aus express 9/99, Zeitung für Betriebs- und sozialistische Gewerkschaftsarbeit

Lebenslang für Beschäftigte bei GM?

Harley S. Shaiken über eine neue Stoßrichtung in den Tarifverhandlungen

Im Vorfeld der Tarifverhandlungen der „Großen Drei" (GM, Chrysler, Ford) mit der UAW war GM mit dem ungewöhnlichen Angebot einer lebenslangen Jobgarantie vorgeprescht. Auch wenn das folgende Interview mit Harley S. Shaiken, Professor für Industrielle Beziehungen und Weltökonomie an der University of California in Berkeley, aus der Zeit vor dem jüngst getroffenen Abschluss stammt, dokumentieren wir es – Shaikers Kurzanalyse könnte bald auch für die BRD Relevanz haben.

Wie kann das Angebot von GM, einem Teil der Beschäftigten lebenslang währende Jobgarantien zu geben – angesichts des vorherrschenden Trends in der Automobilindustrie zu Outsourcing und Flexibilisierung von Arbeit und Arbeitszeit und der Abkehr japanischer Unternehmen von lebenslangen Beschäftigungsgarantien – interpretiert werden?

Shaiken: Hier gibt es ein bestimmtes Paradoxon. So ist durchaus anzunehmen, dass gerade diese Beschäftigungsgarantien zu einem Abbau der Belegschaften führen kann, weil diese Garantien zugleich mit dem Verlangen nach mehr Flexibilisierung, d.h. im Endeffekt mehr Outsourcing und damit Stellenabbau, gegeben werden soll. Man muss bei diesem Angebot von GM sehr genau zwischen den Zeilen lesen.

Was bedeutet diese Art von Beschäftigungsgarantie im Hinblick darauf, dass die Haustarife in der Autoindustrie in der Regel nur drei Jahre Gültigkeit besitzen?

Shaiken: Normalerweise bedeutet das Angebot einer „lebenslangen Jobgarantie" seitens eines Unternehmens immer zweierlei. Erstens, sie erklären sich bereit, eine Summe Geld in einen Pool für die Beschäftigungssicherung zu zahlen. Zweitens, sie wollen im Gegenzug diese Summe an anderer Stelle wieder hereinholen. Was auch immer für die nächsten drei Jahre beschlossen wurde, kann nachfolgend wieder gestrichen werden. Eine Garantie ist nur so gut wie der Wille, sie einzuhalten. Bisherige Erfahrungen mit dieser Form von Beschäftigungsgarantie waren eher negativ; sie waren nämlich schon bald vergessen.

Kann sich GM das Angebot nur deshalb leisten, weil so viele Beschäftigte in nächster Zeit in den Vorruhestand gehen?

Shaiken: Es steht immer die Kostenfrage im Vordergrund, allerdings gibt es auch längerfristig wirkende Investitionen. So kann eine solche Garantie zu einer stärkeren Identifikationsbereitschaft mit GM und zu einer verbesserten Beziehung zur UAW beitragen und damit insgesamt zu einem leistungsstärkeren Unternehmen GM.

Muss man auch bei DaimlerChrysler und Ford mit ähnlichen Garantien rechnen?

Shaiken: So weit wir bisher analysieren konnten, würde die Job-Garantie keine außerordentlichen Auswirkungen haben, auf keinen Fall bei DaimlerChrysler, voraussichtlich auch nicht bei Ford. Es könnte also durchaus der Fall eintreten, dass DaimlerChrysler freiwillig nachzieht; in einem solchen Fall könnte sich Ford kaum verweigern. Es ist unbestitten, dass seit dem 2. Weltkrieg die meisten Innovationen in den Arbeitsbeziehungen von der Autobranche angestoßen wurden. Was hier gegenwärtig passiert, könnte bald ein Muster auch in anderen Industriebranchen sein: Wenn Arbeiter vorzeitig in Rente gehen, könnte es gleichzeitig eine Jobgarantie für die schon länger Beschäftigten und eine Reduzierung der Belegschaft geben.

Zielt diese Art des Angebots nicht mehr auf die Betriebsfunktionäre als auf die Gewerkschaften?

Shaiken: Ich glaube, weder – noch, sondern eher auf die betriebliche Basis. Ein bei Flint beschäftigter Gewerkschafter fragt doch auch: „Kann meine Nichte hier im Werk unterkommen? Und was ist mit meinem Schwiegersohn?" Die Dringlichkeit, neue Jobs zu schaffen, ist dagegen im Bereich der Führungskader nicht sehr ausgeprägt.

Das Interview wurde geführt von Robyn Meredith, New York Times, 12.9.99.


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