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Steuergeschenke für Produktionsansiedlungen oder -ausweitungen sind auch in der Bundesrepublik nichts außergewöhnliches, ebensowenig wie die Fälle, in denen gegebene Versprechen auf Schaffung bzw. Erhalt von Arbeitsplätzen nicht eingehalten wurden. Erinnert sei nur an die mit 220 Millionen DM aus öffentlicher Hand bezuschussten 7.000 Arbeitsplätze im Mercedes-Montagewerk Rastatt, die nicht realisiert wurden, oder die Werke von GM in Kaiserslautern oder Eisenach. Dass Daimler-Chrysler allerdings gleich ein ganzes Wohngebiet mit kommunaler Hilfe zwangsräumen und dann plattwalzen lässt, ohne sich dadurch zu irgendeiner Gegenleistung genötigt zu sehen, dürfte selbst hiesige Praktiken in den Schatten stellen. Wie bereits zu Hochzeiten der großen Chrysler-Krise Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre versucht der Konzern offenbar auch in der jetzigen Krisensituation wieder, Verluste zu sozialisieren und Gewinne zu privatisieren. Nicht nur die Chrysler-Beschäftigten in Toledo, Ohio, auch die Anwohner, die noch immer mit der Stadt über Entschädigungszahlungen kämpfen, sind stinksauer über diese Politik. Im Rahmen der Labor Notes-Konferenz Mitte April in Detroit wollen sich Vertreter der dortigen Belegschaft mit Kollegen aus der Mercedes-Koordination treffen und beraten.
Die Stickney Avenue in Toledo gleicht heute einem Slum. Wo früher 83 Familien wohnten und 16 kleine Geschäftsbetreiber ansässig waren, sind die wenigen noch stehenden Häuser verlassen, der Rest ist platt gewalzt. Freiwillig hätten ihre Bewohner sie sicher nicht verlassen. Aber die Stadt Toledo teilte ihnen mit, sie müssten ihre Häuser aufgeben und bot ihnen an, ihren Grund und Boden abzukaufen zu einem Preis, der weit unter dem Marktwert lag. Denjenigen, die sich dem Vorhaben der Stadt widersetzten, drohte Toledo mit dem "Eminent Domain", einem Gesetz, das der Regierung das Recht gibt, Privatbesitz zu bestimmten Zwecken im Rahmen einer öffentlichen Nutzung zu beschlagnahmen, z.B. für den Bau einer Autobahn, einer Schule etc.
In Toledo jedoch war nichts dergleichen geplant, sondern der Bau des neuen Jeep-Werks von Daimler-Chrysler. Das "Eminent Domain" wurde dazu benutzt, den Privatbesitz einer privaten Partei einer anderen, größeren und mächtigeren Privatpartei zu übertragen rund 80 solcher Fälle pro Jahr stellte das "National Law Journal" fest. Durch die missbräuchliche Anwendung dieses Gesetzes wurde in Toledo ein gesamter Wohnbezirk ausradiert, damit Daimler-Chrysler dort ein neues Jeep-Werk bauen kann. Die Ironie der Geschichte: Mittlerweile benötigt Daimler-Chrysler das Gelände noch nicht einmal für das Werk, sondern lediglich für Landschaftszwecke.
Die Stadt scheint dagegen immer noch bereit, alles zu tun, um Daimler-Chrysler in Toledo zu halten und das, obwohl Daimler-Chrysler keinerlei Verpflichtungen für den Erhalt einer bestimmten Anzahl von Arbeitsplätzen eingegangen ist.
In Toledo produziert Chrysler bislang zwei Jeep-Modelle, den "Cherokee" und den "Wrangler". 1998 unterzeichnete die Stadt ein Abkommen mit der Firma über den Bau eines neuen Jeep-Werks in der Stadt. Chrysler versprach in diesem Abkommen, 1,2 Mrd. US-$ für das neue Werk in North-Toledo zu investieren, und die Stadt verpflichtete sich, dem Konzern Eigentum in Höhe von 28 Millionen US-$ zu übertragen sowie die Steuern für die nächsten 10 Jahre auszusetzen. Was das im Einzelnen bedeutet, rechneten Vertreter der örtlichen Gewerkschaft, der UAW, zusammen. Sie gehen davon aus, dass der Kommune allein rund 89 Mio. US-$ an Einnahmen entgehen durch den 10-jährigen Erlass der Grundsteuer für das Grundstück, auf dem das Stickney-Werk liegt. Für den Kauf des Landes, infrastrukturelle Maßnahmen zur Erschließung für die künftige Nutzung und Umsiedlungshilfen für die ehemaligen Bewohner veranschlagen sie mindestens 78 Mio. Dollar. Hinzu kämen steuerlich befreite Investitionen, umweltbezogene Entschädigungen, die im Zusammenhang mit der Nutzung des Geländes anfallen und für die die Stadt garantiert, staatliche Ausbildungszuschüsse und Subventionen bei den Wassergebühren, die nicht genau bezifferbar seien, aber insgesamt ebenfalls Millionenhöhe annehmen dürften.
Im Gegenzug gab Chrysler ein vages Versprechen ab, man wolle versuchen, 4.200 der über 5.700 Jeep-Arbeitsplätze zu erhalten. Auf die von Bürgermeister Finkbeiner öffentlich verlangten 4.900 Stellen ließ das Unternehmen sich nicht ein. Derzeit kursieren unterschiedliche Angaben darüber, wieviele Arbeitsplätze Daimler-Chrysler mit der Jeep-Produktion zukünftig bereitstellen will, und diese Zahlen scheinen sich täglich zu ändern. Fest steht jedoch, dass zum 31. Dezember 2000 exakt 5.797 Arbeiter angestellt waren, und dass entsprechend mehr als 1.500 Stellen verloren gehen, wenn es bei der von Daimler-Chrysler angegebenen Zahl von 4.200 Stellen bleibt. Nach Schätzungen von Experten kann jedoch davon ausgegangen werden, dass aufgrund zunehmender Automation nur noch ca. 3.000 Arbeitsplätze im neuen Werk zur Verfügung stehen werden. Lokale Nachrichtensender hatten bereits berichtet, dass das Unternehmen rund 35 Millionen US-$ in Automatisierungstechnologie investieren wolle. Dass dies mit Sicherheit nicht zusätzliche Arbeitsplätze, sondern eher deren Abbau bedeutet, ist für die Belegschaftsvertreter klar.
Sie verweisen darauf, dass Daimler-Chrysler keinerlei vertraglichen oder gesetzlichen Verpflichtungen unterliegt, irgendeine festgesetzte Anzahl von Stellen zu erhalten, weder für das alte noch für das neue Jeep-Werk. Falls also die veranschlagten 4.200 Arbeitsplätze nicht bereitgestellt würden, gebe es keine Handhabe der Stadt, dagegen vorzugehen.
Die Vereinbarung beinhalte zudem keinerlei Beschränkungen bezüglich der Überstunden und lasse eine Regelung vermissen, die den Einsatz von Teilzeit-Aushilfskräften einschränkt. Die Beschäftigten befürchten, dass die Anzahl von Vollzeit-Beschäftigungen durch den vermehrten Einsatz von Teilzeitkräften mit niedrigeren Löhnen im neuen Jeep-Werk zurückgehen werde. Daimler-Chrysler sei vertraglich nicht verpflichtet worden, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Unsicherheit bestehe auch hinsichtlich der Produktion im alten Jeep-Werk in North Cove. Die UAW ging aufgrund der eingegangenen Verpflichtung zur Rettung von Arbeitsplätzen zwar davon aus, dass Daimler-Chrysler auch die Produktion in North Cove weiterlaufen lassen würde, doch eine entsprechende Fixierung fehlt in der Vereinbarung.
Vertreter der Beschäftigten gehen bei ihren Rechnungen zudem davon aus, dass ein Auslaufen der Cherokee-Serie absehbar ist. Dies werde zu einem Abbau von insgesamt zwischen 2.400 und 2.800 Arbeitsplätzen führen. Diese Schätzung verringere sich nur, falls im Rahmen einer dritten Schicht im neuen Werk eine neue Produktlinie gebaut werde. Doch selbst in diesem Fall würden nicht so viele Jeep-Arbeiter im neuen Werk wieder eingestellt, wie die Einführung einer dritten Schicht im alten Werk in North Cove brächte.
Vehement widersprechen sie auch der Darstellung eines Nachrichtensenders, die Entlassenen erhielten aus einem unternehmenseigenen Fonds für den Rest ihres Lebens 95 Prozent ihres Grundgehalts als Arbeitslosenunterstützung. Die Unterstützungen liefen vielmehr aus, wenn der Fonds erschöpft sei, egal wie lange die entlassenen Jeep-Arbeiter leben würden. So genannte "Übergangsarbeitskräfte" erhalten zudem nur eine geringfügige oder gar keine Arbeitslosenunterstützung.
Jenseits der direkten Subventionen in Form der Landschenkungen und der indirekten Subventionen in Form von Steuerbefreiungen für Daimler-Chrysler ist nach Ansicht der Beschäftigtenvertreter daher auch mit zusätzlichen Kosten durch die Entlassungen zu rechnen: mit höheren städtischen Grund- und Verbrauchssteuern etwa, die den Verlust der Steuereinnahmen von Daimler-Chrysler und der arbeitslosen Jeep-Arbeiter sowie deren Unterstützung kompensieren. Für jeden entlassenen Jeep-Arbeiter werde es vier oder fünf weitere geben, die von Einnahmeeinbußen betroffen seien. Die Stadt finanziere die Profite von Daimler-Chrysler, ohne jedoch die Arbeitsplätze ihrer Bürger und Nachbarn zu retten.
Auch in der Vergangenheit hat der Konzern abgesahnt, ohne sich um Vereinbarungen zu kümmern. So berichten die Beschäftigten, dass sie zwischen 1982 und 1985 auf Lohnanteile in Höhe von rund 30 Millionen US-$ im Gegenzug zu einer "Arbeitsplatzsicherung" verzichtet hätten. Diese Lohnanteile wurden in
einen Fonds gezahlt, der sich Arbeitnehmer-Kapitalanlage-Plan (EIP) nannte und 21 Prozent Rendite auf ihre Einlagen versprach. Nachdem Chrysler die Jeep-Produktion vom damaligen Besitzer, der AMC Corp., übernommen hatte, sah sich das Unternehmen allerdings nicht genötigt, den vertraglichen Verpflichtungen aus diesem Plan nachzukommen. Nur ein geringer Bruchteil ihrer gesamten Einlagen in den EIP wurde zurückgezahlt. Die Beschäftigten verloren damit nicht nur einen Großteil ihres Geldes, sondern haben mit den neuesten Plänen von Daimler-Chrysler nun auch ihren Anspruch auf "Arbeitsplatzsicherung" verloren.
Schon einmal hatte Chrysler um finanzielle Hilfe bei der kanadischen und der US-Regierung gebeten und diese auch erhalten. Um das Unternehmen durch die Misere des Jahres 1979 zu bringen, waren damals auch US-amerikanische und kanadische Chrysler-Arbeiter zu Lohnzugeständnissen bereit.
Angesichts der aktuellen Pläne zum Abbau von rund 20.000 Arbeitsplätzen bei Daimler-Chrysler in den USA bzw. Kanada fragen sie sich, wie weit die Hilfsbereitschaft der kanadischen und US-amerikanischen Regierung ihnen gegenüber reichen wird.
Kontakt zu den KollegInnen bei Daimler-Chrysler, Toledo: George Windau, email <gwindau@hotmail.com>; Informationen und Kontakt auch über TIE-Bildungswerk e.V. (siehe Adresse des express im Impressum)
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