Call Train wieso das denn?
Mehr Eigenverantwortung übernehmen fordern Industrie, Politik und Presse
und meinen damit, ihr sollt mehr zu verantworten und weniger zu entscheiden
haben. Der Einzelne soll für möglichst alles zur Verantwortung gezogen
werden, was er selbst nicht zu entscheiden hat. Aber in der Trennung von Verantwortungspflicht
und Entscheidungskompetenz vollzieht sich ein Prozess, der viele Menschen als
Objekt der Sanktionen für Fehlentscheidungen weniger anderer festschreibt.
Jede Kommunikation und Dialog ist Werkstoff und Produkt der Zukunft. Jeder
Dialog baut auf konkreten Entscheidungen der Akteure des Dialogs. Kommunikation
ist eine soziale Aktivität, deren Kennzeichen die in den Repliken und Anreden
zur Geltung kommende Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der Akteure ist.
Und jede Übermächtigkeit von gestanzten Redeformeln lässt uns
Hören und Sehen vergehen.
Eben weil trotz geltender Konventionen es so ist, daß der "Sprengstoff"
Kommunikation seine Qualität aus der Freiheit der Akteure des Dialoges
gewinnt, werden die Anstrengungen um eine Industrialisierung der Kommunikation
erhöht. Dialoge sollen Destillate werden, reproduzierbare Hülsen,
die um das Moment der Freiheit der Themen, der Wortwahl, der Intonation gereinigt
werden soll. Während allenthalben über die Industrialisierung des
genetischen Bauplanes empörte und heftige Debatten geführt werden,
scheint die Industrialisierung dessen, was den Menschen als soziales Wesen in
der ganzen Vielfalt seiner Weisen der Artikulation und der Dialoge ausmacht,
beschlossene Sache, die unaufgeregt zur Kenntnis genommen wird die Industrialisierung
des Sprechens und Denkens. Jedes artikulierte Sprechen ist ein durch Interessen
verwickeltes Sprechen. Deshalb variieren wir oft und wiederholen wenig. Wir
sprechen zu Lebenden. Zeremonielle Rede aber verheimlicht die Situation, in
der Gedanken entstehen. Call Center pflegen die auslöschende Kommunikation
("Rede und vergesse!"). Wenn Kundenbeziehungsmanagement ( Customer
Relationship Management = CRM) geübt wird, ist bestenfalls von einer hinterlassenden
oder vererbenden Kommunikation die Rede: die Vergangenheit bestimmt die Zukunft.
Eine vorbildliche, schaffende zukunftgerichtete Kommunikation finden wir nirgends.
Aus dem Dialog und der Kommunikation soll durch Ihre Industrialisierung das
Gegenteil von Kommunikation werden. Im Sprechen und Reden soll die Fähigkeit
zum Dialog abgebaut werden. Rede wird ein einförmiger Totentanz von Floskeln,
Rede wird eindimensionalen Geschäftsregeln ("Business rules")
unterworfen, Rede wird abgeschnitten oder unterbunden, allenfalls unterzogen
den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Standardisierung von Kommunikation
und von Dialogen macht aus ihnen billig reproduzierbare Klischees dessen, was
sie sind. An die Stelle der Wahlfreiheit rückt die Norm, an die Stelle
der Themenvielfalt die Einfalt, an die Stelle der Entscheidungsfreiheit der
angeordnete Verlauf der Dialoge. Wer wenig Geld investiert, der darf nur Standarddialoge
führen. Wer viel Geld hat, leistet sich die Diskussion mit einem Professor.
Kommunikation als verständiger Ausdruck meiner Interessen, Affekte und
Wünsche wird ersetzt von der Kommunikation im Sinn von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen,
dem Pedantismus einer Mittelmäßigkeit der Auslastung des Agenten
und seiner Produktivität. Dialog als Transfer von Stimmungen, Meinungen,
Emotionen wird zum nüchternen, lustlosen Informationsaustausch auf vorgegebenen
Bahnen. Nirgends ist dies so offensichtlich wie in Call Centern.
Erstmals erhalten mit der massenhaften Verbreitung der Telefonie als Instrument
der ausgewählten Intensivierung von Kundenbindungen Mehrheiten in Betrieben
die Hoheit über den Dialog von Unternehmen und Außenwelt. Die darin
bestehenden Potentiale und Möglichkeiten einer Umkehr der klassischen Herrschaftsverhältnisse
in der Arbeit, in der Manager entscheiden, Vorgesetzte anordnen und die untersten
Schergen der Lohnpyramide ausführen müssen natürlich entschärft
werden.
Den Rahmen der Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit der Akteure des Dialoges
(Kunden und Agenten) definieren diejenigen, die außerhalb des Dialoges
stehen, was kundenorientiert und mitarbeitergerecht sei.
Überlässt man den Akteuren nicht die Hoheit über die Gestaltung
des Dialogs und den Agenten nicht die Möglichkeit, die Dialoge auszuwerten
und die Ergebnisse umzusetzen, wird Zeit und Qualität verspielt und Wertschöpfung
vernichtet zugunsten der Aufrechterhaltung von Strukturen und Privilegien,
die nicht gebraucht werden. Konsequenz: die Kunden ödet der Call Center-Singsang
an, in den Call Centern ist die Fluktuation hoch, die Krankenquote bemerkenswert,
innere Kündigungen an der Tagesordnung. Das Management klagt über
das schlechte Image der Branche und den Mangel an Personal, und geht daran,
die Symptome schön zu designen, ohne an dem Syndrom etwas zu ändern,
dessen tragendes Element es selbst ist.
Mehr Eigenverantwortung, schönere Möbel, mehr Gruppenarbeit, Stressdeeskalationstrainings,
ja auch mehr thematische Vielfalt und ein höheres Niveau der Kundenkommunikation
werden von der Branche gefordert und bereitgestellt. Doch von mehr Entscheidungs-
und Gestaltungsspielräumen für die Agents, gar der Abgabe von strategischen
Entscheidungskompetenzen an die Experten des Dialogs ist wohlweislich nicht
die Rede. Arbeit wird so organisiert, dass Nachsinnen, dass Nachdenken immer
unnötiger wird. Anruferlebnisse prunken mit Präsenz, die schnell verbleicht.
Momente lösen einander ab, die sofort vergessen sind. Wirksame und eindringliche
Sprache aber ist nur in Freiheit möglich. Diesen Raum muß man sich
selbst erkämpfen. Rede erschafft Wirklichkeit.
Man gibt weiter vor, "Menschen bräuchten Führung", selbst
da, wo sie es sind, die die Gespräche führen, die wiederum einzige
und wichtigste Aktivität der Call Center sind. Zwar verlangt man den Menschen
ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbstorganisation ab, will ihnen
aber in der Arbeitswelt die Umsetzung genau dieser Fähigkeiten nicht zugestehen,
die eine Abgabe von Entscheidungsvollmachten bedeuten würde zum
Wohle der wichtigen Akteure, der Kunden und der Agents. So pfuschen mediokre
Führer in das Call Center Management, die besser in Soldateska aufgehoben
sind oder ähnliche Berufe schwänzen. Das geht so nicht weiter.
Deshalb gibt es Call Train. Die hier formulierten Grundsätze sie
sind Programm und kein Katalog - sollen im Interesse der Anrufer und Angerufenen
Call Center vom Kopf auf die Füße stellen.
The Call Train Manifesto
Waggon 1: Dia-Lok-Kompetenz
- Alles ist Dialog
- Der Dialog ist ein gemeinsames Produkt von Partnern
- Partner des Dialogs sind der Kunden und der Agent
- Die Hoheit über die Gestaltung des Dialogs liegt bei den Partnern des
Dialogs
- Kein Produkt ist identisch mit einem anderen Produkt. Alle Dialoge unterscheiden
sich.
- Die Gestaltung des Dialogs hängt von den sozialen, psychologischen,
thematischen, kulturellen und fachlichen Erfordernissen des Dialogs ab
- Die Differenz macht einen Unterschied
- Der Agent spricht mit seiner Stimme und seiner Sprache im Namen des auftraggebenden
Unternehmens
- Der Name soll unantastbar machen, der Name des Agenten soll beim Kunden
Respekt heischen, auch wenn er nur Telefonvermittlung ausführt. Namen
sind Schall und Rauch.
- Das Management soll die Agents nicht dazu zwingen, gegen ihre eigene Stimme
und ihre eigene Sprache anzusprechen
- Gschwinder is oft gsünder. Ein Arbeitsverdichter
ist jedoch ein Qualitätsvernichter.
- Es gibt keinen Unterschied zwischen Nutz- und Zierkommunikation.
- Telefonieren muß nicht Beeinflussen bedeuten.
- Telefonieren heisst nicht "schwafeln".
- Listiges Telefonieren ist erlaubt. Hinterlistiges oder arglistiges dagegen
niemals.
- Wo jeder eine Rolle spielt, sind alle Kommunikationstechniken erlaubt: von
der Ironie bis hin zur Demut. Auch hier liegt in der sparsamen Dosierung der
Schlüssel zur Wirksamkeit.
- Niemand wird zu etwas überredet. Rhetorische Schwächen werden
nicht ausgenutzt. Niemand wird überrumpelt.
- Ohne "Power" wird's genauer. Tricksen in der Kommunikation führt
zur tiefgreifendem Misstrauen auf Kunden- und Agentenseite.
- Mitfühlen heisst nicht Mitmachen.
- Hilfe und Informationen werden gegeben und nicht "gewährt".
- Der Agent muß nicht klüger sein als der Kunde.
- Vertrauenswürdigkeit ist keine Sache der Routine oder automatischer
Erledigung. Wiedervorlage ist keine "Erinnerung", sondern ein Mechanismus.
- Sprache entreisst uns der Verzweiflung. Sprache ist kein Werkzeug und kein
Mittel zur Manipulation. Worte, die zu Herzen gehen, helfen Menschen bei Telefonseelsorge
oder Kinderschutzbund. Wer Sprache entstellt, missbraucht oder als Surrogat
missbraucht, um mehr Geld aus Menschen herauszudrechseln, soll auf den Jahrmarkt
gehen.
- Nichts spricht für sich selbst.
Waggon 2: Soziale Kompetenz
- Der multiforme Mensch muß wachsen dürfen.
- Individuelle Unterschiede sind die Basis der sozialen Vielfalt des Call
Centers. Sie entspricht der sozialen Vielfalt der Kunden. Ohne soziale Vielfalt
keine soziale Kompetenz
- Verwandlung ist nicht nur möglich, sondern erstrebens- und unterstützenswert.
- Die soziale Kompetenz der Agenten besteht in Ihrer Fähigkeit, sich
auf die unterschiedlichen sozialen, psychologischen, thematischen, kulturellen
und fachlichen Erfordernisse des Gesprächs einzustellen
- Die soziale Kompetenz von Agenten kann nur in einem Umfeld zur Geltung kommen,
das soziale Vielfalt erlaubt und fördert
- Vielfalt ist indes nicht immer das Gegenteil von Einfalt. Hinter vielen
Meinungen muß keine Welt stehen.
- Verkomme nicht zur Figur, Charaktermaske. Werde nicht Opfer innerhalb einer
Schicksalsgemeinschaft.
- Lege Deine Chance in deine Autonomie.
- Starre Hierarchien lassen die Anwendung sozialer Kompetenz nicht zu, weil
sie den Agenten deren Nichtvorhandensein unterstellen
- Starre Verhaltensregeln lassen die Anwendung sozialer Kompetenzen nicht
zu, weil Sie sich gegen die in den individuellen Unterschieden der Agenten
begründete soziale Vielfalt wenden
- Der Entzug von Gestaltungsspielräumen und Entscheidungskompetenzen
macht die Agents nicht nur krank, sondern schränkt das Spektrum des Dialogs
zuungunsten des Kunden ein. Es gibt Call Center mit menschlichem Antlitz.
- Das Call Center mit menschlichem Antlitz soll in einer Umgebung angesiedelt
sein, die kulturelle und soziale Vielfalt bietet und Anreize zur Erweiterung
des kulturellen und sozialen Horizontes bietet
- Call Center müssen zur Kultur kommen. Ein Call Center soll nicht isoliert
von urbanen Umfeldern verortet werden
- Call Center sollen ihr Personal in den Umfeldern rekrutieren, in dem die
kommunikative und soziale Vielfalt stattfindet. Erlebnisgastronomie und kulturelle
events sind ideale Milieus für Personal-Scouts
- Bei Personaleinstellungen sollten nicht Zertifikate im Vordergrund stehen,
sondern Schlüsselqualifikationen, die im kulturellen und sozialen Leben
eingeübt und ausdifferenziert wurden
- Soziale Vorurteile aufgrund gebrochener Erwerbs- und Lebensbiographien sind
tabu. Die Fähigkeit zu "emotionaler Arbeit" wird dort erworben,
wo der Umgang mit vielfältigen wechselnden Kundenbedürfnissen und
unterschiedlichen Situationen und Formen der Kommunikation im Vordergrund
steht
- Es ist Sorge dafür zu tragen, daß in der internen Weiterbildung
und Qualifizierung, sowie Schulungen und Trainings die sozialen Kompetenzen
der Agents nicht abgebaut, sondern gefördert werden
- Der Dialog ist ein Produkt, das psychologischer Natur ist. Seine Qualität
ist maßgeblich von der psychischen Verfassung der Akteure des Dialogs
abhängig. Die Arbeitsorganisation im Call Center hat psychischen Belastungen
vorzubeugen, die aus der Arbeitsorganisation entstehen
- Denke nicht, daß alles mit Geld zu regeln ist. Pflichtgefühl
und Arbeitsfreude entstehen nicht automatisch aus profitabler Arbeit.
- Die Beteiligung der Agenten an Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen geht
über das reine Mitreden hinaus. Alle Gestaltung geht von den Agenten
aus
- Interne Dialoge sollen gefördert werden. Sie gewährleisten die
Aufrechterhaltung einer thematischen, sozialen und kulturellen Vielfalt, die
der Komplexität, Vielfalt und Vielschichtigkeit der Anforderungen und
Interessen der Kunden entspricht
- Fachliche Kompetenz wird durch fehlende soziale Kompetenz entwertet
Waggon 3: Entscheidungskompetenz
- Die wichtigsten Entscheider im Call Center sind die Agents im Zustand des
Dialogs
- Alle strategischen Entscheidungen des Call Centers gehen von den Erkenntnissen
und Erfahrungen der Agents aus, weil Sie den intensiven Dialog mit den Kunden
pflegen
- Das Management hat den Agents die Arbeit zu erleichtern, indem es den Dialog
mit den Agents sucht und durch die Schaffung interner Foren des Dialogs fördert
- Es gibt nicht die Agents und die Manager, sondern nur den Kundendialog und
das Management
- Die Kundenorientierung wird von den Agenten mit Inhalt gefüllt und
kann nur von Ihnen definiert werden
- In einem Arbeitsumfeld, dessen Produkt Kommunikation ist und dessen Produkt
nur durch eine intensive, interne Kommunikation zu sichern ist, ist das Netzwerk
der starren Hierarchie überlegen
- Netzwerke sind nicht notwendig regellos und nicht notwendig hierarchiefrei
- Selbstorganisierte Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse sind "top-down"-Entscheidungsstrukturen
vorzuziehen
- "buttom-up" schlägt "top-down"
- Kurze Entscheidungswege sind kundenfreundlich
- Zufriedene, ausgeglichene Agents sind kundenfreundlich
- Alle Aufgabengebiete des Call Centers sind seitens der Agents erlernbar
und können durch sie ausgefüllt werden
- Vertikales "job-enrichment" ist pure Wertschöpfung. Ein hohes
Maß an Kenntnissen, Qualifikationen und Fertigkeiten schafft Sicherheit
und Transparenz
- Vermeide "Wissenskönige" und verteile das Wissen auf alle
Köpfe.
- In jedem Falle ist das Vertrauen in die selbstständige Arbeit der Agents
Mechanismen der Überwachung, der Kontrolle und des Misstrauens vorzuziehen
- Technik unterstützt die Agents. Sie entscheiden, welche Techniken eine
zweckmäßige Unterstützung der Arbeit gewährleisten
- Integriere keine Technik ohne vorher gemeinsam mit den Agents über
den Sinn und Zweck der Technik und über die durch die Technik erforderlichen
Änderungen der Arbeitsabläufe abgestimmt zu haben
- Wenn mehr Eigenverantwortung von den Agents gefordert wird, muß Ihnen
mehr Entscheidungsspielraum eingeräumt werden
- Die Entscheidungsspielräume der Agents erleichtern dem Management die
juristischen und geschäftlichen Verantwortungen. Kunden- und zeitnahe
Entscheidungen verbessern die ökonomische Basis und wenden Gefahren vom
Unternehmen ab
- Ohne Nutzung von Entscheidungsspielräumen seitens der Agents entwickeln
sich starre Hierarchien
- Unsicherheit ist eine gute Ausgangslage für Entscheidungen. Die Berücksichtigung
anderer Entscheidungen sind eine schlechte Ausgangslage für neue Entscheidungen.
- Die Gestaltung der Löhne trägt dem Umstand Rechnung, daß
Agents verantwortliche Entscheidungsträger sind, deren Dialogführung
über die Wertschätzung, Bindung und Gewinnung von Kunden unmittelbar
entscheidet
- Führung ist eine Gemeinschaftsaufgabe
- Gehorsamkeit ist keine Tugend. Handeln ohne Einsicht in die Notwendigkeit
eines Tuns ist das Gegenteil von sozialer Kompetenz
- "Wer fragt, führt.", lautet eine CC-Weisheit. Wer andere
an der Nase herumführt, soll Tanzbären vorführen und gehört
nicht ans Telefon. Wer anführen möchte, soll lieber eine Bande gründen.
- Wenn jeder für sich doch alleine arbeitet ist man vor dem Kunden
alleine? -, dann ist die Frage nach der Fähigkeit und Eignung zur "Teamarbeit"
berechtigt.
- Stelle diese Frage im Zweifel, aber in jedem Falle: Führe dich selbst!
4. Waggon: Arbeits- und Gesundheitsschutz
- Vermeide Akkordtelefonie. Die Stimmbänder sind die Bandscheiben des
Call Center-Gewerbes
- Prävention geht vor Therapie
- Ergonomie in Call Centern beginnt bei der Psyche, der Stimme, der Atmung
und allgemeinen Befindlichkeit der Agents. Diese stehen in Wechselwirkung
zueinander. Belastungen verstärken sich gegenseitig. Linderungen verstärken
sich gegenseitig.
- Vermeide Belastungen durch trockene Raumluft, hohen Lärmpegel, Blendungen,
flimmernde Bildschirme, nicht oder schwer höhenverstellbare Stühle
und Tische, sorge für das Vorhandensein von Fußstützen, verteile
Belastungen durch Schicht- Nacht- und Feiertagsarbeit gleichmäßig,
halte Dich an Unfallverhütungsvorschriften, die EU-Bildschirmrichtlinien
- Das Ambiente der Arbeitsräume ist gemeinsame Angelegenheit aller in
ihnen arbeitenden Beschäftigten. Vermeide eine klinisch-sterile Einrichtung.
- Ein Arbeitsraum ist auch Lebensraum. Trostlose Umgebung schafft trostlose
Dialoge.
- Treibe nicht durch Händeklatschen oder Anfeuerungsrufe zur Arbeit an.
Telefonie ist kein Rudersport
- Lasse den Agenten Raum. Call Center sind keine Stätten der Massentierhaltung
- Lasse Möglichkeiten der individuellen Gestaltung des Arbeitsplatzes
- Überlasse den Agenten die Zeit- und Raumhoheit in dem Rahmen, den
sie selbst für verantwortlich halten. Befreie Dich von dem Vorurteil,
die Agents seien nicht imstande, ökonomisch verantwortlich und weitsichtig
zu handeln
- Weil die Arbeit zur Konzentration auf die Sache selber zwingt, wird der
Horizont jenseits des Tagesgeschäfte kaum sichtbar. Gegen diese Einfältigkeit
muß eine Langzeitorientierung gesetzt werden.
- Arbeitswut macht krank. Dich und die an denen du sie auslässt.
- Versuche Alternativen in den Wirkzusammenhängen und zu den Kausalsystemen
zu finden, die du vorfindest, von denen du dich getrieben fühlst.
- In dialogbasierten Unternehmen ist angewandte Demokratie angewandter Arbeitsschutz
5. Waggon: Kundenorientierung
- Jeder Dialog findet auf der Sach- und der Beziehungsebene statt. Da jeder
Dialog eine Beziehung herstellt und beeinflusst, ist die Beziehungsebene nie
außer acht zu lassen
- Die Agents sollen die Möglichkeit haben, individuell und gemeinsam
die Dialoge, die sie führen auszuwerten, Schlussfolgerungen aus Ihnen
zu ziehen und die sich daraus ergebenden Maßnahmen selbständig
entscheiden und durchführen können
- Sei für die Kunden nicht nur auf der Sach-, sondern auch auf der Beziehungsebene
erreichbar
- Kunden stellen keine Beziehung zu einem Neutrum her, das nur die Projektion
einer "Firmenidentität" vor sich herträgt und sich hinter
dieser Blendung verbirgt
- Costumer Relationship Management betreiben die Agenten und die Kunden im
Dialog
- CRM ist keine Maßnahme des Unternehmens, sondern Gestaltungsfeld aller
Partner der Kommunikation
- Keine mathematische Formeln sind ein Maßstab für die Qualität
eines Call Centers.
- Der Kunde bestimmt grundsätzlich die Dauer, das Thema und die Intensität
des Gespräches. Der Agent entscheidet über die Anlässe, die
einen Gesprächsabbruch oder eine Zurechtweisung des Kunden rechtfertigen
- Nicht jeder gute Kunde ist ein anständiger Kunde. Die einzige Pflicht
des Kunden besteht in der Wahrung des Anstandes. Sie gilt auch für den
Agent.
- Die Partner des Dialogs haben den Wunsch nach höflicher Distanz zu
berücksichtigen. Das gilt auch im internen Dialog. Die Aufhebung der
Distanz entsteht nur in gegenseitigem Einverständnis
- Belüge nie Deine Kunden. Akzeptiere keine Aufträge, die zur Unredlichkeit
und Unehrlichkeit gegenüber Kunden verpflichten, selbst dann nicht, wenn
sie als ökonomisch notwendig angesehen werden. Wer auf diese Aufträge
angewiesen ist, sollte die Branche wechseln
- Kommuniziert mit anderen Betreibern. Sucht nach Möglichkeiten, Euch
gegenseitig zu unterstützen
- Sag Kunden, wenn etwas nicht geht. Begründe warum es nicht geht, wenn
er sich erkundigt.
- Fordere nie von anderen, Kunden zu belügen
- Falsche Freundlichkeit ist aller Laster Anfang.
- Vermeide Wartezeiten für die Kunden primär durch hinreichende
Besetzung, nicht durch Integration von Techniken, die die Arbeitsdichte erhöhen
6. Waggon: Call Center-Verfassung
- Plädiere für eine Verfassung des Call Centers, nicht für
eine aufoktroyierte und angewiesene "Ordnung des Betriebes".
- Orientiere Dich am Grundsatz: alle Macht geht von den Agenten aus. Das heißt
nicht: alle Macht übt der Agent aus.
- Erfolgt eine Delegation von Entscheidungs- und Handlungskompetenzen durch
Mehrheitsbeschlüsse, so ist dies von allen zu akzeptieren
- Die Agents tragen Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Repräsentanten,
die sie mit Vollmachten ausgestattet haben.
- Werden Entscheidungs- und Handlungsvollmachten delegiert, so besteht für
die Delegierten die Pflicht zur Vorabinformation und Erklärung, sowie
bei Durchführung trotz mangelndem Einverständnis der in der Belegschaft
eine nachträgliche Pflicht zur Begründung
- Das Management ist der Vertreter des Kunden. Deshalb darf das Management
delegieren.
- Führung ist oft eine unerbetene Dienstleistung. Man soll sich aber
nicht aufdrängen. Vorlaute, aber fachinkompetente Menschen sind unverträglich
und unerträglich.
- Jeder hat das Recht zu wissen, woran er ist. Aber es gibt kein Recht auf
Eindeutigkeit, Befehle oder Anweisungen.
- Wer Mitarbeitern die Prinzipien vorenthält, wonach gehandelt werden
darf und soll, verhehlt werden oder unbekannt bleiben dürfen, der soll
sich über Gerüchte, Intrigen, Klatsch nicht wundern. Übersicht
und Wissen gehören zu erwachsenen Menschen. Wer sie ihnen verweigert
erhöht die Chance auf Fluktuation.
- Eine lebendige Ordnung lässt das Privatleben unantastbar. Wer die
Grenzen zwischen Arbeit- und Privatleben auflöst und dies auch von anderen
verlangt, hat kein Anrecht auf ehrliche Mitarbeiter und ehrliches Management.
- Manche sagen, man werde durch Schaden klug, meinen damit aber nie sich
selbst. Wer andere in ihrem Schaden für klug und verantwortlich erklärt,
ist Führungskraft. Für ihn sind Untergebene immer faul, feige und
falsch. Konflikte und Widerstand werden als individuelle Schwächen desjenigen
erklärt, der nicht die Meinung der Führungskraft "trägt".
Wer dieses Menschenbild hat, ist ein Call Center-Schädling.
- Verworrene, schwärmerische und undeutliche Vorstellungen werden gerne
mit genialen Business Cases oder anderen verlogenen Zahlenszenarien kompensiert.
Rechne immer selber nach. Übernehme nichts ungeprüft. Sonst heisst
es, dass Du der Urheber dieser Täuschung und Betrug seist.
- Einander achten heisst auch auf einander achten, und nicht Vorgesetzte beurteilen
Untergebene. Ich-Sucht und Machttrieb werden durch Eulenspiegeleien unterlaufen.
- Konflikte und Dissonanzen verwandeln sich durch Verschweigen in Misstrauen,
Mobbing, Geheimnistuerei und persönliche Differenzen, die unterschwellig
ausgetragen werden. Ein solches Klima zerstört nicht nur das interne
Beziehungsgeflecht, sondern belastet auch die Kundenkommunikation
- Wer Konflikte verschweigt, handelt gegen die Interessen aller
- Rede, dass ich Dich sehe!
- Die Einigung auf gemeinsame Regelwerke beinhaltet Regelungen zur Feststellung
von und zum Umgang mit Verstößen
- Werden Regelverstöße ignoriert und bagatellisiert führen
sich Regelwerke ad absurdum
- Wenn Du befehlen willst, gehe lieber zum Militär
- Wenn Du Missstände anprangerst, formuliere Alternativen und schaffe
Dir Akzeptanz für ihre Durchführung
- Ein Mangel an Akzeptanz rechtfertigt nicht den Verzicht auf Maßnahmen,
die gesundheitliche Schädigungen und Belastungen abwenden
- Stelle das Call Center öffentlich nicht anders vor, als es ist. Aber
hebe die Vorteile deutlich vor. Stehen in der Wirklichkeit des Call Centers
die Nachteile im Vordergrund, ist es besser, auf Öffentlichkeitsarbeit
zu verzichten
- Selbstdarstellung ist nicht Selbsttäuschung.
- Tue Gutes und sprich darüber - aber nur, wenn es ernst gemeint ist,
nicht als Selbstbeweihräucherung auf Kongressen ohne die Partner des
Call Center-Dialogs, die Agents und die Kunden
- Sei nicht eitel und überheblich, weil man Dir eine "gehobene"
Stellung zusprach. Sie ist nur vorübergehend.
- Halte diejenigen, die nicht mehr im Call Center arbeiten wollen nicht fest,
indem du an ihr soziales Gewissen appellierst. Höre die Gründe,
und akzeptiere sie.
- Schaffe Bedingungen, die das Verbleiben zu einer erfreulichen Perspektive
machen. Das ist der beste Schutz vor Fluktuation und "innerer Kündigung".
- Stelle an Deine Arbeit nicht den Anspruch, alle Deine privaten Probleme
zu lösen und mache Ihr nicht den Vorwurf, deren Ursache zu sein, es sei
denn Du bist Dir darin absolut sicher. Wenn dies so ist, so gilt es, diese
Ursachen zu beseitigen
- Besser ist es, sie gar nicht erst entstehen zu lassen
- Frage Dich immer. was kann ich für diejenigen tun, die das Call Center
sind - die Agents
- Der Anspruch, daß es mir gut geht, ist nicht Grundlage sozialen Handelns.
Der Anspruch, daß es auch mir gut geht ist legitim. Dafür haben
alle Sorge zu tragen.
- Es gibt ein Leben nach dem Call Center. Setzen sie sich eine Grenze dessen,
was Sie bereit sind zu ertragen. Wenn die Grenze überschritten wird:
kündigen Sie!
- Betreibe kein Call Center wenn Du es nur zum Spaß betreiben willst.
- Die Call Center-Dialoge finden nicht im hermetischen Raum statt. Die soziale,
kulturelle und thematische Komplexität der Call Center-Dialoge sind ein
Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Debatte.
- Boykottaufrufe gegen diejenigen, die Call Center entgegen der Grundsätze
von CallTrain betreiben, werden von CallTrain nicht boykottiert und gegebenenfalls
befolgt
- Call Center sind Politik.
- Politik ist Konversation.
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