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Neues Arbeitsgebiet "Call-Center"- Chance für Frauen?

 

Arbeitsbedingungen:

"Call-Center" bedeutet übersetzt Anrufzentrale, doch diese recht neue Dienstleistung beinhaltet mehr. Anrufende Kunden können schnell Informationen abrufen oder die unterschiedlichsten Aufträge wie Erledigung von Bankgeschäften oder Urlaubsbuchungen erteilen. Call-Center gelten als Paradebeispiel für die Arbeitsplätze der Zukunft: technik- und dienstleistungsorientiert, kundenfreundlich und modern. Doch wie sieht es mit der Beschäftigtenstruktur und der Arbeitsgestaltung in diesem Arbeitsfeld aus?

In den Call-Centern wird in Teams gearbeitet. Es gibt drei verschiedene Hierarchiestufen: Agent, Supervisor und Manager. Der Supervisor ist Teamleiter und übernimmt Kontrollfunktionen, dem Manager unterliegen mehrere Teams. Die Tätigkeit des Agenten besteht entweder in einfachen Dienstleistungen wie Auskünfte erteilen oder aber in ausführlichen Beratungsgesprächen. Die Beschäftigten arbeiten dabei gleichzeitig an Telefon und PC und nehmen teilweise bis zu 300 Anrufen pro Schicht entgegen. Die gestellten Arbeitsanforderungen sind vergleichsweise hoch, von den ArbeitnehmerInnen werden Sicherheit im Umgang mit dem neuen Medien, flexibler Arbeitseinsatz, Schichtdienst, Sprachkenntnisse, eine nette, freundliche Stimme und soziale Kompetenz erwartet.

Die Struktur der Beschäftigten in den Call-Centern setzt sich bei den Agenten überwiegend zusammen aus Studierenden, Hausfrauen, Wiedereinsteigerinnen nach Kindererziehungszeiten und ehemaligen SozialhilfeempfängerInnen. Diese Frauen sind aufgrund ihrer sozialen Lage verdienstorientiert und nur ein kleiner Teil ist gewerkschaftlich organisiert. Nur in wenigen Call-Centern existiert ein Betriebsrat und die Rechte der ArbeitnehmerInnen sind erheblich eingeschränkt. Tarifverträge werden nur in den sogenannten Inhouse-Centern abgeschlossen, also in ausgelagerten Call-Centern bestehender Firmen.

Arbeitszeiten, Bezahlung, Arbeitsbedingungen und Urlaubsansprüche müssen individuell ausgehandelt werden, selbst die gesetzlichen Mindestanforderungen werden laut Gewerkschaften überall nicht eingehalten.

Besonders wichtig wären einheitliche Arbeitsverträge und Regelungen bezüglich Bildschirmarbeit und Datenschutz. "Um aber zu Tarifverhandlungen zu kommen, müssen auch die gewerkschaftlichen Mitglieder da sein, um genügend öffentlichen Druck zu machen", sagt Hugo Waschkeit, Leiter der ver.di-Projektgruppe Call-Center Niedersachsen.

Die Bezahlung ist abhängig davon, ob ein Tarifvertrag anzuwenden ist, wie die konkreten Arbeitsanforderungen aussehen und nicht zuletzt von der Arbeitsmarktlage. Ein Agent in den neuen Bundesländern arbeitet z.B. für 12,-DM Stundenlohn, ein Vollzeitbeschäftigter Agent in NRW kann laut der Call-Center Akademie NRW (CCA) bis zu 71.000 DM brutto jährlich verdienen.

 

Arbeitsbeanspruchung:

Die Tätigkeit des Agenten besteht aus Bildschirmarbeit, die im Sitzen ausgeführt wird. Die Arbeitsbedingungen sind monoton durch die geringe Denkanforderung und die gleichförmigen Tätigkeiten, die Augen werden stark beansprucht, durch das ständige Sitzen entstehen Zwangshaltungen des Bewegungsapparates, schlechtes Raumklima (Elektrosmog) und ein ständiger Geräuschpegel erschweren die Arbeit. Darüber hinaus entsteht Zeitdruck durch das Einhalten bestimmter Zielvorgaben bei der Abarbeitung der Telefonanrufe. So zeigt z. B. ein Wallboard (=Warteschlangenanzeige) an der Decke über dem Arbeitsplatz an, wie viele Kunden sich in der Warteschlange befinden und wie viele Telefonate abgebrochen wurden. Die Kontrollmöglichkeiten der Teamleiter sind sehr hoch, die Technik bietet Auswertungs- und Überwachungsmöglichkeiten, Gespräche können jederzeit abgehört werden, es kann überprüft werden, wer wie lange Pause macht und wie viel Zeit man für ein Telefonat benötigt. Trotz der Arbeit in einem Großraumbüro ist man an seinem Arbeitsplatz isoliert, Gespräche mit ArbeitskollegInnen können nur in den Pausen stattfinden. Diese Bedingungen führen zu hohen psychischen und physischen Belastungen, die sich negativ auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken.

Die Krankheitssymptome sind zum Einen von "normalen" Bildschirmarbeitsplätzen her bekannt: Schulter/Nackenverspannungen, Kopfschmerzen, Augenbeschwerden, Überempfindlichkeit gegen Elektrosmog, Erkältung der Atemwege und der Stimmbänder. Zum Anderen lassen sich laut einer Analyse der Technology Solutions Company (TSC Deutschland) Beschwerden wie Gehörprobleme, Angstzustände und psychische Auffälligkeiten bei den Beschäftigten immer häufiger feststellen. Selbstverständlich sind im Call-Center alle ergonomischen Grundsätze, wie sie in Verwaltung und Büros gelten, anzuwenden, darüber hinaus müssen jedoch auch die sogenannten "weichen" Faktoren wie soziales Umfeld, Kommunikation und Führungsstile stärker ins Blickfeld als Ursache von Dauerbelastung und Krakenstand gerückt werden. Die hohen Anforderungen sind allerdings auch ein Grund für die hohe Fluktuation in diesem Bereich.

 

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt:

Die Stellenzuwachsraten in dieser Branche sind hoch. Nach Angaben des Deutschen Direktmarketingverbandes (DDV) gab es 1998 120.000 Beschäftigte in Call-Centern in Deutschland, eine Steigerung von mehr als 50% wird erwartet.

Allerdings werden in den entstehenden Call-Center von etablierten Firmen oft Mitarbeiter aus den Stammunternehmen auf einen neuen Arbeitsplatz umgesetzt. Im Klartext heißt das, es entstehen gar keine neuen Arbeitsplätze, sondern es erfolgt eine Umwandlung eines vormals gesicherten Arbeitsplatzes in einen tariflich nicht mehr gebundenen.

Laut einer Studie der CCA arbeiteten 1998 nur 53% der Beschäftigten in Vollzeit, die übrigen waren als Teilzeit- oder Aushilfskräfte eingestellt. 79% aller bestehenden Call-Center bilden in ihrem Betrieb gar nicht aus. Aus dieser Sicht erscheint es nicht angebracht von Call Centern als der "zukunftsträchtigen Branche schlechthin" zu sprechen.

 

Chance für Frauen?

Viele Arbeitgeber bevorzugen Frauen, da die in einem Call-Center gestellten Arbeitsanforderungen (Büro- und Telearbeit, soziale Kompetenz, angenehme Stimme) einem typischem Arbeitsplatz für Frauen entsprechen. In den technischen Dienstleistungen finden sich allerdings überwiegend Männer in Vollzeitbeschäftigung .

Die Einbindung flexibler Teilzeitarbeit in die Familien- und Lebenssituation macht diesen Arbeitsplatz für Frauen attraktiv. Mütter können Arbeitszeiten nutzen, in denen ihre Kinder in Schule oder Kindergarten betreut werden, oder aber am Abend oder Wochenende arbeiten gehen, wenn der Partner die Kinder versorgen kann. Nach Kindererziehungszeiten können Frauen den Wiedereinstieg in den Beruf verwirklichen.

Allerdings wird gerade in diesem Arbeitsfeld viel Leistung für wenig Geld erbracht. Die oben erwähnten Arbeitsanforderungen werden als "typisch weibliche Fähigkeiten" angesehen, die nicht in einem Beruf erlernt worden sind sondern die die Frauen aus ihrer persönlichen Sozialisation erworben haben. Diese Form der Qualifikation ist nicht messbar und spielt deshalb bei der Frage der Bezahlung auch eine untergeordnete Rolle. Außerdem sind die Teilzeitarbeitsplätze in den wenigsten Fällen abgesicherte Arbeitsverhältnisse. Gerade für Mütter, die sich außerhalb der Arbeitszeit um Familie und Haushalt kümmern müssen, sind die erwähnten Arbeitsbedingungen ein großer zusätzlicher Belastungsfaktor.

 

Bessere Arbeitsbedingungen schaffen

Um gesündere, besser bezahlte und abgesicherte Arbeitsplätze zu gestalten, ist es sicherlich erforderlich, Betriebsräte zu gründen und Tarifverträge abzuschließen. Dazu ist es erforderlich, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad erhöht wird. Außerdem müssen umfangreiche politische Rahmenbedingungen geschaffen werden. So müssen zunächst die Fördermaßnahmen der Bundesländer auch Verantwortung zeigen für die Qualität der Arbeit. Dazu gehört das gesetzlich geschützte Verbot der Sonntagsarbeit, das in Call-Centern häufig unterlaufen wird. Auch die Bildschirmrichtlinie muß hier zur Anwendung kommen. Mittlerweile gibt es auch gewerkschaftliche Projektarbeiten in diesem neuen Arbeitsgebiet, um Beschäftigte über ihre Rechte aufzuklären und über das Arbeitsfeld zu informieren, z.B ver.di-Projektgruppe Call-Center Niedersachsen/Bremen oder das Kooperationsbüro Multimedia+Arbeitswelt. Für Frauen kann die Arbeit in einem Call-Center nach Arbeitslosigkeit oder Kindererziehungszeiten sicherlich eine Chance sein, wieder im Berufsleben Fuß zu fassen. Sie sind aber dazu aufgefordert, sich für eine angemessene Bezahlung, gesunde Arbeitsbedingungen und Weiterbildungsmaßnahmen stark zu machen. Dabei ist es wichtig, familienpolitische Maßnahmen zur Vereinbarkeitsproblematik von Familie und Beruf durchzusetzen. Der Ausstieg aus dem Berufsleben betrifft zum überwiegenden Teil die Mütter und nicht die Väter, da diese immer noch die Hauptverdiener sind. Nach der sogenannten "Babypause" sind die Frauen dann darauf angewiesen, geeignete Betreuungsplätze für ihre Kinder zu finden, um wieder arbeiten gehen zu können. Die Versorgungsquote für 0-3-jährige Kinder liegt allerdings bei nur 3%, im Kindergartenalter steigt die Quote zwar auf über 90%, sinkt aber im Grundschulalter wieder rapide ab. Insgesamt entspricht die Versorgung mit öffentlichen Betreuungsplätzen in keinem Bereich der Nachfrage, Frauen müssen hier vorwiegend auf den privaten Sektor zurückgreifen. Da durchschnittlich 67% aller Beschäftigten in Call-Centern Frauen sind, müssen betriebseigene Kindergärten geschaffen werden, deren Betreuungszeiten mit den Arbeitszeiten im Call-Center kompatibel sind.

Die Möglichkeit der Teilzeitarbeit wird immer wieder als besonders frauen- und familienfreundlich dargestellt. Dies ist aber nur bedingt richtig, denn unter flexibler Arbeitszeit versteht ein Arbeitgeber häufig, dass seine Beschäftigten jederzeit abrufbar sind. Teilzeitarbeit ermöglicht erst die für ein Call-Center wichtigen langen Service-Zeiten (häufig ein "Rund-um-die Uhr-Service"), weil durch mehrere Schichten lange Öffnungszeiten und Wochenenddienste ermöglicht werden können. Dabei wird aber nicht berücksichtigt, dass bei Doppelbelastung durch Berufsarbeit und Familie Wechselschichten oder ständig wechselnde Einsatzzeiten und häufige Wochenendarbeit schwer zu realisieren sind. Insofern sind Teilzeitarbeitsplätze auch sehr unternehmerfreundlich. Sie haben jedoch immer noch den Stellenwert einer minderwertigen Arbeit, berufliche Aufstiegsmöglichkeiten bleiben verwehrt. In der sozialpolitischen Diskussion über neue Arbeitszeitmodelle müssen Frauenarbeitsplätze viel stärker berücksichtigt werden und einen neuen Stellenwert erhalten. Wenn Call-Center mit zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen aufweisen wollen, müssen arbeitnehmerorienierte Bedingungen geschaffen werden und aufgrund des hohen Frauenanteils speziell auf Frauen abgestimmte Arbeitsplätze gesichert werden. Dazu sind die Unternehmen, Gewerkschaften und alle Beschäftigten in Call-Centern aufgefordert.

Artikel von Katharina Homann-Kramer

 

Quellen:

 


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