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5000 x Vergesellschaftung der Kosten und Privatisierung der Gewinne so ließe sich der, nach der sogenannten 4-Tagewoche und der Zeitwertaktie, dritte Coup der VW-Strategen auf den Begriff bringen, mit dem Manfred Stöter seinen Rückblick auf den »sozial regulierten« Krisenkapitalismus à la VW fortsetzt:
Auch das so genannte 5000x5000-Modell wurde unter den Prämissen der Weltmarktkonkurrenzfähigkeit entwickelt. Dabei ist vorab anzumerken, dass es de facto gar nicht um 5000 neue Arbeitsplätze geht, sondern zunächst nur um 3500 am Standort Wolfsburg. Der Standort Hannover, auf den sich die verbleibenden 1500 Arbeitsplätze beziehen, steht dagegen z.Zt. nicht zur Debatte. Drohungen mit der Verlagerung von Modellen, wie sie in Wolfsburg gezogen haben, wurden zwar auch in Hannover laut: Die Produktion des neuen Micro-Bus wird weltweit an den VW-Standorten ausgeschrieben, der billigste Anbieter erhält den Zuschlag. Da es sich jedoch um ein Modell handelt, das auf der Basis eines ab Herbst 2002 in Hannover gefertigten Modells aufbaut, dürfte Hannover aufgrund der bereits produzierten Komponenten Kostenvorteile haben, die nicht unwesentlich dazu beitragen werden, dass Hannover den Zuschlag bekommt. Sollte dies eintreten, ist auch für Hannover ein neues Werk auf der grünen Wiese geplant, was einen Produktionsbeginn frühestens in vier bis fünf Jahren erwarten lässt.
Ein weiterer, in der Öffentlichkeit weniger bekannter Begleitumstand des 5000x5000-Modells war die Tatsache, dass für den Neuanlauf der Minivan-Produktion (»AMPV«) im Wolfsburger Werk zunächst die LUPO-Produktion nach Belgien verlagert werden musste in diesen Hallen, derzeit noch hermetisch abgeriegelt, werden z.Zt. die Produktionsvoraussetzungen für 5000x5000 geschaffen.
Zu den Voraussetzungen der Neueinstellung zählt des Weiteren ein systematischer Rückgang der Produktionszahlen und ein entsprechender Abbau von Personal: »In den letzten zehn Jahren ist der Standort Wolfsburg bei der Produktion von Fahrzeugen immer mehr ausgedünnt worden.« (»metallnachrichten«, Bezirk Hannover, 15. Mai 2001). Während im Jahr 1989 noch 886000 Fahrzeuge von 61300 Beschäftigten hergestellt wurden, waren es 2001 noch 541000 bei einer Personalstärke von 50400 MitarbeiterInnen (vgl. ebd.).
Das Vertragswerk für das neue Produktionsmodell besteht aus einer Reihe von Einzel-Vereinbarungen: ein Projekttarifvertrag mit Anlagen, ein Qualifizierungsvertrag, ein Tarifvertrag über die Bildung eines gemeinsamen Betriebsrates und ein Mitbestimmungsvertrag. Diese beinhalten im Einzelnen folgendes:
Das »Projekt« ist als Dreischichtbetrieb ohne Zuschläge auf dreieinhalb Jahre ausgelegt. Es beginnt am 1. Oktober 2002 und endet am 31. März 2006. Damit dürfte es sich um den ersten IGM-Entgelttarifvertrag mit einer Laufzeit von dreieinhalb Jahren handeln. Für den Herbst 2005 sind Verhandlungen vorgesehen, wie es mit dem Projekt weitergehen soll. Vor diesem Hintergrund ist auch die Behauptung, es handele sich bei den 5000x5000-Verträgen um »unbefristete Arbeitsverhältnisse«, zu bewerten.
Produziert wird in modularer Produktionsweise nach brasilianischem Vorbild. Angeliefert wird von externen Zulieferern sowie von den VW-Werken. Vorstellbar sind dabei folgende Module: Bodengruppe, Frontend, komplettes Armaturenbrett, Dach, Türen (bereits lackiert und komplettiert), Motor, Getriebe usw. Ein eigenes Presswerk ist nicht vorgesehen. Der Vorteil liegt einmal darin, dass mit einer geringen Personalstärke (geringere Lohnkosten) hohe Stückzahlen zu erreichen sind. Zum anderen werden die Zulieferer für das Nichterfüllen von Qualitätsvorgaben regresspflichtig gemacht.
Problematisch, wenn nicht rechtswidrig ist darüber hinaus auch die Beteiligung des Arbeitsamtes an den Tarifverhandlungen bzw. dessen Einbindung in das Gesamtprojekt: Ein Tarifvertrag ist ein Vertragswerk zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft, die stellvertretend für die Beschäftigten des Betriebes verhandelt. Zu Lasten Dritter (in diesem Fall des Arbeitsamtes) darf und kann nicht abgeschlossen werden. Das Arbeitsamt wird jedoch das notwendige Personal sondieren und drei Monate mit dem Ziel einer »allgemeinen Industrietauglichkeit« qualifizieren. Um 3500 ArbeiterInnen herauszufiltern, wird zunächst eine wesentlich höhere Zahl zu rekrutieren und qualifizieren sein. Die Kosten hierfür trägt das Arbeitsamt, damit werden die SteuerzahlerInnen in die Pflicht genommen. Nach Aussagen der Sprecherin des niedersächsischen Arbeitsamtes ist davon auszugehen, dass VW für die Umsetzung des Modells Zuschüsse beim Arbeitsamt beantragen wird; nach vorsichtigen Schätzungen werden sich diese auf 20 25 Millionen DM belaufen.
Anschließend wird für monatlich 4000 DM bei der neu gegründeten Projektgesellschaft »Auto 5000 GmbH« ein auf sechs Monate befristetes Qualifizierungs- und Arbeitsverhältnis abgeschlossen, während dessen die Beschäftigten das zertifizierte Gütesiegel der »allgemeinen Automobiltauglichkeit« erwerben sollen. Darunter wird die Vermittlung von »Fach-, Methoden- und Sozialkompetenzen« verstanden, die die Beschäftigten erwerben sollen. Ein solches »Gütesiegel« ist ohne jeden Wert und hat keinerlei Bezug zu einer berufsorientierten Ausbildung.
Nach diesen sechs Monaten erfolgt die »unbefristete Übernahme«, wobei dies unter dem Vorbehalt der Fortsetzung des Gesamtprojektes steht (s.o.). Vor Ablauf des Projektes dürfen die Beschäftigten der »Auto 5000 GmbH« nicht zu Volkswagen wechseln.
Produziert und entlohnt wird nach einer vorgegebenen Programmstückzahl. Nach der so genannten unbefristeten Übernahme erhöht sich der Lohn auf 4500 DM plus 500 DM Mindestbonus pro Monat. Zusätzlich kann ein persönlicher Leistungsbonus (Nasenprämie) gezahlt werden: »Die Zahlung eines persönlichen Leistungsbonus und einer Ergebnisbeteiligung wird bereits bei Erreichen eines positiven Jahresabschlusses in der Gewinn- und Verlustrechnung gezahlt; zusätzlich wird bei Erreichen der festgelegten Zielgröße von der Umsatzrendite eine Ergebnisbeteiligung gezahlt.« Der persönliche Leistungsbonus wird durch die Bereitschaft zu Überstunden und besonderes Engagement aktiviert. Richtlinien, die über diesen § 3.2.2 hinausgehen, sind nicht vorhanden. Über die Vergabe verhandelt der BR mit dem Management (s.u.).
Vom jährlichen Mindestbonus von 6000 DM (12 mal 500 DM) können 2000 DM »zur Verfügung« gestellt werden, will heißen: Von der Gesamtsumme können 2000 DM in einer anderen Zahlungsweise als der vorgesehenen monatlichen gezahlt werden (z.B. im Urlaubsmonat oder bei Mehrproduktion). Die Summe von 2000 DM entspricht ungefähr den vorenthaltenen Schichtzuschlägen und ist als Motivationsanreiz zu betrachten.
Qualifiziert wird wöchentlich drei Stunden im Durchschnitt. Die gesamte Qualifizierungszeit von drei Stunden fällt außerhalb der als »wertschöpfend« geltenden Arbeitszeit von 35 Stunden. Die Hälfte der Kosten der Qualifizierungszeit (1,5 Stunden) tragen die Beschäftigten, die andere Hälfte fließt in das Arbeitszeitkonto ein. Damit ist die 38-Stundenwoche fixiert worden.
Die »wertschöpfende« regelmäßige Arbeitszeit beginnt Sonntags um 22 Uhr und endet Samstags um 14 Uhr, für die Frühschicht wird der Samstag damit zum regelmäßigen Arbeitstag. Diese wöchentliche Arbeitszeit darf im Jahresdurchschnitt 35 Stunden nicht überschreiten, kann aber auf bis zu 42 Stunden ausgedehnt werden. Die VW-Forderung nach einer Arbeitszeit von wöchentlich 42,5 Stunden wurde zuvor noch von der IG Metall als unannehmbar bezeichnet. Inclusive der Qualifizierungszeit beträgt die durchschnittliche faktische Arbeitszeit pro Woche also 38 Stunden.
Mit der ideologischen Reduktion der Gesamtanwesenheitszeit auf die »wertschöpfende Arbeitszeit« hat die IG Metall eine Umdeutung des Arbeitsverhältnisses zugelassen, die innerhalb eines gewerkschaftlichen Vertretungsanspruches nichts zu suchen hat: Wenn sich die Gewerkschaften auf das Kriterium der Wertschöpfung als Grundlage für die Bezahlung einlassen würden, wäre der Unternehmerwillkür Tür und Tor geöffnet, denn diese bestimmen letztendlich, was wertschöpfend ist und was nicht. Die Unterteilung in »wertschöpfende« und nicht »wertschöpfende« Arbeit ließe dann eine weitere Öffnung für unentgeltliche Arbeitsleistungen in den Tarifvertragsklauseln zu.
Darüber hinaus wurde in dem Tarifvertrag festgehalten, dass mit Zustimmung des Betriebsrates zehn weitere Spätschichtsamstage vereinbart werden können. Als Erfahrungswert aus allen Automobilbetrieben gilt hier: Bei einer guten Konjunkturlage wird es zu wesentlich mehr Samstagsarbeit kommen. Deshalb werden auch über die im Tarifvertrag enthaltenen hinaus weitere Arbeitsflexibilitätsmaßnahmen auf betrieblicher Ebene vereinbart, insbesondere Zusatzschichten am Samstag sowie ein flexibles Schichtende.
Auf einem Flexibilitätskonto (Mehrarbeitskonto zur Freizeitentnahme) können bis zu 200 Stunden angespart werden. Der Ausgleich soll durch Freistellung spätestens innerhalb von zwölf Monaten erfolgen. Ist dies nicht möglich, soll die Freistellung in den ersten drei Monaten des Folgejahres erfolgen. In Ausnahmefällen können die Zeitgutschrift oder Teile davon mit 25 Prozent Zuschlag ausgezahlt werden. In der bisherigen Praxis bei VW sah dies folgendermaßen aus: Aufgrund einer permanent zu dünnen Personaldecke werden Freistellungen aus Zeitgutschriften in der Regel verweigert bzw. hinausgeschoben. Mit der Anhäufung von Zeitguthaben erhofft sich Volkswagen, dass die KollegInnen, die ihre Zeit auf dem Flexibilitätskonto deponieren, diese bei kollektiven Werkschließungen (Konjunktureinbrüche, Modellwechsel usw.) abrufen oder Zeitguthaben in die Zeitwertaktie einbringen, um für einen früheren Renteneintritt anzusparen. Eine Auszahlung vom Zeitkonto erfolgt nur in einer extremen finanziellen Notsituation, wobei die persönliche Bedürftigkeit dabei nachgewiesen werden muss. Die Annahme, dass künftig auch die Beschäftigten der »Auto 5000 GmbH« mit der VW-Zeitwertaktie konfrontiert werden, ist daher nicht abwegig.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Teams sind dafür verantwortlich, dass während einer Schicht das Programm hinsichtlich Stückzahl und Qualität erfüllt wird. Bei Nichterreichen der Stückzahl oder Qualität muss bis zu einer Stunde pro Tag nachgearbeitet werden. Wenn der Arbeitgeber die Ursache zu vertreten hat, wird die nachgearbeitete Zeit auf das Zeitkonto gutgeschrieben, wenn nicht, geht sie zu Lasten der KollegInnen. Da die Nacharbeit nicht am Band, sondern in »Abschnittspufferzonen« erfolgt, die nachzuarbeitenden Fahrzeuge also aus der Bandfertigung herausgenommen werden, könnte sich die vorgesehene Nacharbeitszeit von einer Stunde wesentlich verlängern: Bei Schichtwechsel wird die Bandfertigung in der Gegenschicht nicht gestört, und sollte eine Prämie (z.B. die persönliche Leistungsprämie) in Gefahr sein, könnte, ohne dass dies Produktionsabläufe unterbrechen würde, wenn es sein muss, auch länger als eine Stunde nachgearbeitet werden.
Die Frage, wer die Nacharbeit zu vertreten hat, wird in einer hierfür einzurichtenden Kommission unter Beteiligung des BR entschieden. Der regelmäßige Feierabend ist mit dem Modell in jedem Fall in Frage gestellt, und es ist zu erwarten, dass an diesem Punkt die ersten Auseinandersetzungen stattfinden.
Einzig positiv an diesem Teil des Vertragswerkes: Während der VW-Haustarifvertrag 30 Tage Jahresurlaub vorsieht, beträgt der Jahresurlaub in der »Auto 5000 GmbH« sechs Wochen. Bei einer geschickten Urlaubsentnahme können aus den sechs Wochen durchaus über 30 Tage werden: Wer in der Frühschicht eine Woche Urlaub nimmt, hat sechs Urlaubstage. Eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist garantiert, Urlaubsgeld und Weihnachtgeld werden dagegen nicht mehr gesondert gezahlt, sondern sind in der Bonuszahlung enthalten.
Der Mitbestimmungsvertrag bezieht sich auf die Rechte des BR und auf die Regelungen für den Aufsichtsrat: Es wird einen gemeinsamen Betriebsrat für Volkswagen und für die »Auto 5000 GmbH« geben sowie eine erweiterte Mitbestimmung im Aufsichtsrat.
In Bezug auf die Mitbestimmung im Aufsichtsrat wird vor allem die Regelung zur Bildung, Schließung oder Verlegung von Zweigniederlassungen sowie die Gründung von Beteiligungsunternehmen oder der Erwerb neuer Beteiligungen lobend erwähnt (siehe z.B. Wolfgang Reschke in Sozialismus 10/00): Hierfür ist eine Zweidrittel-Mehrheit in dem neuen 12-köpfigen Gremium mit je sechs Arbeitnehmer- und Arbeitgeberstimmen notwendig (der bisherige VW-Aufsichtsrat besteht aus je zehn Arbeiter- und Kapitalvertretern, wobei der Vorsitzende über zwei Stimmen verfügt, s.u. »VW-Gesetz«).
Was von der Aufsichtsratsmitbestimmung zu halten ist, hat Zwickel im Falle Mannesmann-Vodafone verdeutlicht. Prinzipiell stellt sich die Frage, was ein Gewerkschafter im Aufsichtsrat zu suchen hat. Im Aufsichtsrat kann die beabsichtigte Kontrollfunktion von Gewerkschaftern nicht mehr wahrgenommen werden. Die Beteiligungsvielfalt der Konzerne hat dermaßen zugenommen, dass mit durchschnittlich vier Aufsichtsratssitzungen im Jahr ein Gesamtüberblick nur sehr eingeschränkt möglich ist. Gegen die Belegschaften gerichtete Maßnahmen haben sich mit Aufsichtsratsposten bislang selten verhindern lassen.
Die Personalbesetzung, die Methoden und Inhalte der Qualifizierung, die Höhe des individuellen Bonus und der dafür erforderliche »Leistungsplan« werden zwischen Management und Betriebsrat unter Einbeziehung der Teams festgelegt. Der einzelne Beschäftigte oder die Teams haben dabei ein Reklamationsrecht, das vor Leistungsüberforderung schützen soll. Unklar ist, ob und inwiefern dies in der Praxis zur Anwendung kommen wird, da schon das bestehende Beschwerderecht (§ 85 BetrVG) kaum genutzt und in der Regel zu Gunsten des Arbeitgebers ausgelegt wird.
Die konkrete Lage und Dauer der schichtplanmäßigen, wertschöpfenden, regelmäßigen Arbeitszeit wird in Abstimmung mit dem Betriebsrat unter Beachtung der Nachfrage sowie der gesetzlichen Bestimmungen nach den Grundsätzen der »Volkswagen-Woche« in Form einer dreimonatigen Programmvereinbarung sowie einer wöchentlichen Feinabstimmung gesteuert. Die Flexibilitätskaskade der »Volkswagen-Woche« beinhaltet die Flexibilität der Arbeitsstunden pro Tag, der Arbeitsschichten pro Tag, der Arbeitstage pro Woche und der Arbeitstage am Samstag.
Auch die Höhe der Prämien, d.h. des persönlichen Leistungsbonus und der Ergebnisbeteiligung, legt der BR gemeinsam mit dem Management fest. Beide Prämien sind, wie geschildert, im Prinzip festgelegt durch die Kriterien Stückzahl und Geschäftsentwicklung des Vorjahres: Die Ergebnisbeteiligung wird dabei generell gezahlt, wenn ein positiver Jahresabschluss in der Gewinn- und Verlustrechnung vorliegt, kann jedoch in Abhängigkeit von einer festzulegenden Zielgröße bei der Umsatzrendite erhöht werden. Kriterien für den persönlichen Leistungsbonus sind insbesondere auch die vom Einzelnen gezeigte Bereitschaft zu kurzfristig angesetzter Mehrarbeit und zusätzlichen Samstagsschichten individuelle Arbeitszeitflexibilität wird honoriert.
Mit der Zulassung dieses Konkurrenz- und Dumpingmodells ist für Volkswagen die Möglichkeit eröffnet worden, jeden Neuanlauf nach dem Muster von 5000x5000 zu fahren. Dieser Dammbruch in der Tariflandschaft wird längerfristig bundesweit mehr Arbeitsplätze vernichten, als das Projekt geschaffen hat. Nachahmer werden sich Teilaspekte aus dem Tarifwerk herausfiltern und für eine weitere Flexibilisierung nutzbar machen. Dies gilt es zu verhindern, wenn wir nicht alle in der Sackgasse enden wollen, die IG Metall und BR bei Volkswagen angesteuert haben: in einer Tariflandschaft, die den Begriff des Tarifvertrags überflüssig macht und die Notwendigkeit der Gewerkschaft in Frage stellt.
Die Macht des Konzerns beruht nicht zuletzt auf seiner Bedeutung für das Bundesland Niedersachsen und einige andere: Mit seinen ca. 80000 Beschäftigten in Niedersachsen und den zusammen nochmals rund 24000 Beschäftigten in Hessen und in Sachsen sind das nicht nur 104000 Steuerzahler und Konsumenten, sondern zählt man die Familienangehörigen hinzu auch rund 300000 WählerInnen. Und bei einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von ca. 97 Prozent bedeutet dies auch: rund 100880 zahlende Gewerkschaftsmitglieder.
In den vergangenen 50 Jahren ist in Niedersachsen eine Verquickung von Unternehmen, IGM und der jeweiligen Landesregierung entstanden, die bis in die 70er Jahre Verhältnisse und Strukturen geschaffen hat, die auch von Vorteil für die Belegschaften waren: So gilt z.B. seit 1960 das VW-Gesetz, das eine »feindliche« Übernahme verhindern soll und das die EU aus Wettbewerbsgründen abschaffen will: Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass ein über 20 Prozent hinausgehender Aktienanteil nicht zu weiteren Stimmrechten führt. Hinzu kommt, dass bei Entscheidungen, bei denen das Aktienrecht sonst nur 75 Prozent vorsieht (z.B. bei Satzungsänderungen), im Falle VW eine über 80-prozentige Mehrheit auf der Hauptversammlung erforderlich ist. Das Land Niedersachsen, das zwei Vertreter in den Aufsichtsrat entsendet, hält 20 Prozent des Kapitals. Dies ist bedeutend für die Frage des Konzernsitzes, dessen Verlegung nur durch eine Satzungsänderung möglich wäre. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass die Einrichtung beziehungsweise die Verlegung einer einzelnen Produktionsstätte eine Mehrheit von zwei Dritteln im Aufsichtsrat erfordert.
Bis in die 80er Jahre war neben dem Land Niedersachsen mit seinen noch heute 20 Prozent Aktienanteilen der Bund mit einem weiteren 20-prozentigen Aktienpaket an Volkswagen beteiligt. Aufgrund des VW-Gesetzes war Volkswagen also ein Staatsbetrieb. Von diesem Umstand profitierte VW: Immer dann, wenn es in der Automobilindustrie Konjunktureinbrüche gab, waren Bahn, Post, das Land Niedersachsen, der Bund oder die Bundeswehr hilfreich zur Stelle und zogen ihre Fahrzeugbestellungen vor. Heute hat dies nur noch bedingt Gültigkeit, da der Bundesanteil in den 80er Jahren privatisiert wurde und ohne Bundesunterstützung der niedersächsische Aktienanteil nicht mehr ausreichend ist, um Einfluss auf Großabnehmer wie die inzwischen ebenfalls privatisierten ehemaligen Staatsbetriebe Post, Bahn etc. oder Institutionen wie die Bundeswehr zu nehmen. So verlangte z.B. die Post unlängst für ein Auftragsvolumen von 2500 Fahrzeugen einen hohen Rabatt und die vertragliche Zusage, die abgenommenen Fahrzeuge nach der steuerlichen Abschreibung zurückzunehmen. Da man sich auf solche Forderungen einlässt, entsteht in Berlin ein VW-Gebrauchtwagenzentrum, dessen Zweck es sein wird, insbesondere diese Kontingentfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu verkaufen.
Das korporatistische Verhältnis, von dem Land, Bund und VW Vorteile hatten, hat sich so seit den 80er Jahren in eine recht einseitige Beziehung verwandelt: Der Konzern nimmt und sichert sich seine regelmäßigen Rekordgewinne durch eine breit angelegte Deregulierung aller bis dahin geltenden Standards. Es geht seitdem nicht mehr ansatzweise um die Bedürfnisse der VW-Belegschaften.
Sehr wohl geht es jedoch darum, die traditionell engen Bindungen an die SPD zu pflegen. Das mehrheitlich SPD-orientierte VW-Betriebsratsgremium ist in Niedersachsen das gewerkschaftlich bestimmende Element, dem sich auch die IG Metall Niedersachsen gern anschließt. Zum einen gilt es, die neoliberale Wettbewerbs-Programmatik der SPD betrieblich umzusetzen. Zum anderen werden aufgrund der engen Bindungen staatliche oder Landeszuschüsse erwartet und auch bereitwillig gezahlt. Die VW-Presseabteilung wiederum sorgt dafür, dass Volkswagen in den Medien als der soziale Muster-Betrieb dargestellt wird, der Belegschaften und der Gesellschaft Gutes tut. In diesem Sog erscheint die IG Metall als die Gewerkschaft, die mit dem richtigen Augenmaß die gesellschaftlich notwendigen Abschlüsse tätigt. Was für die niedersächsische SPD als Standort-Vorteil erscheint, birgt für die Beschäftigten jedoch nicht notwendig einen Vorteil. Ein Betriebsratsgremium, das sich offen zum Co-Management bekennt und eine niedersächsische IG Metall-Führungsebene, die mit dem Konkurrenz- und Standortdenken »schwanger geht«, setzen den Konzernstrategien keine Haltelinie entgegen. Die Volkswagen AG, die mit den dazugehörenden Geschäftsfeldern (Zulieferindustrie etc.) mittlerweile am niedersächsischen Export zu 56 Prozent beteiligt ist, hat in den letzten Jahren Rekordgewinne eingefahren.
Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung des VW-Konzerns für das Land Niedersachsen und der engen Interessenkoalition zwischen IGM, BR-Gremium und dem Land schien ein Scheitern des Modells 5000x5000 also undenkbar. Der GBR-Vorsitzende Klaus Volkert und seine Co-Manager konnten die zunächst ablehnende Haltung der großen Tarifkommission überhaupt nicht verstehen und waren entsetzt über das unerwartete »Nein«. Dieses Nein fiel zudem zu einem Zeitpunkt, als über Schröders Wahlaussage von 1998: »Wir werden die Erwerbslosigkeit auf unter 3,5 Millionen senken« und die Frage, ob diese eingehalten würde, beinahe täglich in den Medien debattiert wurde. Im Einklang mit den Medien galt es daher, Zwickelschelte zu üben und ungeniert die Machtfrage zu stellen. Der anschließende Abschluss ließ nicht lange auf sich warten, zumal für den September 2001 die niedersächsischen Kommunalwahlen bevorstanden.
Rechtzeitig zur Bundestagswahl wird nun in der »Auto 5000 GmbH« Personal eingestellt, und eine erneute Profilierung über die Medien ist garantiert, dann vielleicht sogar schon mit einer Zusage für weitere 1 500 Arbeitsplätze in Hannover. Als treue »Parteisoldaten« werden Betriebsrat und IG Metall die niedersächsische SPD in die Pflicht nehmen und von ihr erwarten, dass die SPD die Entscheidung für Hannover als Standort für die »Micro-Bus«-Produktion unterstützt. Angesichts des ständigen gewerkschaftlichen Mitgliederschwundes sind 3500 bzw. 5000 neue Mitglieder auch ein warmer Regen für Statistik und Beitragseinnahmen der Gewerkschaft selbst.
Hubers zwischenzeitlicher Vorstoß für die kommende Tarifrunde, die Tarifverträge an die Gewinnsituation der Betriebe zu koppeln, und die festzustellende Zunahme von Haustarifverträgen werden unweigerlich zu Betriebsgewerkschaften führen. Und ob dann noch wie im Falle VW die Gewerkschaft oder gleich der Betriebsrat die Flexibilisierung des Verhältnisses von Löhnen und Leistungen festschreibt, ist egal eine Aufweichung bisheriger Standards ist es in jedem Fall. Die Argumente für die Ablehnung des Modells 5000x5000 (42,5-Stundenwoche, kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld und keine Zuschläge für Nacht und Samstagsarbeit) sind letztendlich sowohl von der IGM als auch vom BR aufgegeben bzw. akzeptiert worden.
Mit der Einschätzung, dass sich gewerkschaftliche Veränderungen in Richtung des Ursprungsgedankens von Gewerkschaftsgründungen einer politisch motivierten Gegnerschaft zum ungezügelten Unternehmertum erst dann ergeben, wenn innerhalb der Gewerkschaften eine Bereitschaft entsteht, die Loyalität zum Führungsapparat in Frage zu stellen, stehe ich sicherlich nicht allein. Wer sich nicht bewegt, spürt auch seine Fesseln nicht. Doch auch auf die Richtung kommt es an. Die gewerkschaftliche Führungsebene bewegt sich jedenfalls in die falsche.
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