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Updated: 18.12.2012 15:51 |
„Die Kollegen haben den Gehorsam verweigert“. Der Streik bei Opel und die Rolle linker Betriebspolitik Textprotokoll einer Diskussionsveranstaltung der Hamburger Gruppe Blauer Montag mit Wolfgang Schaumberg und Uwe Lübke (beide GoG) vom 8. November 2004 Veranstalter, nachdem einleitend ein Film gezeigt wurde: Wenn ihr wollt, könnt ihr einleitend kurz etwas dazu sagen. Danach sagen uns Uwe und Wolfgang etwas zur aktuellen Situation bei Opel in Bochum. Wollt ihr etwas zum Film sagen, sonst steigen wir gleich in die Fragen ein. Wolfgang: Ich finde das Problem ist, dass so viele verschiedene Aspekte anhand des Films diskutiert werden können auch sinnvoller Weise, also mit welchem Schwung wir Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre uns die Revolution vorgenommen haben und woher der Schwung eigentlich kam und den hat es nie wieder gegeben. Darüber könnte man lange sprechen. Also was Uwe und ich da insgesamt an Erfahrungen gesammelt haben, z.B.auch in den Beziehungen, was da angeschnitten ist, wir sind eine reine Männergruppe geworden Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre. Wir haben uns ganz schön in Illusionen bewegt und trotzdem glaube ich, das war kein Quatsch, was wir da gemacht haben und auch noch machen, auch wenn wir beide jetzt nicht mehr im Betrieb sind. Nach wie vor arbeiten wir noch mit anderen Kollegen zusammen in der GOG (»Gegenwehr ohne Grenzen«) mit und kriegen auch alles mit und stehen auch nach wie vor am Werkstor und verteilen Flugblätter. Da jetzt aber Hoffnungen zu haben, auf die Art von Kämpfen, die jetzt geführt werden, das ist auch nicht so einfach, weil wir jetzt deutlicher als je merken, wie schwach die Linke eigentlich ist mit ihren Vorstellungen davon, wie wir das Zusammen- Arbeiten und -Leben mal organisieren könnten. Also so finde ich, böte der Film jetzt Anlass genug, auch über die Lage und Vergangenheit der Linken selber nachzudenken. Aber es ist vielleicht spannender, zügig auf die aktuellen Auseinandersetzungen zu kommen. Wortmeldung: Mir haben mal Genossen erzählt, wenn eine Gruppe sich auflöst, macht sie noch schnell ein Buch. Man könnte jetzt auch auf die Idee kommen bei euch, wenn eine Gruppe am Ende ist, macht sie noch schnell einen Film. Was ich damit einleite, ist die Frage: ihr habt jetzt die letzten 30 Jahre Arbeit der GOG beschrieben. Mich würde mal interessieren, was ihr in den letzten sechs Jahren an Betriebsarbeit gemacht habt. Ich würde mir gerne ein Bild davon machen, was konkret linke Betriebsarbeit bei Opel Bochum ist. Was unterscheidet euch vom ganz normalen IG-Metall-Betriebsrat? Was macht ihr anders nach den verflogenen revolutionären Träumen und Hoffnungen? Was ist eure Alltagspraxis im Betrieb? Wortmeldung: Das geht auch so in die Richtung. Bei der Gruppe in Hamburg, die 30 Jahre besteht, stelle ich das auch fest. Als ich angefangen bin, konnte man ziemlich deutlich etwas sagen und jetzt bewegt man sich immer auf verschiedenen Ebenen. Einmal bewegt man sich auf verschiedenen Rechtsebenen und zum andern muss man die Leute erreichen. Man muss doch eine andere Sprache reden. Das Problem ist aber, im gleichen Maße wie sich die Probleme zuspitzen, dass daraus nicht der Schluss folgt, dass man daraus nicht wieder das Vokabular und die Klarheit annehmen kann, im Gegenteil, umso mehr muss man abschätzen. Warum? Ob das an der Angst liegt, kann man sich höchstens erklären. Aber eigentlich müsste man wieder zur Klarheit kommen. Wortmeldung: Ich habe noch in Erinnerung, als es die GOG damals gab und dass es 1970 einen wilden Streik gegeben hat. Meine Frage ist jetzt: Wenn es die Fraktion der GOG als energische Gewerkschaftsgruppe nicht gegeben hätte, würde dann der vor kurzem abgelaufene wilde Streik stattgefunden haben? In anderen Städten ist, soviel ich weiß, nichts passiert. Wortmeldung: Ich wollte eigentlich mehr darauf hinaus: Ist es entscheidend, dass es eine linke GOG gegeben hat? oder ob es nicht viel wichtiger ist, dass es Solidaritätskomitees gegeben hat oder vielleicht Kollegen, die eure Ansichten übersetzt haben für die Kollegen, die euch vielleicht gar nicht nahe gestanden haben, dass es eine Zwischenschicht an Kollegen gegeben hat, die eure Ansichten richtig fand und mit konservativen Kollegen im Betrieb diskutierten, die ihr nicht erreicht habt, weil es eine wichtige Schicht im Betrieb ist, die man braucht. Wenn die wegbricht, kann die ganze Tür auffliegen. Wolfgang: Die letzte Frage fand ich sehr unverständlich. Die meisten von uns sind nicht im Betriebsrat. Gott sei Dank haben wir aufgehört, eine Betriebsratsgruppe sein zu wollen. Das war Ende der siebziger Jahre vielleicht noch der Fall. Dann hat man uns erstens weniger gewählt und zweitens haben wir ja auch propagiert: Das bringt euch nicht soviel, wenn ihr linke Betriebsräte wählt, es kommt auf etwas anderes an. Bei den Wahlen konnten wir herumlaufen und sagen: wir brauchen nicht die Stimme von jedem Arsch hier. Wir wollen nicht unbedingt Betriebsräte sein. Worauf wir genauer eingehen müssen, ist die Situation der Vertrauensleute bei Opel und was sich da abspielt. Wenn du solche Schichten meinst. Wir denken vielleicht anders als die meisten Kollegen, aber wir haben nie das Gefühl gehabt und das habe ich auch heute noch nicht, dass ich eine andere Sprache rede als sie. Ich kann ihnen aber auf den Kopf zusagen: in vieler Hinsicht hast du Scheiße im Kopf, was ich nicht gut finde. Wir suchen den Streit mit unseren Kollegen, wir gehören eben dazu. Von daher ist mir die letzte Frage nicht klar. Zur Frage: muss man nicht heute eine andere Sprache benutzen als vor 30 Jahren? Klar, dass wir linke Tiraden da auch selber spüren und wir dann auch lieber offen sagen sollten, wo wir keine Lösungen wissen. Ich glaube, wo wir jetzt positiv den Blick drauf lenken müssen, dass wir so ganz wegmüssen von den Vorstellungen linker Betriebsarbeit, die nur ein Teil sein kann von einer sozialen Bewegung, an der wir auch teilnehmen, einer Sozialforumbewegung. Seitdem ich nicht mehr jeden Tag in die Fabrik muss, nehme ich auch mehr teil an der Weltsozialforum Bewegung, dass wir schauen, ob wir da mit Menschen zusammen weiterkommen, diskutieren, den Widerstand voranbringen und das Problem, das wir heute haben, als globales begreifen, es diskutieren und anpacken. Da liegt, glaube ich, die Schwierigkeit, noch mehr wegzukommen von der Hoffnung, dass man auf der Ebene des Betriebskampfes seine Probleme lösen könnte. Einerseits zwingt das Kapital uns dazu, weil die Fabriken einfach zerschlagen werden. Das hat aber auch die gute Seite, dass die Leute nicht mehr so denken: Einmal bei Opel, immer bei Opel. Wenn ich einmal im Großbetrieb bin, dann habe ich mein Schäfchen im Trocknen. Also die materielle Grundlage für so ein Kleinbürgertum innerhalb der Arbeiterschaft geht auch kaputt, so dass die Leute irgendwie spüren, dass man in Zukunft ganz andere Lösungen braucht und nicht Standortsicherung. Da hat sich in den letzten sechs Jahren etwas verändert. Im Betriebsrat ist jetzt noch einer von uns. Wenn man die Internetseite www.Labournet.de wählt, kann jeder nachlesen, was wir seit Jahr und Tag und auch heute noch im Betrieb verbreiten. Da kann man aufrufen Automobilindustrie/GM-Opel/, und dann auf Bochum klicken und man kann alles nachlesen, was wir machen. Und da glaube ich nicht, dass sich unsere Aufklärungsarbeit und auch unsere Arbeit im aktuellen Widerstand sich wesentlich geändert hat, in einem Punkt leider nicht, wie ich meine, aber da sind wir uns in der Gruppe nicht so einig: Wir müssen uns mehr trauen Gedanken zu machen darüber, wie eigentlich alles anders laufen könnte. Wir müssen ein Stück wegkommen vom Verteidigungskampf. Ich persönlich meine, dass ein Angriff eigentlich auf das kapitalistische System, das wir haben, dass da eine konkrete Vorstellung notwendig ist, wie es eigentlich anders funktionieren könnte bei der Art und Weise wie heute produziert wird, wie verteilt wird und wie das international organisiert werden kann. Gibt es hoffnungsträchtige Ansatzpunkte, Erfahrungen, neue Widersprüche, die für eine zukunftsorientierte Debatte nutzbar wären, wie man sich das alles anders vorstellen könnte. An diesem Punkt zeigen sich auch unsere Mängel. Nach wie vor führen wir im Wesentlichen einen Verteidigungskampf. Uwe: eWas sich da in den letzten Jahren wesentlich verändert hat, ist dass wir in einem Alter, man kann so sagen, eine Rentnergruppe sind. Wir treffen uns jeden Dienstag und die Kollegen, die dann kommen sind Rentner. Darunter sind wenige Kollegen, die noch im Betrieb sind. Uns fehlt der Nachwuchs. Wir kennen viele Kollegen, aber die kommen nicht. Die fahren zwar mit nach Liverpool oder Saragoza, das ist ja nicht so gefährlich, da sieht sie sowieso keiner. Der Ortsbevollmächtigte der Gewerkschaft sieht sie da nicht, aber wenn sie mit uns täglich die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen oder Debatten über Kapitalismus führen sollen, dann gucken sie schon, das ist mir doch ein bisschen zu gefährlich, die sind mir zu kritisch. Ich mach hier lieber mein Ding, gehe in die Bude und mach da meine Arbeit und dann Tschüß. Sie sagen uns: Ist ja alles schön und gut, was ihr da macht, wir wählen euch auch und damit ist für sie alles gelaufen. Da ist zum Beispiel mein Neffe, das ist der letzte aus meiner Familie, der noch im Betrieb ist, wir waren mal sieben, er ist als einziger übrig geblieben. Der war auch mit in Liverpool. Er ist 33 Jahre alt, hat sich eine Eigentumswohnung gekauft, in der er mit seiner Freundin lebt. Ich frage ihn: Wenn es hier mal kracht und die Bude auseinander fliegt, was machst du dann mit deiner Eigentumswohnung? Dann verkaufe ich sie. Aber dann kriegst du doch nur noch 1000 Euro dafür, weil keiner Geld hat, sie dir abzukaufen. Also der sieht noch nicht den Zwang, für seine Interessen zu kämpfen oder für die seiner Kinder. Wir haben ganz akute Schwierigkeiten, Nachwuchs zu bekommen. Wir können reden, soviel wir wollen. Leute kommt mal rein und hört zu und wenn wir Mist reden, dann müsst ihr uns das sagen. Dann haben sie genickt. Wann trefft ihr euch? 17 bis 19 Uhr, dann versprachen sie zu kommen, und wir haben umsonst auf sie gewartet. Selten konnten wir den einen oder anderen Kollegen motivieren. Das lässt alles nach, genauso wie die linke Bewegung. Woher das kommt, weiß ich nicht. Mir kann aber keiner erzählen, dass es daher kommt, weil die Leute alle zufrieden sind. Wortmeldung: In dem Film wurde kurz angesprochen, man hatte eine Vorstellung davon von Anfang an, man wollte Revolution machen und dann schien es so im Film, dass sich das im Laufe der Zeit ein bisschen relativiert hatte, weil man die unterschiedlichsten konkreten Erfahrungen machte, was wohl auch etwas damit zu tun hatte, dass das Objekt nicht so wollte, wie man es selber wollte. Wir hatten jetzt die Tage bei uns im Lokal eine Lesung mit einer Frau, die 15 Jahre eingesperrt war, weil sie der Bewegung »2. Juni« angehörte. Die erzählt in ihrem Buch, dass sie in dem gleichen Zeitraum, also Anfang der siebziger Jahre sich überlegt hatte, während des Studiums in die Fabrik zu gehen, weil sie sich sagte, dort ist das Subjekt, das es gilt zu revolutionieren. Sie ist aber nach zwei Jahren davon abgekommen und ist dann einen anderen Weg gegangen. Am nächsten Tag kamen zu uns eine Menge junger Leute, das waren Studenten, und wollten über diesen Schritt etwas wissen, denn es war für sie überhaupt nicht erklärbar, wie man als Student in einer privilegierten Situation sagt, jetzt gehe ich in die Fabrik und versuche mit denen, auf die es schließlich ankommt, weil die den Mehrwert produzieren, die Revolution zu machen. Ich habe den Eindruck, dass dieser Schritt, wenn du von den Erfahrungen mit deinem Neffen berichtest, oder wenn ihr sagt, dass die Kollegen sich totlachen, wenn ihr von Sozialismus redet. Wenn ihr eure damaligen Vorstellungen einem heute Zwanzigjährigen äußert, dann denkt der, ihr habt sie nicht mehr alle. Wie erklärt ihr euch praktisch, dass dieser Wechsel stattgefunden hat. Wie erklärt ihr, dass die heutigen Studenten so positiv bezogen sind auf Marktwirtschaft und Demokratie. Der Kapitalismus hat das hingekriegt. Wie erklärt ihr, dass die Vorstellung von Sozialismus so verloren gegangen ist aus den Köpfen? Wortmeldung: Ich begreife den Film nur als Anstoß, dass wir darüber reden. Das, was die zu sagen haben, die das damals miterlebten, finde ich nicht so wichtig. Wichtiger ist, was die Jüngeren dazu sagen, für die das schon Geschichte ist. Der Film beschreibt Verhältnisse, die nicht nur bei Opel Bochum so waren, sondern auch in vielen anderen Großbetrieben und in vielen Bereichen der Industrie-Arbeiterschaft, die in großer Zahl zusammengearbeitet haben. Ich erinnere an Klöckner Bremen. Da hat es eine scharfe Auseinandersetzung gegeben mit einer Gruppe, die sich damals »Mitmischer« nannte, die auch aus der Gewerkschaft ausgeschlossen wurde, die aber dennoch weitergemacht hat und im Betriebsrat eine Rolle spielte. Die ist dann schon eher zerfallen als ihr jetzt. Die GOG bei Opel Bochum ist die Gruppe, die sich in einem Betrieb am längsten gehalten hat. Ich wollte eigentlich die Frage stellen: Wie habt ihr den Übergang zur jungen Generation, den jetzt 20 bis 25 Jährigen bekommen. Die Frage ist ja beantwortet. So wie du es geschildert hast, ist es überall in politischen Organisationen. Es sind nur noch Rentner da. 1989 ist mit dem Zusammenbruch der DDR und des Sozialistischen Lagers für viele das ideologische Gerüst zerfallen und viele suchen, wie es der Mainstream ist, ihren Weg individuell. Wir müssen aufmerksam den Weg verfolgen, den die wenigen kleinen Gruppen, die es noch gibt, gehen, was die machen und wie die versuchen, weiterzukommen. Insofern habe ich eine Frage an euch, die habt ihr bisher noch nicht beantwortet. Wie ist euer Verhältnis ganz konkret, nicht ideologisch zum Gewerkschaftsapparat, der ja, wie der Jurist am Anfang sagte, sich wüst benommen hat gegen das Aufkommen eurer Gruppe. Ist dieses Verhältnis wie zum Beispiel bei Daimler Benz in Bremen so entwickelt worden, wo man versucht hat, ein Verhältnis zueinander zu kriegen. Habt ihr versucht, die Bremer zu treffen oder gibt es überhaupt keinen Draht dahin? Wortmeldung: Ich wollte was zum Film wissen. Was habt ihr für Erfahrungen gemacht, wenn ihr den Film zeigt? In welchem Umfeld ihr den Film gezeigt habt, ob es auch im Gewerkschaftsbereich ist und wie die Gewerkschaft darauf reagiert hat. Wortmeldung: Ich möchte etwas ergänzen und energisch dagegen protestieren gegen das Bild, das hier entstanden ist: Da kamen die Studenten und die dummen Lehrlinge wurden geschult. Es gab zu der Zeit eine aktive Lehrlingsbewegung neben der Schüler und Studentenbewegung. Wir waren ja sehr kritisch der Gewerkschaft gegenüber und es gab viele Gruppen, die das auch waren. Und es gab auch in den Betrieben aktive Leute, ganz unabhängig von irgendwelchen politischen Studenten, die auch in der Lage waren, die Notstandsgesetze zu verfolgen usw. Gleichzeitig gab es auch in Dortmund Auseinandersetzungen in den Berufsschulen und auch in Kleinbetrieben. Uwe: Auf deine Frage zur Gewerkschaftsbewegung oder wie wir mit den Gewerkschaften umgehen, will ich kurz antworten. Ich bin seit 2004 im Vorruhestand und aus der IG Metall ausgetreten, weil ich keinen Sinn mehr darin sehe, so wie viele Kollegen von mir, da noch organisiert zu sein. Wolfgang: Ich schon, da haben wir auch unsere Widersprüche. Also das wäre jetzt auch das Thema, dass wir Ausdruck waren einer weltweiten Bewegung der sechziger/Anfang der siebziger Jahre. Das können wir jetzt nicht alles ausgraben. In der Tat war meine eigene Politisierung in der Bochumer Zeit sehr davon mitgeprägt, dass die Leute von Krupp gegen die Notstandsgesetze auf die Straße gingen und wir dann als Studenten gedacht haben: Da ist sie ja, die Arbeiterklasse. Und das führt mich auch zu dem revolutionären Subjekt, von dem wir uns auch ein bisschen gelöst haben, von der Mystifizierung des Industriearbeiters, dem Träger der Neuen Gesellschaft. Wir haben jahrelang gesungen: »Weil du auch ein Arbeiter bist« und irgendwann nur noch: »Solange der Bauch in die Hose passt, wird keine Arbeit mehr angefasst. Die Arbeit ist kein Frosch, sie hüpft uns nicht davon.« Wir haben angefangen, anders über Arbeit zu reden und nicht mehr über die Arbeiter, und ich würde heute sagen, was das revolutionäre Subjekt angeht, da sollte man mehr von Produzenten und Produzentinnen und von Konsument und Konsumentinnen reden. Da brauchen wir sozusagen ein anderes Bewusstsein aller. Ich finde, in der linken Szene gibt es viele Konzepte und Vorstellungen einer anderen Zukunft, die davon abstrahieren, dass auch in Zukunft Gläser hergestellt werden müssen, Autos nicht unbedingt, aber Bleistifte und Kugelschreiber, und alles ist mit Ausbeutung verbunden. Es gibt zu viele Konzepte in der Linken, wo man so tut, als könnte man den Bereich der Produktion weiter laufen lassen und sich irgendwie anderweitig das Leben absichern. Das glaube ich, ist ein anderes Feld, darüber müsste man gesondert reden. Was jetzt unseren Film angeht, also ein SAT 1 Film, der nachts um 24 Uhr gesendet wurde: Wir haben ihn bisher auf verschiedenen Veranstaltungen, aber noch nicht auf gewerkschaftsoffiziellen Veranstaltungen gezeigt und zur Diskussion gestellt. Das hängt auch damit zusammen, dass wir Positionen vertreten, wie sich gleich bei unserem Streikbericht zeigen wird, die bei anderen Linken nicht so häufig sind, was unsere Kritik am Gewerkschaftsapparat anbetrifft. Was die jungen Leute anbetrifft, das kommt auch zum Ausdruck. Ich glaube, dass die Konflikte, die wir mitgeschürt haben, über Jahrzehnte auch dazu beigetragen haben, dass auch junge Leute frech genug sind und sagen: »Das lassen wir uns nicht mehr gefallen.« Sich bestimmte Sachen nicht gefallen lassen und Angst zu überwinden, dazu gehört auch ein Stück Tiefenverständnis, was die Argumente der anderen Seite anbetrifft, die da sagt: Das geht nicht anders, wir müssen wettbewerbsfähig bleiben. Darauf müssten wir gleich noch etwas ausführlicher eingehen. Ich glaube, dass wir dazu beigetragen haben, dass die allgemeinen Erklärungen über die Ursachen der Krise und wie man da ’rauskommt, doof sind und dass man sich darauf nicht verlassen kann. Der Uwe hat recht, so wie wir aktiv sind, spricht unsere Gruppe die Leute nicht an, die sagen, ob ich noch zwei Jahre oder fünf Jahre bei Opel bin, das weiß ich alles nicht. Da kommen wir aus einer Tradition von Betriebsgruppenarbeit, die ist unattraktiv. Da haben wir auch Mühe, junge Leute dazu zukriegen. Wir müssen sehen, wie kann sich das vielleicht ändern. Wo können wir uns einmischen zusammen mit jungen Leuten, für die es vielleicht sinnvoll ist, mit uns zu tun zu haben. Auf der anderen Seite, wenn ihr noch die Fernsehbilder vor Augen habt, wie die da richtig Druck gemacht haben die ganzen Tage bei Opel, das waren ganz viele, so um die 30/35 Jahre. Aber die glauben selber nicht an die Zukunft bei Opel. Vielleicht können wir jetzt die Kurve kriegen und etwas über die Streikentwicklung erzählen. Diskussionsleitung: Jetzt hatten wir ja schon einen Gegensatz festgestellt, dass einerseits eure Gruppe immer mehr aus älteren Kollegen besteht und andererseits der Streik bei euch durchaus von jüngeren Kollegen getragen wurde. Ich schlage vor, dass wir an dieser Stelle die Diskussion wieder aufnehmen. Wenn ihr vielleicht noch etwas zu dem Streik sagen könntet. Wolfgang: Als erstes muss man mal wissen, dass die materielle Grundlage für den Streik der Opel Belegschaft in Bochum auch eine besonders günstige war und ist. Bochum ist nicht nur das größte Produktionswerk von General Motors in Europa, in Rüsselsheim beispielsweise sind von 20.000 Beschäftigten nur 7000 in der Produktion, 13.000 sind Angestellte in verschiedenen Bereichen und gleichzeitig wird von Opel Bochum, was Auspuffe anbetrifft, Achsen und Pressteile, wird der Rest der europäischen Produktion, also Werke in England, Belgien und Spanien werden von Bochum aus beliefert. Diese Tatsache haben eigentlich nicht die offizielle IG Metall oder die Betriebsratsmehrheit bekannt gemacht, sondern wir als Gruppe haben das immer wieder ins Bewusstsein der Kollegen gebracht. Man muss wissen, dass es jetzt in Eisenach bereits Kurzarbeit gab, dass die Rüsselsheimer Belegschaft schon auf reduzierte Produktion gebracht wurde, in Kaiserslautern war die Lage auch nicht günstig und die Kollegen in Bochum wissen, dass die Manager am Zappeln sind, wenn die Belegschaft den »Zafira« oder den neuen »Astra Caravan« nicht bauen kann. Trotz allem muss es noch andere Ursachen haben, dass es in Bochum knallt und in anderen Betrieben nicht. Dabei spielt eine Sache eine wichtige Rolle. Wir haben eine Einrichtung auf Betriebsebene, die es in anderen Betrieben so nicht gibt. In einer Betriebsvereinbarung Ende der siebziger Jahre wurde geregelt, dass die Vertrauensleute das Recht haben, alle 14 Tage für 75 Minuten den Arbeitsplatz zu verlassen, um vom Betriebsrat informiert zu werden über das, was anliegt. Wir haben also mit diesen Vertrauensleuten alle 14 Tage Infostunden in allen drei Werksteilen und in allen drei Schichten. Auf diesen Zusammenkünften der Vertrauensleute mit dem Betriebsrat wird über alles informiert, was vor sich geht, welche Probleme anstehen, auch unterschiedliche Standpunkte werden offengelegt. Im Jahr 2000, das wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, hat die Belegschaft fünf Schichten lang gestreikt. Damals stand in der »FAZ« auf der ersten Seite: „17 Werke in Europa stehen still!“ Hintergrund war damals die Androhung: 1300 Leute sollten aus der Opelbelegschaft, die 11.500 Kollegen ausmachte, in eine neu gegründete GmbH. ausgegliedert werden. Der Streik damals bescherte uns ein Erfolgserlebnis. Wir haben nämlich erreicht, dass diese Ausgründung von der Firma nur in der Rechtsform eines gemeinsamen Betriebes zwischen der Opel AG und dieser neuen GmbH. gemacht werden konnte, mit dem Ergebnis, dass ein Betriebsrat und ein Vertrauensleutekörper für beide Firmen zuständig sind und dass Löhne und Betriebsvereinbarungen für alle Kollegen erhalten blieben. Dadurch ist die Ausgründung, wie sie Opel vor hatte, nicht gelungen. Sie schafften es nicht, einen Teil von uns abzuspalten. Bei diesen Auseinandersetzungen hat eben auch eine Rolle gespielt, dass wir als Gruppe den Konflikt aufgegriffen haben, das kann man gut nachlesen. Wir haben propagiert: »Ein Betrieb – eine Belegschaft.« Wir dürfen uns nicht in viele kleine Belegschaften zerteilen lassen, egal was da drauf steht, ob Opel AG oder GmbH. Wir wollen unsere Widerstandskräfte nicht verringern lassen, indem wir in verschiedene Betriebsteile und Belegschaften mit eigenem Betriebsrat zertrennt werden. Damals im Jahr 2000 war es auch so, dass die IG Metall auf der Ebene des Euro Betriebsrats für diese Ausgründungen, die nicht nur bei Opel Bochum stattfanden, sondern auch in anderen GM Werken, bereits eine Lösung hatte, eine Vereinbarung für fünf Jahre die Löhne auf Opel Niveau für die Ausgegliederten zu halten. Und dann hat Opel Bochum allein die Arbeit niedergelegt und gesagt: Was ihr da ausgehandelt habt, das reicht uns nicht. Wir wollen nicht nur für fünf Jahre abgesichert sein. Wir wollen unsere Opelbedingungen auf Dauer und wir wollen die auch als eine Belegschaft abgesichert haben. Das war damals sehr blamabel für die IG Metall und dem Euro Betriebsrat, dass neu verhandelt werden musste und dann dieses Ergebnis herauskam. Was dem voraus gegangen war im Jahr 2000 war eine typische Situation. Die Leute haben verlangt, dass jeder Betriebsrat, der jetzt etwas abstimmt, vorher die Belegschaft befragen muss. Dann haben der Betriebsrat und die führenden Leute mit der Werksleitung verhandelt und den Vertrauensleuten mitgeteilt, dass nur für die 1300 Kollegen, die ausgegliedert werden sollten, eine Versammlung stattfindet. Als dann in der Betriebsratssitzung über dieses Ergebnis abgestimmt werden sollte, da war nicht zum erstenmal der Betriebsratssaal voller Kollegen aus dem Werk, die hochgekommen sind in der Pause, kurz vorher oder danach, zum Teil hatten sie auch keine Schicht zu der Zeit und dann ist es mehrfach passiert, dass bei uns im Betriebsratsbüro die Tür aufging und dann war auf einmal alles voller Leute aus dem Werk und die sagten: »Was ihr da macht, das wollen wir so nicht«, und haben dann den Betriebsrat unter Druck gesetzt. Wir sind davon alle betroffen von dieser Zerschneidung und wir wollen eine gemeinsame Belegschaftsversammlung und nicht nur für die 1300 Kollegen. So gab es am 8. Juni 2000 eine Versammlung, die auch zum erstenmal wieder im Werk und nicht in der Dortmunder Westfalenhalle und während der Arbeitszeit und nicht Samstag morgen. Die Versammlung dauerte von 14 Uhr bis 22.30 Uhr. Daran haben 9000 Kollegen teilgenommen. Es war eine kämpferische Versammlung und die Leute haben dann beschlossen: Heute ist Donnerstag, wir wollen bis Mittwoch eine Antwort auf unsere Forderungen haben, und die kam nicht und dann ist es Mittwoch morgen dazu gekommen, dass immer mehr Leute zum Betriebsrat gingen, um sich zu informieren und dadurch hat fünf Schichten lang die Produktion gestanden. Auf die Frage eines Journalisten, warum es immer in Bochum zu Unruhen kommt, hat der Personalvorstand Strintz in einem Interview gesagt: Wir haben seit langem in Bochum ein paar kämpferische Betriebsräte, die bringen da andere Meinungen unter.« Der Typ hat da auf etwas hingewiesen, was wir sehr gut verstehen können und gleichzeitig hat er die Masse der Kollegen für doof erklärt, als wenn das an ein paar Betriebsräten läge. Entscheidend war immer, dass die Probleme, die Opel uns die ganzen Jahre auftischte, immer von verschiedenen Seiten diskutiert wurden und da gehörten wir als Gruppe zu denen dazu, die auch immer, da waren wir aber nicht alleine, eine andere Meinung im Betriebsrat und in der Belegschaft vertreten haben, als die offizielle Betriebsrats und Gewerkschaftsmeinung. Uns hat man immer vorgeworfen, wir wollten nicht die Einigkeit im Betriebsrat.Die haben blöß formale, nach außen demonstrierte Einigkeit, haben wir nie gewollt, wir haben immer den Meinungsstreit gesucht im Betriebsrat. Wir waren 20 Jahre aus der IG Metall ausgeschlossen. Wir wollten einfach auch nicht alles gutheißen, was die Gewerkschaftsführung da machte. Uns hat man vorgeworfen: ihr seid Spalter und Chaoten! Wir haben immer in einem bestimmten Sinn „gespalten “, nämlich die Meinung und Diskussion im Werk, da haben wir immer gestritten über den richtigen Weg. Ist dieser Weg richtig, den die vorschlagen oder muss man das nicht mit etwas Vorsicht betrachten was die offizielle Seite da macht. Die Bochumer Belegschaft hat insofern, anders als in Rüsselsheim, schon Anfang der neunziger Jahre beim ersten sogenannten Standortsicherungsvertrag Aufforderungen ohne Ende gehört. Damals gab es kaum noch linke Gruppen, wir waren als einzige noch übrig. Außer unseren Blättern tauchte ab und zu mal etwas auf von der MLPD. Wir haben die Meinung vertreten, dass diese Art Verzichtsverträge, die die Firma verlangte zur Standortsicherung, dass die uns in die Irre führen. Die waren jedoch mehrheitlich, akzeptiert worden mit der Vorstellung wir können jetzt nicht alles retten, wir müssen ein Stück zurück. Der zweite Vertrag war genauso und wurde auch von der Mehrheit geschluckt. Die haben ja auch die andere Mehrheit immer brav wieder gewählt und wir gehörten zu denen, die gesagt haben, das führt zu nichts. Jetzt steht wieder eine neue Verzichtsgeschichte an und so haben wir auch in unserem Blatt darauf hingewiesen, dass völlig lapidar in der IG Metallzeitung vom Oktober der Satz drin steht: Die Verzichtsvereinbarungen, die die Belegschaft bisher ertragen musste, haben alle nichts gebracht. Das ist im Grunde unverschämt. Das sagen diese Leute von der IG Metall, die die Belegschaft dazu angehalten haben: Wir müssen ein bisschen vorsichtig sein, ist ja nicht so schlimm, wenn man jetzt das Weihnachtsgeld vom Krankenstand abhängig macht, das kriegen wir irgendwie hin, auch wenn ihr auf Lohnerhöhung und auf Pausen verzichtet. Schaut euch an, was draußen los ist. Die gleichen Leute schreiben jetzt: Das hat nichts gebracht, ohne eine Spur von Selbstkritik. Aber wir haben es aufgegriffen und immer wieder erklärt, das bringt nichts und das haben wir verbunden mit einer Kritik an der Gewerkschaftsführung, die diesen Verzicht im Sinne von Rettung Deutschlands als Exportweltmeister auch will. Diese Gewerkschaftsführungsleute wie Peters, der jeden Monat 17.400 Euro Gehalt kassiert, vertreten die Theorie, dass es uns dann noch einigermaßen gut geht, wenn Deutschland Exportweltmeister bleibt. Und wenn man dann sagt, das haut alles irgendwie nicht hin, und wenn man dagegen Aufklärungsarbeit betreibt, dann stößt man sogar innerhalb der linken Szene auf Widerspruch. Wir misstrauen dieser Art Führungsleute, die auch den Betriebsräten in der Autoindustrie das Co Management nahe legen. Wir sagen den Kollegen, auf die könnt ihr euch nicht stützen, die haben eine andere Theorie, die verkünden auch dass die Scheiße, die jetzt bei Opel passiert an Managementfehlern liegt, die versuchen überall zu erzählen, hätten wir bessere Manager, dann ginge es uns auch besser, und wir haben auch diese Art von Erklärungen der Krisen immer in Frage gestellt. Ich selber glaube, die Mehrzahl unserer Kollegen und Kolleginnen ist der Gewerkschaftsführung näher als uns. Sie glauben ja auch, dass man auf die Wettbewerbsfähigkeit Rücksicht nehmen muss. Sie fragen uns konsequent: Wie stellt ihr euch das vor, wenn ihr empfehlt, keine Rücksicht zu nehmen? Wohin führt uns das? Wie soll das eines Tages aussehen? Treiben wir die Firma in die Pleite, oder was ist eure Hoffnung? Wenn die nichts verdienen, kann ich ja auch nichts mehr verdienen. Wir haben es dann mit weitreichenden Fragen zu tun, zu denen wir keine bequeme Patentlösung anbieten können. Aber eins haben wir dann doch ’rüber gebracht: Je mehr wir Theater machen, desto teurer wird das für die. Die Leute glauben auch nicht, dass sie jetzt mit dieser Bewegung alles stoppen können, was da auf uns zurollt, aber wir haben eben die Erfahrung in den Knochen, dass wir zumindest zeitlich einige Erfolge erringen können, wenn wir nicht auf das hören, was man uns von offizieller Seite nahe bringt, welches Verhalten wir zeigen sollten. Wenn wir jetzt gleich über den Streik reden, dann finde ich sehr wichtig dabei, dass die Kollegen bei Opel in Bochum den Gehorsam verweigern gegenüber den alten Regulierungs Instanzen des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit. Sie glauben den Politikern nicht und regen sich über Clement auf, wenn der sagt: »Geht wieder arbeiten.« Man glaubt diesen Leuten eh nicht mehr und auch auf Huber und Peters schimpfen sie, die dasselbe sagen, denen glaubt man auch nichts mehr. Ich weiß von einem Betriebsratsvorsitzenden, dass er zu einem Kollegen gesagt hat: »Wir finden ja hier überhaupt kein Gehör mehr.« Und das ist jetzt erst mal eine gute Sache, dass es dieses Misstrauen gibt auf all die alten Regulatoren unseres Lebens und dass die Leute gelernt haben, sie müssen aufpassen, was die machen, und das sie sich erst mal selbst bewegen müssen. Ich glaube, dass wir über die ganzen Jahrzehnte zu mindestens ein Stück dazu beigetragen haben. Es gibt keine Infostunde, wo der Betriebsrat vor die Vertrauensleute tritt, in der nicht auch andere Meinungen aus dem Betriebsrat gegenüber Opel geäußert werden. Zum Teil sind im Betriebsratskörper opportunistische Menschen, die Karriere machen wollen, die auch gern Betriebsratsvorsitzender werden wollen und ihn deswegen angreifen, aber immer wieder sind es Kollegen aus dem Vertrauensleutekörper, die sagen: Das glauben wir nicht, dass wir so aus der Affäre herauskommen, wie ihr uns das vorschlagt. Der Beginn des Streiks war ja auch typisch, wie das bei uns immer abgeht. Am Mittwoch wurden die Vertrauensleute vom Betriebsrat informiert. Da war schon ein riesen Spektakel: Das können wir so nicht einfach hinnehmen, dagegen müssen wir etwas unternehmen. Donnerstagmorgen war dann in Bochum-Langendreer die Infostunde und da kamen nicht nur die Vertrauensleute in den Versammlungssaal, sondern fast alle. Da stand schon morgens über eine Stunde lang die Produktion in dem Werksteil, das sprach sich dann herum und als am Nachmittag die Infostunde stattfand, haben auch dort alle Leute ihren Arbeitsplatz verlassen und im Werk 1, dem Hauptwerk, sind schließlich auch alle Kollegen losgezogen, um sich vom Betriebsrat informieren zu lassen. Die Vertrauensleute waren alle stocksauer und haben dann beschlossen: Wir nehmen die Arbeit nicht eher wieder auf, bis die Ankündigung von Opel, 4000 Leute zu entlassen, vom Tisch ist. Nehmt die Entlassungen vom Tisch, eher arbeiten wir nicht! Dann sind sie in den wilden Streik getreten, illegal, scheißegal oder wie auch immer. Zwischenfrage: Eben ist das Wort »wir« gefallen. Wart ihr persönlich auch im Betrieb, ihr seid doch im Vorruhestand, oder waren es Kollegen von der GOG? Uwe: Ich sage ja immer noch »wir«, und damit meine ich alle Kollegen, nicht nur die der GOG. Wenn es darum geht, die Kollegen zu unterstützen, solidarisch mit ihnen zu sein, sind wir selbstverständlich auch am Tor in unserer Freizeit, verteilen morgens zwischen fünf und sechs Uhr Flugblätter am Tor. Der Draht zu den Opel Kollegen besteht nach wie vor. Wolfgang: Ich war diesmal nicht direkt beteiligt, aber ich bekam sofort zahlreiche Anrufe , erfuhr alles was dort los war. Zu unserer Arbeit gehörte dann eben auch, die Leute aus der Autokoordination zu informieren, mit dem Erfolg, dass ein Bus von »Porsche« angerollt ist. Wir haben ein ganzes Wochenende herumtelefoniert und viel erreicht für den Aufbau der breiten Soli-Bewegung, auch international., insbesondere mit Hilfe des labournet.de . Diskussionsleitung: Vielleicht könnt ihr noch schildern, bevor wir die Fragen fortsetzen, wie es zum Ende des Streiks bei Opel Bochum kam. Ihr hattet ja beschlossen, dass die betriebsbedingten Kündigungen vom Tisch müssen, und das war ja nun nicht. Wolfgang: Im Grunde genommen hatte die Belegschaft am Montag nichts in der Hand. Ich habe die Erklärung der Firmenleitung hier, das sind halbe Zusagen: ...wir haben die Absicht ... usw. Das war kein Ergebnis, wurde aber von der IG Metall und auch vom BR Vorsitzenden in der Presse als gutes Ergebnis verbreitet, die Firma sei ja nun bereit zu verhandeln usw. Dann wurde die Hoffnung auf den europäischen Aktionstag gelenkt, der am Dienstag in Bochum stattfand. 25.000 Menschen waren gekommen aber es gab keine offizielle Rede, die zum Weitermachen aufforderte, weil die Konzernspitze schon am Zappeln war, weil immer mehr Produktionsstätten in Europa zum Stillstand kamen. Stattdessen wurde gesagt: Wir haben schon ein Verhandlungsergebnis und die Zuversicht, dass sich der Konzern auf uns zu bewegt. Einer, der katholische Weihbischof vom Ruhrgebiet, hat gesagt: Geht wieder an die Arbeit! Der wurde ausgepfiffen. Die anderen Beiträge waren alle sehr indirekt. Es gab natürlich auch Enttäuschung darüber, dass die anderen Belegschaften nicht mit eingestiegen sind. Über Rüsselsheim stand in der Presse: Busines as usual. Von Huber kam riesen Propaganda: Der Streik sei nicht zielführend. Ganz wichtig war die Forderung: Kein Abschluss ohne Abstimmung der Belegschaft! Die hatten wir schon im September in unserem Flugblatt propagiert. Die Versammlung am Mittwochmorgen wurde von der Belegschaft erzwungen, weil sie nicht wollte, dass einzelne Abteilungen die Arbeit wieder aufnehmen. In den siebziger Jahren ist schon einmal ein Streik daran kaputt gegangen, der tiefe Resignation zur Folge hatte. Bevor an die Arbeit zurück gegangen wird, muss eine gemeinsame Entscheidung herbei geführt werden, die mehrheitlich akzeptiert wird. Das war auch den Leuten unserer Gruppe, die aktiv mitmischen, klar. Der Betriebsrat wollte die Versammlung nicht, beugte sich aber der Forderung, dass man nicht wieder an die Arbeit geht, ohne eine Abstimmung vorzunehmen. Mittwochmorgen war die Abstimmung vor dem Ruhrkongress. Die war mit einer Fragestellung formuliert, wie ihr das auch gelesen habt und die zu großer Empörung geführt hat, wer für Verhandeln ist, muss die Arbeit wieder aufnehmen, das war miteinander verkoppelt. Natürlich wollte jeder, dass verhandelt wird, aber viele sagten auch, wir sollten noch eine zeitlang durchhalten. Wir waren zuerst auch enttäuscht über das Ergebnis, haben dann aber auch begriffen, dass über 1700 Leute weitermachen wollten, das waren ganz schön viel. Unter denen, die für Arbeitsaufnahme gestimmt hatten, waren viele darunter, die sagten: Wir müssen erst mal wieder ein paar Schichten Geld verdienen. Wir sind nicht daran gewöhnt, ein Viertel unseres Monatseinkommens weniger in der Tasche zu haben. Bei den meisten fehlten mehr als 400 Euro. Da kam auch kein Unterstützungsangebot von der IG Metall. Eigentlich sind unsere Gewerkschaftskassen auch für Nothilfe da, aber nichts dergleichen. Beim Betriebsrat wurde ein Spendenkonto eröffnet. Für viele wäre es ganz schön hart geworden, die Sache weiter durchzuziehen. Die Stimmung ist zur Zeit so, dass ein großer Teil sagt, wir müssen genau hinsehen, was die uns jetzt anbieten und wenn das unbefriedigend ist, müssen wir noch mal streiken. Und sicher gibt es auch einen Teil, der nach diesem Ende resigniert. Die Debatten laufen im Werk jetzt in beide Richtungen. Zwischenfrage: Und die Entlassungen? Wolfgang: Das ging auch durch die Presse: Zwei fristlose Kündigungen in Bochum! In dem einen Fall war es ein BR Mitglied. Betriebsräte können nur fristlos gekündigt werden nach dem Betriebsverfassungsgesetz und in so einem Fall muss das gesamte Gremium abstimmen. Das hat dann mit »Nein« gestimmt, und jetzt muss Opel vor Gericht gehen und bis zum Wochenende habe ich nicht erfahren, ob Opel diesen Schritt erwägt. Die zweite Kündigung ist ein Kollege, dessen fristlose Kündigung in eine fristgerechte umgewandelt wurde. Die Firma hatte eigentlich zugesichert, keine Maßregelung vorzunehmen. Dann sind die beiden aber denunziert worden aus dem Betrieb heraus, sie hätten andere Kollegen von der Arbeitsaufnahme abgehalten und dann haben die Firmenjuristen gesagt: In dem Fall müssen wir aktiv werden, sonst werden wir regresspflichtig . Ich kann mir vorstellen, dass das Management froh war, die beiden fristlosen Kündigungen als Angstpropaganda verbreiten zu können. Beide Fälle hängen noch in der Schwebe, tragen aber zur Einschüchterung bei. Zwischenbemerkung: In der Presse steht die Geschichte, dass Klaus Franz (Vorsitzender des Konzernbetriebsrat) Angebote macht, im Standortwettbewerb die Arbeitszeit auszuweiten. Das stand im »Handelsblatt« und in der »Frankfurter Rundschau«. »Proteste bei Opel erwartet. IG Metall rechnet mit Streik.« Entspricht das einer Diskussion im Betrieb oder ist das nur eine Presseerklärung. Wie reagieren die Leute darauf? Wolfgang: Klaus Franz hat bei der Belegschaft in Bochum verschissen. Der ehemalige KP Mann aus der Lackiererei, der jetzt sein Büro neben dem Vorstand hat. Dieser Klaus Franz sagt von sich selbst in der Presse: »Ich bin in erster Linie Opel Betriebsrat und erst in zweiter Linie Gewerkschafter.« Der hat schon im vorigen Jahr beim Arbeitskampf in Ostdeutschland gegen den Streik plädiert, dem wird nicht geglaubt, weder im Bochumer BR noch in der Belegschaft . Er hat aber immer noch, was die Verhandlungsebene angeht, die gewerkschaftsoffizielle Seite hinter sich, die stehen alle hinter ihm. Von daher habe ich bei Opel Bochum wenig Hoffnung, dass der Kampf von offizieller Seite noch einmal aufgenommen wird. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Angst haben, wenn sie zum Warnstreik aufrufen, dass es dann nicht bei einem Stündchen Dampf ablassen bleibt. Dieser europaweite Aktionstag, den die Gewerkschaft plant, wird von den Vertrauensleuten nicht ernst genommen. Da dürfen sie dann wieder rote Mützchen aufsetzen und in die Tröte blasen. Damit tun sie dem Konzern nicht weh. Bei solcher Missachtung der Kollegen verliert die Gewerkschaftsführung noch mehr Vertrauen. Zwischenfrage: Inwieweit war Hartz IV Diskussionsthema im Betrieb? Und hat es zur Streikbereitschaft mit beigetragen? Uwe: Die Parole im Werk 2 hieß anfangs »Kämpfen oder Hartz IV«, bei denen, die das diskutiert hatten. Wir gehörten neben dem Bochumer Sozialforum zu denen, die versucht haben, über Hartz aufzuklären. Ich glaube, das hat eine Rolle gespielt. Dadurch haben die Kollegen gewusst: wenn wir hier unseren Job verlieren, dann wird es ganz schön beschissen für uns, wenn wir Hartz IV bekommen. Zwischenfrage: Du hattest das Stichwort »Autokoordination« schon angesprochen. Da hat es vor drei Monaten die Auseinandersetzung bei Daimler gegeben, jetzt bei Opel, danach bei VW. Gibt es da von Seiten der Autokoordination eine Antwort, ob die alle einbezogen werden können? Uwe: Zur Autokoordination, wir treffen uns zweimal im Jahr zum Erfahrungsaustausch. Neben Kollegen, die ernsthaft mitarbeiten kommen auch solche, die nur neugierig sind. Im Großen und Ganzen bewegen wir nicht viel, nur ein bisschen. Wir haben uns am Wochenende während des Streiks getroffen, um Solidarität zu organisieren. Im Gegensatz zu 2000, als es wegen Auslagerung in Werk 2 krachte und wo dann kaum Solidaritätsadressen gab, hat sich diesmal die Situation völlig geändert. Es waren Kollegen von Porsche aus Stuttgart gekommen, aus Bremen von Daimler Chrysler, junge Bergleute im Arbeitszeug mit Helm aus dem Pütt in Hamm, die auch Angst haben um ihre Arbeitsplätze. Noch befinden sie sich in der Lehre, aber danach wissen sie auch noch nicht, wie es weitergeht. Die Solidarität müssen wir beobachten, ob sich das weiter entwickelt oder ob es bloß eine einmalige Erscheinung war. Wolfgang: Der Autokoordination steckt in den Knochen, was in Mettingen passiert ist. Da sind Kollegen der Daimler Chrysler Werke in Stuttgart, die auf die Straße gegangen sind und mit der Gruppe »Klartext« Kritik am Betriebsrat und an der Gewerkschaftspolitik geübt haben, unter Beschuss der Gewerkschaftsbürokratie geraten. Einige von ihnen wurden bereits aus der IG Metall ausgeschlossen. In Kassel wurden ebenfalls 16 Kollegen ausgeschlossen, die sich ebenfalls dem Gewerkschaftskurs widersetzt haben und offene Kritik äußerten. Ich glaube, dass auch in der Autokoordination der Mut zunimmt, sich das nicht mehr bieten zu lassen, was die Gewerkschaftsführung uns an Kurs vorgibt. Es ist in der Autokoordination leider so, dass überwiegend Betriebsräte zusammen kommen. Es sollte angestrebt werden, dass mehr Vertrauensleute und aktive Kollegen daran teilnehmen, damit sie nicht von Betriebsräten dominiert wird. Wortmeldung: Im Moment zielt die Auseinandersetzung auf zwei Sachen ab. Wie ihr selber schon dargestellt habt, ist einer von euch aus der Gewerkschaft ausgetreten, der andere noch nicht. Meine Haltung zur Gewerkschaft ist, dass ich bisher in die Richtung gearbeitet habe, die Gewerkschaft von innen zu ändern. Das halte ich für wichtig. Der zweite Punkt ist, dass jetzt wirklich Rechtsbrüche stattfinden. Wenn ein Unternehmen herkommt und die Standortdebatte über unsere Grundrechte stellt, ist es eine Frage, die ja auch mit Krieg und Frieden und Antifaschismus zu tun hat. Spielt diese Diskussion bei euch auch eine Rolle? Uwe: Also die Gewerkschaft kannst du nicht reformieren. Allein nur für den Versuch bekommst du 20 Jahre aufgebrummt oder lebenslänglich wie bei mir. Dann haben sie mich doch wieder aufgenommen. Das kannst du alles vergessen, jedenfalls ist das meine Meinung. Die habe ich auch in Kassel und auf der Autokoordination vertreten. Dafür habe ich sogar Beifall von einigen be20 kommen. Da kannst du mit noch soviel Leuten hinter dir versuchen zu reformieren, eher schließen die eine Ortsverwaltung wie Ende der fünfziger Jahre. Diese Debatte führen wir auch ohne Ende. Wolfgang: Wir sagen zu keinem, tritt aus oder bleib in der Gewerkschaft und zahl brav deinen Beitrag. Wir sagen, mit dem Beitrag schneidest du dir in den Finger, wenn du nicht in einer bestimmten Richtung aktiv wirst. Beitragzahlen allein nutzt nur den Leuten, die eine Verzichtspolitik betreiben und das solltest du nicht noch mit deinem Beitrag unterstützen. Das Verzichten kannst du auch alleine hinkriegen, dafür brauchst du keine Gewerkschaft. Die IG Metall hat 2,5 Mio. Mitglieder. Bei Opel in Bochum sind wir zu 85 Prozent organisiert. Die Kollegen wählen ihre 500 Vertrauensleute. Ohne diese Struktur kommen wir nicht weiter. Wir arbeiten auch in diesen Strukturen. Viele Leute, die jetzt über die Gewerkschaften herziehen, machen sich das nicht klar. Das andere Problem ist, wenn wir sagen würden, tretet aus, erhebt sich die Frage: Wo treten die Leute dann hin? Für mich besteht nicht das Problem, die Gewerkschaft von innen zu verändern, sondern wie kann ich das Bewusstsein der Kollegen beeinflussen, damit wir weiterkommen. Die Gewerkschaften werden von ganz anderen Kräften kaputt gemacht, nämlich von der Kapitalseite, die die Produktion umorganisiert. Das löst die Austrittswelle aus und nicht die politische Bewegung von unten. So wie Uwe das Problem diskutiert, das finde ich nicht hoffnungsträchtig. Andere Kollegen aus der Gruppe sagen zumindest, wir müssen denen ab und zu drohen, wenn ihr diesen Mist weitermacht, dann treten hier 1000 Kollegen aus und ihr bekommt ein Jahr lang nicht den Monatsbeitrag von 25 Euro. Wir Linke müssen uns selber an den Kopf greifen und uns selbstkritisch sagen: Was wir als Alternative anbieten, ist auch sehr unausgegoren. Da würde ich erst die Frage stellen, wie können wir die Debatte über eine andere Welt, die soll ja möglich sein, ein Stück voranbringen. Wie soll die aussehen und wie gelangen wir dahin? Ich würde es am Inhalt und nicht an der Form festmachen. Wortmeldung: Der Gesamtbetriebsrat Klaus Franz führt jetzt wieder Gespräche mit der GM Geschäftsleitung. Werden die Vertrauensleute über die Gespräche informiert oder lässt er sie im Regen stehen? Wolfgang: In Rüsselsheim würde man jetzt folgendes antworten: Natürlich machen wir viermal im Jahr Vertrauensleutekonferenzen, gehen die Blocksbetriebsräte zu den Vertrauensleuten. Die werden sicherlich irgendwie informiert, aber ob es unter ihnen eine Streitkultur gibt, ob überhaupt Interesse besteht, sich zu streiten, ob ein Rüsselsheimer Betriebsrat überhaupt den Mut hat, sich gegenüber Vertrauensleuten zu äußern, ich habe aus folgenden Gründen mit »Nein« gestimmt. Ich glaube, dass diese Offenheit in vielen Betrieben fehlt. Die Betriebsräte haben einen Informationsvorsprung und haben oft den englischen Jargon drauf und äußern: »Wir haben die Performance (Leistungen) nicht erreicht, den Turnaround (Wende) nicht geschafft.« Da bist du als Vertrauensmann erst mal geplättet und als Arbeiter hast du Schwierigkeiten, dagegen zu argumentieren, weil das ja auch ein bestimmtes Wissen voraussetzt.. Oft werden V-Leute überrollt und sie lassen sich auch überrollen, wenn sie als einzelne aus den Abteilungen kommen und in der ungewohnten Situation ziemlich hilflos sind. Wir haben bei uns in Bochum erreicht, dass die Vertrauensleute der verschiedenen Schichten sich kennen und miteinander Kontakt halten und häufig miteinander telefonieren. Übers Internet laufen zwischen denen Debatten ab. Wir haben eine andere innere Struktur im Vertrauensleutekörper, das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung. Wortmeldung: ... Ich war am 16.10. bei Opel Bochum vor dem Werkstor. Da waren zwei Sachen, die ein Licht auf den BR werfen, wenn es stimmt, da waren Leute sauer auf den Betriebsrat, weil der Sonderschichten zugestimmt haben soll, zu denen Kollegen an den Streikenden vorbei in den Betrieb geschleust wurden, sonst hätte das Werk in Antwerpen schon früher gestanden. Da wurde mir auch erzählt, ... dass Kollegen in Rüsselsheim am Abend nach Hause geschickt wurden, weil befürchtet wurde, der Streik könnte übergreifen. Davon habe ich später in der Presse nichts gelesen. Ist da etwas dran? Wortmeldung: Was ist daran, dass vorher noch soviel in euer Werk investiert wurde? Lässt man so ein modernes Werk einfach kaputt gehen oder ist das einfach nur Propaganda von der Kapitalseite? Wolfgang: Was die letzte Frage angeht, müsste man genauer beschreiben, was der GM Konzern im Augenblick veranstaltet. Das sind Versuche der Kapitalseite, die ich jetzt nicht im Einzelnen darstellen werde. Nur eine Tatsache möchte ich hervorheben, die wird oft von diesem komischen Dudenhöfer, der als Autoprofessor auftritt, nicht richtig gesehen. Zwischen 1994 bis 1998 hat GM in Bochum fast drei Mrd. DM investiert, eine ungeheure Summe. Das hat sich nicht so amortisiert, wie sie das geplant hatten. Was die andere Frage betrifft, Uwe sagte gerade, es hat tatsächlich Teileproduktion gegeben. Es ist aber keine Produktion zu Ende gebracht worden. Wenn irgendwo Leute anfingen, z.B. bei der Wagenausgabe, da haben Kollegen gesagt, lass die 25 Leute ruhig arbeiten, wenn dabei die Tore geschlossen bleiben, die Autos kommen dann eh nicht ’raus. Es gab hier und da Versuche von der Geschäftsleitung, etwas zu unternehmen. Sie haben z.B. versucht, Auspuffe im Krankenwagen ’rauszuschmuggeln. Das haben sie nur einmal hinbekommen, dann war das Tor auch zu. Wichtig war die Betriebsbesetzung, die ansatzweise stattfand und dass die Ausfahrten gesperrt waren. Dabei war es dann nicht wichtig, ob irgendwo ein paar Leute anfingen, etwas zu produzieren. Uwe: Es ging bei der Frage nicht darum, dass Kollegen während des Streiks irgendwo angefangen sind zu arbeiten, sondern ob Sonderschichten gefahren wurden. Es sind in der Tat Sonderschichten gemacht worden und zwar in Werk 2, aber schon vor dem Streik. Ich habe Kollegen aus Werk 2 gesprochen, die mich angehauen haben und daher weiß ich, warum dort vor dem Streik Sonderschichten liefen. Dort werden nämlich Komponenten für andere Werke hergestellt, etwa für Rüsselsheim, Antwerpen und Eisenach. Es wurde auf Vorrat produziert und in die Lager der einzelnen Werke gebracht, weil die Manager schon wussten oder zumindest geahnt haben, dass auf Opel ein Streik zukommt, wenn bekannt wird, dass 4000 Leute entlassen werden sollen. Denen war vermutlich klar, dass dann die Bude steht. Auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen mit uns hatten die eine Woche Streik eingeplant. Solange konnten die anderen Werke dadurch weiter produzieren. Die Werke in Europa standen alle, aber wohl zu kurz. Wenn die Kollegen das noch eine Woche ausgehalten hätten, hätten sie General Motors ganz anders getroffen, viel härter. Dann hätten die pro Tag einen Ausfall von 30 Mio. Euro gehabt. Das wäre für Opel ein sehr großer Verlust gewesen. Wortmeldung: Der Streik hat für
sehr viel Enthusiasmus in verschiedenen Bereichen gesorgt. Damit GM mit
den Maßregelungen gegen die Kollegen nicht durchkommt, sollten möglichst
viele Solidaritäts Erklärungen geschickt werden. Wir sollten
das nicht allein der IG Metall überlassen. Wolfgang: Die internationale
Solidarität ist ein wichtiges Thema. Wir waren auch eine Woche in
Gliwice und haben Kontakt mit den polnischen Kollegen aufgenommen. Seit
1981 machen wir als Gruppe zusammen mit der Organisation TIE (Transnationals
Information Exchange) den Versuch, uns im GM Konzern zu vernetzen. Die
Erfahrungen, die wir dabei gemacht haben, sind leider nicht so effektiv.
Wir haben mit Kollegen in den USA und Kanada und überall in Europa
den Eindruck gewonnen, dass wir es überwiegend mit gewerkschaftlich
orientierten Menschen zu tun hatten, deren ganzes Denken auf Verteidigung
ausgerichtet ist. Dadurch haben wir unsere Vernetzung zu wenig politisch
anpacken können. 1.) Wir wollen für alle »decent work«, d.h. angenehme, erträgliche, passende Arbeit. Für viele Menschen auf der Welt ist das eine ganz wichtige Forderung. Aber mit der Art und Weise, mit der die Gewerkschaften das betreiben und wie es auch oft von links aufgegriffen wird, wird die eigentlich nötige Debatte nicht geöffnet, sondern geradezu abgeschottet. Wir müssen davon wegkommen, dass die Masse der Menschen auf der Erde irgendwelche Unternehmer ansprechen müssen: Darf ich bei dir arbeiten und Geld verdienen? Wir müssen die Frage der Lohnabhängigkeit generell stellen und nicht »decent work«, aber daran hat die Gewerkschaft kein Interesse. 2.) Die Gewerkschaften sagen: Wir brauchen »Codes. of conduct«, Verhaltensregeln für die multinationalen Konzerne. Zu Recht wird gesagt, wir wollen keine Kinderarbeit. Wir wollen, dass überall Gewerkschaften zugelassen werden. Das sind alles richtige Forderungen, die aber ideologisch verpackt werden in »Wir brauchen fairen Wettbewerb«. Somit werden richtige Forderungen in ein Zukunftskonzept eingebunden, das in die Irre führt. Die Forderung nach einem fairen Weltmarkt ist meines Erachtens illusionär. 3.) Vorneweg die IG Metall mit dem Schlagwort von der Mitbestimmung. Wir brauchen Weltbetriebsräte für die Großkonzerne, was ja an und für sich etwas Gutes ist, aber wieder ist dahinter nicht die Vorstellung von Demokratie für die Massen, damit die was zu sagen haben. Sie wollen eine im Kapitalismus funktionierende Regulierung und damit auch eine Verwaltung der Menschen beibehalten. Was da unter dem Schlagwort »gewerkschaftlicher Internationalismus« veranstaltet wird, das müssen wir nicht nur anprangern. Die Kritik der Linken an der Gewerkschaftsführung lautet oft: Die stellen ja keinen Kontakt der verschiedenen Werke eines Konzerns miteinander her, sie seien in dieser Frage hilflos und hätten keine Gegenmachtkonzepte. Das stimmt aber so nicht. Die Führung ist aktiv, allerdings nur in eine bestimmte Richtung. Und sie hat Konzepte, und die heißen: Deutschland muss Exportweltmeister bleiben! Die Wettbewerbsfähigkeit muss erhalten bleiben. Deshalb muss die Kritik auch anders ausgedrückt werden. Sie haben Ideen, die sie auch verbreiten und die uns mit ihrer Propaganda in der Scheiße festhalten. Wortmeldung: Wenn die Belegschaften Daimler und Opel in die Knie zwingen könnten, würden sie vielleicht auf die Idee kommen, dass sie Hartz IV nicht brauchen. Das wäre eine Bedrohung für die Gewerkschaftsführer und ihre Genossen in der Regierung. Was denkst du dazu? Wortmeldung: Noch etwas zur Solidarität, wenn ihr den Streik hättet weiterführen wollen, wäre Unterstützung aus der Bevölkerung erforderlich geworden. Es hat ja einmal die Situation gegeben, dass die Bergarbeiter mit Unterstützung der Bevölkerung zwei Tage Bonn lahmgelegt haben. Damals war auch eine politische Situation der Unzufriedenheit wie jetzt im Ruhrgebiet, eurem Umfeld. Könnt ihr uns schildern, wie ihr es empfunden habt? Wo die Probleme liegen? Wie die Unterstützung durch die Bevölkerung aussah, wo doch die gewerkschaftlichen Kampfbedingungen ständig schwieriger werden? Uwe: Die Solidarität in der Bevölkerung war sehr gut, außer natürlich von den Politikern der SPD wie Clement. Die hatten mit den Arbeitern noch nie was am Hut, im Gegenteil, die haben die Arbeiterklasse verraten. Nur mal ein Beispiel: Der Clement hat in NRW den Bildungsurlaub kaputt gemacht. Über die Solidarität habe ich gestaunt. 25.000 Leute waren da, sie kamen aus Schulen, Bergleute aus Kamen und Unna, das ging mir sehr nahe, das war ein Erlebnis. Wolfgang: Da waren Busfahrerinnen und Busfahrer, Besuch von Kindergärten. Was sich da in Bewegung gesetzt hat und sich an die Tore begeben hat, war ungeheuer. Was da überall an Debatten stattfand, sogar wenn man bei REWE einkaufen ging, die fühlten sich alle betroffen von dem, was bei uns vorging. Familien kamen nachts an die Tore und haben den Kollegen, die mit ihren Plakaten die Tore bewachten, heißen Kaffee gebracht. Ich glaube, dass das auch für die SPD bedrohlich war, um die Frage zu beantworten. Wortmeldung: Ihr seid doch aus der Gewerkschaft ausgeschlossen worden. Was ist daran so tragisch? Uwe: Gar nichts, ich fand das gut. Dadurch habe ich Geld gespart. Wolfgang: Die Kasseler Kollegen bedauern jetzt, dass sie ’rausgeflogen sind, weil sie nicht mehr an den Vertrauensleute Sitzungen teilnehmen können und dort ihre Meinung nicht mehr äußern können. Ich war 20 Jahre ausgeschlossen und habe als Bereichsbetriebsrat immer Vertrauensleutearbeit gemacht. Zu denen bin ich immer hingegangen, und nur ganz rechte SPD1er haben mich komisch angeschaut, jetzt kommt der wieder... Sie getrauten sich aber nie, zu sagen: Du bist doch nicht mehr in der Gewerkschaft, was willst du hier? Bei den Leuten ist der Betriebsrat näher vor Ort und repräsentiert die Gewerkschaft. Ich habe mich während der Ausschlusszeit immer als Gewerkschafter gefühlt. Ich durfte zwar auf der offiziellen Vertrauensleuteversammlung meine Schnauze nicht aufreißen, aber ich habe diskutiert ohne Ende, besonders mit den Vertrauensleuten und jedes mal, wenn ihre Wahlen stattfanden, ging es dabei auch um unsere Linie. Wir haben dafür gearbeitet, dass unsere Kandidaten bei den Wahlen durchkamen. Insofern waren das auch politische Wahlen. Also, man muss nicht soviel Angst davor haben, ausgeschlossen zu sein, wie die Kasseler das sehen. Wortmeldung: Als vor 20 Jahren Metaller ’rausgeflogen sind und ein irrsinniger Kampf stattfand, dass man in so eine komische Sekte wieder ’rein muss, das fand ich merkwürdig(?). Wolfgang: Als Sekte sehe ich uns nach wie vor nicht, wenn 80 Prozent der Kollegen organisiert sind, das sind ja nicht alles Blödmänner. Die machen sich schon Gedanken, warum sie sich gewerkschaftlich organisieren, warum sie immer noch drin sind und zögern auszutreten. Wortmeldung: War das bei Opel auch so, dass die Leute nur eingestellt wurden, wenn sie gewerkschaftlich organisiert waren? Wolfgang: Das musst du nicht, aber bei der Einstellung gehst du durchs Betriebsratsbüro und wirst gefragt: Bei uns sind alle in der Gewerkschaft organisiert, möchtest du dich aus der Solidargemeinschaft fernhalten? Uwe: Ich habe damals bei meiner Einstellung gesagt: Ich muss mir den Verein erst mal ansehen und bin erst sechs Jahre später eingetreten. Wortmeldung: Was ich gern noch mal wissen wollte, das schließt daran an, was ihr vorhin erzählt habt und was auch im Film kam, nämlich die Spaltung in der Belegschaft: Einerseits Auslagerungen und was jetzt die IG Metall unterschrieben hat, dass die Unternehmen Neueinstellungen zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Bedingungen vornehmen dürfen. In dem Zusammenhang hätte ich zwei Fragen, erstens gibt es solche Strukturen bei Opel Bochum auch? Und damit verbunden: Wie haben sich diese Kollegen beim Streik verhalten? Haben die auch nicht weiter gearbeitet? Wie wurde mit ihnen umgegangen? Zweite Frage ist: Wie ist die Situation der Stadt? Wie haben sich die Bochumer auf den Streik bezogen? Kaffee kochen ist zwar eine tolle Sache, aber was ich gern wissen würde ist, wie haben die den Streik gesehen? Nur als eure innerbetriebliche Auseinandersetzung oder als Kampf, der auch ihre eigenen Lebensbedingungen betrifft? Ich stelle mir vor, dass es in einer Stadt wie Bochum einen großen Bereich gibt, der überhaupt nicht von gewerkschaftlichen Verträgen berührt wird, der immer weiter ’runter gefahren wird. Wie beziehen sich Beschäftigte in solchen Sektoren auf den Kampf bei Opel Bochum? Gab es da irgendwelche Ausdrucksformen wie etwa: Euer Kampf ist unsere Sache auch, weil... oder hat sich das auf so eine klassische Form wie »Opel darf nicht verschwinden!« beschränkt? Uwe: Es war der Kampf der Belegschaft. Dabei ging es um 4000 Arbeitsplätze. Die Forderung war, dass die Pläne von GM, 4000 Kollegen zu entlassen, vom Tisch müssen und dass der Standort Bochum erhalten bleibt. Das waren die beiden wichtigen Forderungen, dafür haben die Kollegen gekämpft. Wolfgang: Ich weiß nichts von irgendwelchen Sektoren, Firmen, Läden, Geschäften, aus denen Leute mit eigenen Forderungen aufgetreten wären. Die Menschen sind alle verstreut, sie haben das diskutiert, besonders in der Bochumer Presse. In der Region wären alle von Massenentlassungen betroffen. Da hängt der Friseur dran und... und... und. Ich habe keine Formen erkannt, wo man sagen könnte, da haben sich neue Auseinandersetzungen mit eigenen Forderungen entwickelt. Wir waren froh, als wir hörten, dass Studenten in München Solidaritätskundgebungen vor Opelhändlern in der Innenstadt veranstaltet haben. Da sind spontan ein paar Sachen entstanden, wo man Opel angegriffen hat und als Kunde zum Ausdruck gebracht hat, das akzeptieren wir nicht. Zu der anderen Frage: Wir hatten im Jahr 2000 eine typische Regelung vor der Nase: 1300 Kollegen kommen in die GmbH, sind fünf Jahre abgesichert und die Neueingestellten bekommen nur den Tariflohn (20 Prozent niedriger). Die Bochumer Belegschaft lehnte dieses Konzept ab, auch die zweigleisige Lohnpolitik. Deswegen verbreitet Klaus Franz jetzt überall in der Presse: Wer neu eingestellt wird, kann froh sein, wenn er Tariflohn bekommt; denn der GM Vorstand drohte mit Beschäftigungsgesellschaften, in denen die Leute zwei Jahre abgesichert sind, aber danach müssen sie für zehn Prozent unter Tarif arbeiten. Jetzt verdienen wir 20 Prozent über Tarif, d.h. man wird den Kollegen in den Beschäftigungsgesellschaften 30 Prozent Lohnkürzung zumuten. Das hat mit dazu geführt, dass sich die Leute gegen die Zerschlagung gewehrt haben. Noch etwas zu dieser Frage: In die Firma kommen jeden Tag eine Menge Leute aus Fremdfirmen, z.B. um Leergut von den Bändern zu holen oder aus den einzelnen Abteilungen leere Behälter zu entsorgen, die hatten dadurch keine Arbeit mehr, saßen auf ihren Staplern und mussten mit ihrem Chef die Weiterbezahlung regeln. Mir ist nicht bekannt, dass sich aus diesen Bereichen Aktivitäten entwickelt haben. Wortmeldung: Das wäre genau meine Frage gewesen; denn du hast ja bei anderer Gelegenheit erzählt, wie viel Fremdfirmen für Opel arbeiten. Meine zweite Frage zielt nach der Bedeutung von Hartz IV für den Streik. Du hattest die Parole erwähnt: »Kämpfen oder Hartz IV«. Spielen die Debatten, die über das Hartz-Programm stattfinden, bei Opel eine Rolle? Es ist ja kein Zufall, dass die so genannte Arbeitsmarktreform auf der einen Seite und die Angriffe auf die industriellen Facharbeitsbereiche auf der anderen Seite gleichzeitig laufen. Nichtsdestotrotz habe ich das Gefühl, dass es einerseits die Proteste gegen Hartz gegeben hat und andererseits auf den Betrieb beschränkte Abwehrkämpfe wie bei Daimler und bei euch. Mich würde interessieren, ob in den Debatten, die da geführt werden, Mindestlohn ein Thema ist oder dass es nicht angehen kann, dass man für 350 Euro im Monat knechten muss, dass die so genannte Grundsicherung an den Arbeitszwang gekoppelt ist. Bei euch wird ja die Verzichtsideologie auf die Spitze getrieben. Gab es da Verbindungen, nicht unmittelbar im Streik, sondern in den Diskussionen? Das sagt sich ja so leicht: »Kämpfen oder Hartz IV«, aber wissen die Leute wirklich, was Hartz IV bedeutet? Wolfgang: Ich glaube, dass das bei den Leuten drin ist unter der Bedrohung, den Arbeitsplatz zu verlieren. Zwar nimmt an den Montagsdemos in Bochum nur ein kleiner Teil der Opel Aktiven teil, aber jene, die dort waren, gehörten auch im Streik zu denen, die an vorderster Front mitgemischt haben, und die reden in ihren Abteilungen über diese Zusammenhänge. Ich glaube, ihnen geht es so wie vielen anderen, die auch ratlos fragen: Was kommt da alles auf uns zu? Wo soll das alles noch hinführen? Und sind dann froh, wenn irgendwo Leute sagen: »Schluss jetzt!« Das ist bei uns noch keine die Politik verunsichernde Massenbewegung, aber ich glaube, ansatzweise sind die Politiker ein bisschen verunsichert, wenn sie sagen, Opel muss man zur Kanzlersache machen. Da hat auch die politische Führung gespürt, das wäre fürchterlich, wenn sich so etwas ausbreitet und sie das nicht mehr im Griff behalten. Dann können sie ihre Rolle im Sinne des Kapitals noch weniger spielen. Von den Analysen, wie dieser Streik einzuordnen ist, ist ein Element ein ganz wichtiges, dass man den Regelungsstrukturen, die seit Jahrzehnten gängig sind, den Gehorsam verweigert, dass die Leute begreifen, es hat keinen Zweck, Kreuzchen zu machen, sie gehen nicht mehr zur Wahl. Dass Betriebsräte und Gewerkschaften in ihrem Sinn noch etwas geregelt kriegen, funktioniert auch nicht mehr. Da kommt jetzt allmählich bei vielen das Gefühl hoch: Wir müssen selber in Erscheinung treten und etwas tun. Aber zur Zeit hat das noch keine wirkliche Brisanz. Vielleicht kommt das noch in Gang. Ich finde, dass von der Linken viel gefährliches Zeug verbreitet wird. Man soll sich das jetzt ansehen. In »Labournet« ist die ganze Opel Auseinandersetzung gut dokumentiert. Da könnt ihr abfragen, welche Forderungen entwickelt wurden und auch von den Linken hineingetragen, mit welcher Analyse. Da gibt es große Unterschiede in den linken Blättern, die auf einmal auftauchten. Zum Beispiel die MLPD Leute, die wir da kennen, haben sich den Arsch aufgerissen und uns aber nicht gesagt, was dann in ihren Flugblättern stand, nämlich die Forderung: »Wir streiken solange, bis die 30 Stunden Woche mit vollem Lohnausgleich als Konzernbetriebsvereinbarung durchgesetzt ist!« So etwas ist unmöglich. Da haben Kommunisten ihren Ruf einmal wieder ein Stück lächerlich gemacht, indem sie versucht haben, so eine Forderung dort unterzubringen. Aufklärung darüber, dass massive Arbeitszeitverkürzung nötig wäre, das kann und muss man machen, aber in der Situation einer Belegschaft zu sagen, sie soll solange streiken, bis diese Forderung erfüllt ist, das ist völlig daneben. Daran mache ich meine Kritik fest. Ihr solltet euch ansehen, was von der Linken an unterschiedlichen Gewerkschaftseinschätzungen verbreitet wurde. Eine Gruppe tauchte da plötzlich auf, von der wir noch nie gehört haben, die sich SAV nannte und uns erklärte, wenn wir jetzt weiter streiken, können wir auch Huber und Peters dazu bringen, den Generalstreik auszurufen. Wir fanden die Vorstellung ziemlich komisch. Wenn ihr euch anschaut, was da für Utopien ausgedacht wurden in diesem Konflikt. Einer wie Ulrich Beck(?), den ich nicht zu den Linken zählen würde, schreibt: Das ist alles unvernünftig, was hier diskutiert wird. Man braucht einen kosmopolitischen Blick, ist ja schön, dass er ihn hat und dann schreibt er weiter: Das einzige, was uns jetzt hilft, ist eine soziale Bewegung. Aber dann nimmt er das im nächsten Satz wieder zurück und meint die Bewegung des politischen Konsumenten. Seine Vorstellung ist, man zwingt die Multis in die Knie, wenn man sich als Konsument bewusster verhält. Das ist aber schwierig, hinter dem steckt vielleicht ein Multi. Aber er reißt zumindest das gesamtgesellschaftliche Problem auf. Hinzu kommt die Sicht, dass eine soziale Bewegung notwendig ist. Anlass, etwas tiefer zu sehen, muss sich die Linke selbstkritisch fragen, was lässt sich aus den Streikerfahrungen lernen? Deswegen reisen wir herum und führen die Debatte darüber. Wortmeldung: Mit Osteuropa war ich nicht zufrieden. Du hast zwar zu TIE (Transnationals Information Exchange) ganz richtig festgestellt, dass sich da Gewerkschafter treffen und dass ihr euch in Polen mit Arbeitern getroffen habt. Welche Kontakte habt ihr inzwischen? Und zu dem, was du zuletzt gesagt hast, über Utopien: Gibt es im Zusammenhang mit den Kämpfen in Bochum einen höheren Krankenstand oder eine Diskussion darüber, ob der »Exportweltmeister« mit Produktivitätssenkung zu bremsen ist? Und mich würde auch die Diskussion mit Polen interessieren? Wolfgang: Das neue Werk in Gliwice hat knapp 2000 Beschäftigte. Darum hatten sich 33.000 Arbeitslose beworben. Man begreift zunächst nicht, welch ein Angebot dieses Werk für die Leute in jener Region darstellt. Bei einem Multi Arbeit finden und zu Bedingungen, von denen sie sonst nur träumen, von einem Job mit über normalem Lohn und Vergünstigungen, wie man sie in einem Großbetrieb hat und die man in einem Kleinbetrieb nie bekommt. Auch die Leute, die zu TIE Konferenzen eingeladen wurden, das hat man inzwischen eingestellt, waren Kollegen, die auf dem Dampfer »Wettbewerbsfähigkeit« mitgefahren sind. Solche Leute sind auch im Euro Betriebsrat bei Opel vertreten und der Euro BR setzt sich im Wesentlichen aus Menschen zusammen, die sich untereinander belauern. Das ist auch Ausdruck der Hilflosigkeit in unseren Reihen, dass die Wettbewerbsideologie und damit der Konkurrenzkampf unter den einzelnen Werken an der ersten Stelle steht. Über den augenblicklichen Krankheitsstand weiß
ich nichts. Wenn du krank bist, erwartet dich eine Bedrohung, dann wirst
du vorgeladen. Wie ich gehört habe, ist aber der Produktionsalltag
durch den Streik lässiger geworden und auch gesünder. Wenn jetzt
ein Vorgesetzter sagt: Beeil dich mal, wir müssen die Achsen ’rauskriegen,
dann wird ihm erwidert: Langsam, langsam. Da ist jetzt ein anderes »Feeling«
bei denen, die gekämpft haben. Seitdem man gemeinsam gestreikt hat,
kennt man sich besser, kennt auch seine Pappenheimer genauer, das geht
bis in die Reihe der Meister und untere Betriebsleiter; denn die denken
im Stillen auch, wenn GM seine Pläne durchsetzen kann, dann geht’s
uns auch nicht gut. Aus der »Corporate Identity« (sich mit
dem Betrieb gleichsetzen und verbunden fühlen) ist erst mal die Luft
’raus. Dadurch ist das Arbeitsklima gesünder, wenn sich die
Kollegen nicht mehr so antreiben lassen, aber dass es einen Niederschlag
in der Krankenrate gefunden hat, habe ich bisher noch nicht bemerken können. Wortmeldung: Als ich da war, wurden drei Forderungen gestellt: Kein Stellenabbau, Standorterhaltung, und keine Zugeständnisse bei anderen Sachen, z.B. Lohn. Was mir in der Presse aufgefallen ist und was bei Daimler und VW von den Betriebsräten als Verhandlungserfolg gefeiert wird, ist die Verhinderung von betriebsbedingten Kündigungen. Ich sehe da einen Unterschied zwischen absolut keinem Stellenabbau und keinen betriebsbedingten Kündigungen, wozu auch die Auffanggesellschaften zählen. In meinen Augen ist es eine Taktik der Gewerkschaften, dem Konzern entgegen zu kommen. Noch eine Frage: Gab es bei euch eine Streikleitung? Wolfgang: Die letzte kann ich kurz beantworten. Da kam eine Gruppe aus dem kommunistischen Spektrum, die auftraten: Jetzt müsst ihr eine Streikleitung bilden und eine Streikversammlung einberufen. Die taten so, als ständen sie mitten im Geschehen, dabei waren sie zum erstenmal am Tor. Die behandelten die Kollegen wirklich von oben herab, wenn sie den Kollegen erklären, was sie zu tun haben. Es hat sich keine Streikleitung gebildet, aber es gab regelmäßig Versammlungen in Werk 1 genau so wie in Werk 2, das fünf Kilometer entfernt liegt. Es wurde ständig über Handy Kontakt zum anderen Werk gehalten, aber eine Streikleitung wurde nicht gewählt. Es lag in Werk II eine Liste aus mit Vorschlägen über Aktionen. Darüber wurde diskutiert und ein Meinungsbild hergestellt. Es brauchte meist gar nicht abgestimmt zu werden. Die Leute haben gut unter sich organisiert, wer welche Aufgaben übernimmt. Dafür brauchten sie keine Extra Leitung. Eine der gefährlichsten Forderungen, die jetzt durch die Presse geistern, voran getrieben von der IG Metall, heißt: Keine betriebsbedingten Kündigungen. Dazu muss man Folgendes wissen. In allen Standortsicherungsvereinbarungen speziell in der Autoindustrie war diese Forderung, keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, immer ein Bombenerfolg. Wie wir in unserem Blatt, das ausliegt, beschrieben haben, ist in der Vereinbarung mit Daimler Chrysler ein Abkommen getroffen worden: Bis 2012 keine betriebsbedingten Kündigungen, aber immer mit der Hintertür versehen: Bei unerwarteter wirtschaftlicher Entwicklung muss neu verhandelt werden, ... haben wir das Ziel ... haben wir die Absicht ... usw. Da sagt dir jeder Jurist: Den Vertrag kannst du in der Pfeife rauchen, und dieser »Erfolg« ist immer damit verbunden mit einem »sozialverträglichen« Abbau. Das Wort »sozialverträglich« könnte zum Lügenwort des Jahres werden. Was man zum Beispiel mit Uwe und mir gemacht hat, ist individuell verträglich, als wir aus dem Betrieb gehen konnten, noch nicht 60 Jahre alt. Aber sozialverträglich mit Blick auf die Gesellschaft ist das nicht, denn für uns müssten neue Leute eingestellt werden, und die Arbeitszeit müsste verkürzt werden, dann wäre es sozialverträglich. Die Gewerkschaften machen beim individuell verträglichen Arbeitsplatzabbau mit. Es warten wieder an die 1000 Leute bei Opel in Bochum darauf, dass sie mit 54 Jahren aufhören können zu arbeiten bei 85 Prozent des Lohns. Die hoffen darauf, dass sie aus der Fabrik ’rauskönnen und so abgesichert sind, dass sie einigermaßen gut leben können. Bei der noch geltenden Gesetzgebung hat ein Unternehmer kein Interesse an betriebsbedingten Massenentlassungen. Nach den Kündigungsschutzbestimmungen muss er nämlich eine Auswahl treffen. Danach muss er ältere und langjährig beschäftigte Mitarbeiter schützen und genau die entlassen, die er eigentlich behalten will, nämlich die 25 bis 30 Jährigen, die er noch an den Fließbändern einsetzen kann. Das will der Unternehmer natürlich nicht. Er muss auch bereit sein, über Sozialpläne zu verhandeln. Es ist fürchterlich, wie die Öffentlichkeit verarscht wird mit diesem Erfolgsergebnis »keine betriebsbedingten Kündigungen«. »Sozialverträglich« bedeutet im Klartext: Der Arbeitsplatzabbau soll friedlich ohne soziale Unruhen ablaufen. Das Teuflische daran ist, dass man natürlich für die Forderung „Keine betriebsbedingten Kündigungen“ eintreten muss. Man muss nur sehen, was zur Zeit mit dieser Forderung angestellt wird. Wortmeldung: Der Arbeitsplatzabbau setzt sich gravierend fort, und ihr hattet auch ein bisschen Glück, dass ihr die wirtschaftliche Lage für euch positiv nutzen konntet. Da ist für mich die Frage: Wieweit steht bei euch noch die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung? Die übertariflichen Leistungen gönne ich euch von Herzen, aber andere Kollegen kämpfen um Tarife von 7,50 Euro, die verdienen schon keinen Tarif mehr. Wolfgang: Ich stoße mich schon an der Formulierung »gönne ich euch von Herzen«. Wir müssen unseren Lohn halten. Das ist für jeden und jede wichtig, dass wir nicht verzichten, trotz der Ideologie, die sie versuchen, uns einzupauken. Ich krieg bei Opel 16 Euro am Fließband, und der Kollege, der die Teile abholt, bekommt nur neun Euro pro Stunde. Da hat man ja fast ein schlechtes Gewissen zu erzählen, dass man 16 Euro bekommt. Im Interesse aller Beschäftigten dürfen wir die Verzichtsarie nicht mitsingen. Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist eigentlich »out«. Es gibt nur noch ganz wenige, die das Thema in der Debatte überhaupt noch ansprechen. Wir haben Flexibilisierung bis zum Geht nicht mehr am Hals, die der Arbeitszeitverkürzung folgte. Ich bin heilfroh, dass in den Montagsdemos die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich wieder auftaucht. Wir haben es als Gruppe nicht geschafft in dieser Auseinandersetzung, die Arbeitszeitverkürzung als Problemlösung einzubringen. Aber wir müssen die Forderung weiter wach halten. Aber, wenn du das zur Zeit unter die Leute bringst, erntest du höchstens ein müdes Lächeln. Wortmeldung: Ihr habt ja schon von der Überalterung bei der GOG gesprochen. Sieht es bei anderer gewerkschaftlicher oder betrieblicher Arbeit ähnlich aus? Gelingt es anderen im Betrieb, Jüngere zu motivieren? Wolfgang: Im Rahmen der Autokoordination
höre ich von allen, dass sie Probleme haben, jüngere Kollegen
für regelmäßige Treffen zu organisieren nach Feierabend.
Wenn ich mir dagegen ansehe, wie viel jüngere, aktive Vertrauensleute
wir haben, bin ich nicht so pessimistisch... Uwe: Diese Erfahrungen, die wir
jetzt gemacht haben, die werden natürlich weiter getragen. Die werden
auch diskutiert in der Autokoordination. Was war richtig? Was ist falsch
gelaufen? Wortmeldung: Die Tarifverhandlung von VW ist praktisch letzte Woche zu Ende gewesen mit dem beschissenen Abschluss. Das Gefährliche war, dass die Tarifverhandlungen bei VW anfingen, als der Streik bei Opel zu Ende war. Wenn dieser Streik länger gedauert hätte, wäre er in die VW-Tarifverhandlungen hineingekommen, dadurch hätte es bei beiden Auseinandersetzungen eine andere Dynamik geben können. ENDE |