In dem folgenden Interview äußert sich der Chef des größten italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL, Sergio Cofferati, ausführlich zu seiner Sicht der FIAT-GM-Allianz, der Lage des italienischen Kapitalismus allgemein, den politischen Kräfteverschiebungen im wichtigsten "Unternehmer"verband Confindustria und zur Konzertierten Aktion in Italien. Er gibt dabei, über die Analyse der einzelnen Fragen hinaus, auch interessante Einblicke in das Denken und die grundsätzliche Linie der früher PCI-nahen CGIL. Das Interview erschien in der großen linksliberalen italienischen Tageszeitung "la Repubblica" vom 13.3.2000.

Das Interview:

Der CGIL-Führer: Der Zusammenschluß mit einem großen internationalen Unternehmen war notwendig

"Eine Wende, die der italienischen Wirtschaft gut tut"

Cofferati: Agnelli wird Protagonist bleiben

ROM – FIAT ist dabei ein historisches Abkommen mit General Motors zu unterschreiben, das den Einzug eines Weltkolosses in <die FIAT-Hauptverwaltung in Turin- /d.Ü.> Lingotto bedeutet. Beim Wettlauf auf dem Gipfel der Confindustria siegt ein Kandidat aus Süditalien, unterstützt von den Kleinunternehmen Mittel- und Nordostitaliens und der vom Advokat Agnelli unterstützte und von den großen Familien der Achse Turin-Mailand verliert. Sergio Cofferati, kann man von einem epochalen Übergang, was die Ordnung unseres Kapitalismus angeht, sprechen ?

"So ist es. Unser Kapitalismus erlebt seine definitive Veränderung. Ein Zyklus ist beendet, der der großen Dynastien, die sich jetzt dem Weltmarkt öffnen, sich in neuer Weise rühren und artikulieren und aufgliedern. Aber ich glaube nicht, daß das Ergebnis das Verschwinden der großen Familien sein wird. Ich glaube nicht, daß der Advokat sich darauf vorbereitet die neue Jahreszeit, die beginnt, wie einen Herbst des Patriarchen zu erleben. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, daß er gerade mit diesem letzten Zug einer der Protagonisten der Veränderung des italienischen Kapitalismus bleiben wird."

Also segnet die Gewerkschaft das nunmehr sichere Abkommen zwischen FIAT und General Motors ?

"Es ist eine Gelegenheit für eine objektive Stärkung. FIAT braucht einen Zusammenschluß mit einem großen internationalen Partner. Bezogen auf die vielen Gerüchte, die im letzten Jahr zirkulierten, scheint es mir, daß die synergischste und wirksamste Allianz (des äußerst geringen Umfangs von Überschneidungen wegen, die sie aufweist) in Wirklichkeit jene mit Daimler-Chrysler wäre. Aber das Abkommen mit GM bietet den Vorteil einer größeren Dimension und ist daher in der Perspektive interessanten Entwicklungen gegenüber fremd. Kurz, die Auswahl zwischen den beiden vorhandenen Möglichkeiten wird für die Familie Agnelli nicht einfach gewesen sein. Das was wichtig ist ist jedoch, daß man die Entscheidung getroffen hat. Die braucht FIAT und die braucht die italienische Wirtschaft."

Und hier kehren wir wieder zur Unabwendbarkeit der Veränderung des Familienkapitalismus zurück.

"Der Fall FIAT fällt auf, weil er das Sinnblid und gleichzeitig das letzte Bollwerk des Familienkapitalismus ist. Aber die Transformation dieses Modells, die schon seit einiger Zeit im Gange ist, ist unumkehrbar. Der Familienkapitalismus besteht weder die Prüfung der Ökonomie noch die der Dynastie. Er erleidet im Innern den Druck der neuen Subjekte, die sich auf der Bühne zeigen, und von außen den Druck der Globalisierung, die die Unternehmen zur Suche nach der größtmöglichen Konkurrenzfähigkeit zwingt. Und er reagiert..."

Oder er versucht es zumindest.

"Er ist gezwungen es zu versuchen. Das Überleben unseres Kapitalismus, der immer schwächer, immer mehr im Niedergang begriffen gewesen ist, steht auf dem Spiel. Der Familienkapitalismus ist heute sehr viel weniger stark / schlagkräftig als er es in den 60er Jahren gewesen ist. In jener Phase hatten die großen industriellen Dynastien, die Agnellis, Pirellis und all die Anderen, den Verdienst den berühmten Wirtschaftsboom eingeleitet zu haben. Aber von jenem Jahrzehnt an ist das System brandig geworden und der Privatkapitalismus hat sich in sich selbst, in den Guten Salon, zurückgezogen, hat sich in seinen Eigentümerordnungen verschanzt und abgeschottet. So ist die Unterkapitalisierung der Unternehmen in unserem land entstanden, die destruktive Tendenz sich dank oftmals perverser Verflechtungen mit dem Bankensystem zu verschulden und die Herausforderung der Konkurrenz auf den ausländischen Märkten mehr dank der Abwertung der Lira und den daraus folgenden Konkurrenzvorteilen zu gewinnen las durch die Suche nach der <höheren /d.Ü.> Produktionsqualität. Unsere Kapitalisten haben sich bei der Rendite gekrümmt. So ist eine unheilvolle Tendenz zur Autarkie und zum Protektionismus entstanden, die auch von einer oftmals ebenfalls perversen Beziehung zwischen unserem Kapitalismus und der Politik genährt worden ist. Es sind strukturelle und kulturelle Grenzen, die uns auch heute noch zurückwerfen. In der Zwischenzeit sind wir aus der Pharmazie, aus der Chemie, aus der Stahlindustrie, aus der Nahrungsmittelindustrie ausgeschieden..."

Aber heute sind nicht mehr gereifte Sektoren wie diese die Schlepper. Heute gibt es Internet, gibt es die New Economy bezüglich derer Ihr Gewerkschaften als Erste im Rückstand seid.

"Die New Economy ist eine wichtige Gelegenheit, um den Fächer des italienischen Kapitalismus zu öffnen, weil sie den neuen Generationen Raum gibt und weil sie, da sie keine klassische Hilfe und Unterstützung von außen braucht, gewisse althergebrachte Verbindungen und Beziehungen zur Politik zerbricht. Aber man merke: Die New Economy ist eine Gelegenheit. Sie sollte nicht überbewertet werden, auch weil es auf diesem hervortretenden Markt schnell eine sehr strenge und vor allem nicht von den Lastern der Old Economy karikierte Selektion geben wird."

Man sagt, daß der Sieg von D’Amato (1) gerade aus dem Bedürfnis der produktiven Schicht entstanden ist, sich der neuen Ökonomie zu öffnen. Stimmen Sie damit überein ?

"Kein bißchen. Ich mache untertänigst darauf aufmerksam, daß D’Amato ein Unternehmer ist, der in der Verpackungsindustrie tätig ist, einem sehr traditionellen Sektor und einem der zu den Sektoren mit der niedrigsten Wertschöpfung gehört. Die einzige Neuheit, die ich in dieser Wahl sehe, liegt in der anormalen Vereinigung, die sie – dank barocker und nicht im Geringsten trasparenter Prozeduren – ermöglicht hat. Es standen sich ein Lager von Großunternehmern mit einem im Verhältnis zur Regierung und zu den Gewerkschaften konsolidierten Werte- und Regelsystem und ein unechtes / uneheliches Lager gegenüber, in dem kleine und mittlere Unternehmen, die einem kodifizierten System industrieller Beziehungen seit jeher feindselig gegenüberstehen, und öffentliche oder auf dem Weg der Privatisierung sich befindende Unternehmen zusammenleben, die auf der Praxis des Filzes entstanden und gewachsen sind, die häufig in den scheelsten Korporativismus mündete. Man muß sich fragen, was diese anormale Vereinigung zusammenhält...?"

Der Wille, die Modernisierung zu beschleunigen, indem mit Schlingen und Fallstricken der konzertierten Aktion gebrochen und auf die Kasematten der Wirtschaftspolitik geschossen wird, in denen die Mitte-Links-Regierungen und die Gewerkschaften zusammenwohnen. Erscheint Ihnen diese Hysterie unrealistisch ?

"Nein, das ist eine reale Gefahr. Hinter der Wahl von D’Amato bewegt sich ein Teil des Kapitalismus, der eine ausgesprochene Feindseligkeit gegenüber der Gewerkschaft besitzt und der sich schlechtesten Wirtschaftsliberalismus inspiriert, jenem der die Beseitigung jeder Form von sozialer Vermittlung vorsieht. Man muß sehen, welche Linie im Programm des neuen Präsidenten <der Confindustria /d.Ü.> überwiegen wird."

In der Confindustria hat die Stunde der "Berlusconianer" (2) geschlagen, wie der Advokat Agnelli sie genannt hat. Teilen sie diese Einschätzung ?

"Es ist möglich. Sicher wird der neue Präsident ein Problem haben: Das, sich aus einer wirklich erstickenden Umarmung zu befreien, die die Rechte ihm gezollt hat."

D’Amato hat eine Sache allerdings am Tag seiner Designierung bereits gesagt: Die konzertierte Aktion ist in Ordnung, wenn sie nützlich ist. Wenn nicht, ist es besser sie sein zu lassen.

"Für mich ist die konzertierte Aktion eine Methode. Sie ist nützlich und hat funktioniert. Aber das was wirklich auf dem Spiel steht ist nicht so sehr die konzertierte Aktion, die <nur /d.Ü.> die Form ist, sondern die Einkommenspolitik, die stattdessen die Substanz darstellt. Ein Gutteil der italienischen Industrie macht sich Illusionen, daß sie die Herausforderung der Konkurrenzfähigkeit mit einem brutalen Eingriff bezüglich der Kosten gewinnen. D.h. mit den althergebrachten Formeln: Erhöhung der Pro-Kopf-Arbeit, Senkung der Löhne und volle Handlungsfreiheit bei der Nutzung der produktiven Faktoren. Das Mittel, um zu all dem zu kommen, ist ein einziges: die Einkommenspolitik zertrümmern und den auf die beiden tarifvertraglichen Ebenen gegründeten Verteilungsmechanismus niederschlagen. Ich hoffe kein Unglücksprophet zu sein, aber ich fürchte, daß die Auseinandersetzung zwischen uns und der Confindustria in den kommenden Monaten gerade darum gehen wird. Ich bin besorgt. Und ich erwarte mir ein Wort der Regierung."

Welche Art von Wort soll das sein ?

"Ich glaube nicht, daß D’Alema (3), in dem Moment in dem er den Aufschwung konsolidieren muß, Interesse daran hat wieder einen Verteilungskonflikt explodieren zu lassen. Man nähert sich wichtigen Terminen in Europa. Die italienische Regierung hat die Pflicht sich mit einem auf konkurrenzfähiger Qualität basierenden Wachstumsvorschlag, aber auch mit der Neulancierung eines auf einem System allgemein geteilter Regeln gegründeten Entwicklungsmodell zu präsentieren."

Cofferati, Sie kommen mit D’Alema einem Einwand zuvor.

"Nein. Ich sage nur, daß die italienische Wirtschaft in diesen letzten Semestern mit einem System vereinbarter Regeln sehr stark gewachsen ist. Und daher kann D’Alema nicht der Idee des schlechtesten Wirtschaftsliberalismus folgen."

Kurz gesagt, Sie lassen nicht los und nehmen nicht wahr, daß es in Italien ein wachsendes Phänomen gibt, das –auch wenn es nicht den "schlechtesten Wirtschaftsliberalismus" verkörpert – "weniger Gewerkschaft" fordert ?

"Ich erinnere nur an eine Sache. Der arme Professor Mortillaro sagte den Metallarbeitern einst: Mit Euch verhandele ich nicht mehr, weil Ihr nicht die Arbeiter repräsentiert. Man kann auch zu jenem Zeitabschnitt zurückkehren. Aber man weiß, daß die Auswirkungen für alle traumatisch sein werden."

 

Übersetzung und erklärende Fußnoten: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover

Fußnoten der ÜbersetzerInnen:

1) Bei der wenige Tage zuvor stattgefundenen Wahl des neuen Präsidenten der Confindustria, des wichtigsten italienischen "Unternehmer"verbandes.

2) Das heißt: der Gefolgsleute des Forza Italia-Parteichefs und "Besitzers" des aus dubiosen (mafiösen) Finanzmitteln entstanden Medienkonzerns FININVEST, Silvio Berlusconi, der 1994 als Chef einer Koalitionsregierung mit den ehemaligen Neofaschisten der Alleanza Nazionale (AN), dem rechtskonservativen CCD und der rechtspopulistisch-regionalistischen Lega Nord für 8 Monate italienischer Ministerpräsident war und seitdem Oppositionsführer ist.

3) Massimo D'Alema ist der Ministerpräsident der amtierenden Mitte-"Links"-Koalition und als Mitglied der Linksdemokraten (DS) Parteikollege von Cofferati.


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