Dachverband der Kritischen Aktionaerinnen und Aktionaere
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In der Hauptversammlung der I.G. Farbenindustrie AG i.A. am 18. August 1999 in Frankfurt am Main verlesen Kritische Aktionärinnen und Aktionäre die folgenden Berichte von zehn ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangs- arbeitern der I.G. Farben:
Jean Améry wurde 1912 als Hanns Maier in Wien geboren. Er wurde Schriftsteller.
Er kämpfte im belgischen Widerstand, wurde verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Dort war er Zwangsarbeiter in Monowitz, dem Lager der I.G.-Farben. Er überlebte auch Dora-Mittelbau und Bergen-Belsen. 1978 nahm er sich während einer Lese-Reise das Leben. Jean Améry war knapp über 30, als er nach Auschwitz kam.
Im Süddeutschen Rundfunk sagte er am 7. März 1966: "Ich habe nichts vergessen, auch die paar Tapferen nicht, denen ich begegnete. Sie sind in mir: der invalide Soldat Herbert Karp aus Danzig, der in Auschwitz-Monowitz seine letzte Zigarette mit mir teilte; Willy Schneider, katholischer Arbeiter aus Essen, der mich mit dem schon vergessenen Vornamen ansprach und mir Brot gab, der Chemiemeister Matthäus, der mir am 6. Juni 1944 mit gequältem Seufzer sagte: Jetzt sind sie gelandet! Aber werden wir beide durchhalten bis sie endgültig gesiegt haben?' ()
Die Vielzuvielen waren keine SS-Männer, sondern Arbeiter, Kartothekführer, Techniker, Tippfräuleins - und nur eine Minderheit von ihnen trug das Parteiabzeichen. ()
Was um sie und mit uns geschah, das wußten sie genau, denn sie schmeckten wie wir den Brandgeruch vom nahen Vernichtungslager, und manche trugen Kleider, die man erst gestern an den Selektionsrampen den ankommenden Opfern abgenommen hatte.
Ein wackerer Arbeiter, der Montagemeister Pfeiffer, zeigte sich mir einmal stolz in einem Wintermantel, einem 'Judenmantel', wie er sagte, den er in seiner Tüchtigkeit sich hatte verschaffen können. ()"
Fania Fénelon wurde in Frankreich geboren. Sie wurde aus dem Sammellager Drancy nach Auschwitz deportiert, war dort zeitweise dem sogenannten Mädchenorchester zugeteilt und überlebte auch Zwangsarbeit in Bergen-Belsen.
Sie war Anfang zwanzig, als sie nach Auschwitz kam. In dem Buch "Das Mädchenorchester in Auschwitz" berichtete sie 1980: "Wir gehen zu Fuß. (...) Ein stilles Städtchen, der Schnee, über den wir gehen, verschluckt unsere Schritte, jeden Laut. Wo wir auch gehen, niemand dreht sich nach uns um, keiner würdigt uns eines Blickes, weder Neugier noch Feindseligkeit, uns gibt es nicht.
Wann wird das aufhören - ein Nichts zu sein? (...) Warum verweigern sie uns den Blick? Sie können doch weder unsere Existenz, noch von wo wir kommen, ignorieren. Die gestreiften Kleider, die Kopftücher, unter denen wir unsere kahlrasierten Schädel verstecken, und unsere Magerkeit zeigen doch deutlich unsere Herkunft.
Ihnen ist nicht verboten, auf einem Spaziergang nach Birkenau an unserem Lager vorbeizukommen, dessen finsteres Aussehen seine Funktion nicht verniedlicht.
Meinen sie, diese Schornsteine mit den ekelerregenden Rauchschwaden gehören zur Zentralheizung? (...)
In der Nähe des Lagers (in Bergen-Belsen) gibt es eine Zellophanfabrik, wofür wir die idealen Arbeitskräfte sind, so wie in Auschwitz, wo die Männer für die IG-Farben-Industrie arbeiteten. Es soll mir doch keiner erzählen, die Besitzer, die Direktoren, die Meister, die Arbeiter, die Morgen für Morgen diese beklagenswerten Kommandos aus den Lagern in ihre Werkstätten kommen sahen, hätten von deren Existenz und der Art, wie man die Häftlinge behandelte, nichts gewußt! Jeden Morgen gehen die SS-Leute durch die Baracken und holen sich ihr Kontingent an Arbeitskräften - hundert, zweihundert, dreihundert."
Hans Frankenthal wurde 1926 im Sauerland geboren. Er wurde 1943 mit seiner Familie nach Auschwitz deportiert. Er überlebte die Zwangsarbeit im BUNA-Werk von IG-Farben in Auschwitz und in der Rüstungsfabrik Dora-Mittelbau. Heute ist Hans Frankenthal Mitglied des Zentralrats der Juden und Vorstandsmitglied des Auschwitz-Komitees. Er war 16, als er nach Auschwitz kam.
Er berichtet: "Mit ungefähr fünfzig anderen Männern quetschten wir uns auf eine der offenen Ladeflächen. Die Lastwagen rasten los. (...) Nach kurzer Fahrt erreichten wir ein Lager, dessen Namen wir erst später erfahren sollten: Auschwitz III Monowitz. (...)
Wir mußten uns in Zweier-Reihen aufstellen, und sofort ging es im Laufschritt zu einem Platz, wo wir gezwungen wurden, uns trotz der Kälte nackt auszuziehen und die Kleidung auf einen Haufen zu werfen. (...) Weiteres Gebrüll und Schläge drängten uns in eine Baracke, in der einige Stühle und Tische aufgestellt waren, an denen SS-Männer saßen. Häftlinge in gestreiften Jacken und Hosen standen neben Schemeln, auf denen wir uns niederlassen mußten, damit sie uns die Haare scheren konnten - erst am Kopf, dann am ganzen Körper. Es war eine Tortur: Die Messer der Handschneidemaschinen waren total stumpf, die Haare wurden eher herausgerissen als abrasiert. (...)
Wer bei der Arbeit zusammenbrach oder versuchte, sich zu schonen, wurde von den SS-Bewachern, Vorarbeitern und Kapos angetrieben, geschlagen und getreten.
Manche waren richtige Sadisten, die die Häftlinge einfach zu ihrem Spaß quälten.
Die Zivilarbeiter waren nicht nur Zeugen dieser Brutalitäten - oder manchmal sogar selbst daran beteiligt - sie wußten auch von den Vergasungen in Birkenau."
Renee Glück wurde 1921 in Bratislava geboren. Ihr Großvater war ein bekannter Rabbiner.
Sie wurde schon im Frühjahr 1942 nach Auschwitz deportiert. Dort überlebte sie als eine der "Schreiberinnen des Todes". Sie überlebte auch den Todesmarsch über Breslau, Groß-Rosen, Buchenwald und Ravensbrück. Renee Glück wanderte 1964 nach Israel aus. Ihr Ehemann ist ein überlebender IG-Farben-Zwangsarbeiter von Monowitz. Renee Glück war 21, als sie nach Auschwitz kam.
In dem Buch "Schreiberinnen des Todes" erschienen 1992 ihre folgenden Erinnerungen: "Vom Stammlager, aus Birkenau, von Buna und aus anderen Nebenlagern kamen Listen im Büro an, die die Haftnummern jener Häftlinge enthielten, die zur 'Sonderbehandlung' bestimmt waren.
Die Hinrichtungen geschahen im allgemeinen als Vergeltung. Wenn die Partisanen oder Mitglieder des polnischen Untergrunds eine erfolgreiche Aktion gegen die Deutschen ausgeführt hatten, mußten die Häftlinge aus jener Stadt, in der der Vorfall passiert war, dafür mit ihrem Leben bezahlen. (...)
Nach der Verlegung des Frauenlagers nach Birkenau war ich Zeugin einiger der schrecklichsten Vorfälle. Das Lager war ohne Wasser, die Häftlinge starben an Durst und konnten sich nicht waschen.
Eines Morgens hatten einige holländischen Mädchen vermeintlich ihren Kapo 'Deutsches Schwein' genannt. Als Strafe mußten sie die ganze Nacht im Freien stehen. (...) Keine der Gruppe überlebte bis zum Morgen. (...) Ich habe immer noch vor Augen, wie eine SS-Frau den Kopf eines kleinen Kindes mit ihrem Stiefel zerschmetterte."
Jean Heinemann wurde 1909 in Berlin geboren. Er emigrierte 1933 nach Frankreich.
Zehn Jahre später wurde er verhaftet und deportiert. Er überlebte zwei Jahre Slavenarbeit in den Nebenlagern von Auschwitz III - sie gehörten alle zur Kommandatur in Monowitz, dem KZ von IG-Farben. Jean Heinemann ging nach der Befreiung nach Frankreich zurück. Er war 32, als er nach Auschwitz kam.
Unter dem Titel "Auschwitz - Mein Bericht" erschienen 1995 seine folgenden Erinnerungen: "Baugelände, soweit das Auge reicht. Ringsum stehen Reste des Kiefernwaldes, den man monatelang gerodet hat, um diesen riesigen Platz zu errichten, den Straßen von ganz normaler Breite überqueren. Hohe Gebäude ragen in den Himmel, noch darüber zwei Schornsteine, die Tag für Tag anwachsen. (...)
Die Baustelle wird als Ganzes überwacht: umgeben mit Stacheldraht und mit Wachtürmen im Abstand von 50 bis 100 Metern, wo SS posiert ist. Ein Gürtel aus Wachtürmen in größerem Abstand zieht sich rings um das Gelände, Patrouillen verbinden sie miteinander. (...)
Das Baugelände umfaßt Baracken, in denen die Konstruktionsbüros und die Verwaltung untergebracht sind.
Alle großen deutschen Firmen, die hier arbeiten, haben ihre eigenen Büros, ihre Ateliers, ihre Ersatzteil- und Materiallager. Es ist ein richtiger Industriestandort, wo auch ein Arbeiterviertel nicht fehlt: Baracken mit Küche, Speisesaal und Schlafsaal für die ausländischen Arbeiter. Man braucht fast einen Tag, um die gesamte Baustelle abzulaufen, die zwölf bis fünfzehn Kilometer lang und zwei Kilometer breit ist. (...)
Die schlimmste Arbeit ist die Entladung der Schotterwagen, die muß schnell erledigt werden, denn Deutschland ist knapp an Waggons. Sobald sie eingetroffen sind, müssen sie geleert werden, oft mit Hilfe von Sondermannschaften, auch an Sonntagen. (...)
Der Preis für unsere Arbeit, der Teller Suppe, wird an uns verteilt, als wären wir Vieh."
Hermann Langbein wurde 1912 in Wien geboren. Er war in seiner Jugend Kommunist, Schauspieler und Spanienkämpfer. Er überlebte Dachau, Auschwitz und Neuengamme.
In Auschwitz gehörte er dem Lagerwiderstand an. Nach der Befreiung war er der erste Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees. Hermann Langbein ist einer der wichtigsten Chronisten des Terrors in Auschwitz. Er starb 1995 in Wien. Als er nach Auschwitz kam, war er 30 Jahre alt.
1995 erschien in Wien sein Bericht "Menschen in Auschwitz", aus dem folgende Sätze stammen: "Nicht wenige Deutsche, die keine SS-Uniform trugen, haben aber nicht nur von der Menschenvernichtung gehört; viele sind als Zivilangestellte mit Auschwitz in Berührung gekommen und haben selbst gesehen, was dort geschah. (...)
Die IG-Farben errichteten als erste einen Betrieb in Lagernähe. Bereits Anfang 1941 wurde mit dem Bau eines chemischen Werkes zur Buna-Erzeugung bei Monowitz begonnen.
Das Außenlager, das eineinhalb Jahre später unmittelbar bei diesem Werk gebaut wurde, entwickelte sich wegen der ständig steigenden Anforderungen nach Häftlingen bald zum größten Arbeitslager. (...)
Zur Bestätigung dafür, daß den leitenden Herren dieses Werkes der Charakter des Vernichtungslagers nicht verborgen bleiben konnte, sei nur die in Nürnberg beeidete Erklärung des Vorstandsmitgliedes Christian Schneider zitiert: Die Verbrennungsschlote vom KZ Auschwitz konnte man von der IG Auschwitz aus sehen.
Ich habe gehört, daß IG-Leute, die in Auschwitz waren, den Verbrennungsgeruch selbst gespürt haben, und zwar Walther Dürrfeld und andere Auschwitz besuchenden Ingenieure.
Die genannten Herren erzählten mir, daß es ein furchtbarer Geruch war.'(...) Auch Frauen, die nicht in der Rüstungsindustrie beschäftigt waren oder selbst mit dem KZ zu tun hatten, kamen mit Häftlingen in Berührung. Die Frau des IG-Ingenieurs Heidebroek, die zu ihrem Mann nach Auschwitz gezogen war, hat nicht vergessen, wie ihr eines Tages die Gattin des leitenden Oberingenieurs Faust erzählt hat, daß sie auf dem Werksgelände ein jüdischer Häftling mit den gestammelten Worten angesprochen hat: 'Frau, Brot.' Auf die Frage von Frau Heidebroek, wie sie darauf reagiert hatte, antwortete Frau Faust: 'Ich habe geschrien und die Polizei geholt.'
Frau Faust leitete das Rote Kreuz in Auschwitz."
Primo Levi wurde 1919 in Turin geboren. Er war Chemiker und Schriftsteller.
1944 wurde er als Jude und Mitglied der Resistenza verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Er war Zwangsarbeiter im IG-Farben-Lager Monowitz. Primo Levi beging 1987 Selbstmord. Er war 25, als er nach Auschwitz kam.
1998 wurde in München sein folgender Text veröffentlicht:
"Buna
Wunde Füße und oft verfluchte Erde,
Die langen Reih'n in trüben Morgenstunden.
Die Buna raucht aus tausend Schloten,
Ein Tag wie jeder andere erwartet uns.
Voll Schauder die Sirenen früh am Morgen:
'Ihr vielen mit erloschenen Gesichtern,
Über dem eintönigen Grauen des Schlamms
Ist ein neuer Tag voll Leid heraufgezogen.'
Mein müder Gefährte, ich blick dir ins Herz,
In deinen Augen les ich, leidender Gefährte.
In deiner Brust verschließt du Kälte, Hunger, Leere,
In dir hast du den letzten Wert zerbrochen.
Mein grauer Gefährte, stark warst du einst,
Einst ging an deiner Seite eine Frau.
Mein leerer Gefährte, jetzt bist du ohne Namen,
Verlaßner Mann, jetzt bist du ohne Tränen;
So arm bist du, dich quält kein Bangen mehr,
Erloschener Mann, der du einst stark warst:
Wenn wir uns dereinst noch einmal begegnen,
Oben, in der lieblichen Welt unter der Sonne -
Mit welchen Augen würden wir uns ansehen?"
1992 erschien Primo Levis folgender Bericht: "Am Bau angekommen, bringt man uns zum Eisenröhrenplatz, wo die eisernen Rohre abgeladen werden, und nun geschieht, was immer und jeden Tag geschieht. Der Kapo hält noch einmal Appell, nimmt kurz die Neueinstellung zur Kenntnis und spricht mit dem zivilen Meister die heutige Arbeit ab. (...)
Dann hinken wir, jeder mit seiner Brechstange, über den tauenden Schnee. Bei jedem Schritt bleibt etwas Schnee und Kot an den hölzernen Sohlen haften, bis man hilflos auf zwei schweren, unförmigen Klumpen läuft, von denen man sich nicht befreien kann. (...)
Buna ist hoffnungslos, durch und durch trübe und grau. Diese ausgedehnte Wirrnis von Eisen, Zement, Schlamm und Qualm ist die Verneinung der Schönheit schlechthin. Ihre Straßen und Bauten werden mit Zahlen und Buchstaben benannt wie wir, wenn sie nicht unmenschliche und unheilvolle Namen tragen. In diesem Bereich wächst kein Grashalm, und die Erde ist getränkt mit den giftigen Säften von Kohle und Petroleum. Nichts lebt hier, nur Maschinen und Sklaven: und jene mehr als diese. Buna ist so groß wie eine Stadt. Außer dem deutschen leitenden und technischen Personal arbeiten hier vierzigtausend Ausländer, fünfzehn oder zwanzig Sprachen werden hier gesprochen. Alle Ausländer sind in gesonderten Lagern rings um Buna untergebracht: das Lager der englischen Kriegsgefangenen, das der ukrainischen Frauen, das der französischen Freiwilligen und noch andere Lager, die wir nicht kennen. Unser Lager (Judenlager, Vernichtungslager, KZ) liefert allein zehntausend Arbeitskräfte, die aus allen europäischen Nationen kommen.
Wir sind die Sklaven der Sklaven, denen jedermann befehlen kann; unser Name ist die Nummer, die wir auf dem Arm tätowiert und auf die Brust genäht haben."
Miklós Nyszili wurde 1901 in Somlyo - damals Österreich-Ungarn - geboren. Er war Arzt.
1944 wurde er mit Frau und Tochter nach Auschwitz deportiert. Miklós Nyiszili wurde erst als Häftling auf der Buna-Baustelle von IG-Farben eingesetzt. Später mußte er Sektionen für Mengele vornehmen. Nach der Befreiung war er ein Hauptzeuge im Nürnberger Prozeß gegen IG-Farben. Er starb 1956 in Ungarn. Miklós Nyszili war 43, als er nach Auschwitz kam.
1992 erschien in Berlin sein folgender Bericht: "Für die IG verkamen die Häftlinge zum Rohmaterial, zu einem menschlichen Erz, dem man systematisch das Mineral des Lebens entzog. Wenn alle verwendbare Energie aus den Häftlingen herausgepreßt war, wurden sie nach Birkenau transportiert, wo die SS sie für das Recycling für die deutsche Kriegswirtschaft aufbereitete: Goldzähne für die Reichsbank, Haare für die Matratzenherstellung und Fett für die Seifenbereitung. Selbst die Klagerufe der Verurteilten wurden noch benutzt, um die verbleibenden Häftlinge zu größeren Arbeitsleistungen zu treiben. (...) Ein früher Morgen.
Aus der Richtung der Rampe ist der gedehnte Pfiff einer Lokomotive zu hören. Ich gehe zum Fenster, von dem aus ich die Rampe gut sehe. Ein langer Zug steht dort. Schon nach wenigen Minuten öffnen sich die Türen der Waggons.(...)
Antreten und Selektieren beanspruchen kaum eine halbe Stunde. (...) In fünf, sechs Minuten erreicht der Transport das Tor, und dessen Flügel öffnen sich weit. In gewohnten Fünferreihen schwenken alle auf den Hof ein.
Über das, was nun folgt, kann keiner der Marschierenden jemals berichten. Die 300 Meter von der Rampe waren ihr letzter Weg, denn links von ihnen wartet das Krematorium und kein Lager für Alte, Kranke, Kinder, wo die Arbeitsfähigen die Kleinen betreuen, wie deutsche Soldaten den besorgten Angehörigen der anderen Gruppe erzählt haben."
Paul Steinberg wurde 1926 in Berlin geboren. Er kommt aus einer russisch-jüdischen Familie, die 1933 nach Frankreich emigrierte. 1941, mit vierzehn, wurde er verhaftet, zwei Jahre später wurde er über Drancy nach Auschwitz und nach Buchenwald deportiert. Er war Häftling in Auschwitz III, dem IG-Farben-Lager. Nach der Befreiung ging er nach Frankreich zurück. Er war 17, als er nach Auschwitz kam.
Später berichtete er: "Meinen Freunden war klar, daß wir in Buna-Auschwitz III waren, einem Lager von ungefähr zehntausend Männern, arbeitsfähig sowohl nach Alter als auch nach körperlicher Verfassung; daß wir für die IG. Farben, den Chemie-Trust des III. Reiches, eine billige, rücksichtslos ausgebeutete Arbeitskraft darstellten; daß die Fabrik für die Herstellung von synthetischem Kautschuk errichtet worden war, das die Wehrmacht dringend benötigte; und daß wir entsprechend unseren Fähigkeiten und Berufen in Kommandos aufgeteilt wurden, sei es als Spezialisten, sei es als Generalisten, wobei die letzteren für umfangreiche, schwere Arbeiten herangezogen wurden. (...)
Mittags organisierte - so war der gebräuchliche Ausdruck - unser Kapo die doppelte Suppenration. Natürlich war das warmes Wasser, ausstaffiert mit ein paar nahrhaften Bröckchen, weil die I.G. Farben nicht für unrentable Investitionen zu haben war, aber immerhin wärmte sie uns. (...)
Die I.G. Farben zahlte der SS eine Tagespauschale pro Sklavenkopf. (...)"
Rudolf Vrba wurde 1942 aus der Slowakei deportiert. Damals hieß er noch Walter Rosenberg.
Er war IG-Häftling und dann Schreiber in Auschwitz. Ihm gelang 1944 die Flucht. Sein Bericht wurde bereits 1944 bekannt. Aber niemand glaubte ihm.
Es heißt, er sei damals ein junger Mann gewesen. Ein Teil seines Bericht lautet: "Wir wurden im Block 17 untergebracht, wo wir auf dem Fußboden zu liegen hatten. Als Arbeitsplatz wurde uns die Baustelle des enorm großen Fabrikobjektes 'Buna' zugewiesen. Um 3 Uhr früh wurden wir zur Arbeit getrieben. Zu essen bekamen wir mittags eine Kartoffel- oder Steckrübensuppe, am Abend Brot.
Während der Arbeit wurden wir fürchterlich mißhandelt. (...) Die Arbeit war sehr schwer, man gewährte uns keine Ruhepause. Der Weg aus der Arbeit mußte in strammer, militärischer Ordnung zurückgelegt werden, wer aus der Reihe trat, wurde erschossen. Zur Zeit, als ich auf diese Arbeitsstelle kam, arbeiteten dort etwa 3.000 Personen, darunter 2.000 slowakische Juden.
Die harte Arbeit ohne Nahrung und Rast haben aber sehr wenige von uns ausgehalten. Fluchtversuche, obwohl diese fast gar keine Aussicht auf Erfolg hatten, waren an der Tagesordnung. Wöchentlich wurden einige gehenkt."
Zusammenstellung: Katja Leyrer, Berlin 113203.743@compuserve.com
Aufarbeitung als Redemanuskript: Henry Mathews, Köln critical_shareholders@compuserve.com