Sie haben weltweit den ersten Streik in einem Call-Center organisiert. Damals hätten sich die Kolleginnen und Kollegen der Citifinanzberatung in Bochum nicht träumen lassen, dass sie einige Monate später als »Unternehmer« und »Gesellschafter« einer GmbH mit dem Namen »Tekomedia« (Telekommunikations- und Multimedia Services) tätig sind.
Doch der Reihe nach. »Angefangen hat alles mit höheren Kaffeepreisen«, erinnert sich Hannes Oberlindober, damals beschäftigt bei der Citifinanzberatung GmbH, besser bekannt als Telebanking der Citibank. Heute ist Hannes Oberlindober einer von fünf Geschäftsführern der Tekomedia. »Zu Beginn der neunziger Jahre waren CaIl-Center noch etwas Exotisches. Es waren vor allem Studenten, die mit ihrem Job im Call Center ihr Studium finanzierten. Mit diesen Studenten holte sich die Citibank auch politischen Sachverstand ins Unternehmen. Nicht wenige Studenten hatten politische Erfahrung im AStA gesammelt, und so wunderte es nicht, dass relativ schnell ein Betriebsrat gewählt wurde«, fasst Hannes Oberlindober die Anfangszeit zusammen. Ein erster Konflikt war dann die Erhöhung der Kaffeepreise.»Für Menschen, die viel reden, und dies ist in einem Call Center nun einmal der Fall, sind solche Getränke wichtiger Bestandteil der Arbeit«, erläutert Kollege Oberlindober. Doch schon bald standen ganz andere Fragen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. So gelang es dem Betriebsrat, den Grundlohn von 12 Mark in der Stunde zuerst auf 15 Mark zu erhöhen und in einem zweiten Schritt auf 20 Mark anzuheben.
Eine heftige Kontroverse zwischen Betriebsrat und Citibank-Geschäftsführung entbrannte am Thema Sonntagsarbeit. Ein Jahr lang sperrte sich der Betriebsrat, und in den Führungsetagen wurde die Forderung laut, das Unternehmen zu schließen, wenn man »den Betriebsrat nicht klein kriegt«.
Nach langen Diskussionen gab der Betriebsrat nach. Hannes Oberlindober: »Den Betriebsräten war damals bewusst, dass die Citibank keine Ruhe geben würde.« Betriebliche Sozialleistungen sollten abgebaut werden, und am Ende stand die Schließung der Citibank-Call-Center in Bochum und Duisburg. »Am 12. August 1998 verkündete die Geschäftsleitung die Schliessung zum 30. Juni des kommenden Jahres. Wir sind daraufhin sofort in die Offensive gegangen und haben die Belegschaftsversammlung öffentlich gemacht.
Presse, Rundfunk und Fernsehen berichtete breit über den Fall.« In den kommenden Wochen folgten Streiks, Mahnwachen, Postkartenaktionen und Demonstrationen. Das Thema Call-Center der Citibank bestimmte die Schlagzeilen nicht nur in Bochum und Duisburg.
Hannes Oberlindober: »Bereits während dieser Auseinandersetzung reifte bei uns die Überlegung, ein eigenes Call Center ins Leben zu rufen. Wir wollten zeigen, dass es auch anders laufen kann!« Über den Weg einer Arbeitnehmerinitiative gründeten am 12. April dieses Jahres 73 Kolleginnen und Kollegen mit Hilfe ihrer Abfindungen eine GmbH. Zum Angebot der neuen GmbH gehören Telefonmarketing für kleine und mittlere Unternehmen sowie Verbände und Organisationen, aber auch Internet-Recherche. Zur Zeit bemühen sich die Kolleginnen und Kollegen, selber zum Bildungsträger zu werden und in ihren Räumen die Ausbildung zum Telemarketing-Fachwirt anzubieten. Zur Zeit haben zehn Kolleginnen der GmbH einen Arbeitsplatz in ihrem Unternehmen gefunden. »Wenn die Entwicklung so weiter läuft«, so Hannes Oberlindober, »stehen die Chancen nicht schlecht, fünf weitere Kolleginnen bzw. Kollegen einzustellen.« Ein weiterer Schwerpunkt des jungen Unternehmens: Service-Leistungen für Gewerkschaften anzubieten.
Kollege Oberlindober: »Wir sind selber aktive Gewerkschaftsmitglieder, wissen, wo den Beschäftigten der Schuh drückt. « Ein Angebot der Tekomedia, das die Gewerkschaft HBV im Rahmen eines Modellversuchs aufgreift. Für einige HBV-Bezirke wird die Tekomedia in den kommenden Wochen und Monaten verschiedene Dienstleistungen anbieten und damit den Kontakt zu den HBV-Mitgliedern verbessern und den HBV-Service ausweiten. Auf die Erfahrungen der nächsten Wochen und Monate darf man gespannt sein.
Erschienen in: Ausblick vom Dezember 1999