Auf Einladung des gewerkschaftlichen Bildungswerkes TIE und der Chemiekoordination hielt sich Bonisile James Mzeku vom 19. bis zum 29. März in der Bundesrepublik auf. Mzeku ist einer der 1.300 VW-Arbeiter, die das Werk in Uitenhage, Südafrika, seit Ende Januar diesen Jahres bestreiken. Hintergrund des Arbeitskampfes ist die Suspendierung von 13 kämpferischen Vertrauensleuten (Shopstewards) durch die Gewerkschaft NUMSA und ihre anschließende Entlassung durch VW. (vgl. ak 435 und 436) Der Konflikt zwischen der kämpferischen Basis und einer neuen Generation von Gewerkschaftsfunktionären schwelt dabei seit längerem. Er ist u.a. auch Ausdruck tief greifender Veränderungen in der südafrikanischen Gewerkschaftsbewegung. Das folgende Interview wurde vor einer Informationsveranstaltung in Hamburg geführt, die von der IG Medien und der Gruppe Blauer Montag am 28. März organisiert worden war.
Das wenige, was man hier über euren Streik mitbekommen kann, hört sich ein bisschen nach innergewerkschaftlichen Flügelkämpfen an. Für was wird im Augenblick in Uitenhage gekämpft? Was sind die Streikziele?
Erst 1999 haben wir im Betrieb eine Reihe junger Shopstewards abgewählt, die allzu kompromissbereit gegenüber dem VW-Management waren. Wir haben sie durch ältere, erfahrenere und kämpferische Kollegen ersetzt. Von Anfang an hat die Gewerkschaft (NUMSA) deren Entlassung betrieben. Schließlich sind die Kollegen im Januar auf Betreiben der NUMSA per Gerichtsbeschluss suspendiert und anschließend entlassen worden. Seitdem streiken wir dafür, dass die Geschäftsführung von VW Südafrika diese Kollegen wieder einstellt. Das ist das zentrale Ziel des Streiks.
Sowohl NUMSA als auch der Gewerkschaftsdachverband COSATU haben ja nun durchaus eine lange kämpferische Tradition. Mich würde schon interessieren, welche grundlegenden Entwicklungen innerhalb der Gewerkschaften in Südafrika sich hinter diesem Konflikt verbergen. Oder handelt es sich um eine ganz spezifische Situation in Uitenhage?
In der Tat handelt es sich um einen grundlegenden Wandel innerhalb der Gewerkschaften nach der Parlamentswahl 1994. Viele alte Kader sind damals in die Regierungsstrukturen eingebunden worden. Und diejenigen, die nachgerückt waren, kümmerten sich eher um ihre eigene Zukunft und Karriere. Die Jungen, auch im Gewerkschaftsapparat, orientieren sich an der "modernen Welt". Ich will nicht sagen, dass sie "gierig" sind, aber sie sind sehr materiell, erfolgs- und statusorientiert.
Kann man sagen, dass ihr eine alte Arbeiteravantgarde im Betrieb repräsentiert, während die neuen und jüngeren Kollegen eine ganz andere, mehr individualistische Orientierung haben? Seit ihr gewissermaßen die letzten Reste der alten Kampftradition aus der Apartheid-Zeit?
Ja, das kann man so sagen. Die neue GewerkschafterInnengeneration ist sehr viel stärker auf Kooperation mit der Geschäftsführung und Co-Management orientiert. Wir hingegen sehen, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen immer schlechter werden und unser Lebensstandard kontinuierlich abgesenkt wird. Dagegen kämpfen wir, wir wollen die erkämpften Rechte der Arbeiter verteidigen. Den Jungen fehlen ganz einfach auch die Erfahrungen im Kampf gegen die Apartheid, der uns geprägt hat. Wenn ich meinen Kindern heute von der Apartheid erzähle, glauben sie, ich wolle sie auf den Arm nehmen.
Wie haben sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Südafrika, aber vor allem auch bei VW in den letzten Jahren verändert?
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. 1998 haben wir aus Deutschland einen Exportauftrag erhalten für 60.000 Golf und Jettas. Das war nicht der erste Auftrag, und wir haben auch nichts gegen solche Exportaufträge an sich, aber mit diesem hatten wir große Probleme. Wir sollten nämlich verschärfte Rahmenbedingungen akzeptieren. Doch jene Bedingungen waren einfach inakzeptabel. Noch während der Apartheid haben wir die 40-Stundenwoche erkämpft, jetzt sollten wir wieder 45 Stunden arbeiten und dazu noch am Sonnabend. Neben der halbstündigen Mittagspause hatten wir zwei Teepausen von jeweils 10 Minuten. Eine sollte jetzt gestrichen werden.
Die versprochenen neuen Arbeitsplätze sahen so aus, dass 700 Leute mit Zeitverträgen für drei Monate eingestellt wurden, die in dieser Zeit sage und schreibe 20 Rand am Tag (ca. sieben DM) erhalten haben. Diejenigen, die dann nach unserer Intervention fest eingestellt wurden, haben dann 14 Rand in der Stunde bekommen, der offizielle Mindestlohn liegt aber bei 15 Rand pro Stunde.
In dieser Vereinbarung wurde auch ein Urlaubskorridor eingeführt. Die alte Regelung - genereller Betriebsurlaub im Dezember und Januar - sollte abgeschafft werden. Stattdessen sollten die Kollegen ihren Urlaub jeweils zu dem Tag nehmen, an dem sie bei VW angefangen hatten. Diese Urlaubsflexibilisierung beißt sich aber z.B. mit den Schulferien, die ebenfalls im Dezember/Januar sind. Wir können unseren Urlaub also nicht mehr zusammen mit unseren Kindern und Familien planen.
Diese Vereinbarung von 1998 ist damals von den neuen, jüngeren Shopstewards unterzeichnet worden. Die Gewerkschaft hatte uns darüber nicht informiert. Wir mussten also gegen eine gewerkschaftlich abgesegnete Vereinbarung mobilisieren. Und das war dann der Hebel, mit dem die NUMSA uns vorwarf, wir würden gegen die eigenen Shopstewards und gegen die Arbeiter mobilisieren.
Das ist nur ein Beispiel, ich könnte noch viele andere Verschärfungen nennen, gegen die es auch immer wieder kürzere Streikaktionen gegeben hat. Etwa die Streichung der für uns sehr wichtigen betrieblichen Zuschüsse und zinsgünstigen Kredite für Schuluniformen oder bei Trauerfällen zur Ausrichtung der Begräbnisfeierlichkeiten; auf den ersten Blick Kleinigkeiten, für uns von enormer Bedeutung.
Ist die Kampbereitschaft bei euch eine Besonderheit bei VW? Habt ihr eine besondere Kampftradition, oder ist euer Kampf Ausdruck einer generellen Stimmung in Südafrika?
Nein, es ist schon Ausdruck einer allgemeineren Unzufriedenheit. NUMSA und COSATU werden für ihre unternehmerfreundliche Haltung breit kritisiert. Es ist eher die Frage, wer den Anfang macht. Allein in Uitenhage gibt es inzwischen drei, vier neue unabhängige Gewerkschaften in den verschiedenen Firmen, die aus Unzufriedenheit mit der NUMSA entstanden sind. Auch wir werden jetzt einer unabhängigen Gewerkschaft beitreten. Das bringt NUMSA durchaus vor Probleme, ihre Mitgliedschaft brückelt.
Wie ist die momentane Situation in Uitenhage? Wird verhandelt?
Der Streik begann mit 4.000 Leuten. Nach dem Ultimatum der Geschäftsleitung (3. Februar 2000), dass den Kollegen nur über die Medien mitgeteilt wurde, sind 2.500 Kollegen in die Fabrik zurückgekehrt, wo sie unter drakonischen Bedingungen arbeiten müssen. 1.300 Kollegen sind ausgesperrt worden und führen den Streik weiter. Bisher sind alle unsere Bemühungen um Verhandlungen von der Geschäftsleitung abgeblockt und ignoriert worden. Diese Aussperrung ist vom VW-Hauptsitz in Deutschland gedeckt worden. Mit dieser Rückendeckung hat VW Südafrika alle Verhandlungsbemühungen von Seiten von Delegationen aus der Community, Kirchenleuten etc. abgelehnt.
Wie sieht eigentlich der Streikalltag in Uitenhage aus?
Das Uitenhage Crisis Committe (Unterstützungskomitee mit VertreterInnen aus anderen Betrieben und der Community, ak) trifft sich täglich. Ein bis zwei Mal die Woche halten wir größere Treffen ab. Es gibt Streikposten vor den Werkstoren. Und wir haben auch verschieden Märsche zum Werk organisiert. Und just in diesem Moment findet ein Treffen mit dem Ministerpräsidenten unserer Region statt, wo über unsere Angelegenheit gesprochen werden soll. Wir haben große finanzielle Probleme. Für unsere Treffen müssen wir Busse und Taxis mieten, denn als Erbe der Apartheid liegen die Townships, in denen die Kollegen wohnen, weit außerhalb von Uitenhage, so dass weite Transportwege entstehen.
Was bedeutet die Aussperrung für euch konkret?
Die meisten Kollegen sind schon älter, seit 11 bis 30 Jahren im Betrieb, ich seit 19 Jahren. Viele stehen kurz vor der Rente und müssen jetzt um ihre Rentenansprüche fürchten. Und in unserem Alter werden wir kaum einen neuen Job finden. Wir kämpfen inzwischen also auch um unsere Existenz.
Wir sind auf Spenden angewiesen, um unseren Streik aufrecht zu erhalten. Wir erhalten finanzielle und andere Unterstützung von unabhängigen Gewerkschaften in Südafrika, etwa aus Kapstadt. Wir haben auch Spenden und Solidarität auf internationaler Ebene bekommen, auch aus Deutschland, etwa von den KollegInnen der Chemiekoordination.
Am 5. April wird unser Fall vor dem CCMA (ein Schlichtungs- und Mediationsgremium, ak) verhandelt. Da wir von NUMSA nicht unterstützt werden, mussten wir uns einen Nicht-Gewerkschaftsanwalt nehmen. Das bedeutete für die Kollegen, die noch nicht aus der Gewerkschaft ausgetreten waren, den automatischen Gewerkschaftsausschluss.
Ziel deiner Reise ist es auch, offizielle Kontakte zur IG Metall und den Betriebsräten bei VW herzustellen. Wie erfolgreich bist du dabei bisher gewesen?
Bisher sind alle unsere Versuche, offizielle Kontakte zur IG Metall und zu VW-Betriebsräten herzustellen, gescheitert. Bei all den wenigen bisherigen Treffen beharrten die IG Metall-Funktionäre auf informellen Gesprächen, wenn sie überhaupt mit sich reden ließen. Angeblich soll unser Streik auf der Tagesordnung eines IG Metall-Treffens am 3. April stehen, und wir hoffen, dass sich daraus etwas Positives für uns ergibt.
Wie haben IG Metall und VW-Betriebsräte ihre Zurückhaltung begründet?
Sie sagen, wir seien eine informelle Gruppe, ohne offizielles Mandat, ohne offizielle Strukturen. Sie würden nur auf der Ebene von Gewerkschaft zu Gewerkschaft reden. Allerdings haben wir sehr große Unterstützung von der IG Metall-Jugend in Kassel erhalten. Deren Bemühungen, unser Anliegen auf die Tagesordnung einer Vertrauensleute-Sitzung in Kassel zu bringen, ist aber mit Geschäftsordnungstricks abgebügelt worden. In der Tat waren wir sehr enttäuscht, da wir bisher davon ausgegangen waren, dass wir eigentlich von früher her noch gute Kontakte zur IG Metall und zu VW hätten. Aber das scheint nicht mehr der Fall zu sein.
Wir sehen auch eine härtere Gangart von VW weltweit. Erst letzte Woche sind in Brasilien 23 Arbeiter entlassen worden, weil sie aus Protest gegen neue Flexibilisierungsanforderungen Dienst nach Vorschrift gemacht hatten. Überall wird uns gedroht, das die Fabriken geschlossen und nach Deutschland zurückverlagert werden. Ohne internationale Unterstützung sehe ich große Gefahren für die südafrikanischen Arbeiter, die bei transnationalen Firmen arbeiten.
Das ist ein gutes Stichwort. Es gibt ja einen Weltbetriebsrat (WBR) bei VW, der auch vor kurzem in Brasilien getagt hat. War euer Kampf dort Thema?
Wir haben zwei Kollegen nach Brasilien geschickt. Aber der WBR-Vorsitzende, Hans Uhl, hat sich geweigert, offiziell mit den Kollegen zu reden. Kollegen aus Puebla, Mexiko, die ähnliche Konflikte haben wie wir, sind ebenfalls nicht zur WBR-Sitzung zugelassen worden. Uhl war lediglich zu einem informellen Treffen im Hotel bereit und hat keinerlei ermutigende Signale übermittelt.
Bonisile, ich danke dir für dieses Gespräch.
Dieses Interview ist erschienen in ak 437 - analyse & kritik Zeitung
für linke Debatte und Praxis vom 13. April 2000
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