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Updated: 18.12.2012 15:51
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Opel-Beschäftigte pfeifen Bischof aus

Eine Reportage vom Streik in Bochum von Christoph Twickel

Ein Traum aus dem Wirtschaftswunder-Deutschland der Fünfziger: Am Hans-Schalla-Platz, neben Rednerbühne und Schauspielhaus parkt ein alter Opel Kapitän. Der stolze Besitzer, Ruhrpott-Prolet mit tätowiertem blauen Punkt unter dem linken Auge, spannt ein Stück Rauhfaser-Tapete vor die
Windschutzscheibe. „Opel muss bleiben“, steh darauf, von Buntstift-Ornamenten umrahmt. „Lasst unseren Männern die Arbeit.“ Warum er das Prachtstück hierher gefahren hat, zur Demonstration der IG-Metall? „Der Wagen soll zeigen was Opel mal gebaut hat“, sagt er. „Und wenn die weiter so
produziert hätten, dann würde es Opel heute auch viel besser gehen.“ Die gesichtlose-Autos-Theorie, eine der beliebtesten Versuche, die Misere bei Opel zu erklären. Auch der Spiegel hat sie am Montag kolportiert: Weil die GM-Manager im fernen Detroit den Unternehmenserfolg kurzfristig an den Quartalzahlen bemessen, konnte Opel nicht genug Investionen für attraktive neue Modelle aufbringen – die Marke sei in der Mittelmäßigkeit versackt.

So gesagt, ist man schon auf halbem Wege zu der zweitbeliebtesten Theorie, die die Redner an diesem Dienstagvormittag den 20 000 Demonstranten unterbreiten. Es ist die US-Manager-Theorie: Die Amis verstehen uns nicht, da ist man sich hier weitgehend einig. Dietmar Hahn, IG
Metall-Betriebsratsvorsitzender, tönt vom „Rambo-Manager“ Henderson, und Europa-Betriebsrat Klaus Hemmerling ruft den Demonstrierenden entgegen, „Hier im Ruhrgebiet, oder in Deutschland, in Europa, hat ein Arbeitsplatz den tausendfach höheren Stellenwert als bei den Erfindern der Marshmellows in Amerika! In Europa gibt es noch so was wie Anstand, Menschenwürde und Sozialverantwortung!“ Jubel und Trillerpfeifen schallen ihm entgegen, das europäische US-Ressentiment ist griffbereit und tröstend, ebenso wie die schönen Worte von der Solidarität und der menschlichen Wärme, die hier im Ruhrgebiet zu Hause seien.

Die beliebteste von allen Theorien aber ist die „Missmanagement“-Theorie. Die Parole von den „Nieten in Nadelstreifen“ ist allgegenwärtig. Das Gerede von der Kostenkrise, vom teuren Standort, das den Bochumern aus allen Fernsehkanälen und Zeitungsspalten entgegenschallt, will man hier nicht hinnehmen. Die Kerle in den grauen Opel-Werksmänteln nicken beifällig, wenn von der Rednertribüne von der Wertarbeit im Opel-Werk gesprochen wird. Viele davon sind türkischstämmig, andere entsprechen um so mehr dem Klischee vom Ruhrpott-Proleten: im Mantafahrer-Look mit Mini-Pli und Oberlippenbart, ihre blondierten Frauen rauchen eine nach der anderen. Sie scheinen zu ahnen, dass das Lob an ihre fleißigen Opelaner-Gatten Vorbote des Kahlschlags ist. Im Schauspielhaus läuft um 18 Uhr Michael Moores Dokumentarfilm „Roger and
Me“. Der erzählt, was aus der Kleinstadt Flint in Michigan wurde, nachdem General Motors seine Produktionsstädten nach Mexiko verlagert hatte: Eine Wüste aus Armut, Verbrechen und Leerstand. Wird es Bochum auch so ergehen, wenn es, wie von GM-Boss Fritz Henderson angedeutet, im Jahre 2008 in Europa zu Werkschließungen kommt? Bochum ist auch so schon eine Stadt für den kleinen Geldbeutel. In der Fußgängerzone prägen Resterampen und Discount-Stores das Bild. „Inferno-Megastore“, „Dollar City“ und der „KIK Textilmarkt“ mit seinen „Jubelpreisen“. Für Flagship-Stores großer Marken ist hier kein Platz.

„Der Mann hier aus dem Ruhrgebiet, das ist eine ganz besondere Spezies“, ruft Betriebsrat Hemmerling von der Bühne. „Der kann hart arbeiten. Der kann aber auch mal klare Worte sagen und mit der Faust auf den Tisch hauen. Und das haben wir getan.“ In der Tat: Der seit einer Woche andauernde wilde Streik in allen drei Opel-Werken – von Gewerkschaftsseite als „Informationsveranstaltung“ deklariert, um die im deutschen Arbeitsrecht vorgesehende Friedenspflicht nicht zu verletzen – ist nicht der erste. Schon 1998 hatten im Werk 1 1800 Opelaner spontan die Arbeit niedergelegt, um gegen den wachsenden Arbeitsdruck zu protestieren. 1992 beschäftigte die Adam Opel AG noch über 19 000 Menschen, heute sind es noch 9700. Der Personalabbau ging einher mit Rationalisierung und Arbeitsverdichtung. In dem vor einer Woche von der Geschäftsleitung präsentierten Forderungskatalog ist von einer abermaligen Erhöhung der Bandgeschwindigkeit die Rede. Auch im Jahre 2000 streikten die Opelaner mehrere Tage lang wild, um sich gegen Outsourcing von Teilen der AG zur Wehr zu setzen. „Damals rief die Belegschaft immer `Falsche Antwort!’, wenn die Betriebsräte mit irgendwelchen Verhandlungsergebnissen kamen“, erinnert sich Mag Wompel, die auf der Website Labournet.de auch den aktuellen Arbeitskampf mit Informationen versorgt. „Im Moment ist das Motto `Wir bleiben hier’, weil es
noch gar keinen vernünftigen Angebote gibt. Aber GM muss mit Verhandlungsangeboten kommen, weil der Druck auf die anderen Werke in Antwerpen und in England steigt.“

Die von der Bochumer Belegschaft eigenmächtig angezettelte Arbeitsniederlegung bringt auch die IG Metall-Funktionäre in die Bredouille: Sie könne sich nicht gegen die Belegschaft stellen, doch das wilde Streiken muss gebändigt werden, wenn man den Ruf der kompromissfähigen, betriebswirtschaftlich denkenden Gewerkschaft erhalten will. Die IG-Metall-Redner feiern als Erfolg, dass die Geschäftsleitung Verhandlungsbereitschaft gezeigt hat. „Alle gehen erhobenen Hauptes in den Betrieb zurück, hier ist keiner gedemütigt.“, ruft einer den Demonstrierenden zu, als wollte er es den Kollegen leichter machen, von der Blockadehaltung abzurücken. Doch als Erzbischof Grave dazu auffordert, die Arbeit wieder aufzunehmen, erntet er ein Pfeifkonzert.

In der Kneipe „Am Schauspielhaus“ kostet die Bockwurst mit Brot einen Euro. Wolfgang Schaumberg, IG-Metaller, erinnert sich erinnert sich bei einer Halben an die Verhandlungen der letzten Jahre: „Seit 93 machen wir eine Verzichtsvereinbarung nach der anderen – und es wird immer als Bombenerfolg verkauft. Und dann liest man in der aktuellen Metall vom Oktober auf Seite
9: Standortsicherungsverträge mit kräftigen Abstrichen für die Beschäftigten haben nichts gebessert.“ Die Lohnkosten machten bei Opel noch 9 % aus, erklärt Schaumberg, seit über 30 Jahren als linker Gewerkschafter bei Opel Bochum aktiv. „Immer wird den Menschen vorgehalten, das wäre der entscheidende Faktor. Aber wenn es wirklich nur um die Lohnkosten ginge, warum hätte GM zwischen 94 und 98 hier noch 3 Milliarden Mark investieren sollen, und in Rüsselheim in den letzten Jahren rund 750 Millionen Euro? Da wird viel Augenwischerei betrieben. Es ist eine Illusion, dass wir alles schon wieder hinkriegen, wenn wir nur beim Lohn nachgeben.“

Auch vor das Tor am Werk 1, belagert von Kameras und dekoriert mit Transparenten, ist ein alter Opel Kapitän vorgefahren. 10 675 D-Mark hat er 1963 gekostet, der Halter liest aus einem alten Katalog Dankesbriefe vor. Architekt, Arzt, Bauingenieur, Automatenaufsteller... das waren die Leute, die sich einen solchen Prachtschlitten damals leisten konnten. Die Umstehenden staunen: 54 Mark kostete einmal Motor ein- und ausbauen damals. Aber bei 3,30 Mark Stundenlohn ja kein Wunder! Früher war alles besser, die Autos waren schöner und die Arbeit bezahlbar. „Das sind noch Fahrzeuge, die haben ne Aussage“, sagt der Halter, ein Hausmeister aus Bonn, der extra heute morgen hoch gefahren ist, weil er seine Solidarität mit den Opelanern bekunden will. Auch „Kodi der Haushaltswaren-Discounter“ hat ein Transparent aufgehängt: „Wir lassen Euch nicht im Regen stehen“.

Wie die Betriebsversammlung am Mittwoch mehrheitlich die Wiederaufnahme der Arbeit beschlossen hat, hat bei vielen in der Belegschaft Unmut ausgelöst. Es gab auf der Versammlung kein Rederecht, und die von der IG-Metall-Führung vorformulierte Frage auf den Stimmzetteln machte Verhandlungen vom Weiterarbeiten abhängig. Die Alternative „Verhandeln und Weiterstreiken“ war nicht vorgesehen. Mit etwa zwei Dritteln Mehrheit entschied die Belegschaft,
vorläufig wieder an die Bänder zu gehen. Womöglich hat am Ende auch der eigene Geldbeutel entschieden. Denn bei einem wilden Streik gibt es nichts aus der Gewerkschaftskasse. „Und eine Woche unbezahlter Arbeitsausfall“, sagt Wolfgang Schaumberg, „das setzt vielen Kolleginnen und Kollegen schon zu.“

Mag Wompel glaubt, dass die Geschäftsleitung mittelfristig Vorruhestandsregelungen anbieten wird, um den Opelanern in Bochum die Streiklust zu nehmen: „Das Werk ist ja in den letzten sieben Jahren auf weniger als die Hälfte der Belegschaft geschrumpft und hat größeren Output denn je. Das Tempo an den Bändern ist so angezogen worden, dass ältere Kollegen kaum mehr mitkommen. Viele wären froh, wenn sie mit wenigen Abstrichen wegkommen könnten.“

Erschienen in der WOZ vom 21.10.04


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