Je Krieg, desto Gewinn

Daimler, Aktien und bombige Geschäfte

Von Jochen Dieckmann

 

Mit Aktien zu spekulieren, gehört heute in Erwerbstätigenkreisen schon fast zum guten Ton. Die Medien berichten immer umfassender von der Börse, so als würden die Einschaltquoten nicht pro Kopf, sondern pro Einkommensteuererklärung ermittelt. Auch dabei wird uns täglich mit Siegermentalität suggeriert, dass das, was für die Wirtschaft gut sei, auch für die Menschen gut sei.
Um uns das mal genauer anzusehen, haben wir uns eine typische Siegeraktie angesehen – die Aktie von DaimlerBenzChryslerMercedes. Anlageberater empfehlen sie Erwerbstätigen als sicheres Objekt. Wie jedoch diese Aktiengewinne erwirtschaftet werden, belegen regelmäßig die Berichte über "Jagd auf Kranke", Erholzeitenkürzungen etc. im Betriebsspiegel des express. Wer die Opfer sind, steht fast täglich in der Zeitung. Das setzt nur kaum jemand in einen Zusammenhang. Dass das schon immer so war, belegt ein Blick auf die Geschichte der DaimlerChrysler-Aktie.

Angefangen hatte alles mit den ersten Autos der Welt. Im Sommer 1886 stellte Carl Benz seinen sogenannten "Motorwagen" in Mannheim der Öffentlichkeit vor. Im selben Jahr präsentierte auch Gottlieb Daimler in Stuttgart seine erste "Motorkutsche". Damit war der Grundstock gelegt zu einem kometenhaften Aufstieg der beiden Firmen. Sie expandierten so schnell, dass sie die hohen Investitionen für das Firmenwachstum bald nicht mehr aus eigenen Mitteln vorfinanzieren konnten. Es wurden weitere Teilhaber gesucht, die Kapital mitbrachten. Die bisher kreditgebenden Banken drängten die beiden Erfinder zur Gründung von Aktiengesellschaften. Die Deutsche Bank hatte mittlerweile einen maßgeblichen Einfluss auf Entscheidungen beider Unternehmensleitungen. Im Jahr 1890 gründete sich die Benz & Cie. Aktiengesellschaft. Gottlieb Daimler sträubte sich noch einige Jahre, aber 1899 war die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft dann auch bei den Daimler-Motorenwerken so weit – übrigens gegen den Willen des Firmengründers Daimler.

Die Aktienwerte entwickelten sich prächtig. Spektakuläre Erfolge bei Autorennen trugen dazu bei, die beiden Markennamen international bekannt zu machen. Vor allem aber die clevere Entscheidung des Managements, neben Motorrädern und Autos auch Flugzeuge, Lastwagen und jede Menge anderer Rüstungsgüter zu produzieren, erwies sich als zwar nicht ganz vornehme, aber äußerst gewinnbringende Angelegenheit. Der Erste Weltkrieg brachte den Aktionären beider Unternehmen jährlich neue Rekordgewinne. Immer mehr Leute gingen, wie es in Stuttgart heißt, beim Daimler schaffen. Es gab Kapitalerhöhungen und abenteuerliche Dividenden. Nach dem Ersten Weltkrieg aber stockte das Wachstum. Die Konjunktur lag danieder, ein verlorener Weltkrieg hinterlässt halt Spuren. Der Versailler Vertrag verbot den Deutschen die Rüstungsproduktion, auf die beide Unternehmen ja gerade in den Kriegsjahren zu 90 bis 100 Prozent umgestiegen waren. Da sie jedoch darauf setzten, dass es bald wieder damit losginge, wurden einige Produktionsstätten nicht auf zivile Produktion umgestellt, sondern schlicht eingemottet.

Und Mitte der 20er Jahre ging es dann auch wieder bergauf. Das Geschäft mit den großen und schnellen Autos von Daimler und Benz entwickelte sich, und die Rüstungsproduktion lief ebenfalls wieder an. Mittlerweile gab es intensive Kontakte zwischen den beiden Großunternehmen. Das hatte die Deutsche Bank eingefädelt, die nach wie vor in beiden Aktiengesellschaften den Aufsichtsrat dominierte. Als wieder viel Geld für neue, vielversprechende Investitionen benötigt wurde, kam es zur Fusion. Im Juni 1926 tagten die beiden Hauptversammlungen – damals hießen sie noch "Generalversammlung" – und beschlossen jeweils mit überwältigender Mehrheit den Zusammenschluss sowie den Umtausch der Aktien im Verhältnis von 1:1 in die Aktie des neuen Unternehmens – der "Daimler-Benz AG". Der Einfluss der Deutschen Bank war nach der Mega-Fusion noch stärker. Karl Heinz Roth bezeichnet in dem von der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte herausgegebenen "Daimler-Benz-Buch" die Daimler-Benz AG als Industriefiliale der Deutschen Bank.

Der neuen Aktie ging es von Anfang an gut und von Jahr zu Jahr besser. Die "Silberpfeile" hatten einen Rennerfolg nach dem anderen. Die Pkws, die mittlerweile jeder unter dem Mädchennamen Mercedes kannte, erfreuten sich weltweit bei Königen, Kaisern, Präsidenten und Multimillionären großer Beliebtheit. Über einen der treuesten Kunden spricht die Unternehmensleitung heute allerdings nicht mehr so gerne: den leidenschaftlichen Mercedes-Fahrer Adolf Hitler. Nachdem er sich im September 1923 den ersten Mercedes gekauft hatte, wechselte er nie wieder die Marke. Da das übrigens noch zur Zeit der Hyperinflation war, kostete der Wagen damals über 33,33 Milliarden Mark plus zehn Millionen Mark für einen Satz Winterreifen.

Der gute Kontakt zwischen der Daimler-Benz AG und den Nazis sollte sich später für die Aktionäre noch auszahlen. Vorerst gerieten sie aber ins Schwitzen: Der unter dem Namen "Schwarzer Freitag" bekannt gewordene Kurssturz der Aktien an den Börsen und die darauf folgende weltweite Wirtschaftskrise gingen auch an der Daimler-Benz AG nicht spurlos vorüber.

Zwischen 1928 und 1932 wurden Tausende von Beschäftigten entlassen. Umsatz und Gewinn sanken, kurzzeitig machte Daimler-Benz sogar Verluste. Der Aktienwert ging ziemlich in den Keller. Als Gewinner erwies sich allerdings, wer – anstatt zu verkaufen – es sich leisten konnte, die Aktien in der Hoffnung auf bessere Zeiten für die nächsten fünf Jahre im Tresor bzw. im Depot bei der Bank liegen zu lassen.

Denn Ende 1932 war eine weltweite Erholung der Wirtschaft in Sicht. Als zudem in Deutschland 1933 die Nazis an die Macht gelangten, propagierten sie Aufschwung durch Motorisierung der Gesellschaft und Intensivierung der Aufrüstung. Und vorerst schien diese Rechnung aufzugehen. Der Aktienkurs und die Dividenden stiegen jährlich mit zunehmendem Tempo, und es gab mehrere Kapitalerhöhungen. Banken, Unternehmensleitung, Belegschaft und Aktionäre schienen an einem Strang zu ziehen. Was für eine Stimmung in dem florierenden Unternehmen herrschte, spiegelt exemplarisch die Rede von Generaldirektor Wilhelm Kissel anläßlich des jährlichen sogenannten Dankopfers an den Führer im Jahr 1937 wider: "Liebe Arbeitskameraden! Zunächst entbiete ich Ihnen meinen Morgengruß: Heil Hitler! Arbeitskameraden: Heute beginnt das Dank opfer der deutschen Nation. Es ist uns eine Freude und Ehre, uns an diesem Dankopfer in großem Umfange einzeichnen zu dürfen, und zwar in einem Sturmlokal der SA, der Vorkämpferin für unser neues Reich. Wir wollen damit ..." usw.

Der rasante Aufschwung des Unternehmens lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass Daimler-Benz einige Entscheidungsträger damals ordentlich "geschmiert" hat. Jedenfalls entwickelte sich die Zusammenarbeit mit den Nazis für beide Seiten sehr fruchtbar. Die Aktie galt als ökonomisch solide und zudem noch als Ausweis für die "richtige" Gesinnung. Mit dem Näherrücken des Krieges und erst recht, als er 1939 begann, setzten goldene Jahre für die Daimler-Benz-Aktie ein. Wie im Ersten Weltkrieg stieg der Rüstungsanteil in der Produktpalette von Jahr zu Jahr erheblich.

Ein geschickter Schachzug war auch, dass Daimler-Benz sich für jede Zerstörung durch die "feindlichen Bomben" bis auf die letzte Reichsmark vom deutschen Staat entschädigen ließ.

Das dunkelste Kapitel der Daimler-Benz-Geschichte ist die zunehmende Beschäftigung von Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und anderen Zwangsarbeitern. In den zahlreichen Fabriken der Daimler-Benz AG zwischen Weißrussland und Frankreich stellten sie ab Sommer 1944 mehr als die Hälfte der Belegschaft.

Den Übergang zur Friedenszeit hat Daimler-Benz jedenfalls prima hinbekommen. Schon in den letzten Kriegsmonaten waren in Ostdeutschland Produktionsanlagen abgebaut und in schwäbischen Gewölben vorerst verbunkert worden. Im Westen konnte die Produktion erstaunlich lang zumindest teilweise aufrechterhalten werden. Noch Anfang April 1945 gab es Markenqualität von Daimler-Benz. Und schon im Herbst 1945 kamen die ersten neuen Aufträge, die Instandsetzung von Kraftfahrzeugen der alliierten Westmächte. Bei Daimler-Benz hatte man kaum Zeit zum Aufräumen.

Ende der 40er Jahre ging es der Daimler-Benz-Aktie so wie in der Zeit der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre: Am besten waren diejenigen Aktionäre dran, die es sich leisten konnten, die Aktie im Tresor der Bank liegen zu lassen. Denn so konnten sie nur gewinnen, mit steigender Tendenz. Zudem begünstigte die Währungsreform Aktionäre erheblich. Denn im Gegensatz zu Barvermögen in Reichsmark, das entweder verfiel oder im Verhältnis 10 zu 1 in die neue Wäh rung D-Mark umgetauscht wurde, konnten die Aktien im Verhältnis 5 zu 3 getauscht werden.

In den Jahren 1953 bis 1955 gab es wegen der starken Nachfrage nach Daimler-Benz-Aktien Gerüchte über eine "versteckte Übernahme". Wurde das Unternehmen gerade heimlich von einem mächtigen Konkurrenzunternehmen geschluckt? Auf der Hauptversammlung 1955 gab es jedoch "Entwarnung". Friedrich Flick überraschte die meisten Anwesenden mit der Mitteilung, dass ihm mittlerweile ein Aktienpaket von über 25 Prozent gehöre. Zwei Jahre später war über die Hälfte aller Daimler-Benz-Aktien im Besitz von Flick und Familie Quandt.

Ein Beispiel dafür, wie gut der Laden lief: Wer etwa im Mai 1958 für tausend Mark Aktien kaufte, hätte dafür im August 1960 über 15.000 Mark bekommen – natürlich plus Dividende. Weil die Geschäfte so gut gingen, gab es die erste Kapitalerhöhung seit der Währungsreform.

Weitere Aufstockungen folgten. Das Grundkapital, also der aufgedruckte Wert aller herausgegebenen Aktien, betrug zum Beispiel 1960 180 Millionen Mark. Weil es eine große Nachfrage gab, lag der tatsächliche Wert der Aktien aber um ein Vielfaches höher als dieser sogenannte Nominalwert. Nach einer Anstandspause von einigen Jahren hatte sich auch die Rüstungsproduktion des Konzerns wieder prächtig entwickelt. Auch in diesem Bereich waren die Wachstumsraten, vor allem im Export, besonders hoch. Die einsetzende Wirtschaftskrise Anfang der siebziger Jahre ging als sogenannte "Ölkrise" in die Geschichte ein. Und da wurde es zunächst auch für die Daimler-Benz-Aktie turbulent.

Die Turbulenzen entstanden durch die Ankündigung des Industriellen Friedrich Flick, einen Teil seines Aktienpaketes, das etwa ein Viertel aller Aktien ausmachte, an den Schah von Persien zu verkaufen. Dies wiederum führte zu einer großen Verunsicherung unter ArbeiterInnen, Management und Aktionären. Aus dem schwäbischen Stern, so ging das Schreckgespenst umher, würde ein islamischer Halbmond. Retter in dieser "Not" wurde die Deutsche Bank. Sie kaufte den größten Teil des Paketes und gründete eine Holding. Damit konnte sie jetzt selbst Aktien des Unternehmens herausgeben und erhielt außerdem endlich einen institutionell garantierten Einfluss auf die Mehrheit aller herausgegebenen Aktien.

Die Unruhe schadete jedoch nicht: Es gab weitere Kapitalerhöhungen, große Kursanstiege und zuverlässige Dividenden. Deshalb reagierte man schon etwas gelassener, als die Millionärsfamilie Quandt einen Teil ihres Aktienpaketes, immerhin 14 Prozent des gesamten Unternehmens, kurz darauf an Kuwait verkaufte.

So ging und geht die Erfolgsgeschichte der Daimler-Benz-Aktie weiter. Aber es gibt auch Kritik an der Unternehmenspolitik. Seit Anfang der 90er Jahre machen sich diese Kritiker das Aktiengesetz zunutze: Nicht wenige kaufen eine einzelne Daimler-Benz-Aktie und haben damit Stimm- und Rederecht auf den Hauptversammlungen. Sie weisen darauf hin, dass man mit Aktiengeschäften nicht nur gewinnen, sondern auch verlieren kann. Verlierer von Geschäften mit Daimler-Benz-Aktien können aber nicht nur diejenigen sein, die beim Spekulieren Federn lassen. Verlierer sind beispielsweise auch Verkehrsopfer, der Wald, das Weltklima und ungezählte Kriegsopfer weltweit.

Andere haben damit offensichtlich weniger Probleme: Viele "beim Daimler" Beschäftigte sind durch die Ausgabe von Belegschaftsaktien zu kleinen Teilhabern geworden. Das ist praktisch für die Ruhe im Laden. Die Massenarbeitslosigkeit motiviert sie zudem, die Rücknahme von Vergünstigungen der letzten dreißig Jahre zu akzeptieren. Nur eine Minderheit schließt sich der Kritik eines Betriebsrates aus der Gießerei, Thomas Adler, an. Er klagt über unsichere Arbeitsplätze und die zunehmende Arbeitsverdichtung:

"Und ob dabei die Pausen, seien sie gesetzlich oder tarifvertraglich, teilweise unter den Tisch fallen, fragt kein Mensch mehr. Das wird einfach erwartet, und zum Teil unter dem psychologischen Druck, dass viele Befristete in der Fabrik sind, wird da kaum noch Widerstand dagegen geleistet. Und das hat ganz extreme Auswüchse, letzte Woche war ich damit konfrontiert: Da zeigt mir ein befristeter Kollege eine zwei Hände große Verbrennung am Bauch, die er sich an Flüssig-Aluminium zugezogen hat. Das ist eine sehr schmerzhafte Verletzung, aber der junge Mann war keinen einzigen Tag krank. Der hat Urlaub genommen."

1998 fusionierte der Konzern mit der US-amerikanischen Autofirma Chrysler. Dabei waren die Stuttgarter das aufnehmende Unternehmen. Weit über 90 Prozent aller Aktionäre beider Partner stimmten dem Geschäft zu. 440.000 Beschäftigte in aller Welt erwirtschafteten in diesem Jahr einen Umsatz von 257 Mrd. DM. Und wer jetzt weiterhin von solchen Aktien träumt, soll sich seiner Mitverantwortung in jeder Hinsicht bewusst sein. Shareholder value bedeutet am Beispiel von Daimler-Chrysler immer noch kein Geld für Zwangsarbeiter, aber eine neue (baulich noch mißlungenere) Konzernzentrale in Berlin für schlappe 4 Milliarden Mark.

Erschienen in: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 11-12/1999