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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der fünfte Tag

Volkswagen nach dem Tarifabschluss

"Der Golf wird zur Chefsache!" - so tönt es aus den Vorstandsetagen durch die robusten historischen Hallen des VW-Stammwerkes Wolfsburg. Nachdem sich der Standort Brüssel jetzt endgültig nicht mehr an der Herstellung des Brot- und Butter-Produkts beteiligen darf, steckt Volkswagen alle Kraft in die laufenden Fertigungen Wolfsburg und Mosel sowie in die Entwicklung der sechsten Generation. Und bei alledem stehen die nächsten Zielmarken zur Kosteneinsparung bereits quantitativ fest.

Keine Atempause

Die MitarbeiterInnen sind derzeit schon schwerpunktmäßig mit der Hinterfragung und Optimierung jedes einzelnen Produktionsschrittes beschäftigt. Volkswagen versucht außerdem, die Preise der Zulieferbetriebe zu drücken. Dabei scheut der Konzern weder Kosten noch Mühen.

Das Heraufbeschwören von Feindbildern scheint für VW ebenfalls zu den probaten Mitteln zu gehören, um Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. So hatte der vorherige Markenchef Bernhard japanische Automobilhersteller auf VW-Betriebsversammlungen als Feinde ausgemacht und deren Angriff auf Europa prophezeit. Nun steht der Toyota Auris als Pendant zum Golf beim Autohändler und nagt mit seinem frechen Outfit in diesem Marktsegment an der Vorherrschaft europäischer Modelle. Selbst die IG Metall stützt das Feindbild asiatischer Mitbewerber. Mit dieser Art von Corporate Identity sollen Motivation, Zusammenhalt und vielleicht auch die Verbreitung eines Negativ-Images fernöstlicher Konzerne im Familien- und Bekanntenkreis gefördert werden.

Dabei täuschen die Spar- und Feind-Strategien nur über den räuberischen Tarifabschluss vom vergangenen Herbst hinweg. Gewöhnt haben sich die Beschäftigten noch nicht an die 5-Tage-Woche, wohl aber an das Chaos, das mit einem halbfertigen Tarifabschluss einhergeht. Während mittlerweile für die alten Verträge des sog. Haustarifs I die Bedingungen feststehen, sind im neuen Haustarif II immer noch Fragen offen. Im Durchschnitt arbeitet die Wolfsburger Belegschaft 34 Stunden in einer 5-Tage-Woche. Die Stundenanzahl ist dabei für jeden Bereich einzeln festgelegt. Mehrarbeit oder reduzierte Stunden werden auf einem sog. Flexibilitätskonto, einem individuellen Arbeitszeitkonto, festgehalten. Dort können plus/minus 200 Stunden eingetragen werden, was dem Unternehmen die Möglichkeit verschafft, einzelne Bereiche nach Hause zu schicken, sollte deren Arbeit nicht erforderlich sein.

Das Konto gab es bereits vorher. Neu ist jetzt allerdings die Ü berstundenvergütung im Plusbereich. Die erste Ü berstunde der Woche wird nicht extra vergütet, danach regelt eine Staffelung nach dem Arbeitszeitguthaben die Entlohnung in Geld und Freizeit. Desweiteren stellt VW für die nicht zwingend erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen nur noch die Hälfte der Seminarzeit zur Verfügung, für die andere Hälfte muss der/die MitarbeiterIn Urlaub oder Ü berstunden opfern.

Das sind nur einige Beispiele des aktuellen Tarifalltags. Der gerade verhandelte Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie gilt spätestens ab 2008 auch für die Belegschaft von Volkswagen. Der Einführung des Entgelt-Rahmentarifvertrags (ERA) steht nichts mehr im Wege. Die scheinbaren Lohnerhöhungen der vergangenen Abschlüsse fließen ja bereits seit 2005 in einen Topf, um Differenzen bei der ERA-Umsetzung auszugleichen (vgl. DA Nr. 176, "Eine neue AERA bei der IG Metall")

Loyalitäten aufkündigen

Die Belegschaft ist aufgrund des "alten" neuen Tarifabschlusses allerdings ziemlich geladen. Er bedeutet einen herben Verlust an erkämpften Arbeitsrechten und bietet im Gegenzug eben nicht die viel gepriesene Arbeitsplatzgarantie. Mit eben diesem Argument der Sicherung der deutschen Arbeitsplätze wurde der Golf aus Brüssel verlagert und kostete dort Tausende Arbeitsplätze. Nichtsdestotrotz werden in Wolfsburg weiterhin Arbeitsplätze abgebaut. Die vom Vorstand gesetzte Zielmarke einer 20-prozentigen Belegschafts-Reduzierung steht auch mit den geschluckten Kröten des neuen Abschlusses weiterhin im Raum. Der Kahlschlag mittels Altersteilzeit und Abfindungsangeboten sowie Entlassungen aufgrund strengerer Einhaltung der Betriebsvorschriften und mehr Überwachung durch den werkseigenen Sicherheitsdienst führten nicht zum gewünschten Erfolg. Im Gegenteil: Das Abfindungsangebot nahmen bevorzugt die begehrten, dynamischen und hochqualifizierten Arbeitskräfte an, so dass als Folge HochschulabsolventInnen eingestellt werden müssen, um die hausgemachten Lücken zu schließen.

Diese Art unternehmerischer Fehlentscheidung gipfelte in der Infragestellung der bisherigen Unternehmensphilosophie. Die neue Führung findet sich in den alten Konzernleitlinien nicht mehr wieder. Spätestens an diesem Punkt ist es auch bei den scheuesten WerkerInnen mit der Treue zum Unternehmen vorbei. Gleichzeitig verlischt das Vertrauen in die ArbeitnehmerInnenvertretung mit der Erkenntnis, dass die vorgezogenen Tarifverhandlungen im Konzernjammerherbst 2006 eigentlich jetzt, in Zeiten der Gewinnverdreifachung, mit ganz anderer Ausgangslage hätten stattfinden müssen. Aber das ist nun einmal die Kehrseite einer Sozialpartnerschaft.

Artikel von Hagen Weber in der "Direkte Aktion" Nr. 181 vom Mai/Juni 2007. Informationen zum Heft, Bestellmöglichkeiten und das Online-Archiv auf der Seite der FAU externer Link


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