Bergarbeiter-Info Nr. 27 vom Dezember 1999

"Keiner fällt ins Bergfreie"oder "Sozialverträglichkeit"- Was verbirgt sich wirklich hinter diesen mediengerecht schönfärberischen Worten

Jede neue Schließungsankündigung im Bergbau wird in der Öffentlichkeit mit dem uns bald überdrüssigen altbekannten Satz "Keiner fällt ins Bergfreie !" verkauft. Überdruß, weil er bei näherem Hinsehen so nicht stimmt und die vielfältigen Verschlechterungen für uns verschleiert.

Da der Arbeitsplatzabbau innerhalb der DSK immer erbarmungsloser wird, sprechen nun unsere "Führungskräfte" laut darüber, daß das Wort "Sozialverträglichkeit" mit neuen Inhalten gefüllt werden müsse. Damit setzen sie voraus, daß wir alles, was bislang sozialverträglich genannt wurde, auch so erlebt haben. Die radikalen negativen Folgen für uns Bergleute und die Regionen, in denen wir leben, werden verschwiegen. Doch was verbirgt sich wirklich hinter diesem schönen Wort?

Am augenfälligsten ist sicher der Arbeitsplatzverlust für die ganze Region, unter dem ganz konkret unsere Kinder, die Jugendlichen hier und arbeitslose Menschen leiden müssen. Zu besseren Zeiten hatten sie u.a. die Chance auf einen Job im Bergbau. Unter den Arbeitslosen sind aber auch zahllose Beschäftigte der Zulieferindustrie für den Bergbau, Beschäftigte der Fremdfirmen, die im Bergbau tätig waren und auch ehemalige Ruhrkohle Kumpels, die auf unterschiedlichsten Wegen in die Arbeitslosigkeit abrutschten (gescheiterte Selbstständige, Kumpels mit "Abfindungsillusionen", krankheits- oder sozial-bedingt Gekündigte, auf Umwegen über Umschulungen oder neue Arbeitgeber arbeitslos Gewordene...). Vergessen werden leicht diejenigen, die früher im Revier die Gelegenheit hatten, in bestimmte Berufe umzuschulen (Feuerwehrmann, Kranken-,Altenpfleger...). Nun aber kommen sie in diese Umschulungsmaßnahmen nicht mehr hinein, da diese für ehemalige Bergleute reserviert sind. Nicht vergessen darf man die negativen Folgen für den Dienstleistungs- und Einzelhandelssektor im Revier, der unter den weniger gefüllten Geldbeuteln der hier Lebenden zu leiden hat. In der Konsequenz gab es dann auch dort Verschlechterungen für Arbeitnehmer bis hin zu Kündigungen. Nicht zuletzt sei an die Folgen für die öffentlichen Kassen erinnert, die durch weniger Beiträge aktiver Arbeitnehmer in Steuer-, Renten-, Arbeitslosen-, Kranken-, Pflegekassen immer mehr zu Spar-, Streich- und Umschichtungsmaßnahmen veranlaßt wurden.

In diesem Zusammenhang sollen die Äußerungen des stellvertretenden Arbeitsamtsleiters Bergmann im Kreis Recklinghausen nach Bekanntgabe des Arbeitsplatzverlustes für General Blumenthal zitiert werden: "WAZ: Welche Auswirkungen auf die ohnehin hohe Arbeitslosenquote im Bezirk Recklinghausen erwarten Sie? BERGMANN: Es gibt ganz sicher einen Knacks, die Zahlen werden steigen. Die auf Dauer wegfallenden Arbeitsplätze im Bergbau sind ja nur ein Teil des Brockens. Man rechnet bei jedem wegfallenden Arbeitsplatz im Bergbau mit weiteren 1 bis 1,5 Arbeitsplätzen in anderen Bereichen- vom Bergbauzulieferer bis zum Bäcker. Denn auch das Konsumverhalten wird sich ändern. WAZ: Haben sie eine Ahnung, wie diese Entwicklung aufgefangen werden könnte? BERGMANN: Ersatz-Arbeitsplätze in der Größenordnung von 7000 bis 8000 Stellen sind nicht zu schaffen. Im Augenblick habe ich keine Vorstellung davon, wie das zu bewerkstelligen ist. Was unseren Teil, die Umschulung, anbetrifft, so hoffe ich darauf, daß es vielleicht eine zusätzliche Finanzspritze der EU gibt."

Unsere bisherigen Erfahrungen mit dem Arbeitsplatzabbau lassen also keine Sozialverträglichkeit erkennen. Stattdessen müssen wir sehen, daß letztendlich diejenigen, die sowieso schon am unteren Ende der sozialen Leiter in unserer Gesellschaft stehen, immer weiter nach unten gestoßen werden. Andererseits wird für diejenigen, die oben stehen, die Leiter stetig um Sprossen erweitert. Wer dies kritisiert, dem wird "Sozialneid" vorgeworfen! Auf der anderen Seite müssen Gewinnspannen für Kapitalismus-, Globalisierungs- und Marktwirtschaftsgewinner immer größer sein, damit es sich für sie überhaupt lohnt zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen.

-Wie wenig sozialverträglich sich auf der anderen Seite die Kapitalseite verhält, wird allein schon deutlich am Wachstum des offiziellen Nettoeinkommens aus Unternehmertätigkeit und Vermögen von 276 Milliarden DM 1981 auf 900 Milliarden DM 1998!!!-

Das Drohen mit dem Globalisierungs- und Vergleichsgespenst tut ein Übriges, das Wort "Sozialverträglichkeit" immer mehr zur Farce und zum Verschleierungswort zu machen.

In diesem Zusammenhang werden dann heute gerne " Benchmarking-Arbeitsgruppen" gebildet.Diese sollen Unterlagen für Vergleiche auf jedem Gebiet in Wirtschafts- und Sozialpolitik erarbeiten , mit dem Ziel, das für die Rendite, sprich den Gewinn, günstigste Umfeld herauszufinden. Diese Vergleiche beweisen uns dann, wie sozial anspruchsvoll wir sind, da man andernorts doch mit viel geringeren Standards zu recht kommt! Verschwiegen wird natürlich, in wessen Interesse die Vergleiche gestartet werden, wer daraus Kapital schlagen soll.

Wenn nun mit einer neuen Definition des Wortes Sozialverträglichkeit durch die RAG/DSK Spitze all das Negative, was bislang schon damit verbunden ist, wie oben aufgezeigt, noch einmal übertroffen werden soll, so ist das ein Alarmsignal! Es ist zum einem ein Zeichen von immer größerer Dreistigkeit derer, die bei uns das Sagen haben; aber zum anderen auch ein Zeichen davon, daß immer größere Gruppen in unserer Gesellschaft diesen verschleiernden Reden "auf den Leim gehen"! Ja, sogar bis in Kreise der Betroffenen hinein (Verfolgen wir nur aufmerksam manches Gespräch untertage!).

Geschickt wird versucht, von der Verantwortung des Unternehmens für die Verschärfung der Personalsituation abzulenken, obwohl gerade dieses durch Arbeitsplatzabbau und Umorientierung auf mindestens 10% Dividende verheißende Unternehmensfelder (Neipp) Fakten geschaffen hat.. Personalchefs und Betriebsratsvorsitzende beklagen sich immer lautstärker und heftiger über Kumpels, die das emsige Mühen der DSK in Jobcentern (was kein Unternehmen in dieser Form anbiete). nicht honorieren. Die Kumpels wollen auf Umschulungsangebote nicht eingehen.; sie sind zu wenig risikofreudig, auch eine Selbstständigkeit ins Auge zu fassen; sie nehmen nicht die "Traumjobs"an, die ihnen von der "treu sorgenden Mutter DSK" offeriert werden ; sie schlagen tolle Abfindungsangebote (Übergangsgeld) aus; sie schlagen eine Lohnsicherung für die ersten drei Jahre nach dem Ausscheiden aus. Wir Kumpels sind undankbar und nicht bereit , mit dem Unternehmen kooperativ zusammen zuarbeiten, da wir die Jobcenter nicht in Massen aufsuchen und Personalfragebögen nicht lückenlos und ernsthaft ausfüllen. So und ähnlich lauten die Vorwürfe gegen uns.

- Übrigens sei am Rande dazu angemerkt, daß die teilweise gute personelle Ausstattung der Jobcenter durch den geschickten Schachzug erreicht wurde, bis zu 2/3 der Mitarbeiter dort aus den Betriebsratskörpern abzuziehen. Damit entsteht einerseits kein finanzieller Mehraufwand fürs Unternehmen und andererseits wird die tägliche Arbeitnehmervertretung im laufenden Bergwerksbetrieb geschwächt. Außerdem hat man so geschickt Betriebsräte in den Personalabbau miteingebunden, sie werden den Kumpels gegenüber nicht so schnell Bedenken bezüglich des Angebots äußern. -

Doch gerade angesichts der 97iger Erfahrung müssen wir solchen Vorwürfen entschieden entgegenhalten: Ist es nicht sogar die verdammte Pflicht und Schuldigkeit unseres Unternehmens solche Möglichkeiten, wie die Jobcenter, anzubieten! Hat nicht dieses Unternehmen unseren Marsch nach Bonn dankbar angenommen, um für sich Subventionen locker zu machen (Wohin fließen die wohl....?)Ließ dieses nicht dort vollmundig verkünden, nun sei für einen sozialverträglichen Abbau bis 2005 alles in "trockenen Tüchern", um uns nach Hause zu schicken? Hat die Verschärfung der Lage nicht damit zu tun, daß viel schneller und viel mehr Arbeitsplätze nun wegfallen, als damals angekündigt?.

Berger sprach damals von einem Rückgang auf 48 000 Arbeitsplätze. Jetzt sollen sogar schon 2003 nur noch gut 40 000 Arbeitsplätze im Bergbau sein. Sprach man noch vor Wochen von 30 Mil. t Förderung im Jahre 2005 bei höchstens (!) 36 000 Beschäftigten , so taucht nun plötzlich die Zahl von 26 Mil. t. Förderung 2005 auf, bei weiterhin 36 000 Beschäftigten. Kurz: All dies stärkt nicht das Vertrauen in eine "ehrliche und treusorgende DSK/RAG Mutter".

Warum aber nehmen Kollegen nur verhalten die Angebote der Jobcenter wahr? Stellvertretend für viele mag da die Erfahrung eines Kollegen stehen, der füher auf der Schachtanlage Pattberg tätig war. Er sagte in einem Zeitungsinterview ( Rheinische Post vom 20.10.99),daß von 12 seiner Kollegen, die sich hätten umschulen lassen, als Pattberg zumachte, heute 9 arbeitslos seien.

Fragen wir bei denen nach, die eine andere Stelle gefunden haben, so gibt es da zweifellos den einen oder anderen, der einen Glücksgriff getan hat und rundum mit der neuen Stelle zufrieden ist. Aber es gibt auch ebensolche, und derer sind auch nicht wenige, die sich in mancher Beziehung verschlechtert haben. Schlechtere Tarife, schlechtere Arbeitsbedingungen (Arbeitswege, Arbeitszeit, Arbeitsklima, Arbeit bei Verleihfirmen.) und oftmals keine längerfristige Arbeitsplatzsicherheit (Zeitverträge). All dies nahmen die betroffenen Kumpels oftmals nur in Kauf, weil sie keine Perspektive mehr im Bergbau sahen und nicht weil sie freiwillig solch einen Arbeitsplatz vorgezogen hätten. Als Beispiel für solch eine Verschlechterung sei ein Ruhrkohletochterunternehmen genannt, ein Abbruch- bzw Sanierungs- unternehmen, welches 100 Stellen anbietet mit 18 DM Stundenlohn, täglicher Regelarbeitszeit von 10 Stunden plus zusätzlichen durchschnittlichen 4 unbezahlten Wegestunden pro Tag zu verschiedene Einsatzorten. Wenn in einem anderen Fall am Niederrhein von 1 000 Arbeitskräften zu lesen ist , die in den Niederlanden grenznah gesucht würden, so stellt sich hier die Frage, warum diese Arbeitsplätze noch nicht besetzt sind. Hört man doch gerade von den Niederlanden Schlimmes, was verschlechterte Arbeitsbedingungen und Löhne angeht.

Ist angesichts solch eines Hintergrundwissens nicht ein Zurückschrecken vieler Kumpels vor den Mühlen des Jobcenters verständlich? Ängste auch zu etwas überredet zu werden, was man später bereut?

Haben nicht die DSK und die IGBCE durch vollmundiges Reden "Keiner fällt ins Bergfreie" und Verlegungsangebote für jeden,der auf einer von Schließung betroffenen Anlagen ist, die Illusion bei den meisten Kollegen geweckt, sie könnten bei der DSK beschäftigt bleiben. Welche wahre Absicht steckte hinter den Briefen "Sie sind für eine Verlegung zur Schachtanlage X" vorgesehen. Briefen, mit denen man sich nach den neuen Schließungsbeschlüssen "den Hintern abwischen kann"? -Auch wenn jetzt neue Briefe mit neuen Verlegungsangeboten verschickt werden: Was sind diese wert, wenn gleichzeitig Personalchefs und Betriebsratsvorsitzende sagen "Wir wollen keine Verlegungen, sondern Abkehr vom Bergbau!"?-

Ist angesichts der Erfahrung von Schönreden der Lage und auch von Belogenwerden nicht das Mißtrauen der Kumpel den Jobcentern gegnüber nur zu verständlich?

Was aber verbirgt sich außer den bisherigen Droh-, Schimpf- und Angstreden gegen die Kumpels noch hinter der Rede von Neudefinition von Sozialverträglichkeit. Mehr oder minder deutlich ist bislang aus Reden bis hin zum Gesamtbetriebsratsvorsitzen Kohl herauszuhören, daß es zu einer Verpflichtung von Annahme eines Verlegungsangebots (und sei es noch so mies und unsicher) kommen wird, mit der Alternative im anderen Fall gekündigt zu werden. Das "gute" Tarifergebnis diesen Jahres läßt auch auf diesem Gebiet Schlimmes für die Zukunft befürchten. Vom Saarland ist zu hören, daß dort auch schon

DSK Kumpels an Leihfirmen ausgeliehen würden.

Wir sehen, welch mieses Spiel mit uns getrieben wird, wenn Herren ( und auch ein paar Damen) auf höheren Sprossen der Sozialleiter Wörter wie sozialverträglich, sozial ausgewogen, solidarisch... in den Mund nehmen! Täglich hören wir, wie Börsenkurse in die Höhe schnellen, wenn sich bei einem Unternehmen Arbeitsplatzabbau ankündigt; wie Länder, die dicke Sparprogramme gerade auch für die ärmeren Bevölkerungsschichten durchziehen, gelobtes Land für die Herren und Damen des Geldes werden. Da passt es dann gut, wenn wir sehen, wie auch die RAG Zechen im Ausland aufkauft oder die DSK für kostspieligste neue Technologien immer Geld über hat!