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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Alle Bänder standen still 'Wilder Streik' bei Opel Bochum erfolgreich von Gewerkschaftsspitze abgewickelt In seltener Einmütigkeit wurde mit großer Erleichterung am letzten Mittwoch die Entscheidung der Bochumer Opelbelegschaft zur Wiederaufnahme der Arbeit begrüßt. Das Opel-Management bedankte sich beim Betriebsrat und bei der Bochumer Belegschaft für die „ konstruktive Entscheidung . IG-Metall-Chef Jürgen Peters sprach von einem „ richtigen Signal für die weiteren Verhandlungen und Bundeskanzler Gerhard Schröder lobte die „ kluge Entscheidung der Beschäftigten. Auch die meisten Zeitungskommentare feierten das Ende des ‚wilden Streiks' bei Opel Bochum als vernünftigen, verantwortungsvollen und mutigen Schritt. Das einhellige Aufatmen zeigt, dass etwas Außergewöhnliches passiert sein muss. In der Tat, zum ersten Mal seit den ‚wilden' Ford-Streiks in den 70er Jahren, hat die komplette Belegschaft eines Großbetriebs in einer spontanen Reaktion auf einen angekündigten Stellenabbau und die drohende Werksschließung ihren Betrieb lahmgelegt. Dabei wurden die restriktiven Bestimmungen des deutschen Streikrechts ebenso souverän missachtet wie alle gewerkschaftlichen und tarifvertraglichen Spielregeln für Arbeitskampfmaßnahmen. Ein Hauch von ‚wildem Klassenkampf' machte sich vor den Werkstoren des Bochumer Opelwerkes breit. Kein Wunder also, dass die Gewerkschaft die Lage so schnell wie möglich unter Kontrolle bringen musste. In der Fragestellung die Betriebsrat und IG Metall am Mittwoch der Belegschaft zur Abstimmung vorlegten, wurde die Fortsetzung der Verhandlungen an eine Einstellung der Kampfmaßnahmen geknüpft: „Soll der Betriebsrat die Verhandlungen mit der Geschäftsführung weiterführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden? . In der Bochumer Belegschaft fühlen sich viele durch solche Suggestivfragen verarscht und sprechen offen von „Wahlbetrug. Die populäre Option, Fortsetzung der Verhandlungen bei Weiterführung des Ausstandes, stand überhaupt nicht zur Debatte. Reden durften auf der Versammlung lediglich der Betriebsratsvorsitzende Dietmar Hahn und der Bochumer IG-Metall-Bevollmächtigte Ludger Hinse. Beide hatten bereits auf der Großdemonstration am Dienstag deutlich für die Rückkehr zur Arbeit geworben. Kritische Stimmen wurden in der Ruhr Congress Halle nicht zugelassen. Eine Aussprache war nicht vorgesehen. Zahlreiche aktive Vertrauensleute, die den einwöchigen Arbeitskampf im Wesentlichen getragen haben, fühlen sich von ihrem eigenen Betriebsrat über den Tisch gezogen. Der Arbeitskampf wurde genau zu einem Zeitpunkt beendet, als es anfing, wirklich spannend zu werden. Aufgrund der fehlenden Teilelieferung aus dem Bochumer Opelwerk musste bis Mittwoch bereits an drei Standorten in Europa die Produktion ganz oder teilweise eingestellt werden. Neben dem Opel Stammwerk in Rüsselsheim waren davon auch die Anlagen im belgischen Antwerpen und im britischen Ellesmere Port betroffen. Opel bezifferte den gesamten Produktionsausfall auf 6500 Autos. Jeder weitere Streiktag hätte mit einem Schaden in zweistelliger Millionenhöhe zu Buche geschlagen. Der Streik bei Opel Bochum zeigt noch einmal die extreme Verwundbarkeit der Just-in-Time-Fertigungsketten. General Motors stand also unter großem Druck und musste alles dafür tun, den Konflikt herunterzufahren. Auf Betriebsratsleitung und Gewerkschaftsspitze konnte sich das Unternehmen dabei verlassen. Bereits am Wochenende hatte der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber die Beschäftigten dazu aufgefordert, wieder an die Arbeit zurückzukehren. Eine Fortsetzung der Kampfmaßnahmen sei „nicht zielführend für die weiteren Verhandlungen. Auch IG-Metall-Chef Jürgen Peters ließ sich nicht in Bochum blicken und vermied jede allzu deutliche Solidarisierung mit dem ‚wilden Arbeitskampf'. Auch jede materielle Unterstützung für den irregulären Streik wurde von der Gewerkschaft verweigert. Der Bochumer Betriebsratsvorsitzende Dietmar Hahn tat alles dafür, um das dürftige Ergebnis der ersten Gespräche mit der Unternehmensleitung schönzureden. „ Die Blockadehaltung des Vorstandes konnte aufgebrochen werden . Die vage Absichtserklärung des Vorstandsvorsitzenden Hans Demant, „die Standorte Rüsselsheim und Bochum soweit wettbewerbsfähig zu machen, dass sie über 2010 hinaus als Automobilwerke erhalten werden können, wertete der Bochumer IG-Metall-Vorsitzende Ludger Hinse bereits als „Bestands- und Zukunftsgarantie für den Standort Bochum. „Wir gehen erhobenen Hauptes in den Betrieb zurück, verkündete er auf der Bochumer Demonstration zum europaweiten Aktionstag gegen General Motors. Ob in Bochum aber tatsächlich auch über das Jahr 2009 hinaus, wenn die aktuellen Produktionslinien des Astra und Zafira auslaufen, weiter Autos gefertigt werden, dürfte augenblicklich noch in den Sternen stehen. Auch die angedrohten 4000 Entlassungen sind keineswegs vom Tisch. In ihrem Appell zur Beendigung des Streiks bekundet die Opel-Spitze lediglich die Absicht „nach Lösungen zu suchen, um die Personalanpassungen im Rahmen der geplanten Restrukturierung sozialverträglich zu gestalten . Damit sind betriebsbedingte Kündigungen keineswegs ausgeschlossen. Nach dem Modell der unsäglichen Betriebsvereinbarung bei Daimler-Chraisler, soll auch der Opel-Betriebsrat in Zukunft beim sozialverträglichen Abbau von Arbeitsplätzen in die Pflicht genommen werden. Auf ähnliche Weise wurden bei Opel Bochum in den vergangenen 12 Jahren bereits knapp 10000 Arbeitsplätze geräuschlos abgebaut. „Sozialverträglich ist das Lügenwort des Jahres, empört sich denn auch Wolfgang Schaumberg, ehemaliger Opel-Betriebsrat und Mitbegründer der gewerkschaftskritischen Gruppe ‚Gegenwehr ohne Grenzen'. In einem Gespräch mit der jungle world bekundete Betriebsratsvorsitzender Hahn bereits seine Bereitschaft über Maßnahmen des Kosten- und Personalabbaus wie Kurzarbeit, Out-Sorcing und einen neuen Beschäftigungssicherungsvertrag mit der Geschäftsführung zu verhandeln. In den angekündigten Auffang- und Beschäftigungsgesellschaften sollen die ehemaligen Opelaner dann 10 Prozent unter Tarif arbeiten. Im Vergleich zu den übertariflichen Gehältern bei Opel, würde das für die Betroffenen einen Lohnverzicht von 30 Prozent bedeuten. „Jede Bude wird hier einzeln gegen die Wand gefahren , ärgert sich Wolfgang Schaumberg über die Verhandlungsstrategie der Gewerkschaften. Trotz des hohen gewerkschaftlichen Organisierungsgrades im Automobilsektor von 80 Prozent und der koordinierten Unternehmensoffensive bei Daimler, Ford, VW und Opel wird kein gemeinsamer Kampf gegen die angekündigten Zumutungen organisiert. Selbst die einzelnen Opelstandorte werden gegeneinander ausgespielt. Während Bochum kämpft, wird in Rüsselsheim unter Regie der IG Metall der Betriebsfrieden gewahrt. Obwohl es schon längst nichts mehr zu verteilen gibt, verharren die Gewerkschaften in den eingefahrenen korporatistischen Strukturen und halten bis zum bitteren Ende an ihrer Rolle als sozialpartnerschaftlicher Co-Manager fest. Während die transnationalen Konzerne ihre Entscheidungen längst auf globaler Ebene treffen, sind die Gewerkschaften noch nicht einmal im europäischen Maßstab handlungs- und strategiefähig. Ihre politische Praxis und mentale Verfassung reicht nicht über den nationalen Tellerrand hinaus. Anstatt eine wirkungsvolle internationale Solidarität zu organisieren, mobilisiert die IG-Metall lieber kulturalistische Ressentiments. Ludger Hinse sieht in den Plänen von General Motors „nicht nur einen Angriff auf die Arbeitsplätze, sondern einen Angriff auf die kulturellen Werte in Europa. Der IG-Metall-NRW-Chef Detlef Wetzel will „ Beteiligung und Mitbestimmung gegen den amerikanischen Kapitalismus verteidigen und Klaus Hemmerling, europäischer Betriebsrat bei GM, proklamiert: „In Europa herrscht nicht der Wilde Westen wie in Amerika. Bochum ist nicht die Bronx von New York. Von den über 20000 Arbeitsplätzen, die Daimler bei Chraisler in den USA abgebaut hat, ist selbstverständlich keine Rede. Auch der nach Bekanntgabe der Kahlschlagspläne vom Internationalen Metallarbeiterbund eilig beschlossene europaweite Aktionstag war nicht mehr als eine symbolische Geste und ein Ventil zum Dampfablassen der Empörung. In Bochum ging es hauptsächlich um eine geordnete Beendigung der wilden Kampfmaßnahmen. Der Essener Weihbischof Franz Grave riet in seiner von Pfiffen unterbrochenen Predigt zur Besonnenheit und Mäßigung, forderte Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft von allen Seiten und empfahl der Belegschaft an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. In keinem einzigen Redebeitrag durfte zur Fortsetzung des Arbeitskampfes aufgerufen werden. Für die anderen europäischen Standorte bot der Aktionstag die Möglichkeit zur symbolischen Solidarisierung, ohne General Motors wirklich weh zu tun. So hat z.B. die Firmenleitung im schwedischen Saab-Werk in Trollhättan die Aktionen gebilligt um einem Streik zuvorzukommen. Für Opel Bochum werden die jetzt laufenden Verhandlungen nicht mehr als einen Tod auf Raten bringen. Ob sich die Belegschaft angesichts der vorprogrammierten Schließung des Werkes noch einmal zu konfrontativen Aktionen aufraffen kann, bleibt abzuwarten. Langfassung eines Artikels von Thomas Binger, der auch am Mittwoch, 27.10.04 in der jungle World erscheinen wird |