Anfang Oktober eskalierte die Stimmung in den Werkshallen von Ford in Dagenham, wo jeden Tag ca. 1.200 Fiestas vom Band laufen. Entgegen aller, erst kürzlich wieder im Werk verkündeten Ideologie von "New Labour", der Klassenkrieg sei vorbei, kam es im Werk mehrmals täglich zu Arbeitsniederlegungen. Ganze Belegschaftsteile zogen vor das Werkstor, um gegen rassistische Umgangsformen und das Mobbing gegenüber dunkelhäutigen ImmigrantInnen zu protestieren. Mittlerweile haben die Beschäftigten eine Urabstimmung für einen Streik gefordert.
Rassistische Attacken gegen asiatische und afro-karibische Beschäftigte waren nie gänzlich verschwunden. Auch die Arbeit der "Commissions for Racial Equality" (CRE) haben nur punktuell zur Entschärfung des Problems beigetragen. In letzter Zeit kam es aber zu einem deutlichen Anstieg rassistischenVerhaltens – vor allem von Seiten der vorwiegend weißen Vorarbeiter, die die farbigen Beschäftigten zu einem schnelleren Arbeitstempo hetzen und dabei nicht selten auf rassistische Argumentations- und Verhaltensmuster zurückgreifen. Häufig bleibt es aber nicht bei verbaler Anmache. Anfang Oktober wurde der asiatisch-stämmige Gewerkschaftsobmann Jaswir Teja von einem Vorarbeiter geschlagen, während sich Teja mit einem ebenfalls asiatisch-stämmigen Beschäftigten über einen rassistisch motivierten Vorfall unterhielt. Der Vorarbeiter behauptete, er habe Teja lediglich zur Arbeit gedrängt. Bereits Ende September war es zu einem heftigen Zwischenfall gekommen, als der aus Indien stammende Sukhjiit Parma seiner Lohntüte beraubt wurde. Parma wurde außerdem gezwungen, seine Schutzkleidung abzulegen, während er Öl auf Autoteile sprühte. Anschließend wurde er in eine enge Kabine eingesperrt. Zwei Wochen lang wurde ein Graffiti, das besagte, dass Parma genauso "enden würde wie der ermordete Nigger Lawrence", nicht entfernt.
Solche Barbarei, erläuterte Bill Morris, Generalsekretär der "Transport and General Workers’ Union" (TGWU), ist in Dagenham an der Tagesordnung; sie ist aber nur "die Spitze des Eisberges". Während das Management das Thema Rassismus herunterspielt, bestätigt ein Blick auf die letzten Jahre des betrieblichen Geschehens in Dagenham die Meinung von Morris. Vor drei Jahren musste Ford Schadensersatzzahlungen an vier schwarze Beschäftigte leisten, nachdem ihre Gesichter auf Werbefotographien nachträglich weiß gefärbt worden waren. Ein Jahr später musste Ford 70.000 Pfund an sieben weitere farbige Beschäftigte zahlen, denen besser bezahlte Jobs als Lastwagenfahrer mit fadenscheinigen Begründungen verweigert worden waren. Die CRE erklärt, dass sie in den letzten Jahren viel Arbeit im Werk Dagenham hatte. Alle im Werk vertretenen Gewerkschaften fordern das Management auf, die CRE mit einer gründlichen Untersuchung über rassistische Vorkommnisse zu beauftragen.
Der betriebliche Rassismus hat sich auch in die "betriebliche Sozialstruktur" eingeschrieben. 98 Prozent der Führungskräfte und Supervisoren sind Weiße. Schon in den 50er und 60er Jahren gab es in Dagenham Rassismus, damals war dieser noch gegen die Iren gerichtet, die in größerer Anzahl vom Management als An- und Ungelernte für die schlecht bezahlten Jobs angeworben wurden. In den 80er Jahren, als eine größere Anzahl von Afrokariben eingestellt worden war, wandelte sich das rassistische "Feindbild". Unter Vorarbeitern wurde mit rassistischer Literatur gehandelt; Beschäftigte wurden außerdem für rechtsradikale Parteien angeworben, eine Strategie, die teilweise aufging. Von daher verbietet sich ein einfaches Schema der Art: rassistisches Management einerseits gegenüber antirassistischer Gewerkschaft und Belegschaft. Vielmehr gibt es unter den weißen Beschäftigten soziale Gruppen wie Vorarbeiter und andere, die große Angst vor der drohenden Erwerbslosigkeit haben und offenbar für rassistisches Verhalten besonders anfällig sind. Das Management von Ford duldet offiziell keinen Rassismus; diese "Null-Toleranz" mündet leider in der Praxis in "Null-Aktion", weil offensichtlich nicht sein kann, was nicht sein darf. Es wäre schädlich, wenn das Unternehmen zu häufig wegen rassistischer Vorfälle in die Schlagzeilen der öffentlichen Medien käme.
Die Vorfälle von Dagenham haben das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften vor Ort und dem Management verschärft, weil zeitgleich Verhandlungen über den neuen Haustarifvertrag anliefen. Das Management bietet gegenwärtig Lohnerhöhungen knapp oberhalb der Inflationsrate an. Damit will es einen Teil der von den Gewerkschaften geforderten Arbeitszeitverkürzung (zwei Stunden pro Woche) finanzieren. Die Gewerkschaften ihrerseits fordern Vorruhestandsregelungen angesichts der Erhöhung der Bandgeschwindigkeit und der sonstigen Arbeitsverdichtung. Besonders erzürnt sind die Werkzeugmacher, denen das Management einige bisher übliche Zuschläge, die bis zu 25 Prozent des Normallohnes betragen können, versagen will. Sie traten in mehrere Tagesstreiks, um ihrer Forderung nach Erhalt der Zuschläge, die mit der Aufgabenerweiterung und -anreicherung im Rahmen von Gruppenarbeit begründet sind, Nachdruck zu verleihen. Das Management will die Zuschläge zwar weiterhin nicht zahlen, hat aber gegenüber den Werkzeugmachern Zugeständnisse bei den allgemeinen Lohnverhandlungen zugesagt.
Quellen: David Richardson, Andy Beckett; Guardian, 6.10.99
U.W.
Übersetzung erschienen in Express 10/1999