Stimmungsbericht vom Protest am Opelstammwerk
Rüsselsheim am Dienstag, 19.102004, von Alfred Müller und einige
Bilder der Protestaktion
Die
Eröffnungskundgebung (sogennante Informationsveranstaltung) fand
auf dem neuen Betriebsgelände der ADAM OPEL AG südlich des Bahnhofsgeländes
statt. Gemeinsam mit VertreterInnen der IGM-Arbeitslosengruppe Frankfurt/M.
marschierte ich dorthin. Mit Beendigung der laufenden Schicht ströhmten
die Arbeiter und Angestellten der verschiedenen Abteilungen zum Versammlungsort.
Nach etwa einer Dreiviertelstunde war der Versammlungsort proppe gefüllt.
Der Personalratsvorsitzende Franz schätze die Zahl derer, die zusammengekommen
waren auf rund 20.000. Auch Polizeikräfte, die sich über die
Demo unterhielten, schätzen die TeilnehmerInnenzahl so ein. Wie viele
Menschen versammelt waren, bekamen wir – eine Gruppe linker Gewerkschafter
aus Rhein-Main – selbst zu spühren: Eine Kollegin wollte später
zu uns hinzustoßen, simste mir dann jedoch, dass sie am anderen
Ende der Demo stünde und „nicht zu uns durchkommen“ könne.
Das wollte ich nicht glauben und versuchte es selbst. Doch tatsächlich:
die Menschen standen so massiert beieinander, dass es kaum einen Spalt
zum Durchkommen gab.
Alle
konzentrierten sich merklich auf die Redebeiträge und ich erntete
für meinen Versuch, mich Durchzudrängeln, ziemlich genervte
Blicke. Also zog ich mich gleich wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Es waren auch Belegschafts- vertreterInnen anderer Betriebe anwesend,
z.B.: IG BCE Merck/Darmstadt. Viele KollegInnen hatten ihren Nachwuchs
mitgebracht. Auf einem Kinderwagen stand zu lesen: „Ich bin erst
sechs Monate alt und auch schon existenzgefährdet!“
Arbeiter und Angestellte standen durcheinander und die
kämpferische Rede einer Angestellten traf auf großen Beifall
aller Anwesenden. Herr Franz, der auch vieles richtige und wichtige sagte,
widmete einige Minuten seiner Rede auch der Situation im Bochumer Werk,
wobei er sich für die umgehende Rückkehr zur Arbeit aussprach.
Damit stieß er jedoch nicht die Stimmung der Anwesenden, welche
diesen Teil seiner Ausführungen still über sich ergehen ließen.
Dieser Stimmung trugen die Verantwortlichen aber durchaus Rechnung. Nach
der sogenannten Informationsveranstaltung wurde die Versammlung zwar für
aufgelöst erklärt, man ging jedoch nicht geordnet in die Abteilungen
zurück.
Die
Menge verließ das Betriebsgelände zum „Hinterausgang“,
lief über die angrenzende Bundesstraße in Richtung der Innenstadt,
um nach etwas über einer halben Stunde Fußmarsch das Werk wieder
zu durch das bekannte Hauptportal am Bahnhofsvorplatz zu betreten. Herr
Franz hatte jedoch zum Abschluss der sogenannten Informationsveranstaltung
darauf hingewieden, „dass es bei jedem zuhause heute sicherlich
genug zu tun gäbe“. Am Hauptportal wurden Belegschaftsvertreter
deutlicher: „Wir werden die Arbeit heute nicht mehr aufnehmen“,
wurde den herannahenden KollegInnen mehrmals per Lautsprecher bekannt
gegeben. Der Protestzug bewegte sich direkt durch die östliche Fußgängerzone.
Die meisten Passanten blieben stehen und waren auch an angebotenen Flugblättern
sehr interessiert. Die anwesenden Polizeikräfte verhielten sich sehr
kooperativ und hilfsbereit.
Fazit:
In Rüsselsheim fand eine sehr konzentrierte und ernsthafte Protestaktion
statt. Entschlossenheit, für die eigene Sache zu streiten war deutlich
spührbar. Entsprechende Äußerungen der RednerInnen wurden
lautstark begrüßt. Trotzdem kann man auch nicht sagen, dass
es eine in ihrer äußeren Form besonders kämpferische Veranstaltung
gewesen wäre. So kamen z.B. keine Sprechchöre auf. Als die Menge
durch einen Tunnel zog, versuchten ein paar KollegInnen, „Hoch die
internationale Solidarität“ anzustimmen, was ja auch diesem
europaweiten Aktionstag angemessen gewesen wäre. Es blieb aber beim
Versuch.
Insgesamt
hatte ich einen sehr positiven Eindruck aufgrund der spührbaren Entschlossenheit
des KollegInnen. Für die träge Ruhe, die in den letzten Wochen
über der Stadt lag, war dieses Ausmaß des Protestes schon sehr
bemerkenswert. Ob hieraus ein Sturm werden wird ist schwer abzuschätzen.
Aber wenn die Bochumer KollegInnen tatsächlich auch weiterhin sogenannte
Informationsveranstaltungen abhalten sollten und also die Produktion auch
in Rüsselsheim zum Stillstand kommen würde, dann würden
die Rüsselsheimer Opelaner – und mit ihnen viele BürgerInnen
Rüsselsheims – sicherlich aus der Not eine Tugend machen und
den Protest positiv mitgestalten. Bochum halte durch!
Alfred Müller, Redaktion DER FUNKE
(www.derfunke.de), Wiesbaden
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