Georg Stingl zum Thema Samstagsarbeit im Bankgewerbe.

"Was Du nicht willst, das man Dir tu', ...."

Wollen Sie regelmaessig am Samstag arbeiten ? HBV veranstaltet Meinungsbefragung

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

morgen werden Sie mit einer Meinungsbefragung zum Thema Samstagsarbeit konfrontiert. Gestatten Sie mir bitte als Ihr Gewerkschaftsvertreter in der bws bank, Ihnen meine persoenliche Meinung zu dieser Befragungsaktion zur Kenntnis zu bringen.

Sie sollen in der Meinungsbefragung auf folgende drei Fragen antworten:

1. Ich stimme dem Arbeitgebervorschlag zu und akzeptiere ein entsprechendes Tarifergebnis - Samstagsarbeit fuer Neueingestellte und Freiwillige in allen Arbeitsbereichen ohne Zuschlaege.

2. Ich stimme dem HBV-Vorschlag zu; ein Test zur Samstagsarbeit mit Ausnahmen und engen Begrenzungen sowie Zuschlaegen

3. Die Arbeitgeber koennten mit einem Angebot von wenig mehr als 3,1 % (z.B. 3,2%) versuchen, Ihre Zustimmung zur regelmaessigen Samstagsarbeit - ohne Zuschlaege - zu erkaufen. Wuerden Sie das akzeptieren?

Ich bitte Sie, soweit Sie Interesse an tariflichen Mindestbedingungen fuer Ihr Arbeitsverhaeltnis haben, sich an dieser Befragungsaktion zu beteiligen. Wenn Sie der Ansicht sind, Gewerkschaften und Tarifvertraege seien ueberfluessig, weil Sie allein stark genug sind, Ihr Arbeitsverhaeltnis ohne kollektive Vertretungen wie Gewerkschaft oder Betriebsrat zu regeln, dann will ich Ihnen Ihre kostbare Zeit nicht stehlen und empfehle Ihnen, an dieser Stelle die Lektuere zu beenden.

Ich persoenlich werde mich jedenfalls an der Abstimmung beteiligen und werde auf saemtliche drei Fragen mit Nein antworten. Ich empfehle, dass Sie das gleiche tun. Warum?

Es fehlt nach wie vor an einer Begruendung fuer regelmaessige Samstagsarbeit im Bankgewerbe.

Die Arbeitgeber des Bankgewerbes sind ihren Beschaeftigten bis heute die Begruendung schuldig geblieben, warum ihre Beschaeftigten regelmaessig am Samstag arbeiten sollen - wenn man davon absieht, dass sie reihum in den verschiedenen Betrieben und Laendern ihren Belegschaften vorgaukeln, durch Ausdehnung der Betriebszeiten wuerden ihre Arbeitsplaetze sicherer. Dieses Argument zieht hoechstens so lange, bis an allen relevanten Finanzplaetzen die Samstagsarbeit eingefuehrt ist. Dann haben wir die gleiche Konkurrenzsituation wie zuvor, bei deutlich verschlechterten Arbeitsbedingungen. Die Liquiditaet nimmt durch diese Massnahme jedenfalls nicht zu, verteilt sich nur auf einen laengeren Zeitraum.

Woran es der Arbeitgeberargumentation voellig mangelt, ist eine gesellschaftliche Begruendung fuer die Samstagsarbeit. Es gibt spaetestens seit Erfindung der Geldausgabeautomaten zur Geldversorgung der Bevoelkerung jedenfalls keinen Grund mehr, warum die Zweigstellen am Samstag offen sein sollen. Es soll uebrigens auch vor dieser bahnbrechenden Erfindung schon Menschen gegeben haben, die es durch entsprechende "Vorratshaltung" geschafft haben, das Wochenende ohne Bankbesuch zu ueberstehen. Und heute bei der flaechendeckenden Existenz von Gleitzeitsystemen ist es locker moeglich, zwischen Montag und Freitag einen laengeren Beratungsbesuch bei der Hausbank zu organisieren (bws bank: jeder Arbeitnehmer hat einen Rechtsanspruch auf 2 Gleittage im Monat).

Der - in der Regel - arbeitsfreie Samstag und damit das freie Wochenende ist eine Errungenschaft unserer Eltern und Grosseltern, die wir gemeinsam geerbt haben. In Verbindung mit der Einfuehrung der 40-Stunden-Woche hat sich damit das Verhaeltnis von Arbeit und Freizeit wesentlich veraendert.

Die Moeglichkeit, das Leben zu organisieren, wurde entscheidend verbessert - "Samstags gehoert Vati mir", hiess die bekannte Parole. Nur in den Branchen, wo ein gesellschaftlicher Bedarf der Bevoelkerung an Samstagsarbeit vorhanden war, wurde regelmaessige Samstagsarbeit mit diversen Ausgleichs- und Zuschlagsregelungen zugelassen, wie in der Lebensmittelversorgung, in Krankenhaeusern, im Sicherheitsbereich, im oeffentlichen Personentransport und in kulturellen Einrichtungen.

Der freie Samstag ist im Bankgewerbe eine weltweite Einrichtung. Oder kennen Sie eine Aktienboerse auf der Welt, die samstags geoeffnet hat. Kennen Sie eine nationale Zentralbank, die am Wochenende arbeitet. Fuer Hinweise waere ich dankbar. Wenn Sie im Urlaub sind, wo haben Sie offene Zweigstellen von Banken gefunden? Bitte mitteilen (und gleich nachfragen, welche Ausgleichs- und Zuschlagsregelungen dort vereinbart sind).

Grundlage fuer die 40-Stundenwoche und den arbeitsfreien Samstag war und ist eine enorme Steigerung der Produktivitaet der Arbeit. Die Arbeitnehmer haben nichts anderes getan, als einen - kleinen - Teil des Kuchens, den Sie alle taeglich backen, selbst zu verzehren.

Dass die Aktionaere trotz dieser sozialen Errungenschaft immer reicher wurden, sehen Sie selbst tagtaeglich bei Ihrer Arbeit, da brauche ich hier keine Statistiken zu zitieren.

Viele Branchen in der Bundesrepublik haben uebrigens inzwischen den freien Samstag und die 35-Stundenwoche eingefuehrt. Und die kaufmaennischen Angestellten in diesen Branchen verdienen auch nicht schlechter, eher besser als im Bankgewerbe.

Der Angriff der Arbeitgeber auf den freien Samstag ist eine einzige Zumutung, die sich die Bankangestellten nicht gefallen lassen brauchen. Ist das der Dank dafuer, dass wir uns fuer die Euro-Einfuehrung, die Y2K-Tests, die staendigen Umorganisationen, Outsourcing-Massnahmen, etc. pp. die Beine ausgerissen haben.

Was steckt hinter dem Angriff auf das freie Wochenende?

Ich vermute, der tatsaechliche Grund der Arbeitgeber fuer die Abschaffung des freien Samstags besteht darin, dass sie ihre Betriebe nicht mehr vernuenftig organisieren koennen, sondern Samstag fuer Samstag UEberstunden brauchen, um ihr hundsgewoehnliches Montag-bis-Freitag-Geschaeft in den Griff zu bekommen. Ich habe mir sagen lassen, dass nicht nur in der bws bank die Samstagsarbeit derart ausgeufert ist. Und da liegt es natuerlich nahe, dass man versucht, ein paar Mark an den Zuschlaegen fuer Samstagsarbeit zu sparen und endlich den Betriebsraeten ihr entscheidendes Mitbestimmungsfeld zu entziehen.

Mal ehrlich, wenn die Mitbestimmung der Betriebsraete bei der Samstagsarbeit nicht mehr existiert, haben diese ihr entscheidendes Verhandlungsargument verloren. Erinnern wir uns noch an die Lohnfortzahlung, als der DG BANK-Personalrat, der Betriebsrat der Deutschen, Dresdner und Commerzbank die Samstagsueberstunden fuer die Telekom-Einfuehrung verweigerten. Wie schnell haben die Arbeitgeber klein bei gegeben.

Dreimal Nein zur Samstagsarbeit!

Darum geht es bei der Diskussion um den freien Samstag und damit liegt auch auf der Hand, warum ein Arbeitnehmer bei dieser Befragungsaktion nur dreimal mit Nein stimmen kann:

Die Antwort auf die erste Frage heisst Nein, ...

... weil regelmaessige Samstagsarbeit fuer Neueingestellte die Grundlage jeglicher Solidaritaet zerstoert und ein Ende des Tarifvertrages bedeutet. Denn dieses Spielchen kann man doch bei jedem beliebigen Thema spielen: Der Urlaub ist zu lang, also nur noch 4 Wochen fuer Neueingestellte, die Sonderzahlungen sind zu hoch, also nur noch 12 Gehaelter fuer Neueingestellte. Wer so dumm ist, die Neueingestellten zu verkaufen, hat es selbst auch nicht besser verdient. Er darf naemlich nie wieder den Arbeitgeber wechseln, sonst ist er selbst Neueingestellter. In diesem Sinne verwundert mich die harmlose Kritik der HBV-Fuehrung an dem Arbeitgebervorschlag (Klaus Carlin, HBV-Verhandlungsfuehrer laut Frankfurter Rundschau: "Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge". Worueber lacht dieser Kollege eigentlich?)

Die Antwort auf die zweite Frage heisst ebenfalls Nein, ...

... auch wenn sie angeblich "HBV-Meinung" ist. Wozu muss man regelmaessige Samstagsarbeit eigentlich noch "testen"? Die Kollegen koennen doch mal aeltere Kollegen fragen, wie das war mit regelmaessiger Samstagsarbeit, oder auch z.B. bei der Handvoll Filialen nachfragen, die aufgrund einer Ausnahmeregelung genauso wie die Wechselstellen an Grenzen auch nach 1972 oeffnen konnten.

Hinter dem "HBV-Kompromissangebot" steckt die Illusion, man koenne durch Entgegenkommen auf Kosten einzelner Arbeitnehmer die Samstagsarbeit auf kleine Bereiche eindaemmen und insbesondere die Telefonbanken und Direktbanken wieder in den Tarif zurueckholen. Haben die Arbeitgeber dieser outgesourcten Betriebe denn schon zugesagt, dass sie dann postwendend wieder Mitglied im Arbeitgeberverband werden? - Haben sie nicht. Auch bei Frage 2 wird wie bei Frage 1 versucht, die Lage der "Mehrheitsbelegschaft" auf Kosten von einzelnen Arbeitnehmergruppen zu retten (Geschaeftsstellen in Citylagen, Bankshops, Internationales Handelsgeschaeft plus Abwicklung). Diese Strategie muss, weil unsolidarisch, genauso in die Hosen gehen.. "Was Du nicht willst, das man Dir tu', ..." Daher auch hier die Antwort "Nein".

Die Antwort auf die letzte Frage heisst natuerlich auch Nein.

Wenn Sie zur Zeit 50 % Zuschlaege am Samstag bekommen, dann koennen Sie sich ja ausrechnen, wie lange sie bei einer Gehaltserhoehung von 0,1% arbeiten muessten, damit Sie den Verlust ausgleichen koennen, der durch Streichung der Zuschlaege fuer die Arbeit an einem einzigen Samstag entsteht. So bloed kann nur DAGobert DAG sein. (Insiderinformation: Es soll in Kreisen der DAG UEberlegungen geben, einen solchen Tarif zu unterschreiben.)

Endlich mal was Positives! Ja zum freien Wochenende!

Jetzt sagen Sie: Wie kann man ueberall Nein sagen. Gibt es nichts positives? Klar doch: Ich bin fuer das freie Wochenende, dagegen sind nur die Arbeitgeber, die den sozialen Rueckzug in die 50er Jahre angetreten haben. Wie koennen wir dieses aber sichern, wenn die Arbeitgeber weiter ihre Erpressungsstrategie fahren? Ich sehe dazu im Prinzip nur drei Moeglichkeiten:

Erste Moeglichkeit: Sie akzeptieren das Nein der Arbeitgeber zum freien Wochenende und arbeiten zukuenftig regelmaessig samstags ohne Zuschlaege.

Zweite Moeglichkeit: Sie sagen Ja zum freien Wochenende, treten in die Gewerkschaft ein und bereiten mit uns zusammen einen mehrtaegigen Streik fuer den Herbst vor - weil die Tagesstreiks anscheinend nicht ausgereicht haben - und kassieren Streikgeld von der Gewerkschaft.

Dritte Moeglichkeit: Sie sagen ebenfalls Ja zum freien Wochenende, treten aus diversen UEberlegungen nicht in die Gewerkschaft ein, legen sich aber jeden Monat 150,- DM auf die Seite und bereiten mit uns zusammen einen mehrtaegigen Streik fuer den Herbst vor - und finanzieren den Streik selbst.

Wenn Sie Anregungen oder Kritiken zu meiner unmassgeblichen Meinung haben, wuerde mich dies brennend interessieren. Meine Lotus-Notes-Adresse finden Sie im bws bank-Adressbuch.

Mit kollegialen Gruessen

Georg Stingl (HBV Betriebsgruppensprecher bws bank)