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MERCEDES BENZ AUF DER ANKLAGEBANK ?

Südwestfunk 23. August 2000
Redaktion: Paul Assall
Autorin: Gaby Weber

Auszüge:

Erzählerin: Buenos Aires. Argentinien. "Strafe für die Völkermörder" fordern vor der Kaserne "Campo de Mayo" alte Frauen mit weißen Kopftüchern, die "Maiplatz-Mütter". Ihre Kinder wurden vor mehr als zwanzig Jahren verschleppt.
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Erzählerin: "Hier, in Campo de Mayo, wurden Menschen gefoltert und ermordet".
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Erzählerin: Ein Mann, Mitte vierzig, ergreift das Megaphon.

Zitator: Mercedes. Mercedes. Die Hintermänner der Verbrechen sitzen in den Chefetagen der Konzerne.
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Zitator: Ich habe bei Mercedes Benz gearbeitet und mußte, weil ich um mein Leben fürchtete, kündigen. Heute erinnere ich an die ermordeten Betriebsräte, an José Vizzini, Vater von zwei Kindern. An Hugo Ventura und Esteban Reimer. An Juan Mosquera. Der Schmerz läßt mit der Zeit nicht nach. Auch wenn die globalisierte Ignoranz uns weismachen will, daß die Bösen immer gewinnen: Ich weiß, daß es nicht so ist.

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Erzählerin: Während der Militärdiktatur wurden 30.000 Regimegegner ermordet. Die Verbrechen sind bis heute ungesühnt. Auch wenn, wie hier vor der Kaserne, nur wenige Menschen für "Gerechtigkeit" demonstrieren - die argentinische Gesellschaft hat das Thema nicht zu den Akten gelegt. Richter ermitteln, Generäle stehen unter Hausarrest, Bürger bespucken berüchtigte Folterer auf der Straße.
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Der Dorn steckt tief. 23 Jahre nach dem Militärputsch wird in Argentinien darüber diskutiert, wie die Mörder von damals trotz der Amnestiegesetze zu bestrafen seien. Und darüber, wer an diesen Verbrechen schuld war. Nur einige Sadisten in Uniform? Oder hat sich auch die Wirtschaft an Menschenrechtsverletzungen beteiligt, um ihren Profit zu steigern?
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Erzählerin: Der Gewerkschaftsanwalt Héctor Recalde:

Zitator: Die meisten Verschwundenen waren Arbeiter. Während der Diktatur waren Streiks und kollektive Tarifverhandlungen verboten, die Gewerkschaften und die gewerkschaftseigenen Krankenkassen wurden von den Militärs zwangsverwaltet. Und in den Fabriken arbeiteten Militärs und Personalabteilungen Hand in Hand. Wenn ein Betriebsrat störte, wenn er sich für die Rechte seiner Kollegen zu nachdrücklich einsetzte, schwärzten ihn seine Vorgesetzten als "Terroristen" an und besiegelten damit sein Todesurteil.

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Erzählerin: Da in Argentinien die Amnestiegesetze eine Strafverfolgung verhindern, hat der Gewerkschaftsdachverband CTA an Baltasar Garzón Beweismaterial über die unheilige Allianz zwischen Industrie und Repression geschickt. Der spani-sche Richter soll auch gegen Mercedes Benz ermitteln. Unbequeme Betriebsräte der argentinischen Niederlassung wurden damals ermordet.
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Erzählerin: Die deutsche Justiz wurde eingeschaltet. Die Militärs ließen über siebzig Deutsche oder Deutschstämmige "verschwinden".
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Erzählerin: Bundesweit hat sich eine "Koalition gegen die Straflosigkeit" gebildet, aus Juristen, Gewerkschaftern und Kirchengruppen.

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck will den Beweis antreten, daß Deutsche zu den Opfern und zu den Tätern gehörten. Er will nicht nur argentinische Militärs sondern auch DaimlerChrysler auf der Anklagebank sehen. Gegen den deutschen Autobauer und seinen Betriebsleiter in Argentinien hat er im Namen des Republikanischen Anwaltsvereins wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord Strafanzeige erstattet. Er stützt seinen Verdacht auf einen Betriebsrat von Mercedes Benz, der aus dem Werk heraus verhaftet und in das Folterzentrum Campo de Mayo verschleppt worden war.

Zitator: Ich glaube, daß die Werksleitung von Mercedes Listen mit unseren Namen erstellt und den Militärs übergeben hat.

Erzählerin: Wir haben für diese Sendung nach weiteren Zeugen gesucht. Wir sind fündig geworden.
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Erzählerin: Juan Martin. Sprecher des unabhängigen Betriebsrates bei Mercedes Benz:
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Fünf Wochen nach dem Staatsstreich war Martín an der Reihe:

Zitator: Am 29. April sagte mir ein Kollege, schau mal, die Militärs sind im Werk. Sie bewegten sich auf dem Gelände, als wären sie dort zu Hause. Sie kamen, ohne Begleitung, in meine Abteilung "Lenkung" und fragten, ob ich Juan Martin sei. Ich bejahte. Ich müsse in die Kaserne mitkommen, sie wollten mir Fragen stellen. Sie führten mich zuerst in meine Wohnung, von wem sie die Adresse hatten, weiß ich nicht. Sie durchsuchten alles, aber das einzig Verdächtige, was sie fanden, waren Zeitungsausschnitte über die Firma und ein Buch mit dem Titel "was ist Kommunismus? - ein Geschenk meines Bruder.

Erzählerin: Statt in der Kaserne lieferten ihn die Soldaten im Polizeirevier San Justo ab:

Zitator: Die Zelle war so klein, daß ich diagonal auf dem Betonfußboden schlafen mußte. Sie hatte kein Fenster, und ich bekam eine Woche lang nichts zu essen. Sie verhörten mich: warum ich meine Vorgesetzten ärgere, warum ich Rechte für die Arbeiter fordere und ob ich Terroristen kennen würde. Auf vieles konnte ich nicht antworten, aber ich beantwortete ihre Fragen über die Situation bei Mercedes. Am achten Tag, und das erzähle ich heute zum ersten Mal, folterten sie mich mit Elektroschocks. Es war, als ob mein Gehirn davon flog. Ich wollte alles zugeben, nur damit sie aufhörten. Aber ich kannte keine Terroristen, was sollte ich tun?

Erzählerin: Nach 19 Tagen Haft wurde Martín ohne Begründung freigelassen.

Zitator: Als ich in die Fabrik zurück kam, hatten sich alle Kollegen zur Begrüßung auf der Straße versammelt. Viertausend Arbeiter! Mir stiegen die Tränen in die Augen. Dann ging ich an meinen Arbeitsplatz. Doch ich wollte nicht im Werk bleiben. Ich konnte nicht mehr. Ich bat den Personalchef um eine Abfindung. Er entgegnete, daß gegen meine Weiterbeschäftigung nichts spreche. Nach dem, was sie nun in Erfahrung gebracht hätten, sei ich der "sauberste Arbeiter" im ganzen Werk. Er sagte nicht, wie er das in Erfahrung gebracht hat.

Erzählerin: Martín litt an den Folgen der Folter, er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Schließlich löste Mercedes Benz das Arbeitsverhältnis auf und zahlte eine kleine Abfindung.
[...]
Erzählerin: Héctor Ratto. Mitglied des Betriebsrates bei Mercedes Benz Argentinien. 12. August 1977.

Die Soldaten wollten ihn, um Aufruhr zu vermeiden, nicht am Arbeitsplatz sondern am Eingang ergreifen. Doch sie begingen einen Fehler, sie nahmen nicht HECTOR Ratto gefangen sondern Juan José Ratto. In einem Sicherheitsbüro auf dem Werksgelände stülpten sie ihm eine Kapuze über den Kopf und fesselten ihn, bis sie ihren Irrtum erkannten. Aber da war HECTOR Ratto schon in der Fabrik:

Zitator: Ich erschien um vierzehn Uhr zur Personalversammlung. Danach kam einer vom Sicherheitsdienst und sagte, daß meine Frau angerufen habe und daß in meiner Wohnung ein Unfall passiert sei. Ich war noch nicht lange von zu Hause weg, so daß ein Anruf meiner Frau unwahrscheinlich war. Denn es hätte ein handvermitteltes Ferngespräch sein müssen, auf das man stundenlang warten mußte. Die Personalabteilung erteilte mir, ohne daß ich darum gebeten hatte, die Erlaubnis, das Werksgelände zu verlassen. Das war eine Falle. Die Nacht vorher war der Kollege Del Connte verschleppt worden, zu dem ich ein sehr gutes Verhältnis hatte. Jetzt war ich an der Reihe. Ich erklärte meinem Chef, daß man mich am Tor abfangen wolle und ich deshalb das Werk nicht verlassen werde. Kollegen fuhren in meine Wohnung, und erzählten hinterher, daß alles in Ordnung war. Dann bat mich der Werksleiter Tasselkraut in sein Büro, wo zwei Polizisten in Zivil auf mich warteten. Sie wollten mich mitnehmen. In meinem Beisein gab ihnen Tasselkraut die Adresse von Diego Núñez.

Erzählerin: Der Arbeiter Diego Núñez wurde in der folgenden Nacht aus seiner Wohnung verhaftet, ins Folterzentrum Campo de Mayo gebracht und ermordet.

Erzählerin: Am Abend des 12. August wurde Héctor Ratto mit zwei Lastwagen der Armee aus dem Werk abtransportiert.

Erzählerin: Ratto wurde in die Kaserne Campo de Mayo gebracht.

Zitator: Sie folterten mich mit Elektroschocks und fragten, ob ich Kontakte zur Guerilla habe. Sie verabreichten mir so viele Elektroschocks, daß meine Arme gelähmt waren. In der Kaserne hörte ich die Stimmen meiner Kollegen. Gigena, Del Connte, Mosquera, Arenas und Leichner.

Erzählerin: Daß Héctor Ratto überlebte, verdankt er dem Umstand, daß er von den Militärs - wie zuvor sein Kollege Martín - öffentlich, am Arbeitsplatz ergriffen worden ist. Die anderen verschwundenen Betriebsräte waren nachts, zu Hause, von zivil gekleideten Männern abgeholt und verschleppt worden.

Zitator: Ich hatte erst vor kurzem geheiratet und dem Werk meine neue Anschrift noch nicht mitgeteilt. Das hat mich wohl gerettet.

[...]

Erzählerin: Wir sprachen in Berlin mit Klaus Oertel. Heute ist er pensioniert, von 1975 bis Ende 77 leitete er die argentinische Niederlassung von Mercedes. Auf der letzten Hauptversammlung der Aktionäre hatte er von den Vorwürfen gegen seine Firma erfahren:

Oertel war vom deutschen Mutterhaus an den Rio de la Plata geschickt worden. Er galt als besonders gefährdet. Aus Angst vor Anschlägen der Guerilla lebte er mit seiner Frau im Nachbarland Uruguay und flog jeden Morgen nach Buenos Aires, um dort Firmengeschäfte zu erledigen.

Oertel wirkte an den Verhandlungen mit den Entführern seines Kollegen Heinrich Metz mit.

Nachdem Heinrich Metz im Dezember 75 aus seiner Geiselhaft entlassen wurde und nach Deutschland flog, unternahm das Unternehmen bis zum heutigen Tag nichts, um der Polizei bei der Suche nach den Kidnappern zu helfen.

Take: "Zu Beginn der Entführung hatten wir die übliche Meldung an die Polizei gegeben, das kann man sicher auch als Strafanzeige interpretieren, und wir meinten, damit sei auf diese Weise dem Thema Genüge getan".

Erzählerin: Die von Oertel erwähnte "übliche Meldung" befindet sich bis heute in den Ermittlungsakten zum "Entführungsfall Heinrich Metz". Bereits wenige Stunden nach der Geiselnahme sprach der Justiziar des Unternehmens bei der Bundespolizei vor. Er konnte keine Angaben über den Tathergang machen, beschuldigte aber Gewerkschaftsaktivisten, Kontakte zur Guerilla zu haben. Entlassene und namentlich genannte Betriebsräte, so heißt es in seiner Aussage, seien als Agitatoren und "Kommunisten" aufgefallen. Der Justiziar berichtete, daß am gleichen Tag im Mercedes-Werk fünfzehn hundert Beschäftigte die Arbeit niedergelegt und einen linken Betriebsrat gewählt hätten. Die Namen und Privatadressen dieser neun Betriebsräte teilte der Justiziar der Polizei mit. Darunter waren Name und Anschrift des Arbeiters Hugo Ventura. Er wurde später, nach dem Putsch, aus seiner Wohnung verschleppt und ermordet.

Wer den Manager Heinrich Metz entführt hatte, ist bis heute unklar. Zwar nahm die Staatsanwaltschaft in Buenos Aires in den achtziger Jahren die Ermittlungen noch einmal auf, aber der Stuttgarter Konzern rührte keinen Finger, um bei der Strafverfolgung zu helfen

Erzählerin: Auch ohne Verurteilung in Argentinien schien für Mercedes Benz festzustehen, wo die Kidnapper ihres Kollegen zu suchen waren. Klaus Oertel vermutet ...

Take: "daß Hinweise aus der Firma gekommen waren. Das liegt für meine Begriffe so deutlich auf dem Tisch, daß man gar keine großen Recherchen anstellen muss. Einmal wegen der Adressen, dann der Lebensgewohnheiten, wenn man jemand entführen will, forscht man ihn ja erst mal aus. Ich halte dafür, daß es zumindest Mitwisser gab".

Erzählerin: Vermutlich ging die Firma davon aus, daß es sich bei den "Mitwissern" um linke Betriebsaktivisten handelte. Tatsache ist, daß vierzehn von ihnen von den Militärs verschleppt und ermordet wurden. Als Rache für die Entführung von Heinrich Metz?
Wir wissen es nicht. Einiges spricht dafür, aber Klarheit könnten nur die Ermittlungen eines Richters oder eines Staatsanwaltes bringen.
[...]
Erzählerin: Seit den Amnestiegesetzen ist viel Zeit vergangen. Inzwischen wurden die Hinterbliebenen mit sechsstelligen Summen vom Staat entschädigt. Trotzdem geraten die Menschenrechte immer wieder in die Schlagzeilen. Jeden Donnerstag protestieren die Mütter der Verschwundenen auf dem Maiplatz. Folterer werden aus Restaurants und Diskotheken vertrieben.

Die Menschenrechtsgruppen finden Gehör in der Gesellschaft, auch wenn sie keine Massenbewegung darstellen, erklärt der Arbeitsrechtler Héctor Recalde. Die Bürger sorgen sich wegen der Kriminalität und der Arbeitslosigkeit. Die Löhne fallen, die Preise steigen.

Zitator: Während ihrer Gewaltherrschaft versechsfachten die Militärs unsere Auslandschulden. In dieser Zeit ging es mit unserer Industrie rapide bergab. Das ist der Beweis dafür, daß die Rechte der Beschäftigten nichts mit dem Zustand der Wirtschaft zu tun haben. Denn niemals besaßen die Arbeiter weniger Rechte als während der Diktatur.

Erzählerin: Die Unternehmen fuhren damals astronomische Gewinne ein, wer Lohnerhöhungen forderte und protestierte, galt als "Staatsfeind". Die Wirtschaft, und an erster Stelle die ausländischen Konzerne, profitierte von der systematischen Verletzung der Menschenrechte - auch wenn sie sich selbst nicht die Hände schmutzig machten.

Der Gewerkschaftsanwalt hofft, daß bei der Diskussion über die Menschenrechte nicht nur die Militärs sondern endlich die Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden.

Auch zur strafrechtlichen Verantwortung? Der Anwalt nickt. Im Falle von Mercedes Benz lasse doch die jahrelange Weiterzahlung der Löhne der ermordeten Arbeiter nur EINEN Schluß zu:

Zitator: Das war Schweigegeld, damit ihre Kollaboration mit den Militärs nicht ans Tageslicht gelangt. Eine andere Erklärung gibt es nicht.

Erzählerin: Der deutschen Justiz scheint die Strafanzeige gegen Daimler Chrysler und ihren Werksleiter in Argentinien unheimlich. Ohne die Beschuldigten vernommen zu haben, stellte die Staatsanwaltschaft Stuttgart das Verfahren gegen das Mutterhaus ein. Die Ermittlungen gegen ihre Niederlassung in Buenos Aires wurden der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zugewiesen. Bisher wurden keine Zeugen verhört, kein Beweismaterial gesichert.

DIESES MANUSKRIPT IST URHEBERRECHTLICH GESCHÜTZT

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