56 000 Klinikbetten für "zu erwartende Gesundheitsstörungen" bei Soldaten

Wie das öffentliche Gesundheitswesen für die deutsche Kriegsführungsfähigkeit tauglich gemacht werden soll und die Bundeswehr dabei noch Geld sparen will

Im November informierte der Betriebsrat des Städtischen Klinikums Karlsruhe die MitarbeiterInnen darüber, daß das Klinikum mit der Bundeswehr über einen Kooperationsvertrag verhandelt.

Dieser Vorgang verdient größte Aufmerksamkeit. Er ist Bestandteil eines großangelegten Versuchs des Bundesverteidigungsministeriums, der Bundeswehr Zugriff auf das personelle und technische Potential der größten zivilen Krankenhäuser in ganz Deutschland zu verschaffen. Dieses Vorhaben wiederum ist nur erklärbar mit einer gezielten Politik der Kriegsvorbereitung, die die deutsche Kriegsführungsfähigkeit wesentlich erhöhen will.

Der Hintergrund: Am 22. April - mitten im Krieg gegen Jugoslawien - verabschiedeten das Bundesverteidigungsministerium und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (der Dachverband der Krankenhäuser) weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit eine "Gemeinsame Erklärung zur zivil-militärischen Zusammenarbeit" sowie einen "Mustervertrag über die Grundsätze einer solchen Zusammenarbeit zwischen einem zivilen Krankenhaus und einer Reservelazarettgruppe der Bundeswehr". (abrufbar über Internet: www.bundeswehr.de/streitkräfte/sanitaetsdienst/05-ziv.../5-2mvert.htm)

Vorausgegangen waren Anschreiben zuständiger Wehrbereichskommandos an zivile Krankenhäuser, in denen die Bundeswehr ihren dringenden Wunsch nach "Rahmenverträgen" mit den Häusern angemeldet hat. Diese sollen sowohl im "Falle der Landes- und Bündnisverteidigung", sprich Krieg, als auch "schon in Friedenszeiten" Gültigkeit haben. Jeweils "ein oder mehrere leistungsstarke Krankenhäuser" sollen vertraglich an eine der 56 Reservelazarettgruppen der Bundeswehr gebunden werden.

Bundeswehr will sich Zugriff auf Potential ziviler Krankenhäuser sichern

Keinen Hehl aus den Absichten der Bundeswehr macht Generaloberstabsarzt Dr. Demmer, Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Unter der Schlagzeile "Zivile Partnerkrankenhäuser verstärken die medizinische Qualität und Leistungsfähigkeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr" schreibt er in der Fachzeitschrift "das Krankenhaus" Nr. 6/99: "Nach einer Mobilmachung soll ziviles und militärisches Krankenhauspersonal gemeinsam für eine klinische Versorgung genutzt und nicht mehr zwischen Soldaten und Zivilpatienten unterschieden werden." Der Sanitätsdienst der Bundeswehr, so Demmer, solle zukünftig "dem Qualitätsstandard des zivilen medizinischen Bereichs entsprechen". Was folglich seither nicht der Fall war.

Warum das der Bundeswehr erst heute Kopfzerbrechen bereitet, wird deutlich, wenn sich Demmer zur Begründung ausdrücklich auf die "Fachliche Leitlinie zur sanitätsdienstlichen Versorgung von Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz" von 1995 beruft. Galt nämlich bis 1997 das "Konzept einer eigenständigen, hauptsächlich mit Sanitätspersonal der Reserve aus dem zivilen Gesundheitswesen betriebenen militärischen Reservelazarettorganisation", so beruht die heutige Grundausrichtung nach Demmer "auf dem Gedanken einer engeren zivil-militärischen Zusammenarbeit."

Der bisherige relativ eigenständige militärische Sanitätsdienst stellt die Bundeswehrführung heute offenbar qualitativ nicht mehr zufrieden; darüber hinaus ist er im Rahmen der angestrebten "Effizienzsteigerung" der Bundeswehr "zu teuer" geworden. Diese zwei Fliegen sollen nun mit einer Klappe geschlagen werden.

Vorbereitung auf neue Kriege mit vielen Opfern...

Offensichtlich ist der Sanitätsdienst der Bundeswehr in seiner gegenwärtigen Verfassung wenig tauglich für weltweite Kriegseinsätze gemäß der neuen NATO-Strategie. Denn künftig ist mit einer wesentlich größeren Zahl an Schwerverletzten und Behandlungsbedürftigen als Folge kriegerischer Handlungen der Bundeswehr zu rechnen.

Auf der Internetseite der Bundeswehr liest sich das so: "Unter Berücksichtigung der bei Soldaten... zu erwartenden Gesundheitsstörungen mit besonderem Schwerpunkt in traumatologischen (=Verletzungs-, d.A.) Fragestellungen (Akutversorgung) sollten geeignete zivile Partnerkrankenhäuser bestimmte Kriterien für die Zusammenarbeit erfüllen." Es sei "sinnvoll, wenn die Krankenhäuser neben den klassischen Fachgebieten... über spezifische traumatologische Fachgebiete (Orthopädie, Urologie, Neurochirurgie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie etc.) verfügen... Eine Erweiterung der Intensivpflege sollte möglich sein". "In erster Linie kommt es ... darauf an, daß die vorhandene Infrastruktur des zivilen Hauses (OP-Sääle, Intensivstation, diagnostische Kapazitäten, Hubschrauberlandeplatz etc.) eine Erweiterung der Aufnahme-, Diagnostik- und Behandlungskapazität ermöglicht, um den erhöhten Patientendurchlauf bewältigen zu können, der durch die Erweiterung der Bettenzahl im Verbund mit einer Reservelazarettgruppe (etwa 500 Betten sowie ggf. weitere 500 Notbetten) verursacht wird." (http://www.bundeswehr.de/bundeswehr/streitkraefte/sanitaetsdienst/05_zivil-.../5_3krit.htm)

Werden sämtliche 56 Reservelazarettgruppen ihre Verträge mit zivilen Kliniken abgeschlossen haben, kann die Bundeswehr folglich mit 28 000 bis 56 000 zusätzlichen Klinikbetten für verletzte Soldaten rechnen, die die Krankenhäuser dann stellen müssen.

Es sind wahrlich keine kleinen Scharmützel, auf die man sich da einstellt.

Der Vorgang beweist - und darin liegt seine größte Brisanz - daß man sich in Berlin ernsthaft und zielstrebig auf neue, größere Kriege vorbereitet.

...und Kostenabwälzung auf das zivile Gesundheitswesen

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr verfügt derzeit in Friedenszeiten über 26 000 aktive Soldaten und 6 000 zivile Mitarbeiter, die im "Verteidigungsfall" auf 80 000 bzw. 20 000 Personen aufgestockt werden. Darüber hinaus gibt es acht Bundeswehrkrankenhäuser in Koblenz, Ulm, Hamburg, Berlin, Amberg, Bad Zwischenahn, Hamm und Leipzig, die allerdings zum Teil auch der Versorgung der im Umkreis wohnenden Bevölkerung dienen. Daß das eine oder andere dieser Häuser die geplante "wirtschaftliche Effizienzsteigerung" der Bundeswehr nicht überleben dürfte, darf getrost spekuliert werden. Auch eine Reduzierung des bundeswehreigenen Sanitätspersonals wird erwogen. Doch was der betroffenen Bevölkerung dadurch eventuell an medizinischem Versorgungsstandard verlorengehen könnte, darf nach dem Willen der Strategen auf der Hardthöhe keinesfalls auch die Schlagkraft der Bundeswehr schwächen. Im Gegenteil - mit weniger Geld soll der Sanitätsdienst effektiver werden. Zu Lasten des eh schon stark gebeutelten öffentlichen Gesundheitswesens.

Die Köder für die in schwieriger finanzieller und personeller Situation steckenden Krankenhäuser liegen bereit: Ein Teil der von der Bundeswehr bekanntlich in unterirdischen Geisterkliniken eingemotteten technischen Geräte und sonstiger Nichtverbrauchsgüter soll den zivilen Krankenhäusern zur unentgeltlichen Nutzung überlassen werden. Welcher Krankenhausdirektor würde sich danach nicht die Finger lecken? Zumal er gleichzeitig auf ein wenigstens zeitweises Übertünchen so manches groben personellen Mißstandes hoffen kann. Denn die Bundeswehr stellt dem kooperationswilligen Krankenhaus Sanitätsoffiziere (=Ärzte) und -soldaten (=Pfleger) zum Zwecke der Aus-, Fort und Weiterbildung zur Verfügung, ohne daß die Klinik dafür in die Tasche greifen muß. Daß diese vorgeblich keine unbesetzten Stellen vertreten sollen, ist nichts als eine Schaufenstererklärung, deren praktischen Wert jedeR Krankenhausbeschäftigte aus eigener Erfahrung mit Zivis, PraktikantInnen und Auszubildenden der verschiedensten Art einzuschätzen vermag.

Doch kleine und kurzfristige finanzielle Vorteile könnten sich für die Kliniken schnell als Bumerang erweisen. Denn nach Vertragsabschluß gäbe es kein Entrinnen mehr aus der Vernetzung mit dem Militär. Wer wird die Unterhaltung der zusätzlichen Betten bestreiten müssen, wenn es ernst wird? Wessen Personal wird die "Gesundheitsstörungen" der Soldaten behandeln? Und wieviele PatientInnen mit nicht ganz so akuten Fällen werden wegen Überlastung der Kliniken unbehandelt bleiben? Wer wird die Folgekosten tragen?

Das Vorhaben ist Teil der "Effizienzsteigerung" der Bundeswehr, die unter "Einsparungen im Verteidigungshaushalt" in erster Linie versteht, Verteidigungslasten auf andere Bereiche außerhalb des Rüstungshaushalts zu verlagern. Genau besehen handelt es sich um nichts weiter als eine Art "Outsourcing" durch die Bundeswehr.

Kliniken als Personalbeschaffungseinrichtung der Bundeswehr

Dem "Partnerkrankenhaus" wird zugesichert, daß sein Personal von einer Mobilmachung ausgenommen wird. Die Beschäftigten werden damit geködert, daß sie keine Angst davor haben brauchen, in den Krieg ziehen zu müssen. Das ist auch notwendig, denn sie werden dringend an der Heimatfront zur Versorgung der zu erwartenden Kriegsopfer gebraucht werden.

Doch während es im Mustervertrag noch heißt: "Grundsätzlich bleibt das Krankenhaus im Falle der Mobilmachung durch Belassen des dortigen Personals im vollen Umfang funktionstüchtig", will man die Karlsruher Klinikumsbeschäftigten vollends zur Personalreserve der Bundeswehr degradieren. Der Betriebsrat informiert: "Im Unterschied zu dem erwähnten Mustervertrag ist vorgesehen, daß Personal des Städtischen Klinikums im Bedarfsfall an Bundeswehrkrankenhäuser abgeordnet wird. Das heißt, daß beispielsweise bei der Entsendung von Soldaten in Krisengebiete das Klinikum Personalersatz für die Bundeswehr leistet. Es würde sich damit zur Personalbeschaffungs- und Personalvermittlungseinrichtung der Bundeswehr machen."

Wie die ÖTV Karlsruhe informiert, versucht die Bundeswehr, Einfluß auf die Arbeitsvertragsabschlüsse zwischen dem Krankenhausträger und seinen Beschäftigten zu gewinnen. "So wird z.B. angestrebt, Arbeitsverträge so zu gestalten, daß einem Einsatz in einem Bundeswehrkrankenhaus nicht widersprochen werden kann."

Widerstand gegen Kooperationsverträge könnte zu einem Kristallisationspunkt des Kampfes gegen Kriegsvorbereitung werden

Die ÖTV Karlsruhe kündigte Widerstand an. "Keine Kriegsvorbereitung durch Kooperationsverträge ziviler Krankenhäuser mit der Bundeswehr" forderten die Kreisdelegierten in einem Antrag an den Gewerkschaftstag. "Die ÖTV wirkt darauf hin, daß eine Vernetzung ziviler Krankenhäuser und Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens mit der Bundeswehr und militärischer Bündnisse unterbleibt."

Der beabsichtigte Zugriff der Bundeswehr auf die zivilen Krankenhäuser bedeutet eine völlig neue Stufe der Vernetzung des zivilen Gesundheitswesens mit dem Militär.

Die Beschäftigten der Krankenhäuser sollten sich entschieden gegen ihre Verplanung für den Krieg zur Wehr setzen. In allen Krankenhäusern sollte jetzt an die Verwaltungen mit der Frage herangetreten werden, ob die Bundeswehr entsprechende Ansinnen gestellt hat oder ob es bereits Vertragsverhandlungen gibt. In der ÖTV sollte auf entsprechende Information der Beschäftigten und auf eine bundesweite Kampagne hingewirkt werden. Örtliche Friedensinitiativen sollten sich überlegen, ob sie das Thema aufgreifen wollen. Mit den Ostermärschen sollte die Sache ebenfalls in eine breitere Öffentlichkeit getragen werden.

Würde es gelingen, den Abschluß von entsprechenden Verträgen zu verhindern, wäre das ein schöner Haufen Sand im Getriebe der Kriegsvorbereitung.

An dem Thema läßt sich im übrigen auch klarmachen: Wir können etwas gegen den nächsten Krieg tun.

 

Lothar Galow-Bergemann
Stuttgart
utalothar@t-online.de

 


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