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Updated: 18.12.2012 15:51
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»Bekenntnishafte Leerformeln«

Wolfgang Schaumberg über den Oktober-Streik bei Opel und die radikale Linke

Aus der Geschichte lernen - wenn das mehr sein soll als eine weitere (linke) Phrase, heißt dies auch, sich gründlich mit den Voraussetzungen und Grenzen sozialer bzw. politischer Bewegungen und deren Perspektiven auseinander zu setzen, also kritisch, statt beschwörend in lobhudelnden Bewegungseuphorismus zu verfallen und den Irrglauben der Herstellbarkeit oder gar Übertragbarkeit von Erfahrungen, als wären es verschreibungspflichtige Rezepte zu verbreiten. Erfahrungen werden vielmehr erst gemacht, wenn sie aus dem Stand bloßer Ereignisse und deren Wahrnehmung herausgeholt, d.h. reflektiert werden. Der in diesem Sinne kritischen Auseinandersetzung dienten eine Reihe von Veranstaltungen im Anschluss an den Opel-Streik, so des Blauen Montags in Hamburg, des Mannheimer und des Stuttgarter Gewerkschaftsforums, verschiedenster Einlader im Ruhrgebiet und auch eine von Attac in Rüsselsheim. Dort selbst hatte sich Klaus Franz es nicht nehmen lassen, Beschäftigte im Werk höchstpersönlich davor zu warnen, an der Veranstaltung teilzunehmen und mit ihren eigens aus Bochum angereisten Kollegen über die Lehren aus dem Opel-Streik zu diskutieren. Auch eine Form von »Demokratie - im Betrieb nie!« Wir dokumentieren ersatzhalber - nicht nur für die Beschäftigten aus Rüsselsheim - ein überarbeitetes Referat von Wolfgang Schaumberg, das dieser anlässlich einer Veranstaltung des Bochumer Sozialforums und der GoG am 22. Januar d.J. im Kultur-Bahnhof Langendreer gehalten hatte.

Voranstellen möchte ich eine Antwort von Klaus Franz, Opel-Gesamtsbetriebsratsvorsitzender, auf die Frage eines Spiegel-Redakteurs, was er zu »Bochum« meine: »Ich habe volles Verständnis für die Proteste. Es war eine unglaubliche Provokation des Managements [...] Angeheizt wurde die Lage in Bochum zudem, weil selbsternannte Marxisten aus dem ganzen Bundesgebiet angereist kamen, die glaubten, dort fände die Weltrevolution statt.« (Der Spiegel, 52. Woche 2004)

Weil die normalen Malocher nach Franz arroganter Selbstüberschätzung wohl alleine zu doof zum Kämpfen sind, müssen ein paar »Marxisten« angeschuldigt werden?

Doch haben sich in der Tat schon lange Jahre vor dem Kampf und während und nachher Genossinnen und Genossen in die Diskussion eingemischt, die sich - wie unterschiedlich auch immer - auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie beziehen und deren Argumente nicht unwirksam geblieben sind. Soweit mir die während des Oktober-Streiks verteilten bzw. nachher verbreiteten Analysen von Organisationen bekannt sind, die sich sozialistisch oder kommunistisch nennen, bzw. post-kapitalistisch orientiert ein anderes Gesellschaftssystem anstreben, kann ein Vergleich von Kernaussagen zu wesentlichen Fragen nur zu dem Ergebnis kommen: Insgesamt hat die radikale Linke auch im Zusammenhang mit dem Kampf bei Opel ein Bild abgegeben, das einerseits von organisatorischer Schwäche zeugt: mit relativ wenigen AktivistInnen, wenigen Zeitungen und Flugblättern vor, während und nach dem Kampf, und andererseits von Widersprüchlichkeiten und Zersplittertheit, was die Analyse der Auseinandersetzungen und ihrer Konsequenzen anbetrifft. Von uns geht derzeit keine Hoffnung aus, wie eine andere Welt aussehen könnte und wie sie erreichbar wäre. Desto mehr müssten wir versuchen, statt arroganter Rechthaberei und Konkurrenzverhalten den solidarischen Streit voranzubringen.

Zuvor ein Wort zu unserem Eingreifen als GoG (Opelarbeiter-Gruppe »Gegenwehr ohne Grenzen« ): Die GoG ist traditionellerweise kapitalismuskritisch. Einzelne von uns engagieren sich darüber hinaus für eine nicht auf Kapitalverwertung angelegte Produktionsweise. Was wir - wenn man sich allein unsere Zeitungen und Flugblätter seit Nov. 2003 [1] ansieht- sicherlich gut vorangetrieben haben, ist der Mut zur eigenständigen Aktion, z.B.: »Die Demo in Berlin hat bewiesen, was einzelne aktive Gruppen zustande bringen können, auch ohne die Gewerkschaftsspitzen. Das haben wir als Opel-Belegschaft durch unsere selbständigen Aktionen auch mehrfach gezeigt. ... Kampf um den Lohn verbinden mit dem Widerstand gegen den Sozialraub! Zusammen macht das auch mehr Spaß!« (Nr. 30), oder: »Wenn Opel den Neuanlauf des Astras nicht gefährden will, sollte sich die Geschäftsleitung an den 5-Schichten-Streik vom Juni 2000 erinnern!« (Nr. 32, März 2004) oder: »Kein Verzicht mehr - Gegenwehr!« (Nr. 33, Mai 2004) oder: »Kein Vertragsabschluss ohne vorherige Abstimmung der Belegschaft!« (Nr. 36, September 2004). Allerdings haben wir lediglich im Mai 2004 (GoG-Info, Nr. 33) eine weiterreichende Debatte in die Belegschaft zu bringen versucht, indem wir uns dort ausführlicher mit Robert Schlossers Thesen aus Rainer Roths Buch »nebensache mensch« beschäftigt haben. Er zieht den Schluss: »Die Überwindung des Kapitalismus erscheint zwar heute >utopischer< denn je, es ist aber die einzige realistische Variante, wenn man es ernst meint mit der Abschaffung des sozialen Elends auf dieser Welt.« Selbst innerhalb der Gruppe wurden die Thesen als sehr kompliziert kritisiert, von uns nicht weiter diskutiert (das würde nämlich eine Art Schulungsarbeit bedeuten), und entsprechend wurde auch die Debatte im GoG-Info nicht fortgesetzt. Trotz dieser Mängel, trotz der Tatsache, eventuell nur wenige LeserInnen zu erreichen, war die Veröffentlichung richtig. Während des Streiks haben wir dann wiederum nur Aktionsblätter verteilt und nur relativ phrasenhaft (Nr. 37, Oktober 2004) den Kapitalismus als »Managementfehler an und für sich« kritisiert.

Einige Thesen zur Diskussion:

I. Unsere massiven Differenzen zeigen sich zum Beispiel schon bei Erklärungen der Ursachen und Hintergründe für die Krise bei Opel:

Die von bürgerlicher Seite ins Zentrum gestellten Managementfehler als Ursache für die Opel-Krise werden glücklicherweise nur von einzelnen linksradikalen Organisationen angeführt bzw. oberflächlich mit allgemeinen Krisenerscheinungen zusammen genannt, z.B.: »Allen ist klar, und alle sagen es ganz offen: Die ökonomische Krise, in die GM/Opel gerutscht ist, ist vor dem Hintergrund einer allgemeinen und tiefen Absatzkrise der Autoindustrie vor allem hausgemacht - eine Anhäufung von Managementfehlern.« (Soz, November 2004, S. 1). Diese Standard-»Erklärung«, die der bürgerlichen Ökonomie entstammt und dient, wird nur selten und nie gründlich kritisiert.

Eine weitere theoretisch-politische Strömung in der Linken entnimmt den Opel-Erfahrungen: »Die just-in-time-Strategie ist an ihre Grenzen gestoßen: erst sollte der Produktionsverbund Streiks ins Leere laufen lassen; dann haben die ArbeiterInnen ihre gewachsene Macht in diesem Produktionsverbund entdeckt.« (Wildcat, Nr. 72, Januar 2005) Dagegen wäre zu fragen, ob die JiT-Anlieferung nicht eher wegen zu sparender Lagerhaltungskosten eingeführt wurde [2] ; und dass JiT bereits an die »Grenzen« gestoßen sei, kann man angesichts der aktuellen Ausweitung von JiT bei GM in Richtung »LongRangeSils« (d.h. der Einbindung der Zulieferer z.B. aus Asien in das System produktionsablaufgetreuer Anlieferung) auch nicht begründen. Dass den Belegschaften damit neue Möglichkeiten der Gegenwehr geboten werden, und zwar auch im Kampf einzelner Belegschaften, die ja in Zukunft ohnehin mehr gefordert sind angesichts des Bedeutungsabbaus von Tarifverträgen, ist sicherlich unbedingt festzuhalten.

Auch folgende Analyse der Krisenursachen ist zu hinterfragen: »Kostensenkung und Elektronifizierung der neuen Modelle führten zu Qualitätseinbußen, die sich in erhöhten und kostenintensiven Rückrufaktionen ausdrückten.« (Vgl. Wildcat, a.a.O.)

Derartige Qualitätseinbußen muss man eher im Zusammenhang mit dem immer brisanter werdenden Zeitproblem diskutieren: »Qualität braucht Zeit! - Wir brauchen mehr Leute!« hört man jeden Tag am Band. »Zeit ist Geld!« antworten die Vorgesetzten. Damit ist ein Grundproblem kapitalistischer Verwertungszwänge angesprochen.

II. Auch hinsichtlich der Forderungen, die von linksradikaler Seite während der Auseinandersetzungen in die Debatte gebracht wurden, möchte ich noch einige Anmerkungen machen:

So schreibt die Soz im Anschluss an ihre These von der »Anhäufung von Managementfehlern« (s.o.): »Doch anstatt nun die Absetzung und Enteignung dieses Managements zu fordern, fordern die einen Lohnverzicht und die Streichung ganzer Arbeitsplätze, und die andern haben nur die eine Sorge: dass dies auch ja sozialverträglich und ohne zivilen Ungehorsam geschieht. Obwohl allen Beteiligten klar ist, dass eine Politik des Gürtel-Enger-Schnallens die der Überproduktionskrise zugrunde liegende Nachfragekrise nicht löst, sondern noch verschärft, streiten sie sich nur darum, wie eng man den Gürtel der Beschäftigten zu schnallen vermag ... anstatt an der Arbeitszeit zu sparen und sie gleichmäßig auf alle zu verteilen, soll diese Arbeitszeit wieder ausgedehnt und der Lohn zusätzlich gesenkt werden.« (Soz, November 2004, S. 1) Mit solch schnell hingeschriebenen Sätzen von Management-Enteignung machen wir uns eher lächerlich. Was ist hier eigentlich »klar« bei der Krisentheorie der AutorInnen? Was soll bei »allen Beteiligten« klar sein ? Wer soll wie durchsetzen, dass »die Arbeitszeit gleichmäßig »auf alle« (wirklich alle? auch auf die Aktionäre etc.?) verteilt wird?!

Das Arbeitszeitproblem ist zwar von uns unbedingt zu diskutieren, aber in welcher Form? »Setzen wir den Streik fort, bis GM seine Horrorpläne zurücknimmt, um jeden Arbeitsplatz, für die 30-Stunden-Woche als Konzernbetriebsvereinbarung.« (MLPD in: »Der Blitz. Gemeinsame Zeitung von Kollegen für Kollegen aller Opel-Werke und Zulieferer in Deutschland«, 20. Oktober 2004)

Oder: »Opel in Gemeineigentum! Enteignen statt entlassen! (...) Die Landesverfassung NRW gibt dazu die Möglichkeit. (...) Jetzt gilt es, Artikel 27 durchzusetzen !« (Flugblatt des RSB - Revolutionär Sozialistischer Bund, IV. Internationale, vom 19. Oktober 2004)

Wer mitten im Kampf solch eine Forderung - im Unterschied zu einer sinnvollen Anregung zu einer viel umfassender zu führenden Debatte - unter die Leute haut, blamiert eher nur alle Radikalen.

Meine eigene Selbstkritik, wie sie mitgeschrieben wurde bei einer Veranstaltung des Blauen Montags am 8. November 2004 in Hamburg, bleibt so auch schief: »Wir haben es als Gruppe GOG nicht geschafft, in dieser Auseinandersetzung die Arbeitszeitverkürzung als Problemlösung einzubringen. Wenn Du das zur Zeit unter die Leute bringst, erntest du höchstens eine müdes Lächeln. Aber wir müssen die Forderung weiter wach halten.« Arbeitszeitverkürzung ist keine »Problemlösung«, diese wäre anders und viel gründlicher im Zusammenhang mit dem kapitalistischen Zeitterror (Moishe Postone) zu diskutieren.

III. Für unsere aktuelle Lage sind unsere Differenzen in der Gewerkschaftsfrage besonders wichtig, allein wenn man sich deutlich macht, dass ein sehr großer Teil der über 300 TeilnehmerInnen am letzten Kongress der Gewerkschaftslinken (14./15.1.05 in Stuttgart) unterschiedlichen gegen das kapitalistische System kämpfenden Organisationen angehört. Schon die Aneinanderreihung von Kernaussagen zeigt die Tiefe und Vielfalt unserer Differenzen:

a) »Macht mit den kritischen und kämpferischen GewerkschaftskollegInnen Dampf in der Gewerkschaft. Gemeinsam kann soviel Druck gemacht werden, dass auch Peters und Huber gezwungen werden, den Kampf zu unterstützen, zum Beispiel mit einem Aufruf zu einem eintägigen Streik in allen Autowerken Europas.« (im Opel-Kampf verteiltes Flugblatt der SAV - Sozialistische Alternative Voran, 19. Oktober 2004)

b) »Wenn die Belegschaften mit Unterstützung der IG Metall und Rückendeckung durch eine breite Solidaritätsbewegung die Produktion in die eigene Hand nehmen würden, hätte das bundesweit und europaweit Signalwirkung ... Von Bochum kann der Zündfunke ausgehen.« (»Der Funke. Marxistischer Standpunkt in der Arbeiterbewegung«, Flugschrift vom 17. Oktober 2004, verteilt bei Opel)

c) »Der Kampf bei Opel zeigt, wie schnell sich Widerstand formieren und wie effektiv er sich entfalten kann - wenn, ja wenn er von denen unterstützt und weiter getrieben wird, die die organisatorische Macht dazu haben: den Gewerkschaften.« (Soz, November 2004, S. 1)

d) »Das Kapital und seine Repräsentanten sind unersättlich. Aber nicht aus moralischer Verderbtheit, sondern aus den Erfordernissen verschärfter Konkurrenz im globalisierten Markt. Ein Verständnis dafür fehlt nicht nur in den Gewerkschaftsvorständen, sondern auch in weiten Teilen des Apparats und bei so manchem Betriebsrat.« (Junge Welt, 28. Januar 2004)

e) »Die Gewerkschaft kämpft um ihre Funktion im Kapitalismus und damit gegen die ArbeiterInnen.« (Wildcat, a.a.O.)

Insgesamt wird wenig danach gefragt:

  • ob nicht nur bei den Gewerkschaftsoffiziellen viel an »Verständnis« fehlt, sondern wie das bei der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung und besonders bei der Masse der Gewerkschaftsmitglieder mit dem »Verständnis der Erfordernisse in einem globalisierten Markt« etc. eigentlich aussieht,
  • wie die Masse der Mitglieder ihre Zugehörigkeit zur Gewerkschaft sieht, im Unterschied zu Gruppen von AktivistInnen, von Vertrauensleuten, von verschiedenen Kräften im Apparat oder den Spitzenfunktionären. Ich denke, wir müssten aufhören, von »der Gewerkschaft« zu reden. »Wir sind doch die Gewerkschaft!« stimmt einfach nicht, da »wir« in den Gewerkschaftsorganisationen eben nicht das Sagen haben. Und umgekehrt: wenn sich Leute im Kampf als »Gewerkschafter« verstehen, kämpfen sie nicht »um ihre Funktion im Kapitalismus und gegen die ArbeiterInnen«.

Als Anregung für eine weiterreichende Debatte möchte ich Manfred Strobels Zusammenfassung seiner Erfahrungen im Kampf bei Opel [3] und meine Antwort dazu nochmals zitieren:

»Frage: Stimmt es, dass der BR gespalten ist in der Frage Annahme oder Ablehnung des Verhandlungsergebnisses?

Manni: Es gibt 21 Ja-Sager und 16 Nein-Sager. Beiden ist allerdings eines gemeinsam, dass sie die Belegschaft und ihren Kampf verraten haben. Ja, auch die Nein-Sager! Auch sie haben die Belegschaft entmündigt und gegen die Absprache am 20. Oktober 2004 gehandelt. Die war eindeutig: Jeder weitere Schritt, jedes Ergebnis aus den Verhandlungen wird vor Ort von der Belegschaft beraten, abgestimmt und dann »wohl oder übel« getragen. Eine Abstimmungsverweigerung wäre die Fortführung des Kampfes im Sinne der sechs Tage gewesen, hätte ein Votum der Belegschaft nicht enteignet und nicht zerstört. Auch diese Abstimmung macht einmal mehr deutlich, wie notwendig ein Überdenken der Funktionen von Interessenvertretungen ist. Für viele Menschen im Betrieb fängt derzeit das Nachdenken darüber an. Auch, ob eine IG Metall von irgend einem Nutzen ist für den Kampf gegen die Besitzenden und das, was sie uns antun. Es sind nicht die revolutionären, systemübergreifenden Gedanken, die hier Platz greifen. Nein, es sind die zaghaften Versuche, mit der Ohnmacht aus den vielen, vielen Entmündigungen fertig zu werden. Eben die »verwöhnten Blagen aus den Großbetrieben«. Andererseits knallen die Co-Manager zunehmend vor die Wand. Ihnen wird von den eigentlichen Managern täglich deutlich gemacht, dass sie eben keine Ahnung von Ökonomie haben, dass ihr selbstbehaupteter Sachverstand nicht von Interesse ist, sie nur gebraucht werden, den überflüssigen »Arbeits-Menschen« abzuschieben. Sie sollen als Handlanger die Drecksarbeit der Besitzenden erledigen. Und sie dachten doch immer das Gegenteil. Falsch gedacht.

... Viele meinen mittlerweile, dass es falsch war, am 20. Oktober 2004 die >Informationsveranstaltung< abzubrechen. Tausende hatten damals schon kein Vertrauen in die Einenkels, Hahns und Franzens. Zurecht, wie mensch heute weiß. Es hilft nur nicht weiter. Ein weiterer Fakt ist gültig. Betriebsbedingte Kündigungen, tausendfach. Und? Die Bochumer Belegschaft steht allein auf weiter >Gegenwehr-Flur<. Selbstorganisierung dauert. Die Chance für uns wäre die Solidarität vieler vieler Arbeits-Menschen, denn es ist auch ein Kampf gegen die >alten-Mitbestimmer-Betriebsrats-Gewerkschafts-Strukturen<. Sie müssen anstatt der >Arbeits-Menschen< auf den Müllhaufen der Geschichte. Sie müssen wir entsorgen und nicht täglich daran festhalten. Woran eigentlich? Weg mit den Trillerpfeifen und Müllsack-Demos, weg mit der >aus-Beitrags-Bezah-lung-organisierten< Abschiebung in die >Armuts-Zukunft<. Sechs Tage haben nicht gereicht, Jahrzehnte der Entpolitisierung zu kompensieren, geht ja auch gar nicht. Aber sechs Tage, viele sechs Tage an vielen >Arbeits-Menschen-Ausbeutungs-Stellen< geben unseren Köpfen und Gedanken Luft zu atmen, eine andere Luft, eine andere mögliche Zeit.«

Dazu meine Antwort:

Dass ich die Forderung »Raus aus der IGM!« für wenig hoffnungsträchtig halte, weil ich derzeit nicht ein daraus folgendes lebhaftes und breites Veränderungspotential - Massenaustritte auf Grund von oder mit der Wirkung von massenhafter Bewusstseinsveränderung - sehen kann, brauche ich ja wohl nicht betonen. Drin bleiben und weiterzahlen, ohne gemeinsam mit anderen nach Wegen von Bewusstseinsveränderung in Theorie und Praxis zu suchen, finde ich auch blöd. Notwendig ist das rotzige Auftreten innerhalb der Gewerkschaftsdebatte, wie es Manni demonstriert hat. Wir dürfen uns die offizielle Politik nicht mehr gefallen lassen. Aber das hier in Frage kommende und sich deutlich zeigende »Wir« ist eben äußerst vielfältig, mit unterschiedlichsten Positionen zu den wichtigsten Fragen im Kampf gegen den Kapitalismus. Das »Raus!« organisiert zur Zeit hauptsächlich das Kapital. Auch von Opel-Beschäftigten wird die IGM nicht mehr soviel Moos kriegen, und viele werden nach Transfer und Arbeitslosigkeit einfach austreten, und weg sind sie. Insofern provoziert das »Raus!« meines Erachtens eine nötige Debatte, knüpft aber nur an der Form an, mit großer Hoffnung auf eine Selbstorganisation, ohne die Fragen und Differenzen und Schwächen der für eine andere Welt Kämpfenden in die Debatte zu holen und ohne zu erfassen, dass der Selbstorganisation im Opel-Kampf eine langjährige inhaltliche Auseinandersetzung - zum Beispiel über den schwierigen Punkt der von den IGM-Offiziellen geforderten Rücksichtnahme auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmer - innerhalb der Strukturen vorausging und ein total wichtiger Teil der »alten Strukturen«, nämlich der Vertrauenskörper - bestehend aus den zu über 80 Prozent IGM-organisierten gewählten Delegierten - ein entscheidendes Belegschaftsorgan bildete. Dass im Zusammenhang mit dem 6-Tage-Streik 28 Kollegen bei Opel-Bochum in die IGM (zum Teil wieder) eingetreten sind, scheint mir ein Beleg für die als wichtig erlebte Erfahrung von Organisation von unten zu sein. Hier anschließen müsste sich die Auseinandersetzung der Linken darüber, welche Inhalte wir den Kolleginnen und Kollegen für eine bewusstseinsverändernde Gewerkschaftsarbeit vermitteln müssten - und wie. Ein Knackpunkt ist für mich z.B. die anders als bisher zu führende Debatte über Arbeitszeitverkürzung.

IV. Zur Frage der Demokratie eine kurze Beobachtung:

»Der wilde Streik in Bochum hat wieder gezeigt: Klassenkampf ist keine institutionelle, demokratische Veranstaltung, sondern eine lebendige Auseinandersetzung, die einen entschlossenen und aktivistischen Kern braucht, an dem sich die vorsichtigeren ArbeiterInnen orientieren können.« (Wildcat, a.a.O.) Hier ist m.E. eine sorgfältige Unterscheidung zwischen der Kritik der bürgerlichen Demokratie und dem Demokratiebedürfnis der KollegInnen nötig. Die stündlichen Versammlungen der Streikenden bei Opel wie auch die Abschlussversammlung am 20. Oktober 2004 wurden sämtlich mit »Demokratie«-Vorstellungen durchgesetzt! Und: der »Kern« musste den Leuten aus der Seele sprechen, Demokratie verkörpern, sonst wurde er ausgepfiffen, er musste Vertrauen bewiesen haben und beweisen.

Festzuhalten ist, dass die Opel-KollegInnen den Gehorsam verweigert haben gegenüber den alten, die »Demokratie« für sich beanspruchenden Regulierungsinstanzen im Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit.

V. Noch einige Bemerkungen zur Zukunftsperspektive und unseren Aufgaben:

a) »Wer will, dass die neoliberale Hegemonie ... geschwächt und neoliberale Konterreformen gebremst werden, der hat allen Grund, den aufbegehrenden Arbeitern solidarisch zur Seite zu stehen und den Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze auszudehnen zu einem Kampf um Befreiung aus Profit und Konkurrenzzwängen.« (Soz, Nov. 2004, S. 1)

So leicht daher gesagt kann das bei den KollegInnen eigentlich nur zu ungläubigem Kopfschütteln führen. Die Idee unserer Befreiung wird eher diskreditiert.

b) »Opel hat Zukunft - in Arbeiterhand! (...) »Die Betriebe gehören unter die Kontrolle der Beschäftigten und ihre Verwaltung in die Hände von Belegschaft, Gewerkschaften und einer breiteren Allgemeinheit.«

(Der Funke, a.a.O.) Auch solch ein Glaubensbekenntnis kann niemand zu ernsthaften Überlegungen ermutigen, wie eine andere Produktionsweise denn aussehen könnte und erreichbar wäre. Verbreiten wir solche Behauptungen, ohne vorher mal zu fragen, wie sie bei den KollegInnen, die wir gerne ansprechen möchten, wohl ankommen, ist das doch eher für die gesamte Linke kontraproduktiv.

c) Nun noch eine Passage aus der Abschlusserklärung der Konferenz der Gewerkschaftslinken in Stuttgart vom 15. Januar 2005: »Wir werden eine Plattform entwickeln und Strukturen aufbauen, um ... eine politische Alternative zur Unterwerfung und Anpassung an dieses System, eine Alternative zum Kapitalismus, seiner Ausbeutung und seiner Krisen zu entwickeln.«

Genau daran, dass man sich da wirklich an die Arbeit macht, kann man kaum noch glauben angesichts der Tatsache, dass auch bei den vorangegangenen fünf Kongressen immer das Entwickeln einer »Alternative zum Kapitalismus« gefordert wurde. Das bleibt eher eine bekenntnishafte Leer-Formel. Müsste der Streit doch schon an der dem obigen Zitat vorausgehenden Behauptung aufgenommen werden: »Nur über die Verteilung der Arbeit durch eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich kann die Massenerwerbslosigkeit wirksam bekämpft werden. Geld ist genug da, wie z.B. die Rekordprofite von Daimler-Chrysler, Siemens und vielen anderen Konzernen zeigen.« Was heißt am Ende »wirksam bekämpft«? Ob die Konzerne für ihre (Zwangs-)Lage wirklich »genug Geld« haben? Hat Geld in unserem System vielleicht eine viel komplexere Bedeutung und gehörte womöglich mit abgeschafft?

d) »Nicht zu unterschätzen sind jedenfalls die Erfahrungen, die Aktivisten in Bochum, Mettingen, Göppingen usw. bei solchen Konflikten sammeln, sie sind eine notwendige Voraussetzung dafür, dass zukünftige Auseinandersetzungen zugunsten der Beschäftigten entschieden werden können.« (Junge Welt, a.a.O.) Wie weit sind denn siegreiche Kämpfe innerhalb unseres Gesellschaftssystems überhaupt vorstellbar, welche Begrenzungen gäbe es? Was an Bewusstsein muss sich verändern, und wie wäre das zu erreichen?

e) »Die Bochumer Opel-ArbeiterInnen haben mit ihrer Aktion ans Licht gebracht, was tatsächlich wehtut und wovor das System Angst hat. Direkte Aktionen mit vielen konkreten Störungen des reibungslosen Betriebes.« (So in einer Analyse der FAU [4] ) Dass das »System« auch mal »Angst« hat, mag vielleicht mal so genannt werden können. Aber was ergibt sich aus »vielen konkreten Störungen« denn für die weitere Entwicklung?

Ähnlich auch die Analyse in der Wildcat: »Beim Streik zeigt sich durch selbstorganisiertes Zusammenkommen und Kollektivität in der Fabrik der Hauch einer neuen Gesellschaft. ... die Klasse muss sich aus der gemeinsamen Abwärtsspirale befreien. Nur in einer neuen selbständigen Bewegung kann sie die notwendigen Erfahrungen machen und neue Möglichkeiten entdecken. (...) Die aktuelle Klassenkonstellation lässt Raum für eine neue ArbeiterInnenautonomie. Diese kann nur in einem Kampf erlebt werden...« (Wildcat, a.a.O.) Auch hier ist doch zu fragen: Entsteht durch solche Kämpfe sozusagen automatisch die Vorstellung einer anderen Produktionsweise, die reale Hoffnung auf »eine andere Welt«, die möglich ist?

Im gleichen Text heißt es später: »Noch ist die offen auftretende ArbeiterInnenmacht in wenigen Werken eingekreist, die jedoch über den Produktionsprozess längst zusammengeführt sind. Dies kann konzernweit oder über die Zuliefererkette umgedreht werden.« Richtig, doch wäre nicht unser Produktionswissen für eine andere Produktionsweise erst völlig neu in die Diskussion zu bringen, oder kommt diese Debatte »automatisch« in Gang? Müssen wir nicht auch die riesige Solidarität - lokal, national, international (aus Europa, Brasilien, Canada usw.) -, die während des Opel-Kampfes bewiesen wurde, neu diskutieren, und zwar nicht nur als Verteidigungsverbesserung, sondern als Chance für ein weitergehendes Zusammenrücken, für gemeinsame Absprachen darüber, wie eine »andere Welt« möglich und erreichbar wäre?
Siehe dazu auch:

Der wilde Streik bei Opel
Artikel in Wildcat Nr. 73
externer Link vom Frühjahr 2005

Erschienen im express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/05

(1) Vgl. zum GoG-Info Nr. 30 und Folgende: www.labournet.de

(2) Vgl. dazu auch die Erfahrungen mit bisherigen Outsourcing-Maßnahmen, ausführlich analysiert von der GoG 1999 (www.labournet.de)

(3) Auszug aus einem Interview mit Manni Strobel im express, 12/2004.

(4) unter www.fau.org/artikel/art_041018-162121 externer Link

 


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