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Postmoderne Zeiten

Arbeiten in der Briefsparte der Deutschen Post

Geert Naber*

Wenn die Auswirkungen der "new economy" auf hergebrachte Dienstleistungsbranchen thematisiert werden, ist oft von "radikalen Innovationen" die Rede. Als beliebtes Beispiel dienen die Kurier- und Paketdienste. Die zunehmende Bedeutung des Internet für Informationsaustausch, Handel und Konsum bedinge ein Anschwellen von Reichweite und Volumen ihrer Transporte. Folglich komme es zu einem Siegeszug global orientierter Logistik- und Beförderungsstrategien mit erheblichen betrieblichen und gesamtwirtschaftlichen Effekten. Hingewiesen wird auf technische und arbeitsorganisatorische Umwälzungen in den Paketdiensten, auf die Ausdehnung und zunehmende Belastung des Verkehrsnetzes und gelegentlich auch auf damit verbundene soziale und ökologische Probleme. Weitaus weniger Beachtung als die aktuellen Entwicklungen im Paketbereich findet die Situation im Briefbereich. Offenbar wird das Sortieren und Befördern von Briefen, angesichts neuer Kommunikationsmöglichkeiten wie E-Mail oder SMS, als eine schrumpfende und überholte Wirtschaftsbranche betrachtet. Diese Einschätzung stimmt jedoch nicht mit neueren Marktbeobachtungen überein. Sie zeigen nämlich, dass die Briefdienste in der "computerisierten Ökonomie" keinesfalls zu einem Fossil verkümmern. Im Gegenteil: In wichtigen Geschäftsfeldern dieser Branche, etwa der Bearbeitung und Zustellung von Werbesendungen, lassen sich Wachstumstendenzen feststellen. Ein Blick auf die personal- und umsatzstarke Briefsparte des weltweit operierenden Konzerns Deutsche Post lohnt also durchaus.

Anfang der neunziger Jahre beginnt die Deutsche Post mit einer tiefgreifenden Umstrukturierung ihrer Brieflogistik. Eine wichtige Rolle kommt dabei den Briefzentren zu. Sie werden an den Rändern deutscher Großstädte platziert, übernehmen viele Aufgaben der klassischen Postämter und bewirken so eine Zentralisierung der Briefbearbeitung. Unter den Dächern dieser "Sortierfabriken" befinden sich großdimensionierte Maschinen, die mit moderner EDV gesteuert werden. Dadurch wird einer weitreichenden Automatisierung der Arbeits- und Produktionsabläufe im Briefdienst der Weg geebnet.

Die Inbetriebnahme der Briefzentren, die allesamt nicht über Gleisanschlüsse verfügen, geht einher mit dem Ableben der Bahnpost. Der Transport von Briefen erfolgt seit einigen Jahren ausschließlich per Flugzeug und LKW. Dies spricht nicht nur der in Sonntagsreden so gern beschworenen Stärkung des Schienenverkehrs Hohn. Der Abschied vom Bahntransport ist auch deshalb bemerkenswert, weil damit das Lohn- und Sozialdumping im Transportgewerbe beschleunigt wird. Der posteigene Fuhrpark schrumpft, weil immer mehr Fahrten "outgesourct" werden. Nutznießer sind Billigspeditionen, deren Beschäftigte erheblich schlechter entlohnt werden als die bei der Post angestellten Fahrerinnen und Fahrer.

Anfang des Jahres nahm die Post-Spitze eine Radikalisierung der Ausgliederungsstrategie vor, indem sie angekündigte, bis Ende 2002 die Fahrleistungen zwecks weiterer Kosteneinsparungen komplett fremd vergeben zu wollen. Gesamtbetriebsrat und Postgewerkschaft protestieren gegen diese Pläne und fordern einen "sozialverträglichen Umbau" des Fahrdienstes. Das Post-Management erklärt sich daraufhin bereit, die Outsourcing-Pläne abzuschwächen und zeitlich zu staffeln. Infolgedessen wird der unternehmenseigene Fuhrpark vorerst nicht völlig abgeschafft. Sein Anteil an der Briefbeförderung wird aber zugunsten der Billigspeditionen weiter sinken. Man kann also demnächst noch häufiger beobachten, dass Briefe von überarbeiteten und oft mit schrottreifen Lastwagen ausgestatteten FahrerInnen transportiert werden.

Die Briefzentren weisen einen hohen Automatisierungsgrad auf. Es handelt sich bei ihnen aber nicht um menschenleere Fabriken. Um eine flexible und fehlerfreie Briefbearbeitung zu gewährleisten, sind weiterhin zahlreiche Arbeitskräfte erforderlich. Daher kann es nicht überraschen, dass der Post-Vorstand der Kontrolle und Beeinflussung des Personals einen hohen Stellenwert einräumt. Zwei Strategien sind dabei von besonderer Bedeutung: Zum einen bieten die in den Briefzentren eingesetzten Computerprogramme die Möglichkeit, sehr detaillierte und feinmaschige Messungen der Arbeitsproduktivität vorzunehmen. Zum anderen ist feststellbar, dass Vokabular und Techniken neuerer Management- und Führungskonzepte im Briefdienst Einzug halten. Hierarchieübergreifende "Qualitätsteams" und "Motivationsforen" sollen die Identifikation mit dem Unternehmen fördern, das Bild einer "offenen Firmenkultur" vermitteln und "unternehmerisches Denken" innerhalb der Belegschaft verankern. Folgerichtig nutzt die Spitze der Post den Börsengang des Unternehmens dazu, mit aufwändigen Werbemaßnahmen die Beschäftigten zum Erwerb der "Aktie Gelb" zu animieren.

Wie sich der arbeitspolitische Kurs des Post-Managements auf die Denk- und Handlungsmuster seiner Adressaten auswirkt, ist schwer einzuschätzen. Zweifelsohne finden sich im Briefdienst Arbeitskräfte, die den Appellen und Vorgaben der Chefetagen folgen und sich als Mitglieder einer "märkteerobernden Wertschöpfungsgemeinschaft" betrachten. Aber es gibt in der Belegschaft auch skeptische Haltungen gegenüber dem Vorgehen "von oben". Sie basieren auf der Erfahrung, dass die Umstrukturierungen im Briefdienst die für Lohnarbeit typische Unsicherheit und Fremdbestimmung eher verschärft haben. So ist unübersehbar, dass die neuen Führungskonzepte keinesfalls zu einer Verflüssigung der Hierarchien führen, sondern ihrer Verfestigung Vorschub leisten. Damit einher gehen ein merklich gestiegener Leistungsdruck, die Durchführung fragwürdiger Maßnahmen zur Verringerung des Krankenstands (Rückkehrgespräche) und – was besonders hervorgehoben werden soll – Absenkungen des Lohnniveaus.

Ein krasses Beispiel dafür, dass Lohnsenkungen einen zentralen Platz in der Unternehmenspolitik einnehmen, liefern die Tarifverhandlungen des letzten Jahres. Unter vermeintlich harmlosen Slogans wie "Vereinfachung des Entgelt- und Zu-schlägesystems" verlangt die Post-Spitze das Recht, die Bezahlung der ArbeiterInnen im Briefdienst um mehrere hundert Mark zu verringern. Der Deutschen Postgewerkschaft gelingt nur eine leichte Entschärfung dieser Forderung: Alle ArbeiterInnen, die sich beim Inkrafttreten der neuen Entlohnungsregelungen (1. Januar 2001) in einem Dauerarbeitsverhältnis befinden, bleiben aufgrund einer "Besitzstandssicherung" (für die Laufzeit des Tarifvertrags) von größeren Lohnsenkungen verschont – im Gegensatz zu den vielen befristet Beschäftigten und zu den seit Jahresbeginn neueingestellten ArbeiterInnen. Diese enthalten für ihre Tätigkeit eine Entlohnung, die um bis zu 30 Prozent unter der bis zur Jahreswende hierfür üblichen Bezahlung liegt.

Der einstige Staatsbetrieb Deutsche Bundespost wandelt sich in einen transnational operierenden Global Player. Dessen Strategien werden durch die "kannibalische" Logik der weltweiten Logistik- und Finanzmärkte bestimmt. Infolgedessen geraten lohn- und arbeitsstrukturelle Standards, die lange Zeit als selbstverständlich galten, zunehmend unter Druck. Daraus wiederum resultieren erschwerte Bedingungen für das Agieren der zum ver.di-Verbund gehörenden Postgewerkschaft. Bei der "Behördenpost" handelte es sich um einen Monopolbetrieb mit einer wohlfahrtsstaatlich geprägten Firmenideologie. Sie manifestierte sich in einer hohen Arbeitsplatzsicherheit, einer weitgehenden Abwesenheit von "bad jobs" und einer Unternehmensspitze, die keinen starken Marktzwängen unterworfen war und sozialpartnerschaftlich-paternalistische Handlungsmuster bevorzugte. Das förderte eine enge Verklammerung von Unternehmensorganisation und Postgewerkschaft. Die DPG avancierte zu einem gleichsam natürlichen Bestandteil der Bundespost und konnte, gestützt auf einen hohen Organisationsgrad, eine Reihe ihrer Forderungen recht "geräuschlos" durchsetzen und so das Profil des westdeutschen "Sozialkapitalismus" mitgestalten.

Die Post-Umstrukturierung entzieht dem auf staatsbetriebliche Verhältnisse zugeschnittenen Politikansatz der Postgewerkschaft den Boden. Wenn die DPG hierauf mit einer Vergangenheitssehnsucht reagiert, die allem ökonomisch-betrieblichen Wandel zum Trotz auf das Fortleben vertrauter Handlungskonstellationen hofft, wird sie in eine Sackgasse geraten. Dasselbe könnte ihr passieren, wenn sie die ver.di-Gründung zur gewerkschaftspolitischen Wunderwaffe stilisiert. Zweifelsohne signalisiert gerade die Branchenvermischung im Post- und Logistikbereich die Notwendigkeit, die Organisation der dienstleistungsorientierten Gewerkschaftslandschaft zu überdenken. Ob allerdings eine Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft, die während ihres Gründungskongresses große Hoffnungen auf die "befreundete" Bundesregierung und ihr Bündnis für Arbeit setzte, zur Stärkung gewerkschaftlicher Durchsetzungskraft imstande ist, darf bezweifelt werden.

 

* Geert Naber jobt seit Jahren bei der Post und ist DPG/ver.di-Mitglied.

Dieser Beitrag ist erschienen im express, Zeitschrift für Betriebs- und sozialistische Gewerkschaftsarbeit, 6-7/01


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