Gestaltungsdefizite bei den Arbeitsbedingungen
Die Qualität der Arbeit in Call Centern und materielle Standards sind
unterschiedlich. Hoher Gestaltungsbedarf besteht vor allem hinsichtlich
der konkreten Arbeitsgestaltung/-organisation und Tätigkeitsprofile,
der Arbeitszeitgestaltung und Personaleinsatzsysteme, des Technikeinsatzes
mit seinen vielfältigen Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten,
betrieblicher Qualifizierungsmaßnahmen und sog. Coaching-Verfahren
bis hin zur Gewährleistung eines betrieblichen Gesundheitsschutzes,
um die vielfältigen Belastungen an den Call-Center-Arbeitsplätzen
zu minimieren.
Kollektiver Schutz nimmt ab
Der Trend zum Abbau kollektiver Schutzregelungen durch Tarifverträge
und das Entstehen neuer tarifloser Bereiche verstärkt sich. Derzeit
wird geschätzt, daß es sich bei 50-60 % der Call-Center-Arbeitsplätze
noch um Inhouse-Arbeitsplätze handelt, die zum größten Teil
tariflich abgesichert sind. Viele Unternehmen betreiben Tarifflucht und
gliedern Call Center in rechtlich selbständige Unternehmen aus oder
gründen Tochtergesellschaften mit neuen Vertriebsschienen, wie etwa
beim Direktbanking. Darüber hinaus entstehen eigenständige, ebenfalls
nicht tarifgebundene Telefondienstleistungs-Anbieter. Diese Unternehmen
bieten ihren Service anderen Unternehmen an und sind häufig nicht mehr
einer traditionellen Branche zuzuordnen. Das heißt, für Beschäftigte
in den nicht tarifgebundenen Call Centern fehlen jegliche tarifliche Ansprüche.
Tariffreie Zonen bleiben nicht ohne Wirkung auf die bisher noch geregelten
und geschützten Bereiche. Diese geraten unmittelbar oder mittelfristig
unter Druck durch die Argumentation, daß der externe Dienstleister
billiger ist.
Die Politik verzichtet auf soziale Gestaltung
Viele Bundesländer - aber auch andere europäische Länder
- konkurrieren um die Ansiedlung von Call Centern und Arbeitsplätzen.
Sie stellen günstige Rahmenbedingungen und großzügige Fördermittel
für die Unternehmen zur Verfügung. Inzwischen wird Sonntagsarbeit
unbürokratisch genehmigt, bis hin zur generellen Freistellung von der
Genehmigungspflicht. Anstatt von der Möglichkeit Gebrauch zu machen,
den Unternehmen soziale Auflagen zu erteilen, wird das grundsätzliche
Verbot der Sonntagsarbeit preisgegeben und Sozial- und Lohndumping begünstigt.
Forderungen der Gewerkschaften
- Realisierung von Konzepten mit einer klaren Kunden- und Serviceorientierung
und nicht in erster Linie Rationalisierung und Kostensenkung
- Gestaltung von politischen Rahmenbedingungen, die einen fairen Wettbewerb
ermöglichen; Abkehr der Förderpolitik von einer Ansiedlungspolitik
"um jeden
Preis" und Übernahme sozialer Verantwortung
- Schaffen von Arbeitsbedingungen, die Call Center-Beschäftigte nicht
zu
ArbeitnehmerInnen zweiter Klasse machen
Interessenvertretungsstrukturen und kollektive Standards schaffen
Die Gewerkschaften DPG, HBV und IG Medien unterstützen den Aufbau und
die Stärkung vor allem betrieblicher und gewerkschaftlicher Strukturen:
Wir helfen vor Ort bei der Wahl von Betriebsräten und haben Projekte
zur gezielten Erschließung und Betreuung neuer Betriebe geschaffen.
In vielen Regionen stimmen sich die drei Gewerkschaften ab und tauschen
Erfahrungen aus. Das Projekt Verlage der IG Medien hat mit einer Bestandsaufnahme
und einer Diskussion über die Entwicklungen in der Branche begonnen.
DPG und HBV betreiben ein Call-Center-Büro in Mecklenburg-Vorpommern,
ein DPG-Projekt erschließt vor allem Betriebe im Telekommunikationsmarkt,
die Gewerkschaften HBV, DPG, DAG und ÖTV konzentrieren sich mit einem
Projekt auf neue Vertriebswege im Finanzdienstleistungsbereich/Direktbanken.
Mittelfristiges Ziel der Gewerkschaften ist es, für nicht tarifgebundene
Call Center Tarifverträge abzuschließen. Hier ist ein differenziertes
Vorgehen notwendig. Ebenso stimmen die Gewerkschaften tarifliche Mindeststandards
für jene Call Center ab, die nicht mehr einer Branche zugehörig
sind.
Gemeinsam mit Interessenvertretungen die Arbeit in Call Centern gestalten
Wir beraten und begleiten Betriebsräte, vermitteln kompetente Berater
und stellen Handlungshilfen zur Verfügung. In einer ersten Tagung "Arbeit
human und produktiv gestalten" im November 1998, die vom Kooperationsbüro
Multimedia + Arbeitswelt, der Technologieberatungsstelle des DGB NRW und
der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt wurde, haben rund 200 Betriebs-
und Personalräte sowie Experten Erfahrungen ausgetauscht, in Fach-
und Branchenforen diskutiert und Leitbilder für die Arbeit in Call
Centern entwickelt. Die Ergebnisse der Tagung sind zusammen mit einer Handlungshilfe
in der Broschüre "Arbeiten im Call Center" veröffentlicht.
Politik nicht aus der Verantwortung entlassen
Wir mischen uns ein in die Politik: Mit unseren Steuergeldern sollen stabile
Arbeitsverhältnisse geschaffen und nicht Sozial- und Lohndumping betrieben
werden. Wir schalten uns ein auf der Länder-Ebene, wenn Förderprogramme
aufgelegt werden. Soziale Standards müssen zur Förderbedingung
werden.
Bereitschaft zum Dialog
Wir gehen an die Öffentlichkeit und werben bei Tagungen und Interessenverbänden
der Call-Center-Betreiber für unsere Positionen und für einen
Dialog, weil Humanität und Produktivität für uns kein Widerspruch,
sondern zwei Seiten einer Medaille sind.
Kooperationsbüro Multimedia + Arbeitswelt
Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen
Hauptverwaltung
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