Home > Branchen > Auto international > hajek | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Terror der Ökonomie... Willi Hajek über tödliche Arbeitsbedingungen bei Renault Im express 2/2005 hatten wir über die Hintergründe eines Amoklaufs in dem US-amerikanischen DC-Vorzeigewerk Toledo, wo DaimlerChrysler den Jeep bauen lässt, berichtet. »Ein bedauerlicher Einzelfall«, so der lapidare Kommentar von Dieter Zetsche, seinerzeit im Vorstand der DC AG verantwortlich für die Chrysler Group. Die Beschäftigten dort sahen das anders und sprachen von »Management by Stress«: verkürzte Vorgabe- und flexibilisierte Arbeitszeiten, permanente Arbeitsintensivierung, gezielter Druck auf sog. »Minderleister« und Aufmüpfige – die ganze Palette der Lean Production bildete für sie den Hintergrund des Amoklaufs. Im französischen Gyancourt, dem Sitz des Renault-Technologiezentrums, kam es über die letzten Monate zu einer Serie von (versuchten) Selbsttötungen. Auch hier reagierte das Management, indem es zunächst einen Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen bestritt. Vier Tote lägen nicht über dem Durchschnitt, so der Kommentar der statistisch geschulten Warlords über notwendige Opfer in der Welt des Autokriegs. Selbst die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Und Frankreich steht nach Berichten in HR-Info mit einem Toten pro Tag an der Spitze der arbeitsbedingten Suizide. Willi Hajek hat für den express die Sicht von Beschäftigten und Gewerkschaften auf die Vorgänge in Gyancourt zusammengestellt: Am 16. Februar 2006 hatte Renault-Chef Carlos Ghosn, bekannt als Kostenkiller und Sanierer von Renault-Nissan in Japan, das Projekt »Renault Contrat 2009« vorgestellt. Nach Umsatzeinbußen in den letzten Jahren soll das neue Programm zu einer Erhöhung der Gewinnspanne von rund 2,5 auf sechs Prozent bis zum Jahr 2009 führen. Renault will damit zum rentabelsten europäischen Auto-Konzern werden. Das Projekt be-inhaltet u.a. 26 neue Modelle in den nächsten drei Jahren, davon dreizehn veränderte alte und 13 komplett neue Modelle, sowie eine Senkung der Montagezeit auf 15 Stunden pro Modell. Bislang werden in Guyancourt drei neue Typen pro Jahr entwickelt, künftig sollen es nun also mindestens acht sein. Die Witwe von Antonio Barros, eines Ingenieurs, der sich aus dem Fenster auf dem Werksgelände von Renault gestürzt hatte, kommentiert: »Antonio wurde zermürbt durch einen unerträglichen Arbeitsstress, er fühlte sich tief entwertet trotz seines Engagements, das ihn dazu brachte, abends, am Wochenende und in der Nacht zu arbeiten. Das hat ihn fertig gemacht, die maßlose Antreiberei und die Nicht-Anerkennung.« Fünf Selbstmorde (davon ein versuchter Selbstmord), d.h. vier Tote – und die letzten drei innerhalb der letzten vier Monate. Die Beschäftigten beschreiben Stress, Müdigkeit und Erschöpfung, Konkurrenz und Spannungen unter den Kollegen. Der Kommentar des Profi-Kommunikators von Renault zu den Ereignissen lautete: »In einer Kleinstadt wie in dem Technozentrum von Renault-Guyancourt mit seinen 12000 Beschäftigten liegt das nicht über dem Durchschnitt.« Doch auf dem Bildschirm des Technikers, der sich – kurz vor seinem Aufstieg in der Hierarchie – getötet hatte, fand sich eine Erklärung, in der er das Unternehmen und Carlos Ghosn als Verantwortliche für seine Tat bezeichnete. Wie konnte es zu diesen unerträglichen Arbeitsbedingungen kommen? Immer wieder in den letzten Monaten wurden die Arbeitshetze, die psychischen Belastungen, das Mobbing, die endlosen Arbeitszeiten und kaum zu schaffenden Zielvorgaben von einzelnen Gewerkschaften im Betrieb angesprochen. Aber auch bei Renault gibt es unter den Gewerkschaften keine gemeinsame Haltung gegen diese Arbeitsbedingungen: SUD und CGT versuchen Öffentlichkeit zu diesem Thema herzustellen und die Kollegen zum Widerstand zu ermuntern. Doch es gibt auch Gewerkschaften, darunter vor allem die CFDT, die der Abschaffung der Pausen zugestimmt haben – diese werden nun in Geld ausbezahlt oder ans Ende der Schicht gelegt – und die die Erpressungsschiene des Unternehmens mitmachen: »Auslagerung nach Rumänien, Brasilien, Südkorea oder Überstunden, totaler Arbeitseinsatz. Wer nicht mitzieht, soll gehen«, so lautet das herrschende Credo im Unternehmen. Nicht von ungefähr ist das betriebsgewerkschaftliche Komitee für Gesundheit, Hygiene und Arbeitsbedingungen unterbesetzt und kaum handlungsfähig. Normalerweise könnte diese Einrichtung des Betriebsrats eine nützliche Funktion haben gegen die Arbeitsbelastung: Abends nach 20 Uhr finden noch Teambesprechungen statt, das Essen wird in die Besprechungen bestellt, der Arbeitstag dauert oft von 7.30 Uhr bis 21 Uhr. Sich dem Arbeitsrhythmus zu verweigern, obwohl dieser teilweise ungesetzlich, heißt, die Unternehmensziele zu sabotieren. Genau diesen Zwangsgemeinschaftsterror nach dem Muster des japanischen Produktionsmodells versucht Carlos Ghosn bei Renault in die alltägliche Praxis umzusetzen. Die Arbeitsverhältnisse sind selbstzerstörerisch, sie führen zur Selbstaufgabe. In Japan kennt jede/r dieses Phänomen – das Sterben durch Überarbeitung. Karoshi nennt sich das dort und gilt als Folge permanenter Überforderung, psychisch wie physisch. Auffällig ist auch, dass es die Frauen der Beschäftigten sind, die bei den Gewerkschaften anrufen und sie auffordern, ihren Männern zu helfen, die offensichtlich kaum mehr in der Lage sind, selbst Widerstand zu leisten, sich diesen Anforderungen zu verweigern: »Helft unseren Männern, sie sind fertig. Wir haben Angst, dass sie sich genauso selbst aufgeben wie ihre Kollegen.« Aufgerufen von den Sud- und CGT-Gewerkschaften bei Renault-Guyancourt, nahmen am 23. Februar immerhin 2000 Beschäftigte an einem Trauermarsch zum Andenken an die toten Kollegen teil. Auf der Kundgebung wurden die unerträglichen Arbeitsbedingungen und die alltägliche Erpressung der Beschäftigten angesprochen. Mensch kann nur hoffen, dass die Beschäftigten irgendwann aufschreien, sich diesem Terror verweigern, endlich die Angst ablegen, Stellung und Arbeitsplatz zu verlieren und stattdessen den Kampf aufnehmen gegen diese (Selbst-)Verwertungsmaschine.
Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/07 |