfte zu sammeln. Dabei darf man nichts übers Knie brechen, sondern gut durchdachte und vorbereitete Aktionen sind wichtiger, als ins offene Messer zu laufen, zumal aller Anfang schwer ist und vieles noch in den Kinderschuhen steckt. Ohnehin ist der Druck im Augenblick groß, Schlaflosigkeit angesagt, weil die täglichen Ereignisse ständig die Nerven belasten.

Für mich ist diese Erfahrung, die ich auf der Arbeit mache, neu und ich freue mich über jeden Mitarbeiter, der sich bereits heute mit den Gedanken auseinandersetzt, was wir zukünftig tun können. Nichts fällt vom Himmel! So lerne ich in letzter Zeit viele KollegInnen kennen, die Fragen haben und Antwort geben wollen auf die Herausforderungen des Arbeitgebers – vielleicht beteiligt sich der eine oder andere auch an einem Streik. Das wird sich zeigen!

22.11.2005

(Nach Abfassung dieses Berichtes gab es mehrere halbtägige Warnsstreiks an Hamburger Krankenhäusern, auch eine Großdemo mit 4000 Beschäftigten, darunter viele aus dem AK Barmbek!).


HH Krankenhäuser: Jahrelang alles hingenommen, jetzt reicht`s!

Nach vielen Jahren der Stellvertreterpolitik der Gewerkschaft (damals noch der ÖTV) und des Co-Managements mit dem Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) in Hamburg kann nicht erwartet werden, dass ein Streik auf Knopfdruck möglich ist. Auch ein selbstständiges Handeln der Beschäftigten fällt nicht vom Himmel, sondern wird in vielen kleinen Schritten und Diskussionen vorbereitet.

Die Gewerkschaft hat in den letzten Jahren zusammen mit den Personalräten 3500 »sozialverträglichen« Entlassungen zugestimmt und dadurch die Arbeitsverdichtung abgenickt. »Um wettbewerbsfähig zu werden«, wie ihnen von der Geschäftsleitung vorgebetet wurde. Aus dem selben Grund haben sie widerspruchslos das »outsourcing« von Küchenpersonal, Wäscherei-Arbeiterinnen und Labor-Beschäftigten hingenommen. Widerstand bei den Beschäftigten gab es nicht, weil die ausgegliederten Kollegen in der Regel ihren bisherigen Arbeitsplatz und Lohn behielten; lediglich der Arbeitgeber wechselte. Jetzt, wo die bisher staatlichen/kommunalen Krankenhäuser an einen privaten Betreiber verkauft wurden – Asklepios soll einem amerikanischen Multi gehören, der sein Kapital mit Immobiliengeschäften erwarb – hat die neue Geschäftsleitung den Vertrag mit der Reinigungsfirma gekündigt, weil sie 30 Prozent zu teuer sei.

Diese Beispiele mögen ausreichen, um zu erklären, warum ver.di kein großes Ansehen bei den Kolleginnen und Kollegen hat, bei den Ärzten ohnehin nicht. Trotzdem treten jetzt, am Beginn der Auseinandersetzung, 1500 Beschäftigte in die Gewerkschaft ein, so dass sich der Organisationsgrad inzwischen auf 15 Prozent beläuft.

Die besondere Situation in Hamburg ist der Verkauf an die Firma Asklepios, die nicht dem Arbeitgeberverband angehört. Das hatte u.a. zur Folge, dass den Beschäftigten eine Einmalzahlung von 300 Euro, die ver.di mit dem TVöD ausgehandelt hatte, nun wieder abgezogen wird, weil der neue Unternehmer sich nicht an den Vertrag gebunden sieht. Gleichzeitig hat er seinen Beschäftigten eine 30-prozentige Lohnkürzung angekündigt sowie kurzfristig 300 Entlassungen, längerfristig sogar 1000 Kündigungen angekündigt. Dass Asklepios es mit ihrer Drohung ernst meint, beweist die Kündigung der Reinigungsfirma, während gleichzeitig der LBK per Inserat neue Reinigungskräfte sucht.

Ohne Verweis auf ver.di sammeln Krankenschwestern Unterschriften unter einen offenen Brief an die Geschäftsleitung, in dem sie sich mit den betroffenen Kolleginnen aus der Reinigung solidarisieren und zum Ausdruck bringen, dass sie weiterhin mit ihnen zusammenarbeiten wollen. Dabei besuchen sie verschiedene Abteilungen, was während der Alltagsarbeit bisher nicht üblich war. Dazu muss vielleicht erklärt werden: Das AK Barmbek ist noch ein Krankenhaus, in dem verschiedene Abteilungen in verstreut auf dem Gelände liegenden Häusern untergebracht sind. Einer Unterschriftensammlerin wurde bereits von einem Chefarzt mit Konsequenzen gedroht. Beim Sammeln finden Gespräche statt – auch über den bevorstehenden Streik – entstehen neue Verbindungen, »outen« sich bisher völlig unbekannte KollegInnen auch zu politischen Fragen. Diese Gespräche sind wichtiger als die Unterschrift, die meist anstandslos gegeben wird.

Auch zu den Personalräten entwickelt sich ein anderes Verhältnis – einige haben sich nur wählen lassen, um nicht mehr in Schicht arbeiten zu müssen. Während die Beschäftigten sie früher einfach haben machen lassen, stellen sie jetzt die Forderung an sie, etwas für die Reinigungskräfte zu unternehmen, obwohl sie formal nicht zuständig sind.

Ein anderes Beispiel dafür, wie selbstständiges Handeln entsteht: Schwestern geben Patienten das ver.di-Flugblatt, fordern sie auch auf, sich zu beschweren, wenn sie nach dem Klingeln länger auf eine Schwester warten müssen, weil diese völlig überlastet ist. Die Patienten haben zwar Verständnis für die Situation der Krankenschwestern, wagen aber nicht, sich zu beschweren, um nicht als »Nörgler« abgestempelt und nachteilig behandelt zu werden.

Am aktivsten sind im AK Barmbek die Reinigungskräfte, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Sie machen auf die Minute genau Feierabend, auch wenn dadurch Dreck liegen bleibt. Eine Kollegin aus der Verwaltung – dort wird ein großer Teil zu den Entlassenen gehören – die sich früher arrogant verhalten hat, nimmt nun am inzwischen gegründeten Streikkomitee teil. Andere schleimen sich bei der Geschäftsleitung an; kurz, es findet eine Polarisierung statt. KollegInnen die sich früher nicht für Politik interessierten, lesen jetzt alles, was über Krankenhäuser geschrieben wird, auch über Streiks, selbst wenn sie in Süddeutschland stattfinden.

Inzwischen hat die Geschäftsleitung Abteilungsleiter vergattert, Teilnehmer am Warnstreik zu melden. Wer bei Asklepios ’rausfliegt, kann vermutlich nur außerhalb Hamburgs einen neuen Arbeitsplatz finden. Fast alle Krankenhäuser gehören hier dieser Firma.


Auf den Jourfixe der Hamburger Gewerkschaftslinken diskutieren wir mit Koll. aus den HH KH die aktuelle Situation. Nächstes Jourfixe am Mittwoch, dem 11.1.06 um 18 Uhr, Curiohaus, Rothenbaumchaussee.

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