Rationalisierungsfolgen
Im Berliner Daimler-Werk wird die Produktion heruntergefahren. In der Folge werden befristete Verträge nicht verlängert. Junge Arbeiterin wehrt sich mit Kündigungsschutzklage
Artikel von Daniel Behruzi, zuerst erschienen in der jungen Welt vom 19.08.2008
Bei Daimler in Berlin-Marienfelde wird die Produktion heruntergefahren. Der V6-Motor, das Herzstück des Berliner Werks, wird im Sommer nur im Zweieinhalb-Schicht-Betrieb gefertigt. Die Arbeiter müssen zwei Wochen Urlaub nehmen. Auch im Herbst soll der Drei-Schicht-Betrieb nicht wieder aufgenommen werden. Die Folge ist ein Abbau von Arbeitsplätzen, der über Altersteilzeit, freiwillige Aufhebungsverträge und das Auslaufen befristeter Arbeitsverhältnisse stattfindet.
Zehn Prozent aussortiert
Eine der Betroffenen ist Kerstin T., die bei Daimler in Berlin-Marienfelde ihre Ausbildung absolvierte und danach zwei Jahre lang als Bandarbeiterin in der Motorenproduktion eingesetzt war. Mitte Mai wurde ihr schriftlich mitgeteilt, ihr befristeter Vertrag werde nun endlich in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis umgewandelt. Doch nur wenige Wochen später machte das Unternehmen einen Rückzieher und setzte die junge Frau auf die Straße. Mit einer Kündigungsschutzklage versucht sie nun, unterstützt von der Gewerkschaft, ihren Arbeitsplatz wieder zu bekommen.
Schon bei Abschluß der Lehre hatte Kerstin T. kein Glück. Trotz guter Zensuren war sie unter den zehn Prozent ihres Ausbildungsjahrgangs, die nur befristet übernommen wurden. Grundlage hierfür ist die vom Gesamtbetriebsrat unterschriebene »Zukunftsicherung2012«. Die Vereinbarung legt fest, daß der Konzern 90 Prozent der Ausgelernten übernehmen muß. Kerstin T.s Vertrag wurde nach einem Jahr - trotz gegenteiliger Bekundungen - wiederum nur um ein Jahr verlängert. Am 19. Mai dann die gute Nachricht: Sie werde zum 1. Juni 2008 unbefristet übernommen, heißt es in einer jW vorliegenden E-Mail der Personalabteilung an den Meister von Kerstin T. Doch schon am 27. Juni war alles wieder ganz anders: Als sie nach einer zweiwöchigen Krankheit in den Betrieb zurückkehrte, erklärte ihr ein Vorgesetzter, ihr alter befristeter Arbeitsvertrag laufe ersatzlos aus, sie sei ab sofort beurlaubt und müsse das Werksgelände innerhalb einer Viertelstunde verlassen. Kerstin T. reichte daraufhin Kündigungsschutzklage ein, über die in der vergangenen Woche erstmals verhandelt wurde. Das Gericht traf keine Entscheidung und beschloß die Vertagung auf den 16. Oktober.
»Es ist eine Sauerei, wie das Unternehmen hier mit der Zukunft junger Menschen umgeht«, empört sich Betriebsrat Mustafa Efe. Kerstin T. müsse sofort wieder eingestellt werden, fordert er im jW-Gespräch. Die 2004 für den Konzern geschlossene Betriebsvereinbarung »DC-Move« stelle die Jugendlichen vor große Probleme. »Die Angst, nach der Lehre unter den zehn Prozent Befristeten zu sein, führt zu einem Konkurrenzkampf und zur Entsolidarisierung«, kritisiert Efe. Zudem könnten junge Facharbeiter mit »DC-Move« zwei Jahre lang in jedem deutschen Werk eingesetzt werden. Ihre Bezahlung liege in dieser Zeit um bis zu 700 Euro monatlich unter dem üblichen Einkommen der Stammbeschäftigten.
Leistungsverdichtung
Den Arbeitsplatzabbau im Werk führt Efe auf verschiedene Faktoren zurück. Zum einen sei dieser eine Folge der »permanenten Leistungsverdichtung«. Waren vor einigen Jahren noch 7,2 Arbeitsstunden für die Fertigung eines Motors nötig, sind es aktuell nur noch 6,1. Durch weitere »Bandoptimierung« sollen es demnächst nur noch 5,9 Stunden sein, so die Planung des Managements. »Für die Kollegen bedeutet das mehr Streß, aber es hat eben auch zur Folge, daß die Arbeit mit weniger Leuten gemacht werden kann«, erklärt der Betriebsrat.
Als weitere Ursache der Stellenstreichungen sieht er die abnehmende Nachfrage durch die ehemalige Daimler-Tochter Chrysler. Zudem könne es sein, daß die Produktion des V6-Motors künftig wegen des neuen 4-Zylinder-Dieselmotors, der ab Anfang 2009 in Bremen hergestellt werden soll, weiter zurückgeht. Um dennoch alle Jobs in Marienfelde zu halten und die unerträgliche Arbeitssituation zu verbessern, müßten die Taktzeiten verlängert und Erholpausen eingeführt werden. Sämtliche befristete Verträge sollten in unbefristete umgewandelt werden. Zudem plädiert Efe für eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, um Stellenstreichungen zu verhindern. »Schließlich trägt Daimler auch eine Verantwortung dafür, daß die Jugend hierzulande eine Zukunft hat«, betont er.
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