Vorspann:
Kein neues Phänomen, aber zunehmend und systematischer eingesetzt: Die
Auslagerung und Vergabe von Teilen der Produktion an Tochterfirmen oder bereits
existierende Zulieferer oder auch die Ausgründung vormals integrierter
Produktionssequenzen in eigenständige Unternehmungen tritt aus der Phase
ihres ideellen Daseins als "Virtual Company" oder "fraktale Fabrik" heraus und
hält Einzug in die Praxis der "Big Three" - General Motors, Ford und Chrysler
- in Nordamerika. Der Zweck ist klar: Reduktion der Arbeitskosten - in allen
Formen, in denen diese anfallen, und aller Faktoren, die auf sie Einfluß
haben. Und das heißt immer auch: Reduktion des gewerkschaftlichen Einflusses,
letztlich aber der Mittel und Möglichkeiten, die Beschäftigte haben
und entwickeln könnten, um ihre Interessen zu organisieren, solange sie
gezwungen sind, ihre Haut zu Markte zu tragen. "Interessenvertretung in logistischen
Produktionsketten" - um solche in der Automobilindustrie handelt es im folgenden
Beitrag - ist ein Thema, das brachenübergreifend zunehmende Relevanz erlangt,
sei es in Gestalt des "shop in shop"-Systems der Kaufhaus-Ketten, der sogenannten
"Industrie- und Gewerbeparks" bei Audi in Neckarsulm, DaimlerChryslers Smart-Produktion
in Lothringen oder künftig bei Opel in Rüsselsheim, des "Supply-in-line-sequence"-Konzeptes
bei Opel Bochum oder der radikalen Reorganisation des Hoechst-Konzerns. Gemeinsam
ist diesen Beispielen, daß das Outsourcing längst nicht mehr nur
"Randbereiche" der Produktion betrifft. Eine systematische Erfassung dessen,
was sich in diesem Prozeß tut, steht jedoch ebenso aus wie eine Auseinandersetzung
darüber, wie den Veränderungen begegnet werden kann. Larry Weiss sieht
im folgenden Beitrag nicht nur schwarz für die künftige Interessenvertretung
unter modularen Bedingungen - und auch der Bericht über die jüngsten
Streiks bei VW in Brasilien zeigt Alternativen zur Fraktalisierung der Standortlogik.
Vier der fünf größten Autohersteller planen in Brasilien eine neue Etappe in der Entwicklung der Autoherstellung, allgemein als Modularproduktion bezeichnet. Die Modularproduktion wird bald auch Rückwirkungen für Automobilbeschäftigte in den USA und Kanada haben. Die Strategie von General Motors und der Verkauf seiner Delphi-Teile-Division könnten Schlüsselelemente in der Entfaltung der Modulargeschichte werden. Die Zeitschrift Automotive Industries bezeichnete das Phänomen bereits als "Modular-Manie". Und Ward's Automotive entbot ein "Willkomen in der neuen Auto-Weltordnung".
Die Nutzung von Modulen in der Endmontage von Produkten - einschließlich Autos - ist nicht neu. Doch der Grad, in dem die Modularisierung mittlerweile verfolgt wird, markiert den dramatischsten Wandel in der Autoindustrie, seit das Model T bei Henry Ford vom Fließband lief.
Wesentliche Veränderungen betreffen den Umfang der Module, die Frage, wer sie herstellt und möglicherweise sogar wer die Module zu einem fertigen Auto montiert. Die weitestgehenden Konzepte der Modularproduktion sehen vor, daß sich ein vollständiges Auto aus nicht mehr als vier bis fünf Modulen und deren Verbindungsstücken zusammensetzt.
Nahezu alle Gurus der Modularproduktion stimmen darin überein, daß die einzelnen Module - seien es vier oder zwanzig - von Beschäftigten der Zulieferindustrie gefertigt werden sollen. Nur der letzte Akt, die Montage der Module zu einem fertigen Auto, soll von den Beschäftigten der Automobilhersteller ausgeführt werden. Die Fabrikgebäude der Modularherstellung sind so gebaut, daß die Zulieferfirmen entweder direkt darum herumgruppiert sind. Im Extremfall operieren sogar - angrenzend an das Fließband der Endmontage - im Herstellergebäude selbst Abteilungen mit Beschäftigten von Zulieferfirmen. Einige schlagen darüber hinaus vor, daß die Beschäftigten der Zulieferer auch die Endmontage der Module ausführen sollen.
Die Logik der Modularproduktion ist das "Inhouse-Outsourcing". Ziel der Autohersteller ist selbstverständlich die Senkung der Kosten, vor allem der Arbeitskosten. Durch die Übertragung wesentlicher Teile des Montageprozesses von Beschäftigten, die unter dem Tarifvertrag der UAW oder der CAW arbeiten, auf Beschäftigte der zu 90 Prozent unorganisierten Zulieferindustrie können Hersteller enorm sparen. Sie profitieren auch davon, Kosten für die Gebäude, die Ausrüstung, das engineering und sogar finanzielle Bürgschaften auf die Zulieferer zu übertragen.
Die Modularproduktion ist bereits aus der Konzeptphase herausgetreten - sie wird in zwei Werken in Brasilien praktiziert. Weitere zwei werden bald hinzukommen. Das LKW- und Buswerk von Volkswagen in Resende ist dabei am weitesten fortgeschritten. Die Zulieferfirmen befinden sich dort auf dem Gelände des VW-Werkes; ihre Beschäftigten machen rund Dreiviertel der Beschäftigten des Gesamtwerks aus.
Die Busse, die in Resende produziert werden, bestehen aus vier Modulen: Führerhaus, Chassis, Antriebsaggregat sowie Aufhängung/Achsen/Räder. Jedes Modul wird von einem Zulieferer in einer 'Minifabrik', die an das Hauptfließband angegliedert ist, hergestellt. Die Zulieferer sind vollständig für die Produktion ihres Moduls verantwortlich, einschließlich der Verpflichtung, ihr eigenes Inventar und ihre eigenen Werkzeuge zu stellen. Die Arbeitsbeziehungen sind allein Angelegenheit des Zulieferers und seiner Beschäftigten.
DaimlerChrysler besitzt ebenfalls ein Modularwerk in Curitiba, Brasilien, wo Dakota Pickups gebaut werden. Wie im VW-Werk montieren auch hier die Beschäftigten der Zulieferer den größten Teil des fertigen Autos.
Beide Werke operieren bislang mit kleinen Stückzahlen, die darüber hinaus keinen hohen Qualitätsstandards genügen. Einige Industrieexperten betonen diese Tatsache, um herauszustellen, daß die Modularproduktion bei hohen Stückzahlen nicht funktionieren wird. Aber sowohl GM als auch Ford investieren hunderte Millionen Dollars in Brasilien, um das das Gegenteil zu belegen.
GM baut gegenwärtig ein Modular-Montagewerk für 600 Millionen Dollar in Gravatai. Es soll Ende des Jahres eröffnet werden und ist auf eine Jahresproduktion von 120.000 bis 150.000 angelegt. Mehr als 20 Werke von Zulieferfirmen werden das GM-Werk umgeben. Die Zulieferer fertigen fast alle Teile der Autos außer Preßteile für den Rohbau und Motor/Getriebe und werden diese just-in-time an das Band von GM liefern.
Ford hat ein Modularwerk für 1 Milliarde $ in Guaiba angekündigt. Das Unternehmen wird im Jahr 2001 kleine Vans produzieren und im folgenden Jahr zusätzlich Fiestas.
Die Modularproduktion in Brasilien ist auf den südamerikanischen Markt gerichtet und wird kaum direkte Auswirkungen für die Beschäftigten Nordamerikas haben. Aber Brasilien scheint bloß ein Testfall für eine weitaus umfassendere Entwicklung und Verbreitung der Modularproduktion zu sein. So hat GM, dessen Bemühungen zur Senkung der Arbeitskosten bereits eine Reihe von Verwicklungen mit der UAW provoziert haben, begonnen, sich in Nordamerika deutlich auf die Modularproduktion zuzubewegen. Im letzten Jahr veröffentlichte GM Pläne für ein größeres neues Programm zur Produktion eines neuen Kleinwagens, "Yellowstone-Projekt" genannt. Das neue Auto, das den Chevy Cavalier ablösen wird, soll an mindestens vier Orten gebaut werden. Die ersten Produktionsanläufe sind für das Jahr 2001 im CAMI-Werk in Ingersoll, Ontario, und in Ramos Arizpe, Mexiko, vorgesehen. Das Unternehmen wird in den nächsten zwei Jahren 1 Milliarde Dollar investieren, um die beiden Werke für die Yellowstone-Produktion zu überholen und um zwei neue Werke in den USA zu bauen. Die neuen Werke, jeweils mit weniger als 2.000 Beschäftigten, werden in Lansing, Michigan, und Lordstown, Ohio, gebaut werden. Sie werden bestehende Werke in diesen Städten ersetzen, in denen bisher jeweils mehr als 5.000 Beschäftigte arbeiten. Es werden die ersten neuen Werke von GM seit der Eröffnung des Saturn-Werkes in Spring Hill, Tennessee, im Jahr 1990 sein. GM wird außerdem zitiert mit Überlegungen zum Bau eines dritten Montagewerkes, das Bestandteil des Yellowstone-Projektes werden könne. Als die Pläne für die Werke in Lansing und Lordstown im letzten August veröffentlicht wurden, wies GM vorsorglich darauf hin, daß die Werke auch andernorts gebaut werden könnten - erwähnt wurde explizit Mexiko -, falls die Gewerkschaft den Arbeitsplatzabbau bekämpfen würde. GM hatte in der Folge Gespräche mit den UAW-Locals in Lansing und Lordstown über die Einführung der Modularproduktion aufgenommen. Zu Beginn dieses Jahres stieg die UAW allerdings aus den lokalen Verhandlungen aus und machte deutlich, daß der Gegenstand Teil der in diesem Sommer begonnenen Verhandlungen über den Tarifvertrag von GM mit der UAW sein wird.
Steve Babson, Industriesoziologe an der Wayne State University in Detroit, geht davon aus, daß GM mit der Produktion des Yellowstone in Ingersoll und Ramos Arizpe beginnt, um die Absicht der Kostenreduktion zu unterstreichen. Die Mitglieder der CAW kosten GM rund 40 Prozent weniger als die Mitglieder der UAW. Dies liegt zum einen an der Schwäche des kanadischen Dollars und zum anderen daran, daß in Kanada ein staatliches Gesundheitssystem existiert und deshalb - anders als in den USA - Kosten der Gesundheitsversicherung nicht Bestandteil der Tarifverhandlungen sind. Montagearbeiter in Ramos Arizpe verdienen ca. 1,50 Dollar pro Stunde.
Babson, der ein trinationales Netzwerk von Forschern aus Universitäten und Gewerkschaften zur nordamerikanische Autoindustrie koordiniert, meint, daß jedes Yellowstone-Werk von Zulieferfirmen umgeben sein wird, die Module für das Fließband von GM produzieren. Den Beschäftigten von GM bleibe nur ein kleiner Teil der Endmontage überlassen. Auch die Saturn-Division von GM hat angekündigt, daß ihr Werk in Spring Hill, Tennessee, im Jahr 2001 die Modularfertigung übernehmen wird, wenn zu Beginn der nächsten Dekade die Produktion von derzeit 300.000 Autos pro Jahr auf über 500.000 gesteigert wird. Das Werk von GM in Willmington, Delaware, solle dann in die Saturn-Division eingegliedert werden. Allerdings ist bis jetzt unklar, ob auch dieses Werk für die Modularproduktion umgestaltet wird.
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß sich GM zu dem Zeitpunkt, an dem das Unternehmen Kurs auf die Modularproduktion nimmt, auch im letzten Stadium der Ausgliederung seiner großen Delphi-Teile-Division befindet. Delphi, das Ende des Jahres ein völlig unabhängiges Unternehmen - im Grunde der größte Zulieferer der Welt - werden wird, beschäftigt ca. 64.000 gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen in den USA und Kanada. Darüber hinaus arbeiten für Delphi 58.000 Lohnabhängige in einem Dutzend Maquiladora-Fabriken in Mexiko - für Stundenlöhne von rund einem Dollar.
Für die Beschäftigten von Delphi, die Mitglieder der UAW sind, gelten zunächst weiterhin die Bedingungen des Tarifvertrags zwischen der UAW und GM. Die UAW beabsichtigt, dies auch zukünftig aufrechtzuerhalten. Es wird allerdings erwartet, daß Delphi versuchen wird, die Löhne in den USA eher dem erheblich niedrigeren Lohnniveau der übrigen Zulieferindustrie anzugleichen, da das Unternehmen direkt mit anderen Zulieferfirmen um Aufträge konkurrieren wird. Bereits jetzt wurden ungefähr 6.000 Beschäftigte in Ohio, die Mitglieder der IUE (International United Electrical, Radio and Machine Workers of America) und nicht der UAW sind, dazu gezwungen, die Einführung von Einstiegslöhnen in ihrem Vertrag zu akzeptieren: Neu eingestellte Beschäftigte verdienen nun acht Dollar pro Stunde, was weniger als die Hälfte der Löhne der länger eingestellten Beschäftigten ist.
Delphi als unabhängiges Unternehmen wird in einem anderen Kontext operieren als zuvor die Division von GM. Anders als die Herstellerbetriebe ist die Zulieferindustrie in den USA nur zu etwa 10 Prozent gewerkschaftlich organisiert (in Kanada beträgt der gewerkschaftliche Organisationsgrad in diesem Industriezweig zwischen 30 und 40 Prozent). Und mit rund der der Hälfte seiner Produktion, die zu äußerst günstigen Löhnen in den hochmodernen, produktiven Werken in Mexikos Maquilas gefahren wird, hat GM bereits hinlänglich Erfahrungen in diesem neuen Kontext sammeln können.
Der Kostensenkungsdruck durch die Ausgliederung und die Orientierung der Industrie auf die Modularproduktion könnte bedeuten, daß Delphi noch mehr Arbeit nach Mexiko auslagern wird. Die Strategie könnte so aussehen, daß in Mexiko gefertigte Teile zu den Delphi-Werken in den USA und Kanada geliefert werden, wo sie dann zu Modulen zusammengefügt werden.
Sowohl die UAW als auch die CAW haben unterdessen angekündigt, die Modularproduktion zum Gegenstand der Tarifverhandlungen mit den Großen Drei in diesem Sommer zu machen. Beide Gewerkschaften drängen darauf, daß bei Ausgliederungen im Zuge der Modularisierung die Arbeit weiterhin von Mitgliedern der Gewerkschaften zu den Löhnen und Sozialleistungen der Großen Drei ausgeführt werden soll. Es bleibt abzuwarten, wie die Unternehmen darauf reagieren, aber es gilt als sicher, daß GM die größten Probleme bereiten wird. Der Konzern ist am weitesten fortgeschritten, was die Entwicklung und Umsetzung der Modularproduktion betrifft - und forciert die Senkung der Arbeitskosten noch stärker als seine beiden Mitkonkurrenten.
Die Orientierung auf die Modularproduktion kann sich allerdings als zweischneidig erweisen. Die Gruppierung von Zulieferwerken um die Herstellerbetriebe herum könnte auch ein Segen für die Bemühungen der gewerkschaftlichen Organisierung der Zulieferindustrie sein. In den letzten 25 Jahren sind viele Zulieferwerke in Kleinstädten gebaut worden, weil dort ein niedrigeres Lohnniveau gegeben war - und weil man den in der Regel hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, der für industrielle Zentren typisch ist, vermeiden wollte. Durch die Umkehrung dieses Trends könnte die Modularproduktion nun zur Entwicklung größerer Gemeinsamkeiten zwischen Beschäftigten der Hersteller und der Zulieferer beitragen.
In den Tarifverhandlungen von 1999 hat die UAW sowohl die Modularproduktion als auch die Notwendigkeit grenzüberschreitender Solidarität thematisiert: "Unternehmen werden damit fortfahren, die Konkurrenz zwischen Beschäftigten in Nordamerika um eine begrenzte Anzahl von Jobs zu schüren, um dadurch die Löhne weiter zu drücken und von der Gewerkschaft erzielte Schutzregelungen am Arbeitsplatz abzubauen. Es ist deshalb entscheidend, daß wir eng mit den Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen in Mexiko und Kanada zusammenarbeiten, um so eine gemeinsame Antwort gegen die Versuche der Unternehmen zu entwickeln, das NAFTA-Abkommen dazu zu benutzen, uns gegeneinander auszuspielen. Wir werden mit Beschäftigten kooperieren, die bei denselben Unternehmen oder in der gleichen Industrie beschäftigt sind und die auch ein Interesse daran haben, industrielle Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Gleichheit zu unterstützen.
(Übersetzung: Heiner Köhnen, Kirsten Huckenbeck)
* Larry Weiss arbeitet am Ressource Center of the Americas; der Text entstand im April 1999.
Wir danken sowohl den Übersetztern als auch der express-Redaktion für den Vorabdruck der Übersetzung, die in express 8/99 erscheint!