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Von der Vergangenheit eingeholt.

Strafanzeige gegen Daimler-Chrysler
wegen Mordes und Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen

Von Ute Abraham

Dreiundzwanzig Jahre sind vergangen, seit im Januar 1977 Militärs und Polizei die unabhängige Gewerkschaftsorganisation im Mercedes-Benz-Werk von Ganzáles Catán, einem Ort nahe der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, zerschlugen.

Wie in vielen anderen Industrie betrieben hatte sich in diesem Werk, Jahre vor dem Militärputsch, eine aktive militante Gewerkschaftsgruppe gebildet. Sie stand in Opposition zu der offiziellen Gewerkschaft der Automobilgewerkschaft, die mit der Werksleitung kooperierte. Erfolgreich hatte sich diese unabhängige Gewerkschaftsorganisation für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne durchgesetzt. Einige Wochen vor dem Militärputsch reagierte die Werksleitung mit Massenentlassungen. 118 Aktivisten wurden gekündigt, im Glauben, damit die Ordnung wiederhergestellt zu haben. Die Belegschaft ließ sich jedoch nicht einschüchtern und trat in einen Streik. Vier Wochen später musste Mercedes die Kündigungen zurücknehmen. Nicht zuletzt, weil die Guerillagruppe Montoneros zwischenzeitlich den deutschen Abgesandten Mentz von Mercedes gekidnappt hatte. Sie verlangten Lösegeld, die Wiedereinstellung der Entlassenen und eine Entschuldigung für die arbeitnehmerfeindliche Politik des Unternehmens. Diese "Zustände" sollten durch den Militärputsch endgültig beseitigt werden.

Nach der Übernahme der Macht durch das Militär wurden Arbeitsniederlegungen als terroristisch bezeichnet und verboten. 30.000 Menschen fielen dem darauffolgenden Terror der Militärs zum Opfer. In einem Geheimerlass des Militärs hieß es dazu: "Das Heer wird in Bestimmung mit den für diesen Bereich zuständigen staatlichen Organen gezielt auf Industrieunternehmen und Staatsbetrieben einwirken, um die aus den Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entstehenden Konfliktsituationen zu neutralisieren, die durch die Subversion provoziert worden sind oder durch sie ausgenutzt werden konnten, um auf diese Weise aufrührerische Agitationen und Aktionen der Massen zu verhindern und zum effizienten funktionierenden Produktionsapparat des Landes beizutragen."

Diese Politik kam den Unternehmen i n Argentinien äußerst gelegen. Bereits in den ersten Jahren des Militärregimes kam es zu gewaltigen ökonomischen Umwälzungen. Mercedes Benz entließ 27 Prozent seiner Beschäftigten, senkte die Löhne und steigerte die Produktivität.

Mit welchen brutalen Methoden diese Effizienzsteigerung erzielt wurde, fand die Journalistin Gabriele Weber bei Recherchen in der argentinischen Niederlassung des Werkes heraus.

Im Januar 1977 wurden neun der aktivsten Betriebsräte im Daimlerwerk verhaftet, acht von ihnen wurden nie wieder gesehen. Sie gehören zu den vielen "Verschwundenen", die während der Militärdiktatur in den Folterkellern ermordet wurden. Die Verhaftungen fanden außerhalb des Werkgeländes statt, um Unruhen der Arbeitnehmerschaft zu verhindern. Diese zielgerichtete Operation kam durch die gute Zusammenarbeit mit dem damaligen Werksleiter Tasselkraut zustande. Er wird beschuldigt, Namen und Adressen an das Militär weitergeleitet zu haben. Maria Ester Ventura, die Schwester des verschwundenen Hugo Ventura, berichtete, dass Mercedes den Familien der acht verschwundenen Gewerkschaftern etwa zehn Jahre lang das Gehalt weiterzahlte, ohne jemals eine n Grund dafür zu nennen. Sie sieht darin ein Schuldeingeständnis des Unternehmens. Tasselkraut, der alle Vorwürfe zurückweist, widerspricht auch dieser Interpretation: "Wir als Unternehmer wollten uns wirklich als ein menschliches Beispiel darstellen." Die Aussagen des einzig überlebenden, Hector Ratto, zeichnen jedoch ein anderes Bild. Durch eine Verwechslung seitens des Militärs konnte er sich auf dem Fabrikgelände der Verhaftung entziehen. Auch eine Nachricht, überbracht vom werkseigenen Sicherheitsdienst, seine Frau wäre bei eine m Unfall verletzt worden, lockte ihn nicht vom Werksgelände. Daraufhin bat Tasselkraut ihn in sein Büro, wo er von zwei Polizisten verhaftet und abends von den Militärs abgeholt wurde. Hector Ratto führt seine spätere Freilassung gerade auf die Umstände seiner Verhaftung zurück. Anders als die Werksleitung der Firma Ford, hat Mercedes stets darauf geachtet, dass Festnahmen von Gewerkschaftsaktivisten nicht auf dem Werksgelände stattfanden. Die gute Zusammenarbeit mit dem argentinischen Terrorregime sollte geheim gehalten werden.

Der Berliner Anwalt Wolfgang Kaleck hat im Namen des Republikanischen Anwälte - und Anwältinnen-Vereins (RAV) im letzten Jahr Anzeige gegen Mercedes-Werksleiter Tasselkraut sowie gegen weitere, namentlich nicht bekannte Mitglieder der Geschäftsführung erstattet. Die deutsche Justiz ist zuständig, weil Tasselkraut und auch einer der Ermordeten, Esteban Reimer, deutsche Staatsbürger sind. In einem Interview erwiderte Wolfgang Kaleck auf die Frage, ob er mit der Anzeige auch verdeutlichen wolle, in welchem politischen und wirtschaftlichen Kontext die Menschenrechtsverletzungen stattfanden: "Ganz genau. In Abwandlung des Horkheimer-Wortes `Wer vom Faschismus redet, darf über den Kapitalismus nicht schweigen', muss es heißen ,Wer über die argentinische und chilenische Militärdiktatur redet, darf über die Beteiligung der nationalen und internationalen Unternehmen an diesen Menschenrechtsverletzungen nicht schweigen.' Das ist umso wichtiger, als die Gesellschaften bi s heute die Folgen dieser grauenhaften Menschenrechtsverletzungen nicht überwunden haben, sowohl psychologisch als auch sozial. Das damals installierte ökonomische Modell bringt weiterhin Menschenrechtsverletzungen hervor, wenn auch auf einem anderen Feld, nämlich dem sozialen. Heute ist es einem grossen Teil der Bevölkerung in Argentinien oder Chile nicht einmal möglich, ihre elementarsten Grundbedürfnisse zu befriedigen."

 

Ute Abraham ist Mitarbeiterin von MdB Winfried Wolf.

Erschienen in: WSW: Wirtschaft, Soziales, Widerstand 15 vom Febraur 2000 (Zeitung der PDS-Bundestagsfraktion für Betriebe, Büros, Gewerkschaften und Initiativen)

Die Klage gegen die Werksführung von Mercedes/Argentinien erfordert Geld. Das LabourNet Germany hat ein Konto für einen Rechtshilfefonds eröffnet:
Konto M. Wompel, Rechtshilfefonds Mercedes-Gewerkschafter
Postbank Dortmund
BLZ: 44010046, Konto.-Nr. 263442-469

 


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