Interkulturelle Beiträge 28: Lohndumping auf dem Bau

Einleitung

Verbale und körperliche Gewalt richtet sich nicht mehr allein gegen Asylsuchende und Flüchtlinge, sondern zunehmend gegen ausländische Arbeitsmigranten, die z.B. in Berlin und Brandenburg für einen Zeitraum von einigen Monaten arbeiten und dann wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren:
Im Juni 1996 greifen Jugendliche im brandenburgischen Mahlow drei britische Bauarbeiter an. Bei der Verfolgung mit dem Auto verunglücken die drei Briten schwer. Einer von ihnen ist Noel Martin, der seit dem Unfall querschnittsgelähmt ist.
Im September 1996 schlagen Jugendliche im brandenburgischen Trebbin mehrere italienische Bauarbeiter krankenhausreif. Giovanni Andreozzi, einem 50jährigen Eisenflechter aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Neapel, werden das Nasenbein zertrümmert und mehrere Rippen gebrochen.

Gleichzeitig hallt es immer lauter von Jugendlichen wie Erwachsenen: "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg." Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Wochenzeitung DER SPIEGEL zum Jahresanfang 1998 glaubten 28 Prozent der Westdeutschen und 48 Prozent der Ostdeutschen, daß Ausländer ihnen die Arbeitsplätze wegnähmen. (DER SPIEGEI, 13/98, S. 69)

Dieses weit verbreitete Vorurteil darf nicht überhört werden. Das wäre zu einfach und ein Gewinn für die Rechten. Vielmehr gilt es, sich der Auseinandersetzung mit diesem rechten Stereotyp zu stellen. Dazu gehört es, sich den Baubereich anzuschauen, die einzige Branche, in dem tatsächlich ein Verdrängungswettbewerb zwischen ausländischen und einheimischen Bauarbeitern stattfindet -zunächst staatlich gewollt, gegenwärtig politisch nicht mehr kontrollierbar. Der Baubereich - das muß hier betont werden - ist ein Sonderfall, in dem über Lohn- und Sozialdumping Arbeitnehmer gegeneinander ausgespielt werden. Der billigste Anbieter wird genommen. Das sind zumeist ausländische Arbeitsmigranten, die hier zu Hungerlöhnen und miserablen Arbeitsbedingungen auf den Baustellen eingesetzt werden. In anderen Branchen und Bereichen findet eine Verdrängung von Ausländerinnen und Ausländern durch Deutsche statt - und nicht umgekehrt. Ausländerinnen und Ausländer sind von Arbeitslosigkeit überproportional betroffen: Ihre Arbeitslosenquote lag Ende November 1997 für die gesamte Bundesrepublik bei 20,811/o und damit fast doppelt so hoch wie die deutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (siehe Ökumenischer Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger und DGB-Bundesvorstand, Referat Migration, S. 12)

An dieser Stelle sei auf die Gefahr der Ethnisierung des Problems hingewiesen. Da ist die Rede von "uns", "den Deutschen", und in Abgrenzung dazu von "den Ausländern". Es werden zwei Kollektive definiert. Wenn es heißt "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg", so gibt es die eine Gruppe "der Deutschen", die einen Besitzanspruch auf die Arbeitsplätze erhebt, und eine andere Gruppe, "die Ausländer", die den Besitzanspruch in Frage stellt bzw. diesen sogar zu bedrohen wagt. Kaum jemand spricht davon, daß Deutsche anderen Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen (siehe epd-Dokumentation Nr. 4-5/98, Heft l, S. 17 ff.). Aber warum gibt es nur eine begrenzte Zahl von Arbeitsplätzen? Ist der Arbeitsmarkt etwas Statisches? Wie paßt der "beschäftigungspolitische Nationalismus" zusammen mit dem "großen Projekt' eines gemeinsamen Europas, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet wird?

Seit 1993 haben wir in Europa diese Freizügigkeit. Nach der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat jeder EU-Arbeitnehmer das Recht, in jedem Mitgliedstaat, ungeachtet seines Wohnsitzes, zu den gleichen Bedingungen wie Inländer eine abhängige Beschäftigung aufzunehmen. Nach der Dienstleistungsfreizügigkeit dürfen Unternehmer mit Sitz in der EU Arbeitsaufträge (Dienstleistungen) in jedem anderen EU-Land ausführen. Zu diesen Zweck kann z.B. ein portugiesischer Unternehmer Bauarbeiter seiner Firma nach Deutschland schicken (entsenden). Die Entlohnung dieser Arbeitsmigranten liegt meistens weit unter dem Lohn der Einheimischen.

Soziale Fragen spielten bei der Einführung der EUDienstleistungsfreiheit keine Rolle. Die Folgen, Lohn- und Sozialdumping und zunehmende Aggressivität gegenüber Arbeitsmigranten, wurden von weiten Teilen der Politik lange ignoriert.

Die daraus resultierenden Probleme vor Ort veranlaßten die RAA Brandenburg e.V. zu einem gemeinsamen Projekt mit der DGB-Jugendbildungsstätte Flecken Zechlin und dem Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der evangelischen Kirche. Die Bildungsstätte wurde vertreten durch Martina Panke, der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt durch Horst Czock. Für das Gesamtprojekt verantwortlich zeichnet Dr. Hilde Schramm-, die Koordination lag bei Markus Kemper.

Das Projekt mit dem langen Titel "EU-Freizügigkeit und Aggressivität gegenüber Arbeitsmigranten am Beispiel ausländischer Bauarbeiter" wurde von der Europäischen Union gefördert, die 1997 das "Europäische Jahr gegen Rassismus" ausgerufen hatte. An dieser Stelle sei der Kommission nochmals für ihre Unterstützung gedankt.

Die Hintergründe des Verdrängungswettbewerbs in der Baubranche sind komplex und fast nur in der Fachwelt bekannt. Wichtig ist es, das Expertenwissen zu verbreiten, über die EU-Freizügigkeit zu informieren und Angebote zur Überwindung der damit verbundenen Probleme zu machen. Hierzu soll die vorliegende Broschüre einen Beitrag leisten, Sie richtet sich an Menschen mit Multiplikatorenfunktion, die Interesse am Thema haben, aber noch keine Experten sind. Ziel des Projektes ist es, Rassismus am Arbeitsplatz abzubauen und die Akzeptanz gegenüber ausländischen Arbeitsmigranten auf Zeit zu erhöhen.

Mit dem Projekt soll das Interesse an deren Arbeits- und Lebensbedingungen geweckt und ein besseres Verständnis ihrer Migrationsmotive erreicht werden. Es sollen die Mechanismen sichtbar werden, wie Arbeitnehmer gegeneinander ausgespielt werden, in der Hoffnung, daß Sozial-staatlichkeit bei dem "großen Projekt" Europa von den Bürgerinnen und Bürgern zunehmend eingefordert und von Politikerinnen und Politikern durchgesetzt wird.

Für die Unterstützung und Beteiligung an dem Projekt danken wir: Fritz Wilin (ehrenamtlicher Dolmetscher), Petra Brunne (Sozialdezernentin der Stadt Königs Wusterhausen); Almuth Berger (Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg) und ihrem Büro; Barbara John (Ausländerbeauftragte von Berlin) und Robin Schneider; Frau Wischnewski und Herrn Fischer (Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg), Uwe Hunger (Westfälische Wilhelms-Universität Münster), Uwe Bergmeier (Politologe), Birgit Mosis (Medienwerkstatt eyeland), Cornelia Starke (Lehrerin), Herrn Göbel-Heydt (Geschäftsführer) und Herrn Riedel (Ausbildungsleiter der gemeinnützigen Innovations- und Entwicklungsgesellschaft INO gGmbH Hennigsdorf), Dr. Martin Müller und Yechiel Popper (Holon e.V. Königs Wusterhausen), Andreas Meyer (Bezirksverband der IG BAU Angermünde), dem Landesverband der TG Bauen-Agrar-Umwelt Berlin-Brandenburg sowie dem Bundesvorstand in Frankfurt am Main, Norbert Nickel (Fachgemeinschaft Bau), Thomas Hüne (Bauindustrieverband Berlin-Brandenburg e.V.), Walter Ritmeijer (Institut der niederländischen Bauindustrie Amsterdam), Frank Brandes (Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg), Jürgen Rubarth (Sicherheitsingenieur), Conny Roth, Norbert Cyrus, Sylwester Warzynczak und Hans-Peter Meister (Polnischer Sozialrat e.V.), Dr. Jean Weinfeld und Ruth Kraev (Euroaufbau Berlin), Frieder Otto Wolf und Elisabeth Schroedter (Fraktion Die Grünen im Europäischen Parlament), Eva Boggilo, Jacques Blum (Det Fri Aktuelt Copenhagen), Steve Davison (Bezirksvorsitzender TUC Keighley) sowie Dave Ayre, Denis Paul Doody und Stewart Emms (englische Baugewerkschaft UCATT).

Markus Kemper