Bremen. Zum Jahresende 1999 gab es nach Angaben der Gewerkschaft ÖTV noch 11 577 Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge - 2906 weniger als ein Jahr zuvor. Von diesen elfeinhalbtausend Seefahrern haben knapp 7600 einen deutschen Pass, knapp 4000 sind Ausländer. ÖTV-Schiffahrts-Experte Dieter Benze erläutert: "Man kann vereinfachend davon ausgehen, dass die Seeleute mit deutschem Pass auf Schiffen im Erstregister und die anderen im Zweitregister fahren."
Man erinnere sich: Im Dezember 1988 war das Gesetz über das Zweite Schiffsregister verabschiedet worden, damit Reeder auf Schiffen unter deutscher Flagge ausländische Seeleute zu den in ihren Heimatländern üblichen Bedingungen beschäftigen können. Das Gesetz sollte - so seine Erfinder - den Ausflaggungs-Trend nicht nur stoppen, sondern sogar umkehren. Kritiker sprachen von "Apartheid unter schwarz-rot-gold", vom Verzicht auf das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit", sagten weiter drastischen Arbeitsplatzabbau in der Schiffahrt voraus. Damals gab es allein in der alten Bundesrepublik noch deutlich mehr als 18.000 deutsche Seeleute. Die genannten Zahlen belegen also, dass das Gesetz, 1995 vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet, einen gegenteiligen Effekt gehabt hat.
Der Grund: Auch wenn die Bedingungen im deutschen Zweitregister für die Reeder günstiger sind als die im ersten Register - mit den Konditionen der Billigflaggen-Staaten können sie sich nicht annähernd messen. Wie viele Schiffe im Erst- oder Zweitregister erfasst sind, ist nach Angaben von Dieter Benze nicht auszumachen - "das verraten die uns nicht" -, aber der Trend lässt sich wie folgt beschreiben: Ende 1999 fuhren laut ÖTV unter deutscher Flagge 717 Schiffe in beiden Registern, 130 weniger als ein Jahr zuvor. Vom genannten Personalabbau in diesem Zeitraum - 2906 - waren aber 1322 deutsche und 1584 ausländische Seeleute betroffen: ein deutliches Indiz, wie auch aus dem Zweitregister munter ausgeflaggt wird.
Auch die 1999 in Kraft getretenen Neuerungen der deutschen Schifffahrtspolitik haben den negativen Trend nicht stoppen können. Eine gewinn-unabhängige "Tonnagesteuer" etwa sollte deutsche Reeder motivieren, ihre Schiffe zurück- oder zumindest nicht mehr auszuflaggen. Die Reeder, erläutert indes Benze, hätten schnell entdeckt, dass sie billiger fahren, wenn ihre Schiffe zwar im deutschen Register eingetragen sind, aber unter Billigflagge betrieben werden. Das geht mit einem Trick, der "bareboat charter" heißt: Der Reeder stellt für sein Schiff einen Antrag, es aus wirtschaftlichen Gründen befristet - für zwei Jahre - unter andere Flagge stellen zu dürfen. Das Schiff wird "bare", ohne Besatzung, verchartert, am Heck eine Billigflagge aufgezogen, obwohl dort weiter "Bremen" oder "Hamburg" als Heimathafen stehen, der Charterer besorgt billige Arbeitskräfte und schickt das Schiff auf Fahrt. Die Sache hat laut Benze drei Haken:
Erstens wird der Reeder nach wie vor durch die Tonnagesteuer begünstigt; zweitens ist das Ganze nur ein formaler Trick, der neue Charterer kann eine fremde Firma, ein Tochterunternehmen oder der Reeder selbst sein; und drittens ist die Befristung Makulatur, weil jederzeit beliebig viele Verlängerungsanträge möglich sind. Fazit der ÖTV: "Die Tonnagesteuer in der jetzigen Ausgestaltung stärkt eher die billigen Flaggen als die deutsche Handelsflotte." Auch die zweite "Säule" der neuen deutschen Schifffahrtspolitik greift nach Ansicht der ÖTV nicht. Reeder dürfen danach 40 Prozent der Lohnsteuer der Seeleute an Bord einbehalten, laut Benze ein Schritt auf dem richtigen Weg - aber längst nicht genug. Denn auch mit dieser Regelung sind deutsche Reeder steuerlich schlechter gestellt als ihre Konkurrenten etwa in den anderen EU-Staaten: Dort sind hundertprozentige Befreiung von Lohnsteuer und teils sogar von Sozialabgaben für die Fahrensleute durchaus verbreitet.
Wie der ÖTV-Mann betont, beruht dies auf einer Richtlinie der EU und ist somit nach europäischem Recht zulässig: "Was hindert die Bundesregierung, diese Richtlinie auch in der deutschen Seeschifffahrt voll auszuschöpfen?" fragt Benze fordernd in Richtung Rot-Grün - und setzt noch eins drauf: Eine Ausbildungsinitiative müsse her, um den seemännischen Nachwuchs zu sichern. Die Bundesregierung müsse den Reedern die Kostendifferenz zwischen deutschen und anderen Seeleuten erstatten, damit junge Nautiker ihre vorgeschriebenen Fahrenszeiten ableisten können; auch dies, so Benze, wäre eine völlig EU-konforme Maßnahme.
Das leitet über zur dritten "Säule" der Schifffahrtspolitik, über die gerade in jüngster Zeit mehrfach berichtet worden ist, sie sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt: Die Reform der Schiffsbesetzungsverordnung hat die Vorschriften, wieviel deutsche Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge beschäftigt werden müssen, drastisch gesenkt. Das hat deutliche Folgen. Für deutsche Seeleute - Schiffsmechaniker als qualifizierte Facharbeiter - gibt es so gut wie keinen Bedarf mehr; und Schiffsoffizier zu werden, wird auch immer schwieriger, weil dazu eben nachgewiesene Praxis gehört - und wo soll die erworben werden, wenn es keine Jobs an Bord gibt?
ÖTV-Mann Dieter Benze sieht die Bundesregierung in der Pflicht: "Die groß angekündigten Rückflaggungen sind wie Seifenblasen zerplatzt, statt dessen rollt die Ausflaggungswelle ungebrochen weiter. Dies war auch nicht anders zu erwarten, denn die Mängel der neuen Schifffahrtspolitik sind allzu offenkundig."
Burkhard Ilschner
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