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Updated: 18.12.2012 15:51
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Oktoberausstand bei Opel Bochum: Alle Bänder standen still

Sechs Tage, die den GM-Konzern in Atem hielten

Für viele Menschen war der spontane Arbeitskampf der Bochumer Opel-Arbeiter Mitte Oktober so etwas wie ein Leuchtfeuer und ein Licht am Ende eines langen Tunnels. Umso mehr stellte sich hinterher die Frage: Warum wurde der Kampf genau in dem Moment abgeblasen, als er so richtig zu wirken begann und europaweit die Produktion im GM-Konzern zum Erliegen brachte? Warum hat eine so kampferfahrene Belegschaft nach knapp einer Woche mit über 70 Prozent für die Wiederaufnahme der Arbeit gestimmt?
Ob Daimler, Karstadt oder Opel: Das Management hat versagt, grobe Fehlentscheidungen getroffen und Milliarden in den Sand gesetzt. Dies jedenfalls wird von fast niemandem im Lande mehr bestritten. Doch die gut dotierten Verantwortlichen sind entweder längst über alle Berge oder sitzen nach wie vor unbehelligt auf ihren Chefsesseln. Die Suppe auslöffeln müssen immer die Arbeiter und Angestellten.
Es wirkt wie aus einem längst geschriebenen Drehbuch und klingt wie die alte Leier, denn diesen „Nieten in Nadelstreifen“ fällt dabei nur eines ein: Die Belegschaft soll es ausbaden und (wie sich die Zahlen doch in jedem einzelnen Fall gleichen!) Lohnopfer in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich erbringen. Dabei sollen die Gewerkschaftsspitzen alles möglichst rasch abwickeln und für Ruhe sorgen, um ja nicht den „Standort“ und den „Aufschwung“ zu gefährden.

Europaweit die Produktion gestoppt

Dass die Belegschaft des Bochumer Opelwerks ab Donnerstag, 14. Oktober 2004, spontan die Arbeit verweigerte und den GM-Konzern sechs Tage lang in Atem hielt, passte den Herrschenden nicht ins Konzept und war in ihrem Drehbuch nicht vorgesehen. Die Bochumer Opelaner spürten einige Tage lang: Solange sie die Produktion unterbrechen, haben sie das Heft des Handelns in der Hand. Aufgrund der modernen Just-in-time-Produktionsweise und der engen europaweiten Verzahnung blieb wegen des Produktionsstillstands schon nach wenigen Tagen der Nachschub an Teilen aus Bochum (etwa Achsen und Auspuffe) für andere Werke des General Motors-Konzerns in Deutschland, Belgien, Polen und Großbritannien aus und kam die Produktion ins Stocken. Dies ist die einzige Sprache, die die Spitze des General Motors-Konzerns in Detroit versteht. Dies versetzte gleichzeitig aber auch eine ganz große XXL-Koalition von Streikbrechern in Angst und Schrecken.
GM-Europa-Chef Henderson sprach eine kaum verhüllte Kriegserklärung aus und drohte mit der Schließung des Bochumer Werks. Auch der (zu befürchtende) baldige Abbau von „nur“ 4000 Arbeitsplätzen in einem Werk mit 9600 Beschäftigten bedeutet eine Schließung des Werkes auf Raten.

Die Koalition der Streikbrecher

Den Herrschenden sind spontane betriebliche Aktionen von unten immer ein Dorn im Auge, Sie möchten die arbeitenden (und arbeitslosen) Menschen gegeneinander ausspielen, von einander isolieren und dann einzeln „rupfen“. Daher fand der Arbeitskampf der Bochumer Opelaner bei den Etablierten im Lande, den meisten Medien, so genannten „Experten“ und Politikern fast einhellige Ablehnung. Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement, der ständig mit seiner Bochumer Abstammung prahlte, fand keine Minute Zeit, um das Opel-Werk zu besuchen und mit den Kolleginnen und Kollegen selbst zu sprechen. Dafür rief er bei Sabine Christiansen in der ARD zum sofortigen Abbruch der Kampfmaßnahmen auf. IG Metall-Apparat und Betriebsratsmehrheit, die den Arbeitskampf weder gewollt, geplant noch organisiert hatten, versteckten sich hinter Paragraphen und wiesen zu ihrer Rechtfertigung darauf hin, dass sie keine „wilden Streiks“ organisieren dürften.
Dabei haben Generationen Metaller auf Lehrgängen der IG Metall-Bildungszentren gelernt: Rechtsfragen sind Machtfragen. Neues Recht wurde immer auch dadurch erkämpft, dass altes Recht durch Aktionen gebrochen wurde. Und wo ein Wille ist, da ist ein Weg. Auch wenn es kein offizieller, legaler Streik war, hätten pfiffige Gewerkschaftsjuristen Mittel und Wege aufzeigen können, um den Arbeitskampf professionell zu organisieren, finanziell zu unterstützen und auszuweiten.
Der Bochumer Ausstand setzte weit über die Autobranche und das Ruhrgebiet hinaus Zeichen und machte klar: Widerstand gegen die ständige Verschlechterung unserer Lebensbedingungen ist möglich und nötig. Die Arbeiterklasse ist auch in Deutschland zur Aktion fähig. Und wenn die Arbeiterklasse eines wichtigen Betriebes in Aktion tritt, dann kann sie mit breiter Solidarität und auch in großen Teilen der Bevölkerung rechnen. Ein solcher „sozialer Protest“ in den Betrieben ist potenziell wirksamer und durchschlagender als selbst Hartz IV-Demos.
Belegschaften anderer Branchen und Mitglieder anderer Gewerkschaften erklärten sich solidarisch und besuchten die Bochumer Opelaner direkt vor Ort. „Hart bleiben“, riefen viele Gewerkschafter den Bochumern zu. Bei der Kundgebung zum internationalen Aktionstag am 19. Oktober waren viele Fahnen anderer Gewerkschaften und Schilder von Gewerkschaftern anderer Autokonzerne wie Porsche, DaimlerChrysler und VW zu sehen.

Es gab keine zentrale „Streikleitung“

Der Arbeitskampf hat gezeigt, dass eine Belegschaft auch ohne starke Organisation und entschlossene Führung einen Weltkonzern tagelang in Atem halten und Zeichen setzen kann. Als die Redaktion „Der Funke“ praktische Hilfe bei der Vermittlung von Kontakten in britische General Motors-Betriebe anbot und einen Appell der Bochumer Streikleitung ins englische übersetzen wollte, erfuhren wir: Es gibt gar keine „Streikleitung“. Der Bochumer Betriebsrat wie auch der deutsche Opel-Gesamtbetriebsrat und der hauptamtliche IG Metall-Apparat konnten es zwar nicht laut und direkt aussprechen (sonst hätte es eine Austrittswelle gegeben), aber ihr ganzes Tun war in jenen entscheidenden Tagen darauf ausgerichtet, den Kampf baldmöglichst abzublasen. Sie alle setzten darauf, die Bochumer Belegschaft zu isolieren, zu ermüden, zu demoralisieren und mit der Angst vor Lohneinbußen weichzuklopfen. So spekulierte der Gewerkschaftsapparat offensichtlich darauf, dass die Angst vor Geldnot und Lohnpfändung die Mehrheit der Belegschaft rasch disziplinieren würde. Wider besseres Wissen und tausendfache Erfahrungen der Arbeiterbewegung behaupteten sie, dass ein Arbeitskampf die Verhandlungsposition gefährde. Klaus Franz, deutscher Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzender, bezeichnete bei der Rüsselsheimer Kundgebung zum internationalen Aktionstag die Aktionen der Bochumer Belegschaft als nicht sachdienlich und forderte sie auf, die Arbeit wieder aufzunehmen. Bei der Kundgebung in Bochum am 19. Oktober kam zwar viel gewerkschaftliche und politische Prominenz, aber kein kämpferischer Belegschaftssprecher zu Wort; auch hier war der Grundtenor der Reden: schön was ihr gemacht habt, aber jetzt solltet mal wieder arbeiten. Auch der anwesende Sprecher der IG Metall-Vertrauensleute von Porsche in Stuttgart durfte nicht reden, weil er den Organisatoren der Kundgebung offenbar zu kritisch war.

Keine Solidaritätsstreiks

Auf der anderen Seite waren alle, die sich bundesweit uneingeschränkt mit dem Bochumer Arbeitskampf solidarisierten, noch nicht gut genug organisiert, um bundesweit und flächendeckend Solidaritätsspenden in höherem Umfang zu sammeln (und die IG Metall zur finanziellen Unterstützung des Kampfes zu zwingen) und den Opelanern die Zuversicht zu vermitteln, dass sie notfalls auch bis Weihnachten im Ausstand bleiben könnten, ohne in den finanziellen Bankrott getrieben zu werden. Solidaritätskomitees zur finanziellen, materiellen, politischen und moralischen Unterstützung wären bundesweit notwendig gewesen und waren über Bochum hinaus hier und da schon angedacht bzw. in Vorbereitung. Die Belegschaften der meisten anderen deutschen und europäischen GM-Betriebe legten zwar am internationalen Aktionstag eine Arbeitspause ein und führten Betriebsversammlungen und Kundgebungen durch, aber mit ihrem unbefristeten Ausstand fühlten sich die Bochumer zunehmend vor allem von den Rüsselsheimern allein gelassen.

Der Apparat setzt auf Ermüdung

Gewollt oder nicht – der Aktionstag am 19. Oktober war so angelegt, dass er die Belegschaft ermüdete. Während alle Welt (alle aus Nah und Fern, die sich solidarisch zeigten) schon ab 11 Uhr sich auf dem Kundgebungsort vor dem Schauspielhaus zusammen kam, marschierten die Opelaner zu dieser Stunde erst vom gut 5 km entfernten Werk los und trafen erst gegen 12 Uhr ein. Die besten Plätze hatten da schon andere besetzt. Nach der Kundgebung ging es dann wieder zu Fuß den gleichen langen Weg zum Werk zurück. Dieser Fußmarsch war dann auch eher ein Schweigemarsch als eine kämpferische Demo. Einen Tag später, am 20. Oktober, gelang es Betriebsratsmehrheit und IG Metall schließlich, wieder das Heft des Handelns vollständig in die Hand zu bekommen und den Arbeitskampf zu begraben. In der entscheidenden Belegschaftsversammlung kamen nur Befürworter einer sofortigen Wiederaufnahme der Arbeit zu Wort: der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter sowie der 1. Bevollmächtigte der IG Metall-Verwaltungsstelle Bochum. Der von ihnen gerühmte Zwischenstand der Verhandlungen war äußerst dünn und fragwürdig: Opel-Vorstand und Gesamtbetriebsrat wollten die Werke Rüsselsheim, Bochum und Kaiserslautern „soweit wettbewerbsfähig“ machen, dass diese „über 2010 hinaus als Automobilwerke erhalten werden können“. Außerdem wolle man „nach Lösungen suchen“, um die „Personalanpassungen im Rahmen der geplanten Restrukturierung sozialverträglich zu gestalten“. Auf gut Deutsch: ohne massive Verschlechterung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzverluste sind die Werke in wenigen Jahren sowieso platt. „Mit dem Papier kannste dir den Hintern abwischen“, brachte es ein langjähriger IG Metall-Vertrauensmann auf den Punkt.

Manipulation

Auf den für die Versammlung präparierten Stimmzetteln konnten die Kolleg(inn)en die beiden Fragen, ob sie für Verhandlungen mit dem Opel-Management und ob sie für die Wiederaufnahme der Arbeit seien, nur einmal durch Ankreuzen von „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Viele aktive Opelaner (eine Minderheit von 30 Prozent stimmte mit Nein) fühlten sich ausgetrickst und verraten, denn sie waren gleichzeitig für Verhandlungen und für die Fortsetzung des Ausstands.
Bei Tarifverträgen nach „normalen“ Arbeitskämpfen legt die Gewerkschaft immer Wert darauf, dass eine „Maßregelungsklausel“ vereinbart wird, die eine nachträgliche Maßregelung (Abmahnungen, Entlassungen o. ä.) von missliebigen Streikaktivisten durch Vorgesetzte und Management oder Schadensersatzansprüche ausschließt. Doch nicht einmal darauf hatten Betriebsrat und IG Metall in Bochum bestanden, obwohl manches darauf hindeutete, dass die betriebliche Hierarchie hinterher Exempel statuieren wolle. Und schon wenige Tage später wurde einem Kollegen der Endmontage im Werk I und einem Betriebsrat aus Werk II die fristlose Kündigung ausgesprochen, weil sie angeblich streikunwillige Kollegen „bedrängt und bedroht“ hätten. Der Betriebsrat hat dieser Kündigung dann einstimmig widersprochen. Die Vertrauenskörperleitung sammelt Unterschriften für die Forderung, von diesen beiden Kündigungen abzusehen und keine Maßregelungen für die Zeit vom 14. bis 20.10. vorzunehmen.

Nicht das Ende ....

Der Bochumer Arbeitskampf im Oktober 2004 hat an die besten Traditionen spontaner Streiks in den 70er Jahren und an Belegschaftskämpfe wie im Stahlwerk Duisburg-Rheinhausen (1987) angeknüpft. Auch nicht zu vergessen: der spontane Ausstand der Bergarbeiter von Ruhr und Saar, die im Frühjahr 1997 einige Tage lang spontan das Bonner Regierungsviertel belagerten. War dies jetzt das Ende aller Auseinandersetzungen? Sicherlich nicht, denn das Kapital will uns jetzt alles wegnehmen, was die Arbeiterbewegung in Jahrzehnten erkämpft und errungen hat. Insofern war der Bochumer Oktoberausstand erst der Auftakt zu einer neuen Phase großer Konflikte. Keiner ist als Held geboren und die meisten würden lieber ein bequemes und konfliktfreies Leben führen, aber die Erfahrung wird uns zeigen: Ohne Widerstand nehmen sie uns alles weg. Wir müssen uns einfach wehren!

Sind wir bereit?

Daher sollten wir nicht von einer besseren Welt oder der guten alten „Sozialpartnerschaft“ und „sozialen Marktwirtschaft“ träumen, sondern uns den Herausforderungen stellen. Solche Kämpfe wie in Bochum stellen jeden und alle und alles auf die Probe und zeigen auch schonungslos auf, wer „auf welcher Seite der Barrikaden“ steht. Jetzt gilt es, die starken und schwachen Seiten in diesem Kampf aufzuarbeiten, die politischen Konsequenzen zu ziehen und die notwendigen Gegenstrukturen zu schaffen, um im geeigneten Moment nicht wieder von einer streikunwilligen Bürokratie überfahren und ausgetrickst zu werden. Jede(r) von uns – jeder abhängig Beschäftigte, egal in welcher Branche – muss darauf gefasst sein, dass es auch im eigenen Bereich ähnliche Konflikte geben kann. Sind wir darauf vorbereitet? Sich darauf verlassen, dass „alles Gute von oben“ kommt oder „die Kollegen automatisch im richtigen Moment wissen, was zu tun ist“, wäre fatal. In allen Gewerkschaften müssen sich konsequente und kämpferische Basismitglieder und Linke daran machen, einen politischen und organisatorischen Gegenpol aufzubauen. Gegenwehr fängt damit an, dass wir die vorgeblichen kapitalistischen „Sachzwänge“ vom „Sparen“ und Arbeitsplatzabbau nicht akzeptieren und ihnen eine konsequente Alternative entgegensetzen.
In jeder Belegschaft gibt es eine Minderheit von Karrieristen, Kriechern, Ängstlichen und Radfahrern und auf der anderen Seite eine Minderheit von gewerkschaftlich, sozial oder politisch engagierten Kämpfern. Die schwankende Mehrheit wird sich im entscheidenden Moment auf die Seite schlagen, die die besseren Konzepte hat und gleichzeitig gut organisiert und durchsetzungsfähig ist.

Hans-Gerd Öfinger


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