LabourNet Germany Dies ist das LabourNet Archiv!!! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home Über uns Suchen Termine

 

DIE S-KLASSE

Vom Folterknecht und Kindesräuber zum Werkschützer von Mercedes Benz

Gaby Weber

Da sitzt er vor mir, ein Häufchen Elend: Rubén Luis Lavallén, 64 Jahre. Ein "represor", wie in Argentinien die Angehörigen der Sicherheitskräfte während der Diktatur genannt werden. Als er in der "Brigada de Investigaciones" in San Justo das Kommando führte, entschied er über Tod und Leben, und über die Stromstärke der Elektroschocks. Heute ist der Ex-Kommissar schwach. Vor zehn Tagen war er wegen eines Darmkrebses operiert worden, zum ersten Mal in seinem Leben hat er dem Tod ins Auge gesehen, seinem eigenen Tod. Der Tod Anderer war Routine.

Lavallén lebt drei Autostunden von Buenos Aires entfernt. Ein Schild verrät, daß Käufer gesucht werden. Viel wird er für das Haus nicht bekommen, die Straße ist nicht asphaltiert, das Dach müßte repariert werden.

Was ich von ihm wolle, hatte er am Telephon gefragt. Der Mann ist mißtrauisch. Zwar verhindern die Amnestiegesetze die Strafverfolgung der Menschenrechtsverletzungen, aber der spanische Ermittlungsrichter Baltasar Garzón hat gegen ihn und hundert andere "represores" Haftbefehl erlassen. Lavallén kann das Land nicht verlassen.

In Mexiko sind gerade Ricardo Miguel Cavallo, ein Folterer aus der ESMA, und in Rom der Mayor a.D. Jorge Olivera verhaftet worden. Olivera entkam der italienischen Justiz nur nach Vorlage eines gefälschten Totenscheins, den die Richterin als Beweis für die Verjährung ansah. Olivera, dem wie der Richterin Verbindungen zur Geheimloge P 2 nachgesagt werden, flog sofort nach Argentinien zurück.

Früher flößten die "represores" Furcht ein, heute macht sich Abscheu breit, wenn ein Folterer in der Öffentlichkeit auftritt. Bürger werden schon mal handgreiflich. Trotz Amnestie müssen sich die früheren Machthaber in Argentinien verstecken.

Nein, hatte ich Lavallén am Telephon versichert, es gehe nicht um seine Zeit als Kommissar in San Justo sondern um seine Karriere bei Mercedes Benz. Dies, und mein deutscher Akzent, hatten ihn beruhigt.

Er führt mich durch ein abgedunkeltes Wohnzimmer. In der Diele hängen Heiligenbildchen. In der winzigen Küche stehen zwei wacklige Stühle, ein alter Eisschrank und ein Sperrholztisch. Er bietet Matetee an.

Früher war er blond, jetzt grau, markantes Kinn, grüne stechende Augen. Ein drahtiger Typ, stets auf dem Sprung. Warum er in die Pampa gezogen ist? Seine Familie lebt hier, seine Brüder arbeiten bei der Polizei. Ein wunderbarer Beruf, da kann man viel Gutes tun. Wenngleich es auch Böse gibt.

Seitdem er bei Mercedes ausgeschieden ist, arbeitet er im privaten Wachschutz. Das Arbeitsverhältnis sei in Einvernehmen aufgelöst worden, der deutsche Autobauer habe ihn großzügig abgefunden und ihm am 5.April 1984 ein Zeugnis ausgestellt: "... er hat seine Arbeit optimal und vertrauenswürdig verrichtet."

Die Gründe seiner Kündigung? Naja, "diese Sache". Die Journalisten seien damals am Werkstor aufgetaucht, hätten peinliche Fragen gestellt. Und die Firma habe negative Schlagzeilen vermeiden wollen. Dafür habe er Verständnis.

Damals - das war Anfang 1984. Argentinien war gerade wieder demokratisch geworden, die Verbrechen der Militärs wurden untersucht. Lavallén war der erste "represor", gegen den wegen Kindesentführung ermittelt wurde. Er soll, so behauptete eine "Großmutter vom Maiplatz", ihre Tochter ermordet und deren Tochter Paula als sein eigenes Kind aufgezogen haben. Der Verdacht bestätigte sich. Lavallén wurde später zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er ein Jahr und acht Monate verbüßte. Kindesentführung ist von der Amnestie ausgenommen.

Aber darüber wolle er nicht reden. Was ich von ihm wolle? Ich erzähle, daß in Deutschland ein Ermittlungsverfahren gegen Mercedes Benz, heute Daimler Chrysler, anhängig ist. Der Republikanische Anwaltsverein hat Strafanzeige wegen Beihilfe zum Mord in dreizehn Fällen erstattet. Die Firma steht unter dem Verdacht, während der Diktatur ihre Betriebsräte bei den Militärs als "Subversive" angeschwärzt haben, was ein Todesurteil bedeutete. Ich verschweige, daß dieser Verdacht auf meinen Recherchen basiert, ich bin Zeugin der Staatsanwaltschaft Nürnberg. (Az. 407 Js 41063/98)

Wir plaudern über Interna im Mercedes-Werk, Lavallén erwähnt die Namen der Geschäftsführer, ich füge die Vornamen dazu, Pedro Adolfo de Elías, Pablo Cuevas, Caparrós - das Trio der Macht, das Trio des Schreckens. Der Mann scheint zu glauben, daß ich im Auftrag des Unternehmens bei ihm sei. Dies habe ich nicht behauptet, aber ich widerspreche nicht. Er wird zutraulich. Ja, er sei über Mercedes-Direktor Pedro de Elías, den er seit Ende der sechziger Jahre gut kenne, zu der Anstellung gekommen. Mit der Bekämpfung des Terrorismus habe er nie etwas zu tun gehabt, er könne, sagt er, keinen Vogel töten. Nach Vögeln habe ich nicht gefragt. Wie er denn an Paula, die Tochter von Verschwundenen, gekommen sei? Seine Augen werden feucht. Darüber möchte er nicht reden.

Nach dem Putsch verschwanden mindestens dreizehn linke Betriebsräte von Mercedes Benz. Sie wurden nachts von Soldaten aus ihren Betten geholt und in Folterzentren gebracht. Dann wurden sie aus Flugzeugen über dem Meer abgeworfen. Die meisten der 30.000 Verschwundenen waren Arbeiter, heißt es im Regierungsbericht "Nunca Mas". Das Ziel war die Vernichtung der Arbeiterbewegung.

Nur zwei Mercedes-Betriebsräte überlebten Folter und Haft, Héctor Ratto und Juan José Martin. Betriebsrats-Sprecher Martín setzte sich auch nach dem Staatsstreich dafür ein, daß die Kollegen richtig eingruppiert und daß gesetzliche Zuschläge gezahlt werden. Die Werksleitung zeigte sich stur, und Martin organisierte die Verweigerung von Überstunden. Das war in den Augen der Geschäftsleitung offene Rebellion. Er wurde am 29. April, fünf Wochen nach dem Putsch, von der Werkbank weg verhaftet, seine Vorgesetzten guckten zu. Er wurde ins Kommissariat San Justo verschleppt, wo Rubén Lavallén Befehle erteilte. Sie folterten ihn tagelang mit Elektroschocks und fragten immer wieder, warum er bei Mercedes so widerspenstig sei und die Kollegen aufhetze. Nach 19 Tagen wurde er ohne Begründung entlassen. Zu Hause fand er ein Telegramm seines Arbeitgebers vor, er solle sich ein paar Tage Urlaub nehmen, hieß es darin.

Der zweite Betriebsrat, Héctor Ratto, sollte im August 77 im Werk verhaftet werden. Er hatte kurz vorher geheiratet, die Firma kannte seine neue Adresse nicht. Um Unruhe zu vermeiden, versuchte ihn der Werkschutz aus der Fabrik zu locken, seine Frau sei verunglückt, er müsse nach ihr sehen, sagten sie ihm. Ratto weigerte sich und wurde in die Räume des Produktionsleiters Juan Tasselkraut gebeten. Im Beisein Rattos gab Tasselkraut die Adresse des Arbeiters Diego Núñez an die Polizisten. Núñez wurde in der selben Nacht aus seiner Wohnung verschleppt, in die Kaserne Campo de Mayo verbracht und ermordet. Ratto hingegen wurde am Abend von Soldaten aus dem Werk abgeführt und landete in der "Brigada de Investigación" in San Justo. Dort wurde er nach einigen Stunden formell aus dem Gewahrsam entlassen, doch kaum war er aus der Tür, stülpten ihm Unbekannte eine Kapuze über den Kopf und verschleppten ihn nach Campo de Mayo. Ab diesem Moment war er ein "Verschwundener".

An der Tatsache, daß Lavallén im Folterzentrum in San Justo die Fäden zog, bestehen wenig Zweifel, nicht nur, weil die anderen Polizisten seine Untergebenen waren. Im Prozeß gegen die Junta-Kommandanten sagte Jahre später Dr. Norberto Liwski aus. Er hatte in den siebziger Jahren als junger Arzt in einem Gesundheitszentrum des Armenviertels Cuidad Evita gearbeitet und war im April 78 verschleppt worden. Wochenlang war er in der "Brigada" mißhandelt worden, Elektroschocks, das Abziehen der Fußsohle, Prellen der Geschlechtsteile - "die ganze Palette eben", so der Arzt, der heute die Standesorganisation CODESEDH der Mediziner leitet. Man hatte ihm die Augen verbunden, aber den Namen "Lavallen" oder "Lavallén" hat er mehrere Male gehört. Da ist er sich bis heute sicher.

Lavallén hat Mercedes als Leiter der "Brigada" Dienste geleistet. Und die Firma erwies sich erkenntlich. Stets hat sie für "treue Dienste" gedankt. Bis zu seiner Entführung durch den Geheimdienst Mossad hatte sie Adolf Eichmann beschäftigt, einen der Architekten des Holocausts. Eichmann wurde in Israel wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tod verurteilt. "Ein absolutes Tabu in der Firma", erinnert sich David Filk, bis Anfang der achtziger Jahre Vorstandsmitglied bei Mercedes Benz Argentina.

Claudio und Monica Logares und ihre knapp zweijährige Tochter Paula waren am 28. Mai 1978 im Nachbarland Uruguay von Soldaten auf hellichter Straße überfallen und in Autos verfrachtet worden. Auch ihrer Tochter wurde eine Kapuze übergestülpt. Vermutlich noch in der selben Nacht wurden sie nach Argentinien gebracht und landeten Zeugenaussagen zufolge in der "Brigada" in San Justo. Claudio und Monica sind seitdem verschwunden. Kommissar Lavallén, der keine eigenen Kinder hat, nahm Paula mit. Er ließ sie mit gefälschten Papieren als seine leibliche Tochter eintragen. Paula wuchs bei ihm, seiner Frau Raquel und deren drei Kindern aus erster Ehe auf.

Das Folterzentrum in San Justo wurde im Juli 78 aufgelöst, die Gefangenen auf andere Haftzentren verteilt. Lavallén, der gerade die 23 Monate alt Paula an sich genommen hat, sah sich nach einer neuen Betätigung um. Am 1. Juli wurde ihm der Werkschutz bei Mercedes Benz übertragen, ein hoch dotierter Posten. Mercedes-Direktor de Elías erklärt später offenherzig: "Wir stellten ihn ein, weil er uns als aktiver, effizienter und ehrbarer Polizist erschien". Ein deutliches Signal an die Belegschaft. "Die linken Betriebsräte ermordet, ein represor zum Sicherheitsheitchef ernannt - da widersprach im Werk niemand mehr", sagt Ramón Segóvia, der fast zwanzig Jahre bei Mercedes gearbeitet hat.

Unterdessen sammelte Paulas Großmutter Informationen. Kaum zogen sich die Militärs in ihre Kasernen zurück, erstattete sie Strafanzeige gegen Lavallén.

Es war der erste Fall, in dem es um den Raub von Kindern aus Folterzentren ging. Und der erste Fall, in dem ein genetischer Fingerabdruck die Verwandtschaftsbeziehungen bewies.

Natürlich erinnert sich Ana Maria di Lonardo, bis heute Leiterin der Genbank im Hospital Durand, an ihren ersten Fall: Aus den Akten wußte sie nur, daß der angebliche Vater Kriminalkommissar war. Aber statt eines Dienstausweises legte er ihr eine Visitenkarte von Mercedes Benz vor. "Frau Doktor, wenn Sie irgend etwas brauchen, wir stehen zu Ihrer Verfügung", so die Ärztin. Die S-Klasse habe er nicht direkt angeboten - aber sie habe nicht gefragt sondern sich an die Arbeit gemacht. Das Ergebnis: Paula ist das Enkelkind von Elsa Pavón, im Dezember 1984 wurde ihr das Sorgerecht übertragen.

Paula ist heute 23 Jahre alt und frisch verheiratet. Sie wird bald eigene Kinder haben. Sie hat die Zeit bei Familie Lavallén aus ihrem Gedächtnis verdrängt, versucht es zumindest.

Auch Ruben Lavallen will verdrängen. Er sagt, er habe seinen Dienst erfüllt, sei ein guter Polizist gewesen. Frage an den Ex-Kommissar, ob die verschwundenen Betriebsräte von Mercedes Benz Guerilleros gewesen seien? Er lächelt, nein, natürlich nicht.

Er sei ein einsamer Mann, sagt er beim Abschied. Seine Frau Raquel habe ihn verlassen. Auch sie wurde in Argentinien wegen der illegalen Aneignung von Paula zu drei Jahren auf Bewährung verurteilt. Sie könnte über die systematischen Kindesentführungen der Militärs und das Zusammenwirken von Mercedes Benz mit der Repression bei der Beseitigung linker Gewerkschafter aussagen.

Laut der in der Zeitung "Nacion" veröffentlichten Liste hat der spanische Richter Garzón gegen ihren Mann und gegen die gebürtige Uruguayerin internationalen Haftbefehl erlassen. Heute lebt sie, erzählte mir neulich ihr Sohn, bei ihrer ältesten Tochter und hütet Enkelkinder, in Barcelona.

Dieser Artikel ist in leicht geänderter und gekürzter Fassung erschienen in der taz vom 19. Oktober 2000


Home
LabourNet Germany: http://www.labournet.de/
LabourNet Germany: Treffpunkt für Ungehorsame, mit und ohne Job, basisnah, gesellschaftskritisch
The virtual meeting place of the left in the unions and in the workplace
Datei:
Datum: